Ein Aktionsplan, den selbst die Opposition unterstützt

Freiwillige Helfer/innen in Frankfurt/Main heißen syrische Geflüchtete willkommen
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Ein "Zug der Hoffnung" fährt am Frankfurter Bahnhof ein: freiwillige Helfer/innen heißen die syrischen Geflüchteten willkommen (5. September 2015)

In Hessen betreibt die schwarz-grüne Regierung bislang eine unaufgeregte Flüchtlingspolitik und unterstützt den Kurs der Kanzlerin. Die Koalition lässt wenig Raum für Populismus.

Als hätten sie sich abgesprochen: Vertreter/innen von Arbeitgeber/innen und Gewerkschaften, von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Migrantenorganisationen wie auch die politische Opposition halten sich zurück mit Kritik an der Flüchtlingspolitik der schwarz-grünen Regierung. Das sei der Einsicht geschuldet, dass die Situation „insgesamt eine sehr brisante ist“, erklärt Hildegund Niebch, Referentin für Flucht und Integration bei der Diakonie Hessen. In die Flüchtlingsarbeit involvierte Akteure betonen zumeist, was aus ihrer Sicht  bislang gut gelaufen ist – so etwa, dass es in den ersten Wochen und Monaten darum gegangen sei, akute Hilfe zu leisten und dass dies in Hessen „relativ gut“ geklappt habe.

Mit Unterstützung von Städten und Gemeinden seien innerhalb kurzer Zeit und ohne allzu große Probleme viele Unterkünfte eingerichtet worden. Kritisch äußert sich zum Thema Unterbringung hingegen Fritz Rickert vom Hessischen Flüchtlingsrat.  Es gebe kein anderes Bundesland als Hessen, in denen so viele Menschen in Zelten untergebracht worden seien. Die fälschlicherweise häufig als „Flüchtlingskrise“ beschriebene Situation sei - auch in Hessen – ein „hausgemachtes Problem“ und auch eine Konsequenz aus der fehlenden mittel- und langfristigen Planung von sozialem Wohnungsbau.

„Chaosgeqatsche“ vermieden

Im Vergleich zu anderen Bundesländern gab es in Hessen nur wenige Konflikte wegen der Nachbarschaft zu Flüchtlingsunterkünften. Das bringt Professor Benno Hafeneger von der Universität Marburg auch mit dem Beratungszentrum in Zusammenhang, an das sich Landkreise und Kommunen bei Problemen wenden können. Das im Fachbereich Erziehungswissenschaften angesiedelte Demokratiezentrum ist in den vergangenen Monaten immer wieder um Unterstützung gebeten worden und hat bei Planungen von Bürgergesprächen mitgewirkt.

Scharfe Töne, Polemik um der persönlichen oder politischen Profilierung willen und unverantwortliches „Chaosgequatsche“, wie es unlängst Innenminister Peter Beuth (CDU) formulierte, werden in Hessen gemieden -  von Vertreter/innen zivilgesellschaftlicher Organisationen und auch der Opposition im hessischen Landtag. Wie wichtig es den Hessen offenbar ist, Zusammenhalt zu demonstrieren, zeigte sich auch bei den Etatverhandlungen. CDU, Grüne und SPD brachten Anfang Dezember - erstmals - gemeinsame Anträge für den Haushalt 2016 ein; es sind Anträge, die verbunden sind mit dem „Hessischen Aktionsplan zur Integration von Flüchtlingen und Bewahrung des gesellschaftlichen Zusammenhalts“.

Während Haupt- und Ehrenamtliche in Ballungszentren und im ländlichen Raum bei der Erstversorgung der geflüchteten Menschen halfen, arbeitete die schwarz-grüne Koalition in Wiesbaden an diesem Aktionsplan. Der 20 Seiten umfassende Maßnahmenkatalog wurde Mitte November veröffentlicht und enthält sowohl kurzfristige Unterstützung als auch langfristig angelegte Programme. Dafür sind im Haushalt 2016 rund 1,3 Milliarden vorgesehen – 600.000 Euro mehr als ursprünglich eingeplant. Mehr Geld gibt es für etwa die Unterbringung und gesundheitliche Versorgung von Geflüchteten; für die Sprachförderung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen; für die Unterstützung bei der Schul- und Berufsausbildung sowie für Hilfen beim Zugang zum Arbeitsmarkt.

Mehr Geld gibt es auch für den Aufbau der ehrenamtlichen Strukturen – dazu gehört die Qualifizierung von Freiwilligen, die sich in der Flüchtlingshilfe einbringen möchten. Aufgestockt werden zudem Wohnungsbauprogramme, so dass bis 2019 rund 10.000 Wohnungen für 30.000 Menschen entstehen sollen. Und es gibt mehr Stellen für Polizist/innen, Lehrer/innen und Mitarbeiter/innen in Verwaltung und Justiz.

