Werbung für die Spiele statt Transparenz

Riesenprojekt Straßenbahnbau (VLT) im November 2015 in Rio de Janeiro
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Riesenprojekt Straßenbahnbau (VLT) im November 2015 in Rio de Janeiro

Trotz erklärter Transparenz und gesetzlicher Informationspflicht der Stadtverwaltung der Ausrichterstadt bleiben viele Informationen über die Olympischen Spiele unzugänglich.

In Rio de Janeiro trifft man in der ganzen Stadt auf Informationen über die Olympischen Spiele, die hier im August ausgetragen werden. Die Stadtverwaltung überschwemmt Zeitungen, Fernsehen und Internet mit Werbung, in der sie die Spiele und deren bleibenden Wert für Rio hochjubelt. Den Cariocas (Name für die Bewohnerinnen und Bewohner Rios) sind die Entwürfe für die geplanten Plätze, die olympischen Arenen und die neue Straßenbahn (VLT) längst bekannt. Die Flut an Informationen ist allerdings selektiv: Die Stadt veröffentlicht nur, was für sie von Nutzen ist. Wenn Fachleute, die Presse oder die Bevölkerung nach Details von Projekten und Verträgen zwischen der öffentlichen Hand und Privatunternehmen fragen, wird es kompliziert.

Da bei den Bauvorhaben für die Olympischen Spiele keine großen Abweichungen vom Zeitplan drohen, sehen Regierung und Behörden in den Spielen eine Gelegenheit, der Welt ihre Organisationskompetenz zu demonstrieren. Die Transparenz ihrer Aktivitäten nimmt die Stadtverwaltung dabei weniger wichtig, obwohl seit fünf Jahren ein diesbezügliches Gesetz besteht, das „Gesetz über Informationszugang“ (Lei de Acesso à Informação, LAI).

Keine Auskünfte zu Bauvorhaben und Umweltgenehmigungen

Im Gesamtbudget für die Spiele – vom Organisationskomitee und von der Autoridade Pública Olímpica (APO) mit 39,1 Milliarden Reais (9,79 Mrd. Euro, dieser und alle folgenden Eurobeträge basieren auf dem Wechselkurs 3,98 vom 28.04.2016) beziffert – sind nicht alle Kosten berücksichtigt. Anträge auf Einsicht in Verträge, Verwaltungsverfahren und vollständige Bauprojektunterlagen lässt die Stadt unbeantwortet. Damit verletzt sie das Informationszugangsgesetz und die Hintergründe ihrer Beschlüsse bleiben im Dunkeln.

Der Akku ihres Mobiltelefons hielt weniger lange als die Geduld von Larissa Lacerda, Mitarbeiterin von Artigo 19, einer internationalen Nichtregierungsorganisation (NGO), die sich für Meinungs- und Informationsfreiheit einsetzt. Beim Versuch, an Informationen über den Bau der Schnellstraße Transolímpica zu gelangen, blieb ihr Anruf eine Stunde, zweiundvierzig Minuten und zwanzig Sekunden in der Warteschleife der Stadtverwaltung (Servicenummer 1746) hängen, bis das Telefon – und nicht die Forscherin – aufgab.

Die Transolímpica mit offiziellen Kosten von 2,1 Mrd. Reais (526 Mio. Euro) ist eines der 74 für die Olympischen Spiele gebauten Projekte. „Das war unser allerletzter Versuch. Die Stadtverwaltung hatte während unserer Untersuchungen schon mehrere Richtlinien des Informationszugangsgesetzes verletzt. Wir wollten wissen, wie weit sie gehen würden. Weil mir schon klar war, worauf es hinauslief, hatte ich das Telefon auf Lautsprecher gestellt und in der Zwischenzeit andere Dinge erledigt“, erklärt Lacerda.

Letztes Jahr hat Artigo 19 einen Bericht vorgelegt, der den Mangel an Transparenz beim Bau der Transolímpica aufzeigt: Die Bevölkerung der Favelas, die von Zwangsräumungen bedroht waren, hatten keine genauen Informationen über den geplanten Verlauf der Schnellstraße, Verträge zwischen der Stadtverwaltung und dem Betreiberunternehmen händigten die Behörden auch auf Anfrage nicht aus und einfache Fragen zu Umweltgenehmigungen beantworteten sie mit einem 4.000 Seiten starken Konvolut, ohne jeglichen Hinweis darauf, wo genau sich die erbetene Information befindet. „Die Behörden wollen, dass die Antragstellenden vorzeitig aufgeben“, stellt die NGO in ihrem Bericht fest.

