Stadtplanung Rio 2016: An der Bevölkerung vorbeigespielt

Mit Olympia werden Rios Stadtgrenzen verschoben: Statt sich für das Wohl der Bevölkerung einzusetzen, bereitet die Stadtverwaltung Immobilienspekulationen den Weg.

Die Demonstrierenden fragen sich: Olympia für wen?
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Die Demonstrierenden fragen sich: Olympia für wen?

Im weitreichenden Diskurs um die Olympia-Stadt nutzte die weitgehend von Privatunternehmen beherrschte „Öffentliche Hand“ die Gunst der Stunde und entschied sich für die Verschiebung der Stadtgrenzen nach außen: Kurzerhand wurden Gesetze geändert, um neue Gebiete erschließen und bebauen zu können.

Die bereits bestehenden dichtbesiedelten Stadtbezirke, deren Infrastruktur dringend hätte ausgebaut werden müssen, hatten das Nachsehen; dabei wäre eine solche Modernisierung für die dortige Bevölkerung von direkten Nutzen gewesen. Diese Frage hätte an den Verhandlungstisch über das olympische Projekt gehört – aber sie wurde nie ansatzweise diskutiert.

Mehr erfahren im Dossier "Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro".

In unserem Dossier setzen wir uns mit der Finanzierung und Nachhaltigkeit der Spiele auseinander. Wir berichten über Sicherheitskonzepte, die Veränderungen in der Stadt und die Vertreibung sozial schwacher Bevölkerungsgruppen. Wir fragen nach der Verantwortung der Organisator/innen, Menschenrechte zu garantieren.
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Mit der Ausrichtung der Olympischen Spiele 2016 endet für Rio de Janeiro eine Phase großer städtebaulicher Veränderungen. Deren Folgen sind eine Erhöhung der Lebenshaltungskosten, die Privatisierung öffentlicher Räume und Dienste und eine Reihe von Verletzungen der Rechte der Bevölkerung, wovon insbesondere die ärmsten Schichten betroffen sind. Die Olympischen Spiele wurden zum Totschlagargument für alle urbanen Eingriffe. Die Dringlichkeit, die Vorbereitungen rechtzeitig abschließen zu müssen, erstickte eine politische Debatte über Sinn und Prioritäten öffentlicher Investitionen. Um Platz für zweifelhafte Projekte zu schaffen, wurden laut Schätzungen 100.000 Menschen von ihrem Wohnort vertrieben – der größte Umsiedlungsprozess der Geschichte der Stadt.

Die Veränderungen in der Stadt ab 2009 werden durch drei wichtige Ereignisse eingeläutet: Eduardo Paes, ein Politiker der Partei PMDB (Partido do Movimento Democrático Brasileiro) mit engen Verbindungen zum Immobiliensektor, wird Bürgermeister von Rio. Die Allianz von PMDB und PT (Partido dos Trabalhadores) auf Bundesebene festigt sich und führt schließlich dazu, dass die PMDB neben Dilma Rousseff (PT), der Siegerin der Präsidentschaftswahlen von 2010, die Vize-Präsidentschaft übernimmt. Und nicht zuletzt erfolgt der Zuschlag an die Stadt Rio de Janeiro, die Olympischen Spiele 2016 auszurichten.

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Weitere Faktoren, die beim Politikwechsel seit 2009 eine Rolle spielten, waren die Entdeckung neuer Erdölvorkommen vor der Küste Rio de Janeiros, wodurch der Bundestaat Rio de Janeiro erheblich mehr Bundesmittel zugesprochen bekam, Änderungen der Haushaltsgesetze, die der Stadt höhere Investitionen erlaubten und schließlich die Politik der Bundesregierung, das Wachstum der großen Bauunternehmen zu fördern.