„Den Kommunen weit entgegengekommen“

Die oppositionelle SPD bewertet den Aktionsplan als „positiv“, weil er auf „relativ breiter Front“ versuche, eine ganze Reihe von Problemen anzupacken. Das Programm sei „mit überraschend viel Geld“ ausgestattet, sagt Gerhard Merz, der sozial- und integrationspolitische Sprecher der SPD-Fraktion. „Wir hatten nicht erwartet, dass die Landesregierung den Kommunen bei den Pauschalen so weit entgegenkommen würde." Ab Januar 2016 zahlt nämlich das Land pro geflüchteter Person je nach Region zwischen 865 und 1050 Euro. Mit der Anhebung der Pauschale um durchschnittlich 45 Prozent ist ein Streitpunkt zwischen Land, Städten und Kommunen ausgeräumt worden.

Alles in allem sind es sinnvolle und erforderliche Maßnahmen, die der Aktionsplan enthält: So lassen sich die Kommentare von zivilgesellschaftlichen Akteur/innen zusammenfassen. Kritik gibt es an einzelnen Punkten. Kaum berücksichtigt werde, dass viele Flüchtlinge traumatisiert seien und deshalb Therapien benötigten. Dafür sei aber viel zu wenig Geld eingeplant, sagt Diakoniereferentin Niebch. „Es gibt nur in Frankfurt Trauma-Zentren, wir brauchen aber mehr davon und auch in anderen hessischen Orten."

Kritik kommt auch von der Landesarbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte in Hessen. Der Vorsitzende Enis Gülegen fordert Nachbesserungen bei der Sprachförderung. Seine Einwände erläutert er am Beispiel der Intensivklassen für den Deutschunterricht: Zwar sind mehr Klassen vorgesehen, aber die Stundenzahl ist von 28 auf 22 reduziert worden. „Gespart wird an falscher Stelle”, sagt Gülegen, der von Beruf Lehrer ist. Gerade bei geflüchteten Kindern und Jugendlichen müsse schnell und mehr investiert werden, damit sie die Sprache zügig lernten und am Regelunterricht mit allen anderen Schüler/innen teilnehmen könnten. Es fehle an einem Gesamtkonzept für die Integration der geflüchteten Menschen. Von den hauptamtlichen Politiker/innen in Wiesbaden erwartet Gülegen mehr Weitblick. „Der Großteil der geflüchteten Menschen wird nicht zurückkehren. Sie brauchen daher mehr als Notversorgung, wenn ihre Eingliederung in diese Gesellschaft gut laufen soll.“

„Es fehlt Hilfe zur Selbsthilfe“

Zu den skeptischen Begutachtern des Aktionsplans gehört auch die inzwischen fraktionslose Landtagsabgeordnete Mürvet Öztürk. Im September verließ sie die Landtagsfraktion der Grünen - aus Protest gegen die Positionen zur Flüchtlingspolitik der Partei, der sie 2001 beigetreten war. Im Aktionsplan seien zwar erfreulich viele und längst überfällige Schritte angekündigt, sagt Öztürk. Ein Aspekt fehle aber komplett: die „Hilfe zur Selbsthilfe." Dringend notwendig sei zudem die flächendeckende Einrichtung von unabhängiger Verfahrensberatung, die Flüchtlinge bei der Bewältigung von rechtlichen Fragen unterstützten. Flüchtlinge hätten in diesem Land nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte, über die sie informiert werden müssten.

Verstimmt sind zivilgesellschaftliche Akteure der Flüchtlingsarbeit aus einem anderen Grund: Anfang Oktober berief Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) einen Asylkonvent; etwa 50 Vertreter/innen von Arbeitgeber- und Wohlfahrtsverbänden, von Gewerkschaften und Migrantenorganisationen kamen in Wiesbaden zusammen, um über Probleme zu diskutieren und Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Die gesellschaftlichen Akteur/innen zu vernetzen und sie einzuladen, den Integrationsprozess mitzugestalten, sei in guter Schritt, sagt Diakoniereferentin Niebch. Dass die Landesregierung parallel dazu schon an dem Aktionsplan arbeitete, die aber nicht an die Teilnehmer/innen des Asylkonvents kommuniziert wurde, das wiederum sei "schlechter Stil“.

Weitere Beiträge zur Flüchtlingspolitik in Hessen finden Sie auf der Länderseite unseres Dossiers "Wie schaffen die das? Die Flüchtlingspolitik der Länder" (zur Startseite).