Parteienpolitik: Zukunft gewinnt man mit Vertrauen

böll.kolumne

Die Krisen unserer Zeit verlangen von den Parteien ernsthafte Lösungen statt ein Zurück in die Vergangenheit. Wer sich nicht traut, das auszusprechen, beweist das Gegenteil von staatspolitischer Verantwortung.

Jan Philipp Albrecht

Ja, die Verunsicherung in Zeiten zahlreicher Krisen und rasanter Veränderungen ist groß. Viele Menschen haben Angst, zu den Verlierer*innen der anstehenden wirtschaftlichen, geopolitischen und gesellschaftlichen Transformation zu gehören. Ein erheblicher Teil der Menschen in Deutschland und Europa traut den Parteien und Regierungen die Lösung der großen Herausforderungen in ihrem Sinne nicht mehr zu und zweifelt am gemeinsamen Fundament unserer Gesellschaft. Genau diese Ängste nutzen extreme Parteien und populistische politische Akteure aus, um vom eigenen Unvermögen bei der Lösung der Probleme abzulenken und kurzfristigen Profit aus der Verunsicherung zu schlagen.

Die demokratischen Parteien müssen auf die Verunsicherung und auf die Zukunftsängste schnell Antworten finden. Doch das gelingt bisher nur unzureichend. Denn statt ehrliche und zukunftsweisende Lösungen für Krisen wie den Klimawandel, die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, steigende Lebenshaltungskosten oder den Fachkräftemangel zu erarbeiten, verfallen auch Teile der demokratischen Parteien in Deutschland und Europa in einen Modus, der Veränderung und jene, die darauf drängen, verächtlich macht. Wider besseres Wissen präsentieren sie ein Zurück in die Vergangenheit als Lösung. Wohl aus der Sorge heraus, für das Aussprechen von unbequemen Veränderungsbotschaften von den Wähler*innen abgestraft zu werden. Das aber ist das Gegenteil von staatspolitischer Verantwortung. Das ist Feigheit.

Stattdessen werden zunehmend jene, die die notwendigen Veränderungen beschreiben und ausarbeiten – sei es, um dem fortschreitenden Klimawandel entgegenzutreten, für künftige ökonomische Chancen vorbereitet zu sein oder um gesellschaftlichen Realitäten Rechnung zu tragen –  als Radikale bezeichnet. Leider lässt sich dieser Reflex nicht bloß bei der extremen Rechten oder der Linken um Wagenknecht beobachten. Er reicht bis weit in die Unionsparteien, in die FDP und gar in die SPD von Kanzler Scholz. Den Grünen, die beständig an ihrem Anspruch auf aktive und verantwortungsvolle Gestaltung von Gegenwart und Zukunft festhalten, wird nun vorgeworfen, die Menschen, den sozialen Zusammenhalt und die Wirtschaft zu überfordern, gar damit für den Anstieg extremer Einstellungen erst die Grundlage gelegt zu haben.

Auch die klare Haltung der Grünen in der Außenpolitik, ihre Veränderungsansprüche im Bereich der Landwirtschaft, Ernährung und des Artenschutzes sowie das grüne Festhalten an einer offenen und diversen Gesellschaft machen sie in den Augen vieler zur geeigneten Zielscheibe. Dass die Ängste vieler offenbar als Mobilisierungshebel gegen die Grünen instrumentalisiert werden können, das scheinen mittlerweile auch demokratischen Wettbewerber*innen erkannt zu haben.

Es wäre allerdings ein großer Fehler, diese Zuschreibung anzunehmen. Stattdessen gilt für die Grünen, die begonnenen Reformen weiter in die Umsetzung zu bringen und zu zeigen, wie sich das Land zukunftsfest aufstellen lässt. Denn ein großer Teil der Gesellschaft weiß nur zu genau, dass es Veränderung bedarf, um Wohlstand, Freiheit und Sicherheit für die Zukunft zu bewahren. Und sie sehen genau, dass die Grünen hierfür die nötige Kompetenz und Programmatik mitbringen. Entscheidend wird dabei aber sein, mutig und mit ausgestreckter Hand auf die Menschen zuzugehen und Vertrauen zurückzugewinnen, Bündnisse für die Gestaltung des Wandels zu stärken und glaubwürdig Zukunftszuversicht zu vermitteln.

Imme und Jan Philipp

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Einmischen! Als einzige Möglichkeit, realistisch zu bleiben. So hat es Heinrich Böll formuliert und diese Ermutigung inspiriert uns bis heute. Mit dieser Kolumne mischen wir uns als Vorstand der Stiftung in den aktuellen politisch-gesellschaftlichen Diskurs ein. Jeden Monat schreiben hier im Wechsel: Jan Philipp Albrecht und Imme Scholz.