Das Rückgrat der Demokratie: Zivilgesellschaften im Südkaukasus

Interview

Zur Lage der Zivilgesellschaften im Südkaukasus sprachen wir mit Robin Wagener, Mitglied des Deutschen Bundestages, in seiner Funktion als Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit dem Südlichen Kaukasus, der Republik Moldau sowie Zentralasien im Auswärtigen Amt.

Robin  Wagener Porträt
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Bundestagsmitglied Robin Wagener

Sonja Schiffers: Robin, am 1. März hast du dein Amt angetreten. Wie siehst du deine neue Rolle? Was sind deine Ziele im Hinblick auf die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und dem Südkaukasus?

Robin Wagener: Im Fokus meiner Arbeit werden der Austausch und die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteur*innen stehen. Für mich ist eine lebendige Zivilgesellschaft das Rückgrat einer jeden Demokratie. Sie ist Garant für Vielfalt und Meinungspluralität. Ich freue mich daher schon sehr auf die vielen Gespräche mit Menschen, die sich beispielsweise für Klima- und Umweltschutz, für Frauen- und Menschenrechte, für unabhängige Medien oder gegen Korruption und Desinformation engagieren.

Ich möchte dazu beitragen, dass die Partnerschaft zwischen Deutschland und dem Südkaukasus, im zwischenstaatlichen, aber vor allem auch im zivilgesellschaftlichen Bereich, noch stärker ausgebaut wird. Ich verstehe mich deshalb als Ansprechpartner und Sprachrohr für zivilgesellschaftliche Belange. Ich möchte zuhören, Probleme verstehen, ernst nehmen und wo immer möglich konkret unterstützen.

Welche Rolle spielt die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit in Demokratisierungsprozessen und der Annäherung des Südkaukasus an die Europäische Union? Was kann sie, was die staatliche Zusammenarbeit nicht kann?

Ein Staat ist immer deutlich mehr als die Summe seiner staatlichen Institutionen. Eine enge politische Zusammenarbeit zwischen Regierungen und Parlamenten ist wichtig. Keine Frage. Aber eine kritische Zivilgesellschaft sowie unabhängige Medien sind für einen erfolgreichen Reform- und Transformationsprozess genauso unerlässlich. Zivilgesellschaftliche Akteur*innen und kritische Medien nennen die Probleme oft beim Namen und erhöhen den Druck auf die Politik. Das gilt in EU-Mitgliedstaaten genauso wie in Staaten, die noch Mitglied werden wollen. Aus der Ukraine weiß ich, dass zivilgesellschaftliche Gruppen dank ihrer Fachexpertise und Beratung sowie eines kontinuierlichen Monitorings in vielfältigen Rollen am EU-Beitrittsprozess – direkt und indirekt – mitwirken. Ich bin deshalb davon überzeugt, dass der europäische Weg nur dann als Reform- und Transformationsmotor wirken kann, wenn Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammenspielen.
Gleichzeitig bieten Formate zwischengesellschaftlicher Zusammenarbeit die Möglichkeit, aus konkreten Erfahrungen anderer Regionen und lokaler Akteur*innen zu lernen. 

Was betrachtest du als die größten Herausforderungen für die Zivilgesellschaft in den drei Ländern des Südkaukasus und für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Deutschland?

Die drei südkaukasischen Länder sind sehr unterschiedlich – nicht zuletzt aufgrund ihrer jeweiligen historischen, institutionellen und politischen Gegebenheiten – und bedürfen natürlich individueller Betrachtung und Herangehensweise. Für alle drei gilt allerdings, dass die Freiräume für die Betätigung zivilgesellschaftlicher Akteure erhalten und weiter ausgebaut werden sollten. Armenien, Aserbaidschan und Georgien nehmen an der Östlichen Partnerschaft der EU teil, Georgien hat eine EU-Beitrittsperspektive. Insofern setzen alle drei Länder auf Zusammenarbeit mit und Bekenntnis zu Europa, wenn auch mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Perspektiven. Für den europäischen Weg sind eine starke, selbstbewusste, kritische Zivilgesellschaft sowie unabhängige Medien eine Grundvoraussetzung für ein freies und stabiles Gemeinwesen. Das hat auch Außenministerin Annalena Baerbock bei ihrem Besuch in Georgien am 24. März hervorgehoben.

Im georgischen Parlament wurden kürzlich zwei Gesetzentwürfe zur „Transparenz ausländischer Einflussnahme“ und „Registrierung ausländischer Agenten“ diskutiert. Nach Massenprotesten und internationalem Druck wurden sie zurückgezogen. Wie bewertest du diese Entwicklungen? Was waren deine Eindrücke von den Protesten, gerade auch mit Blick auf die Jugend und ihre Bedeutung für den europäischen Weg Georgiens?

Mich hat es tief beeindruckt, wie viele – gerade auch junge Menschen – auf die Straße gegangen sind und ihrem klaren Willen für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte Ausdruck verliehen haben. Aus Umfragen wissen wir, dass sich über 80% der Georgier*innen für einen Beitritt ihres Landes zur EU aussprechen. Nun haben wir eindrucksvoll erleben dürfen, wie sie ihre Sicht der Zukunft ihres Landes auch lautstark gegenüber der georgischen Politik einfordern. Die Georgier*innen haben auch gezeigt, dass sie über den Gräben der stark polarisierten Innenpolitik stehen und die Zusammenarbeit aller politischen Kräfte zum Wohle des Landes einfordern. Das war ein deutlicher Weckruf – sowohl an die Regierung als auch an die Opposition. Ich hoffe, dass er gehört wurde und vor allem beachtet werden wird.

