Ein neuer Feminismus? Ein neuer Feminismus!

Anne Wizorek auf der Republica
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Neue Feministinnen: Autorin Anne Wizorek auf der Republica 2015

2006 hieß es „Wir brauchen einen neuen Feminismus“. Das ist fast zehn Jahre her und der neue Feminismus ist nicht in Sicht. Oder doch? Vielleicht. Möglicherweise. Ein Blick zurück in das geteilte Deutschland und nach vorne.

Nicht, dass es bisher an Versuchen mangelte. Die erste große Bewegung kämpfte für Bürgerinnenrechte: wählen gehen, Zugang zu Bildung haben, die sogenannte Vernunftehe abschaffen. Der zweiten großen Bewegung war es gelungen (Wir reden von Deutschland, auch wenn das ein sehr eingeengter Blick ist), dass die Gleichberechtigung im Grundgesetz verankert wurde. Ein Schwangerschaftsabbruch blieb strafbar, aber der Paragraph 218 wurde reformiert, Frauen durften auch ohne die Erlaubnis des Mannes arbeiten (Jetzt reden wir gerade von der kleinen BRD, auch wenn das den Blick noch mehr einengt). In der DDR wurde die Gleichberechtigung deklariert und dann hatte das auch zu stimmen. Und natürlich gab es in diesem Land eine ganze Reihe Errungenschaften, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichten. Die berühmte gläserne Decke schien eher ideologisch, denn patriarchal begründet, die ökonomische Selbstständigkeit bewirkte ein anderes Selbstbewusstsein. Frauen stehen ihren Mann, hieß es bis zum Schluss. Und kaum eine hat sich daran gestört.

Die dritte Bewegung ging als der "neue Feminismus" in die Annalen ein, war weniger kraftvoll und fand nicht den Weg auf die Straße. Es ging unter anderem um Kinderbetreuung und Frauenquote. Pragmatisch war sie, könnte man sagen – nicht radikal und eigentlich auch keine Bewegung. Das neue Jahrtausend war da schon einige Jahre alt. Aber Moment! War da nicht noch was dazwischen?

Die Hexen des 20. Jahrhunderts

1989 fiel die Mauer und es eröffnete sich die Chance auf einen neuen, kraftvollen Feminismus. Warum nicht, wenn ganze Systeme gestürzt werden können, gleich noch das Patriarchat hinterher und in den Orkus der Geschichte jagen? Dachten die einen und die anderen befürchteten, dass ohne eine starke Frauenbewegung ein Rollback ungeheuren Ausmaßes droht. Am 3. Dezember 1989 stiegen die Hexen des 20. Jahrhunderts hinab und trafen sich in der Berliner Volksbühne. Der Unabhängige Frauenverband (UFV) wurde gegründet. Am Runden Tisch aber hatten die Männer das Sagen. Der Einigungsvertrag wurde von Männern ausgehandelt.

Trotzdem, es war die Zeit, da eine neue, starke Frauenbewegung möglich schien. Den Frauen im Osten drohte ein Rollback in Fragen Schwangerschaftsabbruch und die Rückkehr an den Herd. Den Frauen im Westen drohte, was ihnen schon immer drohte und dazu drohten ihnen Frauen aus dem Osten, die nach ihrem Beruf gefragt, sagten "Ich bin Lehrer", in deren Köpfen ein Thema wie Sexismus gar nicht abgebildet war und die nicht wussten, wozu Frauenhäuser und Gleichstellungsbeauftragte überhaupt gut sein sollen. Trotzdem gab es Versuche zusammenzukommen. Kraftvolle sogar. Am Ende scheiterten sie alle. Der UFV unter anderem daran, dass Politik von Parteien und Parteien von Männern bestimmt wird, eine 1995 gegründete Feministische Partei scheiterte an sich selbst und daran, dass es nicht gelang, eine Bewegung ins Leben und auf die Straße zu rufen. Es dauerte Jahre, sich über alle Ost-West-Ressentiments hinweg zu verständigen und in diesen Jahren der Selbstverständigung machten Männer Nägel mit Köpfen. Das ist die sehr verkürzte Darstellung einer ziemlich großen Tragödie.

Immer noch Sexismus im Alltag

1999, zehn Jahre nach dem furiosen Auftakt in der Berliner Volksbühne, konstatierte Ulrike Baureithel in der Zeitschrift "weibblick":  "Im gleichgeschalteten global village wird Feminismus im besten Fall zur liberalen Aufstiegsformel für Einzelne.“ Das scheint fünfzehn Jahre später immer noch zu stimmen. So wie es stimmt, dass die Machtverhältnisse substanziell unverändert sind. Bereinigt und abgemildert durch Erfolge wie die Frauenquote, politische Initiativen für mehr und bessere Kinderbetreuung im Vorschulalter, offenere Diskussionen über Gewalt gegen Frauen, Sensibilisierung dafür, dass überproportional viele Frauen in prekären Arbeitsverhältnissen schuften. Aber jedes Jahr am Equal Pay Day wird den Frauen vorgerechnet, dass sie im Schnitt noch immer ein Viertel weniger als Männer verdienen, in den Aufsichtsräten großer Unternehmen sieht es finster aus und es riecht nach Männerschweiß, Familienarbeit ist größtenteils Frauenarbeit geblieben, in den Talkshows sitzen in der Regel vier Männer und eine Frau, Sexismus ist Alltag geblieben.

