Die „antifaschistische“ Dimension der Widerstandsbewegung in Myanmar

Analyse

Vor einem Jahr putschte das Militär in Myanmar gegen die 2020 neu gewählte Regierung. Kay Yang analysiert in ihrem Beitrag die Entwicklungen vor und nach dem Putsch und erläutert, warum die demokratische Opposition von „faschistischen“ Tendenzen des Regimes spricht.

Militärfahrzeuge stehen vor einer Pagode
Teaser Bild Untertitel
Das Militär positioniert sich am 25. September 2007 vor der Sule-Pagode im Stadtzentrum von Yangon, nachdem Tausende an einem Protest gegen die Regierung teilnahmen.

Am 1. Februar 2021 inszenierte das Militär in Myanmar einen Putsch, weil es behauptete, die Wahlen 2020 seien nicht frei und fair gewesen. Angeblich soll es elf Millionen Fälle von Wahlbetrug gegeben haben, die der National League for Democracy (NLD) zu einem Erdrutschsieg verhalfen. Das Militär hatte 1990 schon einmal den Wahlsieg der NLD angefochten. 2021 wurden die Menschen zwar vom Putsch selbst überrascht, nicht aber von dem darauffolgenden harten Durchgreifen der Putschisten. Um das projizierte Image des Beschützers der Nation aufrechtzuerhalten, hat sich das Militär zunehmend Taktiken angeeignet, in denen laut Opposition Elemente des Faschismus erkennbar sind. Nach dem Putsch wurde ihre Vision einer - so die Kritik - „faschistischen“ Zukunft für das Land immer klarer, doch die Bevölkerung setzt sich zunehmend zur Wehr.

Der Aufstieg des Volkswiderstands

Der Putsch von 2021 ist wahrscheinlich die größte Fehlkalkulation des Militärs in der Geschichte Myanmars seit der Unabhängigkeit gewesen. „Ein derartiges Ausmaß an Widerstand war nie erwartet worden“, beklagten die Militärs wiederholt, als in den ersten Tagen nach dem Putsch landesweite Proteste ausbrachen. Trotzdem beugte sich die Führung nicht dem Willen der Bevölkerung. Angefangen von lautem Topfschlagen, Verbraucherboykotten und Petitionen für internationale Sanktionen bis hin zu Straßenprotesten und Streiks bzw. Arbeitsniederlegungen in Form der Bewegung für zivilen Ungehorsam (Civil Disobedience Movement, CDM) nahm der Widerstand in der Bevölkerung die unterschiedlichsten Formen an. Die bewaffnete Oppositionsarmee People’s Defense Forces (PDF) und eine Parallelregierung, das National Unity Government (NUG), wurden gegründet.

Als die Demonstrationen im Februar und März ihren Höhepunkt erreicht hatten, waren 22 Millionen Menschen auf der Straße. Bei den Straßenprotesten wurde immer wieder das Transparent „Wir werden die faschistische Herrschaft in Myanmar beseitigen“ hochgehalten. Das Komitee der Pyidaungsu Hluttaw, ein repräsentatives Gremium gewählter Parlamentarier, rief daraufhin zu einer neuen Revolution auf, indem es erklärte: „Erst wenn das faschistische System aus Myanmar vertrieben ist, können wir eine föderale Demokratie in Frieden, Freiheit und Wohlstand aufbauen.“ Dieser Aufruf zur „Revolution gegen den Faschismus“ wurde von Protestierenden im ganzen Land aufgegriffen und weiterverbreitet. Es ist berechtigt zu fragen, wie es dazu kam, dass der „Antifaschismus“ zu diesem Zeitpunkt zum Aushängeschild der Revolution in Myanmar wurde. Faschismus nimmt in den verschiedenen Ländern unterschiedliche Formen und Ausmaße an. Womit macht sich das derzeitige Militärregime in Myanmar zu einem faschistischen Regime?

Die Hauptmerkmale des Faschismus in Myanmar

Erstens: Gegenwärtige Militärregime weckt schlimme Erinnerungen an japanische Besatzungspraxis im Zweiten Weltkrieg

In seinen Reaktionen hat es zunehmend Ähnlichkeit mit der japanischen Besatzungspraxis im Zweiten Weltkrieg, die im burmesischen Kontext als faschistisch bezeichnet wird. Das gegenwärtige Militärregime weckt schlimme Erinnerungen an diese Zeit. Darüber hinaus wird das Militär, das jahrzehntelang Straffreiheit genossen hat, jetzt vor dem Internationalen Gerichtshof und dem Internationalen Strafgerichtshof wegen Gräueltaten gegen die Rohingya-Muslime angeklagt. Trotz der Aufmerksamkeit der internationalen Strafgerichte für die Handlungen des Militärs missachtet das Regime weiterhin systematisch die Menschenrechte und die Menschenwürde. In weniger als einem Jahr hat das Militär 1498 Zivilisten auf der Straße und in Verhör- und Folterzentren getötet und insgesamt 11.787 verhaftet (Stand 27.01.22)