Rios Stadtverwaltung verletzt ihre Informationspflicht

Die Stadt Rio de Janeiro ist der Hauptakteur bei der Organisation der Olympischen Spiele. Von den 74 Projekten, die an die Olympischen Spiele gebunden sind, werden die wichtigsten 43 von der Stadt durchgeführt und überwacht.

In ihrem Bericht beschreibt Artigo 19, dass Beamte sowohl der Stadt als auch des Bundesstaates standardmäßig nach Gründen für Informationsanfragen verlangten, obwohl das Informationszugangsgesetz dies untersagt, da prinzipiell jede Information, die der Staat produziert, öffentlich ist. In einigen Fällen weigerten sie sich, Fragen entgegenzunehmen. Bei keiner Anfrage hielten Behörden die gesetzlichen Fristen zur Aushändigung von Informationen ein.

„Wir wussten bereits, dass es in Rio schwierig ist. Die Stadtverwaltung kommt nicht einmal ihren grundsätzlichsten Pflichten nach. Um die wenigen Informationen zu erhalten, die wir nun haben, haben wir viel Zeit mit wiederholten Anfragen verloren. Ein einfacher Bürger hätte es niemals so weit gebracht wie wir“, erklärt Mariana Tamari, Mitarbeiterin für Informationsbeschaffung der NGO Artigo 19.

Kontrollbehörde belegt Nichteinhaltung des Informationszugangsgesetzes

Forderungen nach Regeln für den Zugang zu öffentlichen Daten und Dokumenten führten 2011 zur Verabschiedung des Informationszugangsgesetzes. Das Gesetz legt eine Frist von 20 Tagen fest, innerhalb derer jede Anfrage beantwortet werden muss. Diese Frist kann um zehn Tage verlängert werden. Der Zurückweisung einer Anfrage kann auf zwei Instanzen widersprochen werden. Das Gesetz legt auch fest, dass Informationen über öffentliche Ausgaben im Internet veröffentlicht werden müssen, so dass sie den Bürgern und Bürgerinnen unmittelbar zur Verfügung stehen.

Zwei öffentliche Einrichtungen haben bereits mit verschiedenen Methoden geprüft, in wie weit das Gesetz über Informationszugang befolgt wird. Die Bundesstaatsanwaltschaft untersucht die sogenannte aktive Transparenz. Sie beschränkt sich dabei auf die Überprüfung der Internetportale, auf denen Informationen zu öffentlichen Haushalten publiziert werden. Auf diesem Gebiet schneidet die Stadt Rio gut ab. Sie erhielt die Note 8,5 und steht dabei im Vergleich zu den Hauptstädten der 27 anderen Bundesstaaten auf Platz 5.

Die Höchstnote 10 bekam die Stadt nur deshalb nicht, weil sie die Beamtengehälter nicht veröffentlicht. Die Durchschnittsnote in ganz Brasilien betrug 3,92. Wie eine weitere Untersuchung ergab, hält sich die Stadtverwaltung jedoch kaum an die Vorschriften, wenn jemand Anfragen an sie stellt, die über die Informationen der Internetportale hinausgehen. Die nationale Kontrollbehörde CGU prüft aktive und passive Transparenz und reicht dafür auch Testanfragen an Behörden ein.

Bei der ersten Evaluierung im April 2015 bekam die Stadt Rio die Note 4,72 und belegte damit den 21. Rang unter den Hauptstädten der brasilianischen Bundesstaaten. Bei einer zweiten Evaluierung im September konnte sie sich auf die Note 8,6 verbessern, erreichte damit aber im nationalen Vergleich nur den 12. Rang. Die Kontrollinstanz bemängelte, dass Rios Behörden Anfragen nur unvollständig beantworteten und die Beamtenschaft nicht zur Rechenschaft zögen, die dem Informationszugangsgesetz zuwiderhandelten.

