Digitale Ordnungspolitik: Einfluss der Datenökonomie auf die Arbeitswelt

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In der digitalpolitischen Debatte wird oft von einem vermeintlichen Gegensatz zwischen einer gemeinwohlorientierten und einer wirtschaftlichen Nutzung von Daten ausgegangen: Gemeinwohl gelte es zu fördern, der digitalen Wirtschaft dagegen wird mit Misstrauen begegnet. Diesen Gegensatz will eine digitale Ordnungspolitik überwinden, indem sie die Regeln, Anreize und Grenzen auch für privatwirtschaftliche Akteur*innen so setzt, dass deren Aktivitäten das Gemeinwohl fördern.

Das gilt umso mehr für die digitale Transformation der Arbeitswelt. Denn hier verbinden sich wirtschaftliche mit sozialen und gesellschaftlichen Funktionen. Mit den richtigen Rahmenbedingungen können auch dort eine gute Qualität von Arbeit, gerechte Teilhabe und demokratische Mitbestimmung gestärkt werden. Dabei muss die Politik nicht jede Form des wirtschaftlichen Handelns gleichermaßen fördern. Vielmehr kann und soll sie Anreize für digitale Innovationen in den Bereichen geben, die zu einem nachhaltigen und sozialen Wirtschaften beitragen. 

Datengetriebene Innovationen verändern die Arbeitswelt 

Datengetriebene Innovationen – allen voran künstliche Intelligenz (KI) ¬– verändern die Arbeitswelt tiefgreifend und werden dies in Zukunft noch stärker tun. Viele Tätigkeiten werden bald leichter, billiger oder präziser von Maschinen ausgeführt werden. Wie dieser Wandel allerdings ablaufen wird – beispielsweise welche und wie viele neue Arbeitsplätze dabei entstehen werden – wissen wir derzeit nicht. Denn das hängt maßgeblich von den politischen Rahmenbedingungen ab.1  Eine der Hauptaufgaben der digitalen Ordnungspolitik ist es daher, den datengetriebenen Strukturwandel der Arbeitswelt zu gestalten. 

Datenbasierte Erkenntnisse fördern zudem zwar Innovation und Produktivität, sie können aber auch Machtasymmetrien zwischen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen verstärken, zum Beispiel durch datenbasierte Überwachung und Kontrollmöglichkeiten. Auch reguläre Arbeitsverträge können dadurch eher umgangen werden, zum Beispiel in vielen Modellen der Plattformökonomie. Ein Anspruch digitaler Ordnungspolitik muss sein, solche Machtverhältnisse auszugleichen. Historisch betrachtet ist dies bereits durch Mechanismen wie Arbeitsschutz, Arbeitnehmer*innenrechte und betriebliche Mitbestimmung gelungen. Diese Instrumente gilt es in die digitale Wirtschaft zu übersetzen und weiterzuentwickeln. Gedanklicher Ausgangspunkt sollte dabei nicht nur der wirtschaftliche, sondern auch der soziale Stellenwert von Arbeit sein. 

Die Arbeitswelt im Wandel sozial gestalten

Arbeit wird in vielen ökonomischen Modellen rein unter den Aspekten von Einkommen und Arbeitszeit betrachtet. Beides ist fraglos wichtig, aber Arbeit ist für ein Individuum
meist noch viel mehr: sie bedeutet Teilhabe, Kontakt mit anderen Menschen, oft auch ein gewisses Maß an Selbstverwirklichung. Sie fördert das Bewusstsein, etwas zur Gesellschaft beizutragen. Aus gesamtgesellschaftlicher Sicht ist zentral, dass die Arbeitswelt einer der wichtigsten Orte sozialer Integration ist. Wie Menschen dort behandelt werden und in welchem Maß sie sich einbringen können, hat maßgebliche Auswirkungen auf ihre Wahrnehmung der Gesellschaft insgesamt.2

Technische Bedingungen haben die Arbeitswelt immer schon mitgeprägt: durch das Zusammenspiel von Menschen und Maschinen. Im besten Fall führen technische Innovationen dazu, dass menschliche Arbeit leichter und qualitativ besser wird, dass Routineaufgaben reduziert und Aufgaben, die spezifisch menschliche Fähigkeiten erfordern, aufgewertet werden. Ob technische Innovation jedoch in diese Richtung geht, hängt maßgeblich davon ab, wie die Arbeitswelt gestaltet ist – rechtlich, aber auch sozial und kulturell. 

