Europäischer Schienenverkehr ist Teil europäischer Klimapolitik

Kommentar

Der notwendige Mobilitätswandel kann durch ein engeres europäisches Schienennetz erreicht werden. In dem Pariser Klimaabkommen hat sich die EU dazu verpflichtet, die Treibhausgase im Verkehr zu senken. Doch davon ist sie weit entfernt.

Ein Zug fährt in einen Bahnhof ein

In Europa verursacht der Verkehrssektor ein Viertel aller Treibhausgase. Eine Wandlung der europäischen Mobilität ist daher für die Bekämpfung des Klimawandels entscheidend. Spätestens seit dem Dieselskandal ist auch klar, dass der Verkehrssektor für eine gesundheitsgefährdende Luftverschmutzung steht. Eine europäische Mobilitätswende muss deshalb mehrere Herausforderungen gleichzeitig angehen: unsere Mobilität muss klimafreundlicher werden, die Luftqualität muss verbessert und der Service wie Reisezeiten müssen für Europas Bürgerinnen und Bürger attraktiver werden.

Die Antwort auf diese Herausforderungen wäre ein engeres europäisches Schienennetz für den europäischen Personen- und Güterverkehr. Dieses Anliegen ist nicht neu, doch wird es bisher nur schleppend auf europäischer Ebene umgesetzt. Zu sehr ist der europäische Schienenverkehr von nationalen Interessen geprägt.

Deutschland: Hohe Steuern für den Schienenverkehr

Auch in Deutschland ist die politische Ausgangslage für einen europäischen Schienenverkehr nicht günstig. Die Bundesregierung setzt schon bei der eigenen Investitions- und Steuerpolitik falsche Signale: Hierzulande zahlt der Schienenverkehr den vollen Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent, während der Flugverkehr davon komplett befreit ist. Deutschland bildet damit, vor Griechenland und Kroatien, das Schlusslicht in der EU.

Auch bei den staatlichen Investitionen setzt Deutschland einen viel höheren Prozentsatz für den Straßenverkehr ein als für den Schienenverkehr, anders als beispielsweise unsere südlichen Nachbarn Österreich und Schweiz. Klima- und verkehrspolitisch macht diese Favorisierung des Verkehrs auf der Straße und in der Luft keinen Sinn.

Vernetzung des Schienenverkehrs ist klimapolitisch dringend

Wenn Deutschland und Europa es mit den Pariser Klimazielen ernst meinen, muss die Verkehrsgleichung anders aussehen. Denn der Schienenverkehr ist – nach dem Fahrrad und sofern der Strom aus erneuerbaren Energien kommt – das klimafreundlichste Verkehrsmittel überhaupt, vergleicht man ihn mit dem CO2-Ausstoß von Bus, Auto und Flugzeug. Im Pariser Klimaabkommen verpflichtet sich die Europäische Union dazu, die Treibhausgase im Verkehrssektor bis 2030 gegenüber 2008 um 20 Prozent, bis 2050 gegenüber 1990 um 60 Prozent zu reduzieren.

Doch zeigt ein Blick auf die gegenwärtige Lage und auf die Projektionen für das Jahr 2030, dass der Schienenverkehr der einzige Verkehrsbereich ist, der sich innerhalb dieser Ziele bewegt. Im Flugverkehr ist die Diskrepanz besonders dramatisch. Hier liegt die 2030-Projektion fast dreimal so hoch als das Pariser Klimaziel vorsieht. Eine stärkere europäische Vernetzung des Schienenverkehrs wäre deshalb klimapolitisch dringend. Leider aber geht der Trend in Europa derzeit nicht in diese Richtung.

Europäische Unterstützung fehlt

Denn es fehlt bei dem Thema an prominenter europäischer Unterstützung. In der EU-Kommission wird es nicht etwa von der für Verkehrspolitik zuständigen DG Move, sondern nur stiefmütterlich von der für Regionalpolitik zuständigen DG Regio verfolgt. Auch die Liberalisierung des Schienenverkehrs in Europa hat nicht viel bewirkt und die EU-Richtlinien und -Verordnungen werden nur schleppend umgesetzt. Die Mitgliedsstaaten kommen der Forderung der Europäischen Kommission zu einer Harmonisierung von Standards im Schienenverkehr etwa bei Signalisierung, Zugsicherungs- und Stromsystemen oder anderen Vorschriften nur unwillig nach.