Zweitens: Ziel ist ein nationalistisch autoritärer Staat und die Beseitigung der Demokratie

Der Faschismus in Myanmar hat es sich zum Ziel gesetzt, einen nationalistischen autoritären Staat zu schaffen und die Demokratie zu beseitigen. Militärische Konzepte und Ideologien des Nation-Building wurden teilweise offengelegt und teilweise streng geheim gehalten. In den militärischen Ausbildungszentren sollen die Soldaten nicht nur für den Kampf, sondern auch für die Verwaltung des Staates ausgebildet werden. Die ideologischen Inhalte dieser Ausbildungspläne wurden aufgedeckt und sind nun der Öffentlichkeit zugänglich. Und es ist nicht überraschend, dass sie von ideologischen Grundsätzen einer „Burmanisierung“ durchzogen sind. Burmanisierung ist ein Konzept, das u.a. umfasst, dass sich ethnische Minderheiten kulturell assimilieren und Bamar-Buddhisten politische Führungspositionen beibehalten. Bamar-Buddhisten machen über 60 Prozent der Bevölkerung Myanmars aus. Laut Soldaten, die abtrünnig geworden sind, ist die Beendigung der systematischen Indoktrination während ihrer Ausbildung eine zentrale Voraussetzung für die Lösung der lang anhaltenden Konflikte in Myanmar, da die dort vermittelten Vorstellungen einer burmesich-buddhistischen Überlegenheit nicht auf eine demokratische Zukunft ausgerichtet sind. Die Zahl der übergelaufenen Soldaten beläuft sich derzeit auf über 2000. Außerdem haben sich 6000 Polizeikräfte am Civil Disobedience Movement beteiligt. Die Abtrünnigen kritisierten offen die „faschistischen“ Strategien der Armee und betonen, dass die Konflikte erst dann überwunden werden können, wenn die ideologische Gehirnwäsche aufhört. Die Ideologie basiert auf der Annahme, dass Frauenrechte, LGBTQ*-Rechte und die Anerkennung der gleichen Rechte für alle Ethnien und Religionen schädlich für die Zukunft Myanmars seien. Außerdem müsse die NLD abgesetzt werden, weil demokratische Praktiken die Tradition und die soziale Ordnung untergraben.

Drittens: Das Streben nach „ethnischer Reinheit” durch Nativismus

In den Reformjahren (2011-2020) wurde nicht so offen über die faschistischen Bestrebungen des Militärs gesprochen. Zivilgesellschaftlichen Bündnissen, die die Hassreden ultra-nationalistischer Gruppen beobachten, die der Stellvertreterpartei des Militärs und pensionierten Generälen nahe stehen, machen die zunehmend nationalistisch-rassistischen Anzeichen große Sorgen. Noch besorgniserregender ist die von den staatlichen Medien verbreitete Propaganda seit dem Staatsstreich, denn sie wirbt offen für einen burmesischen Nativismus und das Staatsbürgerschaftsgesetz von 1982, das den Rohingya und vielen anderen Minderheiten die Staatsbürgerschaft vorenthält. Dieses Gesetz sieht vor, dass die Staatsbürgerschaft nur an „einheimische Ethnien” vergeben wird, die sich vor 1824, also noch vor der britischen Kolonialbesatzung, in Myanmar niedergelassen haben. Staatliche Zeitungen fingen an, für eine Einwanderungspolitik zu werben, nach der die Ethnie mit einem DNA Verfahren ermittelt werden solle und die Staatsbürgerschaft entsprechend vergeben werde. Demnach soll die DNA jeder Ethnie, die als einheimisch anerkannt ist, als solche markiert und standardisiert werden. Jeder, der durch dieses Raster fällt, könnte als staatenlos eingestuft werden. Diese Idee mag aus wissenschaftlicher Sicht albern und nicht praktikabel klingen, aber aus der Geschichte haben wir gelernt, dass in Diktaturen die absurdesten Maßnahmen umgesetzt wurden.

