Flüchtlinge bei hessischen Unternehmen willkommen

Geflüchtete im ungarischen Röszke, September 2015
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Zehntausende Geflüchtete kamen bis zur endgültigen Grenzschließung Mitte September in ein Behelfscamp bei der ungarischen Grenzstadt Röszke. Welche beruflichen Aussichten sie haben ist ungewiß

Die Wirtschaft  hat Bedarf an Fachkräften und fordert für die Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt „flankierende Maßnahmen“  von der Politik.

Anfangs war der Optimismus größer. Vertreter aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft gingen davon aus, dass ein Großteil der nach Deutschland geflüchteten Menschen gut ausgebildet ist. Inzwischen zeigt sich, dass viele kein ausreichendes Bildungsniveau haben. Selbst wenn sie über Berufsabschlüsse verfügen, entsprechen diese formalen Qualifikationen keineswegs den hiesigen Standards. „Diese Menschen werden daher nicht sofort und nicht ohne weiteres Fuß fassen auf dem Arbeitsmarkt“: Mit diesen Worten brachte der hessische Wirtschaftsminister Tarek El-Wazir die Situation unlängst auf einer öffentlichen Veranstaltung in Frankfurt auf den Punkt. Angesichts der Tatsache, dass 80 Prozent der geflüchteten Menschen unter 35 Jahre alt seien und davon ausgegangen werden müsse, dass viele von ihnen nicht zurückkehren werden, bestehe Handlungsbedarf.

Pessimistisch ist der Grünen-Politiker aber nicht im Bezug auf die Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt. In Hessen würden nach derzeitigen Berechnungen im Jahr 2020 rund 134.000 Fachkräfte fehlen. Fachkräfte, die aus der Gruppe der geflüchteten Menschen rekrutiert werden könnten, wenn sie eine Berufsausbildung absolvieren oder über Qualifizierungsmaßnahmen für den Job fit gemacht werden. Die hessische Wirtschaft jedenfalls hat einen Bedarf an Fachkräften und großes Interesse daran, dass Geflüchtete so schnell wie möglich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. In einem zehnseitigen Positionspapier formuliert die Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VHU), was sie dazu leisten kann und was sie von der Politik erwartet. „Viele hessische Unternehmen können Arbeits-, Ausbildungs- und Praktikumsplätze zur Verfügung stellen“, heißt es in dem Dokument.

Damit die Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt erfolgreich vollzogen werden könne, seien aber „flankierende Maßnahmen zu einer frühzeitigen Identifikation ihrer Qualifikationen und Erfahrungen erforderlich“. Daran hapert es aber derzeit. Und so zieht es sich hin mit Qualifizierungsmaßnahmen. Valide Daten über die Schul- und Berufsausbildung der Asylsuchenden fehlen noch, selbst wenn es diese Informationen gibt, dürfen sie aufgrund des Bundesdatenschutzes nicht von einer Behörde an eine andere Behörde oder an eine Institution wie etwa das Jobcenter weitergegeben werden. Das kritisiert nicht nur die VHU, sondern auch die Vorsitzende des DGB Hessen-Thüringen, Gabriele Kailing.

"Unternehmen an der Sprachförderung beteiligen"

Eine Umfrage unter den VHU-Mitgliedern ergab: 20 Prozent der Unternehmen erwarten eine schnelle Erfassung der Qualifikationen von Flüchtlingen,19 Prozent eine frühzeitige Arbeitserlaubnis, elf Prozent die Weiterbildung von Flüchtlingen und 39 Prozent fordern von der Politik, „dass sie bessere sprachliche Voraussetzungen schafft”. An der Sprachförderung, sagt wiederum Wirtschaftsminister El-Wasir, müssten sich auch die Unternehmen beteiligen, „schon allein aus Eigeninteresse“.

Vereinzelt passiert das in Hessen auch schon. Einen Runden „Tisch für Flüchtlinge“ hat beispielsweise die Industrie- und Handelskammer (IHK) Darmstadt ins Leben gerufen. Daran nehmen auch Vertreter/innen der Sozial- und Ausländerbehörden, der Jobcenter und des Schulamts teil. Bei der IHK Lahn-Dill startete das Projekt „Qualifizierung von Flüchtlingen – Integration in die Gesellschaft“. Und im November begann bei der IHK Wiesbaden ein als bundesweit einmalig beschriebenes Integrationsprojekt: Knapp 20 junge Flüchtlinge zwischen 18 und 25 Jahren werden zunächst mit einem Deutsch- und Integrationskurs, der auf zehn Monate angelegt ist, auf eine Ausbildung vorbereitet.

Es folgen Bewerbungstraining sowie Praktika in Unternehmen aus der Region Wiesbaden. Finanziert wird das Projekt von rund 40 IHK-Mitgliedern; sie spenden aber nicht nur Geld für den Integrationsfond, sondern stehen den Flüchtlingen auch als Paten zur Seite und belgeiten sie etwa zu Betriebsbesuchen. Parallel zu dazu informieren IHK-Ausbildungsberater die Betriebe darüber, welche gesetzlichen Vorgaben Sie bei der Beschäftigung von Flüchtlingen beachten müssen.

Alles in allem sind das gute Ansätze – auch aus Sicht der DGB. Was aber fehle, sei eine Koordinierung all der in Hessen laufenden Maßnahmen. Und was fehle, sei ein Informationsprogramm, das sich an die geflüchteten Menschen richte. „Viele wissen gar nicht, wie unser Ausbildungssystem funktioniert“, erklärt Kailing. Im Zusammenhang mit der Integration in den Arbeitsmarkt fordern die Gewerkschaften, „dass geltende Standards bei Entlohnung oder Sozialleistungen auch für Flüchtlinge gelten“.

Permanente Angriffe etwa auf den Mindestlohn oder das Asylbewerberleistungsgesetz verstärkten soziale Ungleichheit und gefährdeten den gesellschaftlichen Zusammenhalt, so Kailing. Ausnahmen beim gesetzlichen Mindestlohn hatte nämlich die VHU Anfangs September gefordert. Weitgehend unbeachtet bleibt übrigens bei den Debatten über die Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt, dass viele dieser Menschen traumatisiert sind. Sie haben zum Beispiel Probleme, sich zu konzentrieren. Das ist nicht nur eine Hürde fürs Deutschlernen, sondern auch für den Job.

Weitere Beiträge zur Flüchtlingspolitik in Hessen finden Sie auf der Länderseite unseres Dossiers "Wie schaffen die das? Die Flüchtlingspolitik der Länder" (zur Startseite).