Die Umsetzung wird zudem erschwert durch das Fehlen von strikten europäischen Umsetzungsfristen. Nationale Bahnunternehmen, die in Europa überwiegend staatlich sind, haben meist wenig Interesse daran, ihr nationales Schienennetz ausländischen Konkurrenten zur Verfügung zu stellen. Immer wieder müssen ausländische Bahnunternehmen sogar draufzahlen, wenn sie das Schienennetz des europäischen Nachbarn nutzen. Oft müssen an den Grenzen die Locks ausgewechselt werden, damit der Zug auf der anderen Seite weiterfahren kann. Das verlangsamt den innereuropäischen Schienenverkehr unnötig und macht ihn für die Bürgerinnen und Bürger unattraktiv.

Transeuropäische Züge: Angeblich mangelt es an Wirtschaftlichkeit

Doch es gibt noch einen weiteren gewichtigen Grund für den langsamen Harmonisierungsprozess: die angeblich mangelnde Wirtschaftlichkeit. Es lohnt sich auf den ersten Blick für Bahnunternehmen oft nicht, auf transeuropäische Züge zu setzen. Das Auswechseln von Locks und langes Warten an der Grenze kostet Geld. Doch sieht man genauer hin, gibt es auch hier unterschiedliche Strategien. Während die Deutsche Bahn bis Ende 2016 alle Nachtzugverbindungen, überwiegend innereuropäische, abgeschafft hat – es sei eben nur ein Nischengeschäft! – haben andere Bahnunternehmen das europäische Geschäft für sich entdeckt.

Die Österreichische Bundesbahn ÖBB setzt vermehrt auf innereuropäische Nachtzugverbindungen, beispielsweise für die Strecken Hamburg-Wien oder Zürich-Berlin. Das Unternehmen schreibt damit bereits schwarze Zahlen. Da die ÖBB ein national gesehen kleineres geographisches Gebiet als Deutschland bedient, engagiert sie sich im innereuropäischen Nachtzugverkehr, der inzwischen einen Umsatzanteil von 20 Prozent im Personenverkehr ausmacht. Die ÖBB hat sich damit gut im innereuropäischen Schienenverkehr platziert.

Infrastrukturmaßnahmen sind dringend notwendig

Um dem innereuropäischen Schienenverkehr weiter auf die Sprünge zu helfen, sind Infrastrukturmaßnahmen dringend notwendig. Es geht zum einen darum, bestehende Infrastrukturlücken, die seit der Nachkriegszeit bestehen, beispielsweise zwischen Colmar (Frankreich) und Freiburg, zu schließen und Prioritäten nicht nur Großprojekten zuzusprechen.

Für das Projekt Stuttgart 21 werden über 10 Milliarden Euro ausgegeben, um die Fahrzeit lediglich um einige Minuten zu verkürzen; die Fahrtzeit zwischen Berlin und Breslau könnte um mehr als zwei Stunden für 100 Millionen Euro verkürzt werden, wenn die politischen Weichen für eine europäische Schieneninfrastruktur gestellt würden.

Neuer Raum für europäische Begegnung

Infrastrukturinvestitionen in den grenzüberschreitenden Schienenverkehr zahlen sich unmittelbar europa- und klimapolitisch aus.
Davon hätten auch Europas Bürgerinnen und Bürger etwas. Nicht nur würden die europäischen Grenzregionen wirtschaftlich gefördert, mit positiven Auswirkungen für lokale Arbeitsplätze. Es würde auch ein neuer Raum für europäische Begegnungen geschaffen.

In einem Europa, in dem die Nationalstaaten immer weiter auseinanderdriften, würde der Zusammenhalt der Bürger gestärkt. Im Zug kommt man, anders als im Flugzeug oder Bus, mit dem Nachbarn leichter ins Gespräch. Man nimmt sich Zeit für einander und erfährt Europa von seiner menschlichen – nicht nur bürokratischen – Seite.

Politische Weichen für den Harmonisierungsprozess

Deshalb sollte der innereuropäische Schienenverkehr als integrales Element der europäischen Verkehrs-, Klima-, Investitions- und Strukturpolitik verstanden werden. Die europäische Politik muss endlich die notwendigen Weichen stellen, damit der Harmonisierungsprozess angekurbelt wird, die Mitgliedstaaten festen Fristen gehorchen und der innereuropäische Zugverkehr für Europas Bürgerinnen und Bürger attraktiv wird.

Dazu gehört natürlich auch, dass durch Steuer-, Markt- und Subventionsmechanismen europäische Zugreisen preislich mit dem Luftverkehr konkurrieren können. Erst dann kann der Schienenverkehr sein volles Potential in die europäische Klimapolitik einbringen.