Insgesamt waren damit die Bedingungen gegeben, massiv in städtische Strukturen Rio de Janeiros einzugreifen. Die Richtung bestimmten dabei die Interessen lokaler Unternehmer im Zusammenspiel mit den größten Bauunternehmen Brasiliens, die sich Rios Bauprojekte in dieser Zeit untereinander aufteilten. Als Hauptstandort der Olympischen Spiele profitierte dabei der Stadtteil Barra da Tijuca überproportional von den in Rio de Janeiro investierten Geldern. Der Stadtteil hat 300.000 Einwohnerinnen und Einwohner und ist das wichtigste Expansionsgebiet für den Immobilienmarkt Rio de Janeiros. In den letzten Jahrzehnten etablierte sich Barra da Tijuca immer mehr als Premium-Wohnbezirk, u.a. durch Zwangsräumungen armer Siedlungen, wie z.B. der Vila Autódromo.

Rio de Janeiro vor dem bundespolitischen Hintergrund

Nachdem seine erste Amtszeit (2003 – 2006) turbulent verlaufen war, beendete Luiz Inácio „Lula“ da Silva (PT) 2010 in günstiger Wirtschaftslage seine zweite Amtszeit an der Spitze der Bundesregierung mit den besten Umfragewerten, die ein brasilianischer Präsident je erreicht hat. Seine auf einem Konsens-Diskurs fußende Politik der Versöhnung aller gesellschaftlichen Schichten des Landes ließ damals viele daran glauben, in Brasilien sei nun der Spagat zwischen hohen Gewinnen der Unternehmen und einer gerechteren Einkommensverteilung möglich geworden. Es gelang Lula, sein politisches Kapital auf seine Nachfolgerin Dilma Rousseff zu übertragen. Sie hatte unter Lula das Präsidialamt geleitet, war aber vorher noch nie in ein hohes Amt gewählt worden. Rousseff gewann 2010 die Wahlen und schaffte auch - wenngleich unter Schwierigkeiten - die Wiederwahl 2014. Damit erreichte die Arbeiterpartei PT die vierte Amtszeit in Folge, die beiden letzten davon mit Unterstützung der PMDB.

Lula hatte es in der Tat geschafft, das Ansehen Brasiliens auf der internationalen politischen und wirtschaftlichen Bühne auf eine neue Stufe zu heben, wovon vor allem das Selbstwertgefühl der Brasilianerinnen und Brasilianer profitierte. Die allgemeine Verbesserung der Lebensbedingungen ließ die Bevölkerung optimistisch in die Zukunft blicken. Es war vor diesem Hintergrund, dass Brasilien den Zuschlag bekam, zwei der weltweit größten internationalen Events auszutragen: die Fußball-WM der Männer 2014 und die Olympischen Spiele 2016. Die Worte Lulas am 2. Oktober 2009, nachdem Brasilien als Gastgeberland der Olympischen Spiele feststand, spiegeln die Stimmung im Land zu jener Zeit wider: Lula erklärte, Brasilien sei nun zum vollwertigen Mitglied der internationalen Staatengemeinschaft aufgestiegen, denn das Land habe der Welt bewiesen, dass es imstande sei, Olympische Spiele auszurichten.

Das optimistische Grundgefühl in Brasilien beruhte auf einer Politik, die die Schaffung formeller Arbeitsplätze mit einer realen Erhöhung des Mindestlohns kombinierte und auch Umverteilungsmaßnahmen wie das konditionierte Transferprogramm Bolsa Família, einschloss. Diese Politik schaffte es, die soziale Ungleichheit in Brasilien in kleinen aber kontinuierlichen Schritten zu verringern. Die Wirtschaft war optimistisch: Der Ölkonzern Petrobras hatte neue Erdölvorkommen in tiefen Bodenschichten (pré-sal) vor der Küste entdeckt, während auf den Weltmärkten das Rohöl Spitzenpreise erzielte. Hinzu kamen steigende Exporte von Agrarprodukten und anderen Rohstoffen, vor allem nach China. Der brasilianische Staat beteiligte sich aktiv am Wirtschaftswachstum, indem er in große Infrastrukturprojekte investierte und über die staatliche Entwicklungsbank BNDES (Banco  Nacional de Desenvolvimento Econômico e Social) und öffentlich verwaltete Investmentfonds Kredite an brasilianische Firmen im In- und Ausland vergab. Brasilianische Unternehmen schossen weltweit wie Pilze aus dem Boden, besonders in Lateinamerika und in Afrika.