Dieser Vorschlag, durch DNA Testung die ethnische Zugehörigkeit zu ermitteln, stammt von Dr. Maung Thin, einem Kandidaten der Junta-nahen Union Solidarity and Development Party (USDP), und ist ein besorgniserregendes Zeichen, dass religiöser und kulturell begründeter Rassismus unter den Machthabern zunimmt. Es herrscht die Annahme, dass sich Myanmar vor einer Bevölkerungsexplosion in den Nachbarländern schützen müsse. In den Worten von Dr. Maung Thin klingt das so: „Wir müssen verhindern, dass wir von anderen Ethnien und Religionen verschlungen werden, und müssen die buddhistischen Philosophien und Praktiken vor externen Schäden beschützen“. Dieser Gedanke setzt sich fort aus einem Gesetzesentwurf, der dem Parlament 2017 vorgelegt wurde, aber keinen Erfolg hatte. Durch die Rückkehr des Militärs fühlen sich die USDP-Mitglieder nun ermutigt, ihr rassistisches Gedankengut durch die staatliche Propagandamaschine zu kommunizieren.

Viertens: Die Zunahme rechter Propaganda auf allen Medienplattformen und die Beseitigung unabhängiger Medien

Nach dem Putsch wurden die unabhängigen Medien zum Schweigen gebracht. Insgesamt wurden zwölf Medienhäusern die Lizenzen entzogen und 115 Journalisten aus 47 Nachrichtenhäusern verhaftet, davon wurden etwa 70 wieder freigelassen. In der Zwischenzeit finanzierte das Militär in den staatseigenen Medien in immer höherer Frequenz rassistische und antidemokratische Inhalte. Am 18. März 2021 erklärte das militäreigene Myawaddy Newspapers: „Die Mönche, die Regierung und die Bürger, die den Erhalt des Buddhismus anstreben, müssen die drei Juwelen des Buddhismus voll und ganz respektieren. Wenn wir den Erhalt unserer Religion nicht ernst nehmen, werden wir im Wettbewerb mit anderen Religionen verlieren. Es gibt zwei Dinge, die für Myanmar wesentlich sind: Das eine ist der Buddhismus und das andere ist die Tatmadaw (Myanmars Armee). Diese beiden Dinge sind untrennbar, und unsere Redaktion wünscht sich, dass sowohl der Buddhismus als auch das Tatmadaw für immer fortbestehen.“ Schon vor dem Staatsstreich haben die Militärs immer wieder ultranationalistische Inhalte und andere Ethnien und Religionen als Sündenböcke benutzt, um eine Einigkeit Myanmars vorzugaukeln. Seitdem sie in den entsprechenden Ministerien das Sagen haben, kann man eine starke Zunahme der rechtsgerichteten Propaganda in Myanmars Medienlandschaft feststellen.

Fünftens: Der Einsatz ultranationalistischer Gruppen zur Mobilisierung der Öffentlichkeit, ihre Bewaffnung für den Krieg und die Zerschlagung pro-demokratischer Proteste

Der Einsatz von Milizen und ultranationalistischen Gruppen ist eine jahrzehntealte Taktik des Militärs, die durch den Putsch wiederbelebt wurde. Die Ultranationalisten wurden für mehrere Zwecke eingesetzt: Vor den Wahlen 2020 organisierten sie zusammen mit der Myanmar War Veterans Association (MWVA) pro-militärische Kampagnen in verschiedenen Städten, als Zeichen, dass das Eingreifen des Militärs in die Politik erforderlich ist. In letzter Zeit haben Minister pro-militärische Proteste unter dem Motto „Wir unterstützen das Tatmadaw“ finanziert, um ihre Unterstützung für das Militär zu demonstrieren.

Laut Berichten lokaler Medien wurden diese Kundgebungen immer von Soldaten in Uniform bewacht, aber seit dem Staatsstreich nehmen zunehmend Soldaten in Zivil teil. Die Slogans auf den Kundgebungen sind eindeutig rassistisch. So riefen beispielsweise Demonstrierende bei einer pro-militärischen Demonstration in Pyapon am 30. Oktober 2021: „Wir akzeptieren keine Art von ausländischer Intervention, die der buddhistischen Nation schaden will“, und „NEIN zu den Plänen der UN und der Organisation für Islamische Zusammenarbeit. Sie wollen unsere Nation zerstören“, oder „Wir geben erst dann auf, wenn die NLD abgeschafft worden ist“. Die Militärführer haben auch enge Beziehungen zu Organisationen, die seit der Kolonialzeit als patriotisch bekannt sind. Eine dieser Organisationen, die Young Men's Buddhist Association, verlieh dem Anführer des Putsches, Min Aung Hlaing, den Titel „Mingala Dhamma Jotikadaja“, was so viel bedeutet wie „Beschützer der Nation und des Buddhismus“ und „lebenslanger Förderer der Organisation“.

Nach dem Staatsstreich hat das Militär öffentlich den paramilitärischen Flügel Pyu Saw Htee zur Schau gestellt. Der Name der Gruppe hat seine Wurzeln in einer mythischen Heldengeschichte aus der frühen Bagan-Ära. Die ersten Pyu Saw Htee-Truppen wurden Mitte Mai 2021 nach der Bildung der NUG und der PDF gegründet. Um dem Aufschwung der PDF im ganzen Land entgegenzuwirken, führt das Militär Berichten zufolge Trainings durch und bewaffnet neue Rekruten in Zentral-Myanmar.