Werbung statt versprochener Transparenz

Zwei Jahre vor der Verabschiedung des Gesetzes – kurz nachdem Rio zur Olympia-Stadt ernannt wurde – kündigte die Stadtverwaltung an, sie werde auf der Webseite „Olympische Transparenz“ im Detail die Fristen, Kosten und Verträge aller Olympia-Projekte veröffentlichen. „Diese Webseite soll die Haltung deutlich machen, mit der wir die Olympischen Spiele 2016 organisieren“, verkündete Bürgermeister Eduardo Paes im Oktober 2009. Sieben Jahre später, kurz vor Beginn der Olympischen Spiele, gibt es die Webseite nicht mehr.

Sie wurde durch die Seite „Olympische Stadt“ ersetzt, auf der Werbevideos für die Spiele und für die städtischen Projekte, die das Olympia-Vermächtnis für Rio ausmachen sollen, gezeigt werden. „Das ist ein Propaganda-Portal für die Stadtverwaltung, auf dem sie nicht etwa Dokumente zur Verfügung stellt, sondern Fotogalerien und Werbetexte über die Bauvorhaben für die Olympischen Spiele präsentiert. Zu Kosten, Finanzierung, Ausschreibungen, Zeitplänen und Fristen dieser Projekte haben wir dort kaum etwas gefunden“, so das Team von Artigo 19.

Ziemlich versteckt, unter der vage formulierten Rubrik „Institutionelles“ dieser Website gibt es allerdings das Kapitel „Transparenz“, in dem sich Verträge zumindest einiger der von der Stadtverwaltung verantworteten Olympia-Bauprojekte befinden. Diese Dokumente stellte die Stadt erst zur Verfügung, nachdem die Presse, allen voran das Internetportal UOL, sie eingefordert hatte. Die beste Quelle für Verwaltungsdokumente der Stadt ist das Transparenz-Portal der Bundesregierung. Dort findet man alle vertraglichen Details, einschließlich jener Vertragszusätze, die zu Kostensteigerungen führen. Allerdings beschränkt sich diese Quelle auf Projekte, bei denen Bundesmittel verwendet werden.

Keine Dokumente zum Bau der olympischen Golfanlage im Naturschutzgebiet

Beim Bau der olympischen Golfanlage ist dies nicht der Fall. Bauträger Fiori Empreendimentos übernahm nach direkten Verhandlungen mit der Stadtverwaltung die Verantwortung für das 60 Millionen Reais (15,02 Mio. Euro) teure Projekt. Der Deal erlaubte dem Unternehmen unter anderem, höher zu bauen als gesetzlich erlaubt und 58.000 Quadratmeter eines Naturparks als Bauland zu verwenden. An diesen Abmachungen entzündete sich eine Kontroverse, in deren Verlauf die Aktivistengruppe „Golf für wen?“ versuchte, Hintergründe aufzuklären.

Sie bekam jedoch trotz beharrlicher Anfragen an die Stadtverwaltung keinen Zugang zu den Dokumenten. Gerichtsakten und die Staatsanwaltschaft waren schließlich die einzigen Informationsquellen. Am 11. Oktober 2014 beantragten die Aktivistinnen und Aktivisten bei Bürgermeister Eduardo Paes offiziell Einblick in elf Dokumente, hauptsächlich gerichtliche Gutachten, die theoretisch der Abmachung zwischen der Stadt und dem Bauträger Fiori zugrunde liegen müssten.

Siebzehn Tage später antwortete Paes mit einem Brief, in dem er die Wahl des Standorts für die Golfanlage erklärte, ohne die beantragten Dokumente überhaupt zu erwähnen. „Hier geht es nicht um Schlamperei, hier soll etwas vertuscht werden. Diese Dokumente existieren überhaupt nicht“, sagt der Anwalt, Jean Carlos Novaes, Aktivist der Gruppe „Golf für wen?“.

Staatsanwaltschaft erhebt Klage wegen Umweltschädigung

Nach fünf Monaten, in denen die Mobilisierung gegen das Projekt zugenommen hatte, veröffentlichte die Stadt Rio eine eigene Webseite um zu erklären, warum der Golfplatz gebaut wurde, auf der sie Kritik am Projekt zurückweist und einige Hintergrunddokumente zur Verfügung stellt. Unter den veröffentlichten Schriftstücken fehlt allerdings die dem Bauträger zugestandene Befreiung von einer städtischen Umweltgebühr in Höhe von 1,8 Mio. Reais (451.000 Euro).