Barra da Tijuca: olympischer Zentralismus

Die Stadt Rio de Janeiro wurde zum wichtigsten internationalen Schaufenster dieser neuen Phase der brasilianischen Wirtschaft und ihr galt auch ein Großteil der Investitionen. Dabei war der Umstand hilfreich, dass Rio de Janeiros bundesstaatliche und kommunale Regierungspartei PMDB auf nationaler Ebene Regierungspartner der PT war. Als sich die Stadt um die Austragung der Olympischen Spiele bewarb, begleitete die örtliche Immobilienwirtschaft den Prozess eng. Sie sah in dieser Bewerbung die große Chance, den Ausbau der städtischen Infrastrukturen in Richtung der für sie interessanten Region zu lenken. Im langfristigen Stadtentwicklungsplan Rio de Janeiros sehen die Urbanisierungsrichtlinien für den Stadtteil Barra da Tijuca keine Wachstumsförderung vor. Trotzdem unterstützte die Stadtregierung unter Bürgermeister Eduardo Paes von Anfang an genau dieses Wachstum der Stadt in Richtung Westen durch große Zugangs- und Mobilitätsprojekte. In Barra das Tijuca wird die dichtere Besiedlung der Zukunft vorbereitet. Die Bauprojekte umfassen Brücken, Unterführungen, Verbreiterung von Straßen, sowie eine neue Abwasser- Telekommunikations- und Energieinfrastruktur. In der Kostenübersicht (Verantwortungsmatrix) der Olympischen Spiele sieht man, dass mit 80% des Budgets (5,6 Mrd. Reais,  das entspricht 1,4 Mrd. Euro. Dieser und alle folgenden Eurobeträge basieren auf dem Wechselkurs 3,98 vom 28.04.2016) sowie der größten Anzahl von Projekten der Investitionsschwerpunkt in dieser Region liegt (im Diagramm: Barra).

 

Grafik 1: Verantwortungsmatrix – Version 5.0 29.01.2016 Projektkosten nach Stadtteilen (in Millionen Reais)

Grafik 1: Verantwortungsmatrix – Version 5.0 29.01.2016
Projektkosten nach Stadtteilen (in Millionen Reais)
 

 

Grafik 2: Verantwortungsmatrix – Version 5.0 29.01.2016 Anzahl der Projekte nach Stadtteilen

Grafik 2: Verantwortungsmatrix – Version 5.0 29.01.2016
Anzahl der Projekte nach Stadtteilen
 

Dass als Standort der wichtigsten Wettkampfstätten Barra da Tijuca den Mittelpunkt der Olympischen Spiele bildet, spielt einer Reihe von Interessenten in die Karten, allen voran den zwei wichtigsten Landbesitzern dieser Gegend: Carlos Carvalho, vom Bauriesen Carvalho Hosken, und Pasquale Mauro, mit Verbindungen zur RJZ Cyrela, einem anderen Bauunternehmen. Die beiden standen schon in den 1980er Jahren auf der Liste der vier Landbesitzer, die als die „Herren der Barra“ galten. Fast 40 Jahre später spekulieren sie in der Region immer noch mit riesigen Grundstücken. Es wird geschätzt, dass Carvalho noch 6.000.000 m² direkt in jenem Gebiet besitzt, das nun im Zuge der Olympia-Vorbereitungen eine neue Infrastruktur erhält. Laut dem Guardian ermöglicht die Aufwertung der Region ihm Geschäfte in Höhe von 1 Mrd. US-Dollar (ca. 884 Mio Euro, Umrechnungskurs vom 28.4.2016 von 0,884). Das Unternehmen Carvalho Hosken hat ein Eigenkapital von 15 Mrd. Reais (3,79  Mrd. Euro). Für das Jahr 2014 gab es einen Bruttoumsatz von 392 Millionen Reais an (98,17 Millionen Euro). In den letzten fünf Jahren ist es aufgrund der Olympia-Investitionen in Barra da Tijuca im Durchschnitt um 10% gewachsen. Der italienische Unternehmer Pasquale Mauro besitzt etwa 10.000.000 m² auf der Achse Barra da Tijuca – Recreio dos Bandeirantes, wo er auf einer Farm namens Parque Recreio lebt. Direkt daneben auf dem Bauernhof Calábria hält er eine Büffelherde. Er profitiert direkt davon, dass der olympische Golfplatz auf Teilen seines Grundbesitzes gebaut wurde. Allein diesen beiden Unternehmern stehen in der Region noch 16.000.000 m² für Immobiliengeschäfte zur Verfügung. Zum Vergleich: Die gesamte Südzone von Rio de Janeiro umfasst 20.000.000 m².