Dabei reicht der bloße Gesetzestext nicht aus – Rechte wie zum Beispiel das auf Gründung eines Betriebsrats müssen auch eingefordert und durchgesetzt werden können. Ein weiteres Problem der derzeitigen Transformationsphase ist, welche Arbeitsmodelle überhaupt als Arbeitsverhältnisse mit den damit einhergehenden Rechten gestaltet werden. Durch die Organisation von Arbeit über freie Verträge, bei denen die Bedingungen nur der Verhandlungsmacht beider Seiten unterliegen, drohen klassische Arbeitnehmer*innenrechte untergraben zu werden.

Die Regeln der Arbeitswelt werden immer wieder aufs Neue hinterfragt und verhandelt. Das ist aufgrund moderner technologischer Möglichkeiten und gesellschaftlicher Veränderungen auch notwendig. Gleichzeitig hat Arbeit einen hohen sozialen Stellenwert, den es zu bewahren gilt. Vor diesem Hintergrund wollen wir Handlungsfelder einer Ordnungspolitik der digitalen Arbeitswelt aufzeigen und ihre Instrumente zur Durchsetzung einer am Gemeinwohl orientierten Ordnung diskutieren. 

Lebenslanges Lernen

Lebenslanges Lernen ist ein wichtiger Schlüssel dafür, die digitale Transformation positiv zu gestalten. Es befähigt Individuen, Chancen zu nutzen und mit eventuellen Rückschlägen konstruktiv umzugehen. Die Grundlagen dafür werden bereits in der Schule gelegt. Dabei müssen nicht alle Kinder zu Unternehmer*innen oder IT-Spezialist*innen werden. Zwar sollten sie bestimmte digitale Fähigkeiten bereits in der Schule lernen. Aber Ziel ist, auch in einer digitalen und von Daten definierten Welt mündig agieren zu können. Dafür braucht es ebenso andere Fähigkeiten wie Empathie, Kreativität, vernetztes und kritisches Denken. Die Voraussetzungen dafür muss der Staat an den Schulen schaffen. 

Große Bedeutung kommt außerdem der beruflichen Weiterbildung und Qualifizierung zu. Die OECD sieht in Deutschland 54% der Arbeitsplätze ganz oder signifikant von Automatisierung betroffen. Damit die hier tätigen Menschen neue Fähigkeiten erlernen können, braucht es eine breite Weiterbildungsstrategie. Momentan nehmen vor allem bereits hochqualifizierte Arbeitnehmer*innen solche Angebote wahr, die zudem unübersichtlich und schwer zu navigieren sind. Die Weiterbildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten sollten daher ausgebaut und vereinfacht werden. Gewerkschaften könnten außerdem gezielt bestimmte Gruppen ansprechen, ähnlich der englischen Initiative „Unionlearn“. Mithilfe eines bezahlten Weiterbildungsurlaubs nach österreichischem Vorbild könnten zudem Betriebe und Beschäftigte finanziell entlastet werden. 

Investitionen in menschliche Arbeit steuerlich fördern

Zu einer digitalen Ordnungspolitik gehört ein Steuersystem, das Investitionen in die Qualifikation und Weiterbildung der Belegschaft ebenso finanziell unterstützt wie Innovationen. Datengetriebene Innovationen können zu großen Produktivitätsgewinnen führen. Diese werden oft durch steuerliche Förderprogramme sogar gefördert. Unternehmen können ihre Investitionen in ein materielles oder immaterielles Gut nicht nur absetzen, sondern diese werden häufig unterstützt. Dadurch werden Anreize für Unternehmen gesetzt, Geld für Maschinen, Daten und Algorithmen zu investieren.
 
Größere steuerliche Hürden bestehen hingegen bei Investitionen in die eigenen Mitarbeiter*innen und ihr Know-how. Das gilt insbesondere für Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen. Die OECD schätzt, dass im Zuge der digitalen Transformation bis zu 36 Mrd. Euro pro Jahr für Weiterbildung und Qualifizierung ausgegeben werden müssen. Um auf Investitionen in dieser Größenordnung zu kommen, sollten zusätzliche Anreize für Unternehmen geschaffen werden, etwa in Form von steuerlichen Begünstigungen für Fort- und Weiterbildungen. Zudem sollte das Steuersystem perspektivisch den Faktor „Arbeit“ entlasten und sehr hohe Kapitalgewinne stärker belasten, ohne jedoch Innovationen zu hemmen.