Die Aktivisten entdeckten diese Vereinbarung in einem Haufen Gerichtsakten. Diese gehören zu einem Gerichtsprozess gegen das Projekt, in dem die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Umweltschädigung erhob. Es fehlt auch der Vertrag zwischen der Stadt, dem Bauträger und dem Organisationskomitee der Olympischen Spiele, der die Nutzung der Anlage während der Spiele regelt.

Niemand weiß, wie teuer Olympia wirklich ist

Selbst bei den Gesamtkosten der Olympischen Spiele tappt die brasilianische Öffentlichkeit noch im Dunkeln. Direkt durch die Olympischen Spiele verursachte Kosten sind in einem Dokument namens „Verantwortungsmatrix“ zusammengefasst. Es beschreibt Baukosten, Verantwortliche, Finanzierung und Fristen für den Bau der Sportstätten.

Diverse zusätzliche Kosten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den Olympischen Spielen stehen, fehlen jedoch in der Verantwortungsmatrix. So fehlen zum Beispiel die Kosten für den Bau des Pavillons 6 auf dem Messegelände Riocentro, in dem die Boxwettkämpfe stattfinden werden. Auch die Abfindungen für die Bewohner der Siedlung „Vila Autódromo“, die den Zufahrtswegen zum Olympiapark im Wege stand, sind dort nicht berücksichtigt.

Insgesamt belaufen sich die Kosten, die durch die Olympischen Spiele verursacht werden, ohne jedoch in der Verantwortungsmatrix aufzutauchen, auf eine halbe Mrd. Reais (125 Mio. Euro). Diese Summe wurde von Bürgermeister Paes nicht infrage gestellt und sogar indirekt bestätigt.

Die Tageszeitung „Folha de S. Paulo“ beantragte im vergangenen November Zugang zu Informationen über die Vereinbarung zwischen der Stadt und dem Unternehmen GL Events über den Bau der Boxarena. Die Zeitung bekam bis heute keine Einsicht in die Dokumente. Das französische Unternehmen hat 50 Millionen Reais (12,52 Mio. Euro) investiert, im Gegenzug erhielt es für weitere 30 Jahre die kommerziellen Nutzungsrechte für die Olympia-Arena, die es bereits betreibt.

„Uns fehlt in Brasilien eine Kultur der Transparenz“

In einem Interview gab Bürgermeister Paes zu, dass bezüglich der Fakten zu den Olympischen Spielen nicht immer genügend Transparenz herrsche. Er begründete dies mit der hohen Komplexität des Events. „Vielleicht haben wir diesem wichtigen Thema nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet. Es sind schon so viele Menschen und Institutionen, die uns auf die Finger schauen. Auf eine Stadtverwaltung, die Projekte durchführt, kommen 500 kontrollierende Stellen. Ich war davon ausgegangen, dass alles schon zugänglich sei. Die Versäumnisse liegen eher darin, die Fakten auch zu veröffentlichen.“, erklärte Paes.

Artigo-19-Mitarbeiterin Tamari konstatiert hingegen: „Uns fehlt in Brasilien eine Kultur der Transparenz. Hier wird alles unter Verschluss gehalten. Beamte betrachten Anfragen als eine zeitraubende Belastung. Wir haben hier noch nicht verinnerlicht, dass Transparenz eine Notwendigkeit ist. Informationen müssen objektiv und klar zur Verfügung gestellt werden. Ein Amt muss darauf vorbereitet sein, diese Informationen zu liefern und dem Bürger dabei zu helfen, sie zu erhalten.“

Die Studie von Artigo 19 wurde städtischen, bundesstaatlichen und nationalen Behörden zugeschickt. Die Staatsanwaltschaft Rio de Janeiros hat eine Untersuchung über die Missachtung des Informationszugangsgesetzes durch die Stadtverwaltung eröffnet. Das Städtische Olympia-Konsortium (Empresa Olímpica Municipal) schickte die Studie kommentarlos an die NGO zurück.