"Schlüsselprojekte für die Zukunftsfeste Industrie": Wirtschaft im Zukunftscheck

Tagungsdokumentation

Konferenz "Baustelle: Zukunftsfeste Industrie #1". Erster Konferenztag, 27. Mai 2021. Eröffnungsvorträge "Schlüsselprojekte für die Zukunftsfeste Industrie" von Prof. Dr. Veronika Grimm und Prof. Dr. Claudia Kemfert.

Baustelle: Zukunftsfeste Industrie

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Eröffnungsvortrag I: „Auf die privaten Investitionen kommt es an!“

Prof. Dr. Veronika Grimm

 

Zusammenfassung

Frau Grimm beschrieb die europäische Strategie für Klima- und Wirtschaftspolitik als zentralen Treiber der Industrietransformation in Deutschland: „Der Green Deal wird wichtige Nachhaltigkeitstrends deutlich beschleunigen“. Die verschärften Klimaziele für 2030 und 2050 erhöhten das Tempo und die Intensität der Transformation. Gleichwohl böten sich enorme Chancen für die deutsche Industrie, wenn globale Märkte für klimaschonende Technologien, Maschinen, Anlagen und Dienstleistungen entstünden. Deutschland könne hier technisches Know-How und strukturelle Export-Stärke ausspielen.

„Sektorenkopplung ist der Schlüssel zur Dekarbonisierung“

Frau Grimm befasste sich in ihrem Vortrag mit der Frage, wie in Deutschland Klimaneutralität zu erreichen ist. Dafür sei eine weitestgehend kohlenstofffreie Wirtschaft notwendig. Den Schlüssel zu dieser Dekarbonisierung sieht Frau Grimm in der Sektorenkopplung.

Welche Rahmenbedingungen sind der Sektorenkopplung förderlich? Frau Grimm sprach sich für konsequente CO2-Bepreisung bei gleichzeitiger Abschaffung von verzerrenden Abgaben und Umlagen in der Energiebepreisung aus. Eine Energiesteuerreform in Deutschland sei dringend notwendig. Die EEG-Umlage für Unternehmen und Haushalte sollte vollständig abgeschafft und die Stromsteuer auf den europäischen Mindeststeuersatz gesenkt werden. Das langfristige Ziel müsse ein großer europäischer Emissionshandel sein.

Die direkte und indirekte Elektrifizierung von Mobilitäts,- Wärme,- und Industrieanwendungen mit Ökostrom erfordert hohe Investitionen. Der Staat solle einen verlässlichen Rahmen dafür setzen, Infrastrukturen ausbauen, Forschung stärken und Mittel für die Fachkräfteausbildung in neuen Technologiefelder bereitstellen.

Private Investitionen und transparente Finanzmärkte

Um private Investitionen auszulösen sei das realwirtschaftliche Umfeld neu auszurichten und Finanzmärkte seien auf Nachhaltigkeit auszurichten. Ein Beispiel dafür sei Zertifizierung von nachhaltigen Investitionen sowie von Produkten und Prozessen, um diese sichtbarer und skalierbar zu machen. Die EU-Taxonomie zielt zum Beispiel darauf ab, diese Transparenz herzustellen. Die Taxonomie soll eine Grundlage dafür schaffen, private Finanzströme in nachhaltige Verwendungen zu lenken und zugleich den großen Kapitalbedarf zur klimagerechten Modernisierung der europäischen Wirtschaft zu decken.

Frau Grimm riet zu „Pragmatismus in der kurzen Frist“, um langfristige Anpassungsleistungen vollziehen zu können. Einige Gesetze und Verordnungen seien anzupassen, es gelte Komplexität und Überregulierung zu vermeiden.

 

Eröffnungsvortrag II: „Wir brauchen ein Tandem aus privaten und öffentlichen Investitionen“

Prof. Dr. Claudia Kemfert

 

Zusammenfassung

Frau Kemfert stellte heraus, dass die industrielle Wertschöpfung entscheidend zum Wohlstand in unserem Land beiträgt. Eine robuste Industrie habe Deutschland bisher aus Krisen „herausmanövriert“. Nun zeigten sich Pfadabhängkeiten, die die sozialökologische Transformation schwierig machen und die Resilienz der Industrie infrage stellen.