 
Flexibilität interessengerecht nutzen  

Die digitale Wirtschaft ermöglicht es vielen Beschäftigten, von verschiedenen Orten aus zu arbeiten. Im besten Fall können dadurch Arbeit und Privatleben flexibler gestaltet werden. Ob dies jedoch im Interesse der Arbeitenden oder ihrer Arbeitgeber*innen geschieht – oder durch vernünftige Kompromisse in beider Interesse –, hängt von den Machtverhältnissen, aber auch von den rechtlichen Regelungen ab. Ein „Recht auf Homeoffice“ scheint in vielen Bereichen wünschenswert, sollte aber mit praktikablen und fairen Regelungen (zum Beispiel zu Arbeitsgeräten und -mobiliar) verbunden sein. Derartige Flexibilisierungsformen dürfen außerdem nicht durch Defizite an anderen Stellen (beispielsweise mangelnde Kinderbetreuung) zu Rückschritten bei der Gleichstellung der Geschlechter in der Arbeitswelt führen.

Möglicherweise benötigen manche stark digital basierten Arbeitsbereiche auch ein „Recht auf Office“, um das soziale Miteinander unter Kolleg*innen und gegebenenfalls den gemeinsamen Einsatz für eigene Interessen zu erlauben. Wer möchte, sollte sich außerdem davor schützen können, dass Arbeitszeit und Freizeit miteinander verschmelzen, zum Beispiel durch klare Regeln über Nichterreichbarkeit in arbeitsfreien Zeiten.  
 

Datenschutz am Arbeitsplatz stärken

Datenbasierte Entscheidungen können sich auch auf die Arbeitsbedingungen der Einzelnen auswirken. Persönliche Daten der Beschäftigten können beispielsweise genutzt werden, um Arbeitspläne stärker an den Bedürfnissen der Mitarbeitenden auszurichten und flexibel auf Veränderungen und Ausfälle zu reagieren. Die Nutzung digitaler Tools führt auch dazu, dass Beschäftigte am Arbeitsplatz Daten über ihr eigenes Verhalten produzieren, die dazu dienen können, Arbeit besser oder effektiver zu machen. Werden diese Daten allerdings zu einer unverhältnismäßigen Überwachung und Verhaltenskontrolle missbraucht, untergräbt das die Selbstbestimmung der Beschäftigten und damit auch die soziale Bedeutung von Arbeit. 

Daher wird Datenschutz am Arbeitsplatz in einer datengetriebenen Wirtschaft umso wichtiger. Dafür braucht es geeignete Rahmenbedingungen – nicht nur auf gesetzlicher Ebene, etwa in Form eines Beschäftigtendatenschutzgesetzes, sondern auch für die Umsetzung. Sollen bedeutsame personenbezogene Daten verarbeitet werden, könnten beispielsweise mehr Mitspracherechte des Betriebsrates die Selbstbestimmung der Mitarbeitenden stärken.

Betriebliche Mitbestimmung erneuern

Die betriebliche Mitbestimmung ist ein zentrales Instrument, um Arbeitenden Mitsprachemöglichkeiten bei der Gestaltung ihrer unmittelbaren Arbeitsumgebung zu gewähren. Sie ist außerdem zentral für die tatsächliche Umsetzung rechtlicher Regelungen, zum Beispiel zum Urlaubsanspruch. Mitsprache von Mitarbeitenden wirkt sich auch produktivitätssteigernd aus, wie Studien zur betrieblichen Mitbestimmung zeigen.3 Außerdem korrelieren Selbstwirksamkeit und Kollegialität am Arbeitsplatz positiv mit pro-demokratischen Haltungen.

Diese Errungenschaften sollten auch in einer datengetriebenen Wirtschaft erhalten bleiben, zum Beispiel durch gesetzliche Mitspracherechte beim Einsatz von KI-Tools, wenn sie als Nebeneffekt die Verhaltenskontrolle der Mitarbeitenden ermöglichen. Gleichzeitig braucht es auch eine Änderung der Rahmenbedingungen dort, wo die Mitbestimmung mithilfe neuer technologischer Möglichkeiten – zum Beispiel digitale Abstimmungen – zum Positiven fortentwickelt werden kann. Außerdem ist zu erwägen, wie Kompetenzen der Mitbestimmungspraxis unter Mitarbeitenden gerade in datenintensiven Branchen gestärkt werden könnten – beispielsweise dadurch, dass der Erwerb relevanter Kenntnisse des Betriebsverfassungsgesetzes unterstützt wird. Auch das Modell der Genossenschaften sollte aktiv unterstützt werden, sodass sich auch im Bereich der Digitalwirtschaft alternative Geschäftsmodelle und Unternehmensformen entwickeln können.4