Das Credo der Postfeministinnen lautet trotzdem: "Die Gleichberechtigung ist vollzogen, der Feminismus hat sich zu Tode gesiegt." Post...irgendwas klingt nach Tod und Verwesung. Nach Deckel drauf und ist vom Tisch weil’s unterm Teppich liegt.

Anne Wizorek war acht Jahre alt, als die Mauer fiel. Heute ist sie 34 und verkörpert eine neue Generation von Feministinnen. Ja wirklich, Feministinnen. Nicht Postfeministinnen und auch nicht jene Frauen, die sagen: "Ich bin Feministin", um sofort ein "aber" hinterher zu schicken. Anne Wizorek ist Feministin und Punkt. Das war sie im Übrigen schon bevor sie 2013 via Twitter den Hashtag #aufschrei initiierte, den tausende Frauen nutzten, um über ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung und Diskriminierung zu berichten. Knapp ein Jahr später erschien Anne Wizoreks Buch "Weil ein #Aufschrei nicht reicht".

Es ist ein kluges Plädoyer für einen neuen Feminismus. Erstaunlicherweise sagt die Autorin, die prägenden Erfahrungen dieser ersten acht Lebensjahre hätten viel dazu beigetragen, dass sie heute Feministin ist.

"Ich habe auch erst im Nachhinein verstanden wie sehr diese Jahre mich geprägt haben und dass ich eben hätte auch anders geprägt werden können, wäre ich im Westen aufgewachsen. Das hat viel mit meiner Mutter zu tun. Aber es war auch spannend zu merken, welche Rolle zum Beispiel die Erfahrung spielt, dass Frauen im Berufsleben eine Normalität sind. Es zeigt bis heute Auswirkungen."

Für die Beraterin und Autorin ist das, was vor 25 Jahren von Frauen aus Ost und West versucht wurde und gescheitert ist,

"zugleich herzzerbrechend und ernüchternd. Zu lesen, wie groß die Unterschiede zwischen Ost und West waren und wie unmöglich es wohl war, zu vermitteln. Ich denke heute, dass man nicht unbedingt so sattelfest sein muss in der Theorie, um sich als Frau zu wehren gegen Ungleichbehandlung und Diskriminierung. Aber es schien doch sehr schwer oder eben unmöglich gewesen zu sein, damals diese Ansätze einer Frauenbewegung im Osten am Leben zu erhalten oder gar eine gemeinsame starke Frauenbewegung auf die Beine zu stellen."

Die Erfahrungen von damals, das gibt sie zu, spielten heute nur noch eine geringe Rolle. Das sei in mancherlei Hinsicht bedauerlich.

"Wenn man sich allein die Debatte um den §218 anschaut, da wissen heute nur noch wenige, dass die Frauen in der DDR da wirklich einen Rückschritt hinnehmen mussten. Auch wenn der Kompromiss, den wir jetzt haben, noch einigermaßen erträglich ist. Aber das Thema wird als abgehakt gehandelt. Dabei ist es ein großer Unterschied zu sagen, Schwangerschaftsabbruch ist unter bestimmten Voraussetzungen straffrei, anstatt zu sagen, Schwangerschaftsabbruch ist ein Menschenrecht."

Was ist neu an neuen Feministinnen wie Anne Wizorek, die sich dieser Geschichte des Scheiterns zwar sehr wohl bewusst sind, aber gleichzeitig sagen, es sei in Sachen Geschlechtergerechtigkeit auch viel vorangekommen?

"Das Internet spielt für mich eine ganz wichtige Rolle dabei, verstanden zu haben, dass meine Standpunkte feministisch sind und dass ich mich auch so nenne. Das Stärkste, was Frauen tun können, ist, sich zusammenzuschließen. Dann können großartige Dinge passieren. Vor allem, wenn man sich über Ländergrenzen hinweg zusammentun kann. Das fasziniert mich am Netz. Es bietet die Möglichkeit dafür. Auch ich habe in meiner Jugend noch oft geglaubt, ich bin die einzige, die so denkt und ich bin allein. Diese Momente muss ich heute nicht haben, weil es das Internet gibt."

Feminismus sei, schreibt Anne Wizorek in ihrem Buch, heute internationaler denn je. Die Möglichkeit, online Gleichgesinnte zu suchen und auch schnell finden zu können, nicht mehr auf den eigenen Ort, die eigene Stadt, das eigene Land beschränkt zu sein, das müsse genutzt werden. "Neue Tools gegen alte Probleme" überschreibt die Autorin dieses Kapitel. Und tatsächlich ist das Internet eine Chance. Nicht mehr als ein Instrument, aber ein wahrlich taugliches, um sich zu vernetzen, zu solidarisieren und zu organisieren.
Das konnten die Frauen 1989 noch nicht nutzen. Aber sie hätten es sicher gern getan.

Über den Unabhängigen Frauenverband hat Anne Ulrich (Hampele) 1999 geschrieben. Ihren Beitrag finden Sie hier als pdf zum Download. Weitere Beiträge und Informationen zu der Konferenz: "Das Wetter vor 25 Jahren: Die grünen Lehren aus der Wiedervereinigung" finden Sie in unserem Dossier.