Im Rahmen öffentlich-privater Partnerschaften, wie z.B. beim Olympiapark und dem Sanierungsprojekt der Hafenregion Porto Maravilha, übertrug die Stadt regelmäßig Besitz und Betrieb ehemals öffentlicher Flächen an Privatunternehmen, um diesen Geschäfte zu ermöglichen, die ganz eindeutig nicht dem Gemeinwohl dienen. Diese Art städtischer Entwicklung, die durch die Olympischen Spiele in Gang gesetzt wurde, hat die Stadtverwaltung zu keinem Zeitpunkt mit der Bevölkerung debattiert, und sich auch niemals öffentlich zu ihr bekannt. Ganz im Gegenteil: Im offiziellen Diskurs ist von der „Rückkehr in die Innenstadt“ und der „Gefühlsnähe zur Nordzone“ die Rede. In deutlichem Widerspruch dazu steht jedoch die Politik öffentlicher Investitionen, die hauptsächlich dazu dienen, Barra da Tijuca als Neusiedlungsgebiet an der Spitze des Immobilienhandels zu halten, was ohne eine neue Phase von Infrastrukturausbau nicht möglich wäre.

In ihren Werbekampagnen behauptete die Stadtregierung von Rio de Janeiro, die Olympischen Spiele 2016 würden größtenteils privat finanziert. Die finanzielle und verbale Akrobatik, mit der diese Botschaft untermauert wird, ist jedoch fadenscheinig. Innerhalb der öffentlich-privaten Partnerschaften, die der Stadt angeblich Gewinne einbringen, fanden Transfers von öffentlichem Grundbesitz an Privatunternehmen statt, deren Geldwert nicht verbucht wird. Öffentliche Banken übernahmen Risiken und finanzierten Spekulationsgeschäfte, die als Privatinvestitionen deklariert wurden. Zudem gab es innerhalb dieser Partnerschaften Steuerbefreiungen und die Aufweichung gesetzlicher städtebaulicher Richtlinien.

Das offizielle Budget der Olympischen Spiele enthält eine Reihe von schwerwiegenden Fehlinformationen, mit deren Hilfe die Beteiligung der Privatinitiative künstlich aufgebläht werden soll. Ein Beispiel dafür ist die Aufnahme des Porto-Maravilha-Projekts – Wunderschöner Hafen - in den „Vermächtnisplan“ der Olympischen Spiele [Anmerk. der Redaktion: ursprünglich sollten in Rios alter Hafenzone auch olympische Einrichtungen wie Unterkünfte für Schiedsrichter und das Olympia-Medienzentrum gebaut werden]. Die Stadt bezeichnet die Sanierungsarbeiten in der Hafenregion als Privatinvestitionen, obwohl sie seit 2011 beinahe vollständig aus Mitteln des Garantiefonds für Arbeiter und Angestellte (FGTS) finanziert werden, den die staatliche Bank Caixa Econômica Federal (CEF) verwaltet. Diese öffentlichen Mittel machen 80% der 10,3 Mrd. Reais „Privatinvestitionen“ des „Vermächtnisplans“ aus (2,58 Milliarden Euro). Außerdem werden die Investitionen bis 2026 andauern, also bis ein Jahrzehnt nach Austragung der Olympischen Spiele, mit denen die Sanierung der Hafenregion ohnehin in keinem Zusammenhang steht.