Ein dreifach gefaltetes Flugblatt
Ein dreifach gefaltetes Flugblatt, das aus der Luft in der Sagaing-Region und im Chin-Staat verteilt wurde.

Die neueste faschistische Taktik des Militärs besteht nicht nur darin, die Opposition und die lokale Bevölkerung zu terrorisieren, sondern auch, Methoden der Kriegsparteien aus dem Zweiten Weltkrieg nachzuahmen: Seit November 2021 verteilt die Armee Flugblätter, in denen alle Oppositionsparteien, einschließlich der Rebellen und der NUG, als Terroristen beschuldigt werden, die aus dem Ausland finanziert werden. In dem Flugblatt heißt es: „Die Organisation für Islamische Zusammenarbeit erhält Gelder für Aktivitäten, die zu Konflikten unter den Burmesen anstacheln sollen, um den Buddhismus zu beleidigen und um Waffen zu liefern. Die muslimische Bevölkerung in Myanmar steigt stetig und hat inzwischen mehr als 10 Prozent der Gesamtbevölkerung erreicht. Diese Muslime freuen sich, wenn wir Buddhisten uns gegenseitig bekämpfen.“ Er beschuldigte auch die Kachin Independent Army (KIA), Angehörige ethnischer Minderheiten in den von der KIA kontrollierten Gebieten misshandelt zu haben. In dem Flugblatt, das die KIA als terroristische Organisation darstellt, heißt es: „Die KIA, die nicht von den Minderheiten im Kachin-Staat unterstützt wird, dringt jetzt in die Sagaing-Region ein und greift die Bamar-Buddhisten an, um sich dort auszubreiten.“

Entstehende antifaschistische Bewegungen: Wo der Putsch Hoffnung gibt

Vor dem Staatsstreich war es für lokale Gruppen schwierig, ein öffentliches Bewusstsein für die Gefahr rassistischer und religiöser Diskriminierung zu fördern, da Religion in dem multiethnischen Staat schon immer ein heikles Thema gewesen ist. Obwohl man einen allgemeinen gesellschaftlichen Niedergang seit dem Putsch wahrnehmen kann, hat die Krise der Demokratie zu neuer Wertschätzung verholfen. Vor allem verurteilen junge Menschen in Myanmar die rassistische Politik und die staatlich geförderte religiöse Diskriminierung scharf, was sich in Kampagnen in den sozialen Medien und in politischer Kunst manifestiert. Religiöse Führer, die sich mit den extrem rechtsnationalistischen Anschauungen des Militärs solidarisiert haben, werden in Medienkampagnen lautstark kritisiert und Kundgebungen fordern ein Ende der sozialen und kulturellen Gewaltausübung.

Sich der Bedrohung durch den Faschismus bewusst, einigte man sich Ende 2021 auf einen Slogan für den landesweiten Neujahrsprotest: „Frohes neues Jahr. Wir werden das faschistische Regime abschaffen.“  Dieser Slogan kennzeichnete den 11-monatigen Widerstand  und wurde bei allen Flashmob-Demos benutzt. Um zu betonen, dass man sich für Gerechtigkeit für alle einsetzt, wurde der ursprüngliche Slogan "Frohes Neues Jahr" mit „Frohes neues Jahr für die föderale Demokratie“ als Neujahrsbegrüßung ersetzt. Seit März 2021 wird Antifaschismus in vielen Kampagnen thematisiert, und kommt in der Form von rhythmischen Sätzen auf Transparenten zum Vorschein.

Obwohl die oben erläuterten faschistischen Züge des Militärs in Myanmar erst vor kurzem sichtbar geworden sind, sind sie seit vielen Jahrzehnten tief in der Militärideologie und im Propagandaapparat verankert. Trotz der landesweiten Proteste und der Sensibilisierung für das Thema bleibt abzuwarten, wie weit das Bewusstsein für die Bedrohung durch diesen spezifischen Faschismus in die Gesellschaft hineinreicht.  Auch wenn sie dem Militär nicht vertrauen, können Leute die faschistischen Merkmale je nach ihrer eigenen Interpretation unterschiedlich gewichten. Faschismus als Strategie wird die Politik Myanmars weiterhin prägen, und mit Sicherheit kann der Traum von einer föderalen Demokratie nur dann verwirklicht werden, wenn alle Menschen in Myanmar friedlich und unter Wahrung der Menschenrechte und der Menschenwürde leben können.

Aus dem Englischen übersetzt von Caroline Bertram.