Macht: Das Geschäft mit dem Essen

Analyse

Vom Landbesitz über den Saatgutmarkt bis zum Lebensmitteleinzelhandel: Konzentration prägt die Wertschöpfungskette der Lebensmittelproduktion. Das Machtungleichgewicht zwischen großen Konzernen, Kleinbäuer*innen und Konsument*innen fördert Fehlernährung.

Armut mach Hunger: Grafik 10
Teaser Bild Untertitel
In reichen Ländern wie Deutschland oder den USA stagniert der Konsum hochverarbeiteter Lebensmittel auf hohem Niveau.

Machtungleichheiten im Agrarsektor gibt es entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Sowohl auf globalen Märkten als auch auf lokaler und regionaler Ebene sind die Zugänge etwa zu Land, Saatgut, Wasser oder Bildung höchst ungleich verteilt. Dabei befördern sich ökonomische und politische Macht gegenseitig. Es entstehen auf Eliten zugeschnittene Politiken, die Hunger und Armut für Teile der Bevölkerung bedeuten und ökologische Krisen wie Klimawandel und Artensterben vorantreiben.

Ein Beispiel für Machtungleichheit ist die in vielen Ländern der Welt fehlende Landpolitik. Für die Ernährungssicherheit ist dies von zentraler Bedeutung, denn 80 Prozent der Menschen, die von extremer Armut betroffen sind, leben auf dem Land. Landwirtschaft ist ihre wichtigste Einkommensquelle, häufig treiben sie Subsistenzwirtschaft. So schätzt die UN-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung (FAO), dass von den weltweit 608 Millionen landwirtschaftlichen Betrieben 84 Prozent auf weniger als zwei Hektar wirtschaften. Nur ein Prozent der Betriebe weltweit bewirtschaftet mehr als 50 Hektar.

Werden Menschen von ihrem Land vertrieben, entfällt ihre Lebensgrundlage. Nach Berechnungen der International Land Coalition nimmt die Ungleichheit im Landbesitz seit den 1980er Jahren wieder zu. So wurden in Afrika in den Jahren zwischen 2000 und 2016 zehn Millionen Hektar Land für die großflächige Landwirtschaft erworben. Nur etwa die Hälfte der abgeschlossenen Landkäufe sind heute produktive Betriebe. Im Umfeld von Großbetrieben sind Hunger und Armut häufiger als in kleinbäuerlich geprägten Strukturen.

Armut macht Hunger: Grafik 11
Vor zehn Jahren stieg das Interesse internationaler Investoren an Landkäufen stark an, vor allem in Asien und Osteuropa.

Noch gravierender ist das Ungleichgewicht, wenn die Verteilung von Land zwischen den Geschlechtern in die Betrachtung aufgenommen wird. Im globalen Süden sind nur zwischen 10 bis 20 Prozent der Landbesitzer*innen weiblich. In der Hälfte aller Länder weltweit ist es für Frauen sehr schwer bis unmöglich, Land zu besitzen. Dabei ist das Recht von Frauen auf Land und Eigentum zentral, um am Wirtschaftsleben teilnehmen, Nahrungsmittel produzieren und Einkommen erwirtschaften zu können.

Auch der Zugang zu lokal angepasstem Saatgut ist wichtig für die Ernährungssicherheit und steht im Gegensatz zu den Marktinteressen der großen Saatgutkonzerne. 50 Prozent des Marktes für kommerziell genutztes Saatgut teilen nur vier Unternehmen unter sich auf. Dazu gehören die deutsche Bayer Crop Science (inklusive Monsanto), das amerikanische Unternehmen Corteva Agriscience, ChemChina/Syngenta sowie Vilmorin & Cie / Limagrain aus Frankreich. Zivilgesellschaftliche Organisationen kritisieren seit Jahren, dass die großen Saatgutunternehmen Einfluss auf die Politik im globalen Süden nehmen, um sich die dortigen Saatgutmärkte zu erschließen.

Unter anderem wollen sie die Gesetzgebung verändern und so die Freiheit der Bäuerinnen und Bauern einschränken, Saatgut selbst zu vermehren, zu handeln oder zu tauschen. Folgen Bauern und Bäuerinnen dem Rat von Beratungsprogrammen, Hybridsaatgut zu kaufen, können sie kein eigenes Saatgut mehr erzeugen. So können sie in eine Schuldenspirale geraten. Abgesehen davon erhöht die Vielfalt des traditionellen Saatguts die Chance, den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen.

Eine Marktkonzentration mit besonders negativen gesundheitlichen Auswirkungen ist auf der Ebene der Lebensmittelhersteller zu beobachten. Die fünf größten Lebensmittelkonzerne der Welt, Nestlé, PepsiCo, Anheuser-Busch InBev sowie die Fleischkonzerne JBS und Tyson Foods erzielten 2019 jeweils einen Umsatz von über 40 Milliarden US-Dollar. Sie verfügen über einen globalen Marktanteil von 23 Prozent der Top 100 Nahrungsmittelhersteller. Ihr gemeinsamer Umsatz von 308 Milliarden US-Dollar im Jahr war höher als das Bruttoinlandsprodukt von Finnland.

Auch diese Firmen nehmen politischen Einfluss, um ihre Marktanteile zu erhalten. Das zeigt zum Beispiel die 2016 unter dem Titel „Coke-Leaks“ bekannt gewordene E-Mail-Kommunikation zweier ehemaliger hochrangiger Coca-Cola-Manager. Ihr Schriftwechsel legt nahe, dass durch Auftragsstudien Forschungsergebnisse über die Gründe von Fettleibigkeit generiert werden sollten, die den Industrieinteressen entgegenkommen.

Cover: Armut macht Hunger

Der Artikel ist Teil des Factsheets Armut macht Hunger. Mit dieser Publikation möchten wir zu einer lebendigen gesellschaftlichen Debatte beitragen. Wir möchten die Gründe für Hunger und Fehlernährung darstellen und zeigen, dass es klarer politischer Regeln und Strategien bedarf, um diesen Entwicklungen zu begegnen. Die Publikation zum Download gibt es hier

Die zivilgesellschaftliche Organisation Corporate Europe Observatory hat berechnet, dass die Lebensmittelindustrie in Europa mehr als 500 Millionen Euro für Lobbyarbeit gegen die Einführung des Nutri-Scores auf Lebensmitteln ausgegeben hat. Die Konzerne brachten eine eigene, freiwillige Kennzeichnung mit wesentlich geringerer Aussagekraft ins Spiel und beauftragten einen von ihr finanzierten Think-Tank mit wissenschaftlichen Studien. Diese sollten die Glaubwürdigkeit der eigenen Kennzeichnung erhöhen. Der weltweit wachsende Konsum hochverarbeiteter Lebensmittel, der immer höhere gesellschaftliche Kosten verursacht, ist auch ein Ergebnis dieser Lobbyanstrengungen.