Politik & Welthandel: Globale Beziehungsprobleme

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Der Austausch von Waren über große Distanzen vernetzt die Menschheit seit Jahrtausenden. Die während der Industrialisierung geschaffene Infrastruktur prägt teils heute noch die Wirtschaftsgeografie. Aber die Herausforderungen sind neue.

Wirtschaftsatlas Infografik: Begehrte Seltene Erden
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Seltene Erden steht für 17 metallische Elemente, wie zum Beispiel Scandium. China verfügt mit einem Anteil von 37 Prozent über das größte Vorkommen weltweit.

Schon in der Antike handelten Menschen über große Entfernungen hinweg mit Waren, zogen mit Karawanen über die Seidenstraße. Die verband Asien mit Afrika, Europa und dem Nahen Osten. 1492 landeten die Europäer*innen in Amerika und kolonialisierten große Teile des Kontinents. Nun diktierten europäische Staaten in vielen Regionen der Welt die wirtschaftlichen Austauschbedingungen, vor allem Spanien, Portugal, die Niederlande, England und Frankreich, später auch Deutschland. Sie beschafften sich mit Gewalt Rohstoffe und Sklav*innen. 

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Der Wirtschaftsatlas 2024

Die Klimakrise, schwindende Ressourcen und Umweltverschmutzung fordern einen Wandel. Unternehmen und Banken müssen Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung priorisieren. Neue Gesetze sollen Verschwendung stoppen und die Infrastruktur modernisieren. Der Wirtschaftsatlas 2024 der Heinrich-Böll-Stiftung diskutiert die Maßnahmen und gibt einen Überblick über die Wirtschaftsgeschichte.

 

Im 19. Jahrhundert begann die Industrialisierung, ausgehend von England. Europa benötigte große Mengen an Rohstoffen. Die imperialen Mächte aus Europa organisierten ihre Kolonien in Afrika und Asien entsprechend. Sie ließen in großem Umfang Güter produzieren, ob Kakao in Westafrika, Baumwolle in Indien oder Kautschuk im Kongo. 

Anfang des 20. Jahrhunderts handelten die früh industrialisierten Länder bereits in großem Umfang mit Gütern und Konsumwaren. Der Welthandel schrumpfte infolge der Weltwirtschaftskrise und der beiden Weltkriege. Danach nahm er wieder deutlich zu. Einige Staaten entwickelten erfolgreich eigene Industrien und schlossen zu den Industrieländern auf, wie die asiatischen „Tigerstaaten“ Südkorea, Taiwan, Hongkong und Singapur. Ab den 1980er-Jahren öffnete sich China wirtschaftlich. Nach dem Fall der Mauer 1989 folgten Russland und andere Staaten Mittel- und Osteuropas und die globale Arbeitsteilung änderte sich. China entwickelte sich zur Werkbank der Welt. Technologische Errungenschaften wie der Container und das Internet beförderten die Globalisierung. Unternehmen konnten nun wesentlich kostengünstiger Waren über weite Strecken transportieren und Abläufe wesentlich einfacher organisieren. Der Welthandel nahm bis in die 2010er-Jahre rasant zu, sieht man vom kurzzeitigen Einbruch in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 ab. Im ersten Jahr der Corona-Pandemie 2020 schrumpfte er erneut, aber das wurde durch ein Plus in Höhe von 8,4 Prozent des Warenexports von 2020 auf 2021 mehr als ausgeglichen. 2021 handelten Staaten über Grenzen hinweg bereits wieder Waren im Wert von 22,3 Billionen US-Dollar. Zum Vergleich: 1948 hatte dieser Wert bei 58,6 Milliarden US-Dollar gelegen. 

Nationaleinkommen pro Kopf und Jahr, in US-Dollar, 2023
Die Globalisierung trägt über internationale Wertschöpfungsketten mit dazu bei, die ungleichen Verhältnisse auf der Welt zu mindern.

Die EU mit ihren knapp 450 Millionen Einwohner*innen hat eine wichtige Stellung in der globalisierten Wirtschaft. Denn die 27 EU-Länder bilden einen wichtigen Absatzmarkt für die Produkte aus Drittstaaten. Zudem kauft die europäische Wirtschaft in großem Umfang Rohstoffe aus anderen Regionen. Deutsche Unternehmen verlagerten in großem Umfang Produktion an Standorte, wo sie günstiger fertigen können. Mit der Globalisierung waren auch Risiken für Unternehmen verbunden. Wenn sie in China produzieren wollten, mussten sie eine Partnerschaft mit einem inländischen Unternehmen eingehen. So gelangten chinesische Firmen in großem Ausmaß an Wissen von ausländischen Konzernen. Bald bauten chinesische Firmen selbst in großem Umfang Industriegüter wie Eisenbahnzüge, Autos, Maschinen oder Photovoltaikanlagen. Einige Unternehmen holten deswegen ihre Produktion aus China zurück. Viele aber bauten das Geschäft weiter aus. So verkauft Volkswagen 40 Prozent seiner Neuwagen auf dem dortigen Markt. 

Deutschland ist in gehörigem Ausmaß vom Gütergeschäft mit China abhängig. Denn 9,5 Prozent des Güterhandels tätigt Deutschland mit China. Lange Zeit schauten die politischen und wirtschaftlichen Eliten in Deutschland vor allem auf die großen Absatzmöglichkeiten in China mit seinen 1,4 Milliarden Einwohner*innen. Viele erwarteten einen Wandel des Landes durch Handel. Aber China wurde nicht demokratischer, sondern zunehmend autokratischer. Der Westen schaut mittlerweile anders auf das Land: Er sieht in der Volksrepublik nun einen Systemrivalen; Regierungen und Investoren bewerten die Chancen und Risiken der Geschäfte mit ihr neu. Wenn ein Unternehmen stark vom Chinageschäft abhängig ist, nennt man das ein „Klumpenrisiko“. Das Gleiche gilt für Volkswirtschaften und ganze Wirtschaftsräume wie die EU. Es ist riskant für Europa, bei einzelnen Gütern von anderen Staaten abhängig zu sein. Das zeigte sich in der Pandemie, als Atemmasken und Mikrochips fehlten. 2020 stellte nur noch eine einzige Firma ein lebenswichtiges Antibiotikum komplett in Europa her. Abhängig ist die EU auch bei vielen Rohstoffen, die für die Energiewende notwendig sind. Europa bezieht aus China 65 Prozent der Rohstoffe für Elektromotoren und mehr als 50 Prozent für Photovoltaikanlagen und Windturbinen. Zusätzlich erlebt Deutschland seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine, wie gefährlich es ist, von einem Handelspartner abhängig zu sein. Weil die Bundesrepublik aus Russland einen Großteil ihrer Energie bezog, war sie verletzlich. Nachdem die EU Sanktionen gegen Russland verhängt hatte, stoppte es zeitweise die Gaslieferungen. In Europa achten die Staaten und Unternehmen deshalb stärker auf Resilienz. Auch die USA und China setzen stärker auf Autonomie als früher. Sowohl Protektionismus als auch Freihandel sind aber keine idealen wirtschaftlichen Zustände, sondern Instrumente, mit denen Staaten bestimmte Ziele erreichen können. Diese Hilfsmittel einzusetzen, kann unter bestimmten Bedingungen legitim sein. Die Weltgemeinschaft muss aber kooperieren, wenn sie die großen Umweltfragen wie die Klimakrise lösen will.