Werte? Fehlanzeige: Die nationale Sicherheitsstrategie der Trump-Regierung

Analyse

Militär statt Diplomatie, Interessen statt Werte: die neue Nationale Sicherheitsstrategie soll die Prioritäten der Trump-Regierung aufzeigen. An der Politik der Unberechenbarkeit wird sie aber nichts ändern.

U.S.-Soldaten springen mit Fallschirmen aus einem Flugzeug
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Der Zustand in etlichen Ministerien, allen voran im Außenministerium, ist ein knappes Jahr nach Amtsantritt von Donald Trump im wahrsten Sinne des Wortes recht kopflos

Die nationalen Sicherheitsstrategien (NSS), welche U.S.-Regierungen regelmäßig erarbeiten, werden in Washington, D.C. von Analyst/innen und Kaffeesatzlesenden immer rege durchgekämmt und kommentiert. Uneinigkeit herrscht dabei stets bezüglich der Frage, ob sie wichtige Leitlinien für die künftige Ausrichtung der internationalen Politik der Regierung festlegen oder ob sie weitgehend überflüssige Dokumente sind, die kurzfristig innenpolitischen Applaus generieren, ansonsten aber wenig mit der situationsabhängigen Entscheidungsfindung der Außen- und Sicherheitspolitik zu tun haben. Sie sind auf jeden Fall immer ein Kompromissdokument, in dem sich unterschiedliche und teils widersprüchliche Prioritäten wiederfinden, blumig in der Sprache und vage in Details.

In dieser Woche hat nun die Trump-Administration ihre erste Nationale Sicherheitsstrategie vorgelegt. Das ist insofern begrüßenswert, als damit zumindest etwas Schriftliches vorliegt, welches Beamtinnen und Beamten außen- und sicherheitspolitischer Behörden als Richtschnur gelten kann. Denn der Zustand in etlichen Ministerien, allen voran im Außenministerium, ist ein knappes Jahr nach Amtsantritt von Donald Trump im wahrsten Sinne des Wortes recht kopflos. Mehr als die Hälfte der politischen Führungspositionen in den Ministerien sind noch immer unbesetzt, relevante Teile der U.S.-Bürokratie agieren ohne politische Rückbindung. Und auch die Koordination und Kohärenz politischer Planung über Ministerien hinweg lässt weiterhin stark zu wünschen übrig.

Bemerkenswert ist vor diesem Hintergrund, dass die NSS bereits innerhalb des ersten Jahres der Trump-Administration fertig gestellt wurde. Das zeugt von einem intensiven Engagement im Nationalen Sicherheitsrat in deren Versuch, den Slogan „America First“ in eine halbwegs kohärente Politik zu übersetzen.

Die USA müssen die mächtigste Nation bleiben

In Teilen liest sich die Strategie wie eine Fortsetzung der Außen- und Sicherheitspolitik unter George W. Bush. In anderen Teilen wiederum wird die Handschrift der Trump-Administration deutlich sichtbar. Donald Trump hat die Neuausrichtung seiner Außen- und Sicherheitspolitik in einer Rede als „prinzipientreuen Realismus“ bezeichnet. Wer den Text liest, kommt nicht umhin, „prinzipientreu“ hier deutlich von „wertegebunden“ zu unterscheiden, denn die Prinzipien, auf denen die NSS aufbaut, haben mit Werten nicht viel zu tun. Das zentrale Motiv ist die Beschreibung einer Welt, die seit Ewigkeiten in einem reinen interessenbezogenen Wettbewerb um Macht begriffen ist. „Wettbewerb“ ist das Wort, das sich wie ein roter Faden durch das Dokument zieht. Und in diesem Wettbewerb, so steht es geschrieben, müssen die USA auf allen Ebenen die mächtigste Nation bleiben, um sich zu behaupten. Dies wiederum soll erreicht werden durch die „Stärkung der Souveränität“.

Dieser Blick auf die Welt als konfrontatives Nullsummenspiel souveräner Nationalstaaten hat mehr mit Thomas Hobbes zu tun als mit einer multilateralen kooperativen Weltordnung. Dazu passt, dass die Strategie explizit erklärt, dass die USA ihre Werte nicht weiter anderen aufzwingen wollen. In einem Absatz zur globalen Sicherung US-amerikanischen Einflusses geht es dementsprechend auch mehr um die Förderung der Wirtschaft und freier Märkte als um die Förderung von Demokratie und Menschenrechten.

Die Strategie definiert drei Hauptgefahren für die USA im 21. Jahrhundert. Dies sind erstens China und Russland als strategische Konkurrenten, zweitens Nordkorea und Iran als Schurkenstaaten und drittens transnationale feindliche Akteure, in erster Linie Terrororganisationen. Bemerkenswert ist, dass die russische Einflussnahme auf politische Prozesse in westlichen Demokratien explizit als Herausforderung genannt wird.

Heimatschutz: Klassische Trump-Motive

Der Bericht gliedert sich in fünf Kapitel, alle mit einem knackigen Zitat von Donald Trump eingeleitet. Im ersten geht es um den Schutz der Heimat. Er beinhaltet klassische Trump-Motive wie die Bekämpfung des Terrorismus, eine verstärkte Grenzsicherung und Kontrolle von Einwanderung einschließlich Mauerbau. Daneben geht es aber auch um die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen und in einem relativ ausführlichen Unterkapitel um die Gefahr durch Angriffe im Cyberspace.