Mitarbeiterbeteiligung ausbauen

Indem Investitionen in die Belegschaft erleichtert werden, können auch Innovationen gefördert werden. Deutlich wird das am Beispiel der Mitarbeiterbeteiligung. Sie ist vor allem bei Start-ups – oftmals solchen mit innovativen, datengetriebenen Geschäftsmodellen – ein wichtiges Instrument, um Fachkräfte zu gewinnen und zu halten. Indem Mitarbeitende Anteile an ihrem arbeitgebenden Unternehmen erhalten, werden sie an dessen finanziellem Erfolg beteiligt. Dadurch kann sich für Mitarbeiter*innen eines Start-ups das Risiko auszahlen, in einem jungen Unternehmen mit ungewissen Erfolgschancen zu arbeiten. 
 
Mitarbeitende zu beteiligen, kann außerdem ihre Stimme im Unternehmen stärken. So können sich mitarbeitende Anteilseigner*innen beispielsweise in Aktionärsvereinen organisieren und so Einfluss auf strategische Entscheidungen des Unternehmens nehmen. Nicht zuletzt kann es auch ein wichtiger Faktor zur Motivation und Identifikation sein, eine zusätzliche Form von „Ownership“ am Unternehmen zu haben.

 
Europäische Zusammenarbeit verstärken

Die digitale Transformation der Arbeitswelt stellt uns vor viele neue Herausforderungen. Darauf gibt es nicht eine einzige Antwort oder Maßnahme. Vielmehr braucht es ein Zusammenspiel von Akteuren, privaten wie öffentlichen, um die hier vorgestellten Weichenstellungen vorzunehmen. Dabei kommt nicht zuletzt der europäischen Ebene besondere Bedeutung zu. Denn um Wettbewerbsverzerrungen (zum Beispiel durch unterschiedliche Regelwerke, Standards oder Steuersätze) oder Kapitalflucht zu vermeiden, wenn einzelne Länder vorpreschen, braucht es eine enge Kooperation innerhalb der Europäischen Union im Sinne eines digitalen Binnenmarktes. Diese Gestaltungskraft gilt es zu nutzen.

Im besten Fall ermöglicht es gerade das Zusammenwirken der europäischen, nationalen und regionalen Ebenen, die digitale Transformation der Arbeitswelt sozial gerecht und nachhaltig auszugestalten. So kann die Finanzierung von Maßnahmen in einem international koordinierten Rahmen erfolgen, etwa durch eine effektivere Besteuerung, wie sie gerade auf Ebene der OECD diskutiert wird. Die Umsetzung, beispielsweise durch innovative Qualifizierungsinitiativen, kann hingegen an die jeweiligen nationalen und ggf. auch regionalen Bedingungen angepasst werden. 

Zentral ist in jedem Fall, dass die Politik ihrem ordnungspolitischen Auftrag nachkommt: Anstatt sich von internationalen Konzernen oder technischen Entwicklungen treiben zu lassen, sollte sie deren Spielräume und Anwendungen aktiv mitgestalten und Innovationen in der Arbeitswelt eine Richtung geben. 


 1Siehe dazu auch kürzlich Gerald F. Davis and Aseem Sinha. Varieties of Uberization: How technology and institutions change the organization(s) of late capitalism. Organizaton Theory 2(2021), 1-17. 

2Siehe z.B. die jüngsten Forschungsergebnisse zu „industrial citizenship“ in Decker, Oliver, und Brähler, Elmar (ed.). 2020. Autoritäre Dynamiken: Alte Ressentiments – neue Radikalität. Gießen: Psychosozial-Verlag, verfügbar unter https://www.boell.de/de/2020/11/09/autoritaere-dynamiken-alte-ressentiments-neue-radikalitaet?dimension1=ds_leipziger_studie.

3Harju, Jarkko, Jäger, Simon, und Schoefer, Benjamin. 2021. Voices at Work, NBER Working Paper 28522, https://www.nber.org/papers/w28522

4Vgl. dazu etwa die aus den USA stammende Bewegung des „Platform Cooperativism“ (siehe https://platform.coop/).