«Die UN kann Macht­ungleichgewichte nicht beseitigen – wohl aber dabei helfen, sie transparent zu machen und einen Wandel zu befördern»

UN Food Summit 2021: Kann man über Ernährung sprechen, ohne über Macht zu sprechen?

Im letzten Jahr feierte die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen den 75. Jahrestag ihrer Gründung. Die Situation der Welternährung hat sich in diesen 75 Jahren dramatisch verändert: Aus der Not, mehr produzieren zu müssen um hungernde Bevölkerungen zu versorgen, wurde über die Jahrzehnte eine zutiefst widersprüchliche Situation, in der mehr Lebensmittel produziert als benötigt werden, Hunger und Mangelernährung aber ansteigen. Das Diktat kurzfristigen Gewinns führte nicht nur zu unverantwortlicher Ausbeutung natürlicher Ressourcen, sondern auch zu stetig wachsenden Ungleichheiten zwischen Nationen und Menschen.

Dr. Martin Frick

Wachsende globale Bedrohungen führten 2015 zur einstimmigen Annahme der Nachhaltigen Entwicklungsziele durch 193 Nationen. Doch auch wenn die Nachhaltigen Entwicklungsziele im Konsens beschlossen wurden, können die Vereinten Nationen keine Maßnahmen durchsetzen, um das Erreichen der Ziele zu ermöglichen. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen kann aber Gipfeltreffen einberufen, um politische Aufmerksamkeit auf Kernthemen zu lenken. Der UN Food Systems Summit war aus dieser ­Perspektive der Versuch, die zentrale Rolle von Ernährungssystemen für das Erreichen der Nachhaltigen Entwicklungsziele zu beleuchten und eine Transformation hin zu mehr Fairness, Inklusion und Nachhaltigkeit zu beschleunigen.

Angesichts existentieller globaler Bedrohungen sind die Erwartungen an die Vereinten Nationen enorm: Sie sollen nicht nur den Interessen der Länder als Plattform dienen, sondern auch Missstände klar benennen und ambitionierte Ziele setzen – und diese auch durchsetzen. Und genau da kommen die Vereinten Nationen regelmäßig an ihre Grenzen. Denn wenn es um Kernfragen geht, wird nach wie vor die Karte der souveränen Nationalstaaten klar und hart ausgespielt.

Das traditionelle Modell, in dem die UN nur als Plattform für Verhandlungen zwischen souveränen Nationen dient, hat sich jedoch in den letzten Jahrzehnten fortentwickelt. Die Komplexität globaler Herausforderungen ist durch ein «governments only» nicht zu bewältigen. Oft gegen den Widerstand einzelner Länder ist es über Jahrzehnte gelungen, nichtstaatlichen Akteuren eine immer stärkere Rolle in UN-Prozessen zu gewähren – ein Beispiel ist die Organisation des Committee on World Food Security.

Der UN Food System Summit hat hierbei die Grenze wieder etwas mehr in Richtung Integration und Co-Creation mit zivilgesellschaftlichen Akteuren verschoben. Die beiden wesentlichen Pfeiler des Gipfelprozesses waren zum einen die Länder- und unabhängigen Dialoge, zum anderen der sogenannte Action Track Prozess.

Mit zuletzt 147 Nationen, die nationale Dialoge durchgeführt haben, wurde der Ansporn, über Ernährung als System nachzudenken, in drei Viertel der Mitgliedsländer gebracht. Damit wurde die Intention des Gipfels in nationale Diskurse übersetzt, deren Ergebnisse wiederum in 165 nationalen Statements zu einem Teil des Gipfels wurden. Diese Oszillation zwischen einem globalen Prozess und nationalen Diskursen ist neu und ausbaufähig. Denkbar wäre zum Beispiel, dieses Engagement zu vertiefen zu einem freiwilligen Berichtsprozess, ähnlich etwa der Universal Periodic Review des Menschenrechtsrats oder auch des Prozesses der National Determined Contribution unter dem Pariser Abkommen.

Auch der globale Engagementprozess in den fünf sogenannten Action Tracks hat neue Impulse gesetzt. Geleitet von Expertinnen und Experten und nicht, wie sonst üblich, von Ländervertretern, haben die Action Tracks ein Leitungsteam von insgesamt über 500 Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft, indigenen Gruppen, Kleinbauern und Wirtschaft vereint. Die Wirtschaft war dabei nur in Verbänden, nicht in Form individueller ­Firmen vertreten.

Während der Prozess sicher nicht perfekt war, so hat er doch eine Breite und Tiefe der Diskussion ermöglicht, die richtungsweisend sein kann. Das Thema «Governance» wurde in dieser Pers­pektive zu einer gemeinsamen Arbeitsplattform aller fünf Action Tracks mit vielen kritischen und hilfreichen Hinweisen auch für den Prozess selbst. Die Arbeit der Action Tracks und policy briefs zu den Themen Governance, Gerechtigkeit, Menschenrechte, Gender, Innovation und Finanzen sind zudem online verfügbar: Das Kompendium zeichnet ein recht vollständiges Bild dessen, weshalb unsere Ernährungssysteme ein Treiber von Ungleichheit und Ungerechtigkeit sind, wie sehr Machtungleichgewichte in Ernährungssystemen manifest sind und wie natürliche Ressourcen durch falsche Produktions- und Distributionsmodelle in dramatischem Umfang zerstört werden.

Der Prozess des UN Food System Summit hat zumindest die Richtung gezeigt, wie ein inklusiver multilateraler Prozess im 21. Jahrhundert aussehen kann. Wie in allen UN-Prozessen – jetzt ­prominent in den Klimaverhandlungen in Glasgow – ist der ­Schlüssel zum Erfolg aber letztlich in den Händen der Regierungen der ­Mitgliedsstaaten.

Lesen Sie den ersten Teil zum UN Food Summit 2021 von Sofía Monsalve hier.


Dr. Martin Frick ist Politik- und Programmdirektor der UNFCCC. Er war stellvertretender Leiter des UN Food ­Summits in New York.

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