Wohlstand: Nationalismus und Deregulierung

Das zweite Kapitel unter dem Titel „Amerikanischen Wohlstand mehren“ definiert wirtschaftliche Sicherheit als eine Frage nationaler Sicherheit. Bereits Barack Obama hatte in seiner ersten nationalen Sicherheitsstrategie diese Verbindung gezogen. Das kehrt hier nun wieder, allerdings mit einem nationalistischeren Anstrich. Abstrakt werden unfaire Handelsbeziehungen und Handelsbilanzdifferenzen mit anderen Ländern kritisiert, ohne dass jedoch konkrete Maßnahmen, wie beispielsweise Strafzölle, ins Spiel gebracht werden. Betont wird die Bedeutung von Forschung, Innovation und Infrastruktur.

Geprägt ist das Kapitel zudem von einer radikalen Deregulierungsrhetorik bis hin zu dem Satz, dass amerikanischer Wohlstand jedes Mal gefährdet sei, wenn Politik sich in den Privatsektor einmische. Hier findet sich auch ein Unterkapitel zu Energiepolitik, in welchem als Leitmotiv der Begriff „Energiedominanz“ auftaucht, eine Dominanz, die es zu erhalten und stärken gilt. Internationale Klimapolitiken werden als Bedrohung der Energiedominanz der USA eingestuft, vermutlich mit Blick auf das formulierte Ziel, mehr fossile Energieträger zu exportieren.

Frieden: Vorrang für das Militär

Das dritte Kapitel „Frieden durch Stärke“ ist fast ausschließlich auf die Bewahrung der militärischen Dominanz der USA ausgerichtet. Die absolute Dominanz des amerikanischen Militärs auf allen Ebenen wird als existentiell dargestellt, einschließlich einer Investition in neue Technologien und eine Modernisierung des nuklearen Arsenals. Ganz klar zweitrangig geht es hier um Diplomatie, die begriffen wird als ein Werkzeug zur Sicherung der sicherheitspolitischen und wirtschaftspolitischen Interessen der USA. „Kompetitive Diplomatie“ ist das Stichwort, was ein Code für weitere Kürzungen im Haushalt des Außenministeriums sein könnte.

Amerikanischer Einfluss: Allianzen basieren nur auf Interessen

Das vierte Kapitel heißt „Amerikanischen Einfluss vorantreiben“, aber im Gegensatz zu früheren nationalen Sicherheitsstrategien geht es hier weniger um den Einfluss als Leitnation des politischen Westens, sondern um den unmittelbaren wirtschaftlichen Nutzen für die USA durch internationales Engagement. Auch wenn es an mehreren Stellen der Strategie Lippenbekenntnisse zu Allianzen, zur Nato, zu internationalen Partnerschaften gibt, ist der Schlüsselsatz „Unsere Allianzen basieren auf dem freien Willen und gemeinsamen Interessen“.

Sprich: Allianzen sind keine Wertegemeinschaften, sondern rein interessensgeleitete Koalitionen der Willigen. Bei der Erwähnung multilateraler Institutionen wird einerseits auf deren Bedeutung für die Durchsetzung amerikanischer Interessen hingewiesen, andererseits deren Reformbedürftigkeit erwähnt als auch der Grundsatz, dass die Souveränität der USA nie infrage gestellt sein dürfe.

Regionalstrategien: Kritik an Russland

In einem letzten Kapitel wird die Welt dann in kurzen Regionalstrategien abgehandelt. An erster Stelle steht dabei der pazifische Raum als der zentrale geopolitische umkämpfte Raum zwischen den USA und China. An zweiter Stelle, noch vor dem Nahen Osten, kommt dann Europa mit einer deutlichen Kritik an der expansiven und aggressiven regionalen Politik Russlands. Auffallend ist, dass die Türkei nirgends erwähnt wird.

Die Relevanz der Sicherheitsstrategie ist begrenzt

Mindestens so wichtig wie der Inhalt der nationalen Sicherheitsstrategie ist jedoch, was in diesem Dokument nicht enthalten ist. Im Gegensatz zur Obama-Regierung und auch zu der Einschätzung des Pentagon, wird der Klimawandel als Bedrohung der nationalen Sicherheit nicht mit einem Satz erwähnt. Diplomatie kommt ebenso nur am Rande vor, gleiches gilt für Entwicklungspolitik oder die Bedeutung internationaler Organisationen. Das spiegelt Prioritäten der Trump-Regierung wieder, die im letzten Jahr bereits deutlich sichtbar wurden. Eine klare Dominanz des Militärischen in Sicherheitsfragen, eine Herabstufung des Außenministeriums und der entwicklungspolitischen Behörde USAID sowie eine Streichung der Aktivitäten zur internationalen Demokratieförderung und jeglichen klimapolitischen Engagements.

Die nationale Sicherheitsstrategie übersetzt diese politischen Prioritäten nun in ein außen- und sicherheitspolitisches Programm. Viele Beobachter/innen sezieren nun dieses Papier in der Hoffnung, daraus eine gewisse Berechenbarkeit der zukünftigen US-Politik destillieren zu können. Aber die Bedeutung der NSS sollte dennoch nicht überbewertet werden. Die nationalen Sicherheitsstrategien sind Dokumente, deren Relevanz für die reale Umsetzung in Politik immer schon begrenzt war. Wichtiger als diese Dokumente sind letztlich die zentralen handelnden Personen der US-Außen- und Sicherheitspolitik, die Finanzmittel, mit welchen Programme und Behörden ausgestattet werden und die Reaktionen auf nicht planbare internationale Entwicklungen.

Im Falle der Trump-Regierung kommt hinzu, dass jede noch so gut geplante Strategie durch einen morgendlichen Tweet des Oberbefehlshabers ad absurdum geführt werden kann. Das passiert regelmäßig. Und das dadurch ausgelöste Chaos ist die wohl prägendste Konstante der Außen- und Sicherheitspolitik der Trump-Administration bislang: Ein Mangel an Strategie und eine Politik der Unberechenbarkeit.