Viele Partner der Heinrich-Böll-Stiftung befürchten, dass die Rücknahme der Gesetze über „ausländische Agenten“ nur eine Atempause ist und die Einschüchterung und Diffamierung der Zivilgesellschaft vor den Parlamentswahlen 2024 weitergehen wird. Was können Deutschland und die EU jetzt tun, um den “Shrinking Space” in Georgien zu verhindern und Handlungsräume für die Zivilgesellschaft offen zu halten?

Es ist in der Tat so: Die Gesetze über “ausländische Agenten” sind nicht mit EU-Werten und Standards vereinbar und hätten den weiteren Weg Georgiens in die EU versperrt. Die unabhängige Arbeit von NGOs ist ein wichtiger Schlüssel für ein demokratisches Land, das die Bürger*innen darin bestärkt, sich für die Belange aus der Gesellschaft einzusetzen, sich international zu vernetzen, gerade wenn es um Menschenrechte, Klimaschutz und andere internationale Verpflichtungen geht. Dies zu stigmatisieren ist mit dem europäischen Gedanken nicht vereinbar. Auch wenn es vor allem Regierungen sind, die den EU-Beitritt verhandeln, geht es schließlich um ein Zusammenwachsen demokratischer Gesellschaften. Zivilgesellschaftliche Stimmen sollten deshalb auch im EU-Beitrittsprozess noch stärker als bislang berücksichtigt werden. Ich zähle darauf, dass Regierung und Opposition den klaren Willen der Menschen, für die europäische Zukunft des Landes konstruktiv zusammenzuarbeiten, gehört haben.

Was kann die deutsche Zivilgesellschaft im Gegenzug auch von den Zivilgesellschaften in Armenien, Aserbaidschan und Georgien lernen?

Die Entwicklung dieser drei Länder seit ihrer Unabhängigkeit vor nur drei Jahrzehnten ist nicht zuletzt dem aktiven zivilgesellschaftlichen Engagement zu verdanken. Ich finde es beeindruckend, mit welchem Einsatz, Kreativität und Aufopferungsbereitschaft die Aktivist*innen im Südkaukasus sich für eine bessere Zukunft ihrer Länder einsetzen. Wir haben in Deutschland lange etablierte zivilgesellschaftliche Strukturen, es gibt bewährte Formate der Zusammenarbeit mit staatlichen Institutionen und der Beteiligung an wichtigen gesellschaftlichen und politischen Prozessen. Wenn man als Deutscher die Situation in den Ländern wie Armenien, Aserbaidschan und ja, auch Georgien anschaut, dann wird einem klar, dass Vieles, was wir für selbstverständlich halten, nicht selbstverständlich ist und oft noch erkämpft werden muss.

Robin, zu deinen Aufgaben gehört auch, Kontakte zur demokratischen und regierungskritischen belarusischen und russischen Zivilgesellschaft im Exil zu pflegen. Welche Chancen und Risiken siehst du für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Exilant*innen und den Empfängerländern, speziell Georgien und Armenien, die Zehntausende aufgenommen haben?

Es ist wichtig, dass wir weiter zu denjenigen mutigen Menschen aus Belarus und Russland halten, die sich oft jahrelang in ihren Ländern für Menschenrechte, für Demokratie und damit ein friedliches Zusammenleben in Europa eingesetzt haben. Nun werden sie gerade deswegen verfolgt. Wir haben für viele dieser Partner*innen die Möglichkeit geschaffen, nach Deutschland zu kommen. Eine besonders große Herausforderung liegt aber auch in den Nachbarländern, die besonders viele Geflohene aufgenommen haben. Hier sollten wir noch stärker zusammenarbeiten. Dafür haben wir auch Förderprogramme. Ob in Deutschland, Polen, Armenien oder Georgien: So können wir zeigen, dass wir als Demokrat*innen zusammenhalten, und dass es auch für Belarus und Russland dann wieder eine gute Perspektive geben kann, wenn diese auf Demokratie und Menschenrechten, auf der Achtung des Völkerrechts und Verantwortung für Kriegsverbrechen beruht.

Letzte Frage: Wann kommst du uns im Südkaukasus besuchen?

Das ist eine sehr gute und sehr wichtige Frage. Ich würde sagen: so schnell wie möglich. Denn Besuche vor Ort zeigen, wie wichtig uns die europäische Zukunft dieser Region ist. Ich freue mich darüber, dass Außenministerin Annalena Baerbock Ende März in Tiflis war und eine klare Botschaft im Gepäck hatte: Deutschland steht zur europäischen Perspektive Georgiens. Sie war berührt von der Kraft der jungen Generation, die die Zukunft ihres Landes gestalten wollen, und hat deutlich gemacht, dass die Achtung demokratischer Standards nicht verhandelbar ist. Im Mai 2023 wird der EU-Ausschuss des Deutschen Bundestages nach Georgien reisen, gefolgt von Besuchen einzelner Abgeordneten, die die Entwicklungen im Südkaukasus eng verfolgen. Ich plane, im Frühsommer und im Herbst in die Region zu reisen und freue mich schon sehr auf das Kennenlernen und den Austausch mit unseren politischen Partnern und der Zivilgesellschaft vor Ort.  

Wir danken dir, Robin, herzlich für das Gespräch!

Das Gespräch führte Dr. Sonja Katharina Schiffers, die Leiterin des Regionalbüros der Heinrich-Böll-Stiftung im Südkaukasus.