Im Fall des Olympiaparks stellte die Stadt dem Konsortium Rio Mais (auch Konsortium Parque Olímpico) als Gegenleistung das Gelände der ehemaligen Motorsport-Rennstrecke von Jacarepaguá zur Verfügung. Den Wert dieses Areals bezifferte die Stadt in ihrer eigenen Ausschreibung für die öffentlich-private Partnerschaft mit 850 Millionen Reais (212,86 Millionen Euro), dazu kam aufgrund einer offiziellen Aufwertung der Region eine Wertsteigerung von 300 Millionen Reais (75,13 Millionen Euro). All diese Informationen verschweigt die Verantwortlichkeitsmatrix der Olympischen Spiele: Dort erscheinen die 1,15 Mrd. Reais (287,99 Millionen Euro) als private Investition in das Olympiapark-Projekt, obwohl die Stadt mit dem 850 Millionen teuren Grundstück zahlte. Auch der Bau des Olympischen Dorfs wird als Privatinvestition von 2,9 Mrd. Reais verbucht (726,24 Millionen Euro), obwohl eine Fußnote im selben Dokument erklärt, dass davon 2,3 Mrd. Reais (575,98 Millionen Euro) aus Mitteln der staatlichen Bank CEF stammen und 579,5 Millionen Reais (145,12 Millionen Euro) aus der Privatinvestition „Eigene Ressourcen – Grundstück“.

Mit der Überbetonung der Rolle privater Gelder bei den städtebaulichen Eingriffen im Vorfeld der Olympischen Spiele bezweckt die Stadtregierung eine öffentliche Debatte über Sinn und Zweck der Investitionen von vornherein zu verhindern. Private Mittel, die in urbane Entwicklung fließen, wären ja dankenswerte Extraleistungen von Unternehmern mit guten Absichten, die ein in der Wirtschaft gut vernetzter Bürgermeister aufgefordert hatte, in der Stadt zu investieren. In diesem Fall wäre die Bevölkerung zu Dank verpflichtet, statt sich einzumischen und Beteiligung zu fordern.

Rechtsverletzungen und Widerstand

Um ihr Olympisches Projekt marktfähig zu machen, nahm die Stadtverwaltung Verhandlungen mit Bewohnerinnen und Bewohner Rios auf, die direkt von den Folgen der städtischen Umstrukturierungen betroffen waren. Ohne den institutionellen Rahmen, den Bundes- und Stadtregierung schufen, wäre die Umsiedlung tausender armer Familien schwerlich möglich gewesen. In der Regel wurden die geräumte Bevölkerung in Wohnungen des sozialen Wohnprogramms der Bundesregierung (Minha Casa, Minha Vida) weit entfernt an der Peripherie von Rio de Janeiro untergebracht, oder die Stadt zahlte ihnen minimale Entschädigungen. Diese Zwangsumsiedlungen festigten die Gewinnaussichten der Immobilienunternehmen, die in den Expansionsgebieten ihrer Spekulationsgeschäfte auf eine Aufwertung von Wohngebieten setzen. Um den zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohnern ihrer Wohnobjekte eine elitäre und homogene Nachbarschaft bieten zu können, musste gesichert sein, dass dort keine armen Siedlungen verbleiben.

Die Auswirkungen der derzeit herrschenden Stadtentwicklungspolitik wird von Teilen der Bevölkerung Rio de Janeiros kritisiert. Sie setzen sich für ein alternatives Stadtkonzept ein und engagieren sich in sozialen Bewegungen, die sich gegen die Zerstörung von Naturschutzgebieten durch private Unternehmen und gegen die Privatisierung des öffentlichen Raumes wenden. Oder sie sind Teil von Gemeinschaften, die für bessere Infrastruktur und offizielle Anerkennung der Siedlungen kämpfen, die hauptsächlich in Barra da Tijuca entstanden sind und deren Existenz heute von den Olympia-Projekten bedroht wird. In dieser Region gibt es auch noch Gruppen aus Zeiten vor der Entstehung der ersten modernen Wohnanlagen. Es sind die letzten noch dort lebenden Bauern- und Quilombola-Gemeinden (Nachfahren entflohener Sklaven), in deren Lebensraum die Immobilienexpansion immer weiter hineinwächst. All diese Bewegungen bilden durch ihre konkreten Aktionen und dadurch, dass sie den Wert des öffentlichen Raumes, der Identität, der Kultur und des Gemeinwohls hervorheben, ein notwendiges ideologisches Gegengewicht gegenüber der zunehmenden Kommerzialisierung der Stadt.