Staat modernisieren und in Bildung investieren

Digitalisierung, Dekarbonisierung und demografischer Wandel erfordern laut Kemfert von der Industrie hohe Anpassungsleistungen. Diese Anpassungsleistungen sind mit öffentlichen Investitionen zu stemmen. Frau Kemfert diagnostizierte einen Investitionsstau, den müsse der Staat mit verschlankten Verfahren auflösen und in Infrastrukturen und Bildung investieren. Jeder Euro, der öffentlich investiert werde, ziehe 2,50 Euro private Investitionen nach sich. Beides müsse „im Tandem zusammengebracht“ werden. Frau Kemfert hob hervor, dass das Anlagekapital und das Wissenskapital zu modernisieren seien. Komponenten von Wissenskapital sind zum Beispiel Software und Datenbanken, Forschung und Entwicklung, Ausbildung und Weiterbildung von Mitarbeitenden. Verglichen mit anderen europäischen Staaten, UK oder USA investiert Deutschland wenig in Software und Datenbanken. Die Investitionen in Wissenskapital in Deutschland sei stark ingenieur- und technikorientiert, was auch eine Pfadabhängigkeit ist.

Push- und Pull-Ansätze für die Transformation

Frau Kemfert sagte, die zukunftsfeste Industrie brauche einen breiten Instrumentenmix, mit Push- und Pull-Ansätzen. Hier gab es Überschneidungen mit den Empfehlungen von Frau Grimm in punkto Reform des Steuer-, Abgaben- und Umlagensystems. Frau Kemfert ergänzte und unterstrich, dass umweltschädliche Subventionen abgeschafft werden müssten. Geeignet Instrumente für die Industrietransformation seien Sonderabschreibungen auf  digitale, ressourcen- und klimaschonende Investitionsgüter und Carbon-Contracts-for-Difference.

 

Frau Kemfert und Frau Grimm im Gespräch mit Ursula Weidenfeld

Was soll der Staat leisten?

Frau Grimm wiederholte auf Nachfrage von Frau Weidenfeld, welche Aufgaben sie jeweils Staat, Industrieunternehmen und Finanzmärkten zuteilt. Frau Grimm sagte, der Staat solle einen Ordnungsrahmen vorgeben, nicht überregulieren und Entwicklungen nicht vorwegnehmen. Der Staat solle sich um den Aufbau von Energie-, Mobilitäts- und digitalen Infrastrukturen kümmern. Verlässliche und moderne Infrastrukturen hätten eine starke Wirkung auf die Industrie (Angebotsseite). So sei der staatlich finanzierte Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur für den Schwerlastverkehr ein Zeichen an die Hersteller, dass sie entsprechende Fahrzeuge (Lkw) bauen. In Bezug auf Finanzmärkte sei die mangelnde Verfügbarkeit von Wagniskapital ein Problem. Die großen Venture Capitalists sind aktuell in den USA und Asien. Politik müsste darauf hinwirken, dass Europa auch Wagniskapital hat.

Wasserstoff-Wertschöpfungsketten ökologisch integer gestalten

Frau Kemfert nahm das Stichwort Wasserstoff auf, um zwei Punkte zu machen: Zunächst bekräftigte sie, dass die Transformationen einen breiten Instrumentenmix brauche. Dazu gehörten auch Regulation, Standards und verbindliche Regeln. Ohne Regulation gerate man schnell wieder in Pfadabhängigkeiten, die die sozialökologische Transformation behinderten. Der zweite Punkt betraf den Ressourcenschutz. Bis dahin hatten die Vorträge und das Gespräch vor allem auf Klimaschutz und CO2 abgezielt. Frau Kemfert sprach sich dafür aus, die Integrität der gesamten Wasserstoff-Kette zu betrachten. Umwelt und Menschenrechte sollten genauso wichtige Kriterien sein wie CO2-Minderungspotenziale. Hier müssten hohe ökologische Standards eingeführt und kontrolliert werden. Dem entgegnete Frau Grimm, dass zu hohe Standards die Ökonomien in sich entwickelnden Staaten „abwürgen“ könnten, da müsse man vorsichtig sein.

Auf die Frage, welche Instrumente größte Planungssicherheit für die Industrie bieten würden, antwortete Frau Kemfert: Investitionsfonds, Carbon Contracts for Difference (CCfD) und eine Energiesteuerreform. Frau Grimm sagte, sie sehe zwei Säulen: erstens die Anpassung des realwirtschaftlichen Umfeldes (inkl. Abschaffung klimaschädlicher Subventionen) und zweitens ein Finanzsystem, das transparent Informationen zu klimaneutralen Produkten bereitstellt.

Takeaways

  • An den Finanzmärkten müssen Infos und Indikatoren für Nachhaltigkeit sichtbarer werden.
  • Deutschland hinkt bei Investitionen in modernes Wissenskapital wie Software und Datenbanken hinterher, daraus ergibt sich in Wissensökonomie ein Wettbewerbsnachteil.
  • Das Energiemarkt-Design muss so verändert werden, dass Investitionen in Sektorenkopplung rentabel werden.
  • Jeder Euro, den die öffentliche Hand investiert, löst im Schnitt 2,50 Euro private Investitionen aus.
  • Ökologische Nachhaltigkeit ist Klimaschutz und Ressourcenschutz, was in der vorherrschenden Debatte um CO2 und Klimaneutralität nicht untergehen sollte.