Frauen unter Kontrolle: Geschlossene Krankenanstalten in der DDR

Hintergrund

„Tripperburgen". So hießen die geschlossenen Stationen zur Behandlung von Geschlechtskrankheiten, die es in den Bezirksstädten der DDR gab. Auch in Rostock wurden Frauen zwangseingewiesen. Die Historikerin Dr. Steffi Brüning (Rostock) beschäftigt sich seit einigen Jahren mit diesem noch immer wenig bekannten DDR-Unrecht.

Hand gegen Fenster gedrückt

Marianne P. führte in der DDR ein Leben, das den sozialistischen Normen zuwiderlief. Sie arbeitete in unterschiedlichen Betrieben, oft als Reinigungskraft, fehlte manchmal, ohne Gründe anzugeben, und wurde in den Nächten mit unterschiedlichen Männern in Rostocker Bars gesehen. Sie führte keine monogame Beziehung, trug häufiger modische Kleidung, die offensichtlich aus westlichen Boutiquen stammte, und verfügte trotz ihres geringen Lohns stets über ausreichend finanzielle Mittel. Ihr Aussehen, Verhalten und Lebensstil ließ Dritte neugierig werden und führte zu allerlei Gerüchten.

Ende der 1960er Jahre folgte die erste staatliche Sanktion: Der Abschnittsbevollmächtigte (ABV), ein Polizist, der für die Kontrolle des Stadtviertels zuständig war, in dem Marianne P. wohnte, holte sie von zuhause ab und brachte sie in ein ihr unbekanntes Haus im Stadtzentrum. Marianne P. hatte keine andere Wahl, als dem ABV zu folgen. Im Gebäude angekommen, traf sie auf medizinisches Personal, musste ihre Kleidung und persönlichen Sachen abgeben, erhielt neue Kleidung und fand sich in einem Mehrbettzimmer wieder. Ohne es zu ahnen, war sie plötzlich in einer Geschlossenen Krankenanstalt (GKA). Hier blieb sie mehrere Wochen, ohne das Gebäude verlassen zu dürfen, ohne Kontakt zur Außenwelt. Sie wurde täglich medizinisch auf Geschlechtskrankheiten untersucht. Dieses Prozedere wiederholte sich für die Betroffene mehrere Jahre lang bis zur Schließung der Rostocker Anstalt Ende der 1970er Jahre.

Geschlechtskrankheiten als Vorwand

Geschlossene Krankenanstalten wurden nach Ende des Zweiten Weltkriegs zuerst durch die Sowjetische Militäradministration (SMAD) auf dem Gebiet der späteren DDR eingerichtet. Hier sollten geschlechtskranke Personen isoliert werden, bis die Erkrankung geheilt und keine Ansteckung Dritter mehr möglich war. Von vornherein konzentrierten sich die politisch, medizinisch und polizeilich Verantwortlichen dabei auf Frauen. Dieser Sichtweise hatte spätestens seit dem 19. Jahrhundert Bestand: Es waren Frauen, die als Übertragerinnen von Geschlechtskrankheiten galten. Zwar war offensichtlich, dass auch Männer sich mit sexuell übertragbaren Krankheiten infizierten, die Verantwortung für diese Erkrankungen aber wurde Frauen auferlegt.

Ab 1961 regelte die Verordnung zur Verhütung und Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten den Umgang mit erkrankten oder krankheitsverdächtigen Personen in der DDR. Nun sollten insbesondere ambulante Kontrollen und Behandlungen eingesetzt werden. Grund dafür war unter anderem, dass Medikamente wie Penicillin allgemein verfügbar waren und sexuell übertragbare Krankheiten damit schneller geheilt werden konnten. Die Geschlossenen Krankenanstalten blieben bestehen, allerdings regelte die Verordnung die Einweisungen und Aufenthalte neu.

Bis zum Inkrafttreten der Verordnung hatte die Polizei in Zusammenarbeit mit den Ärzt/innen und Fürsorger/innen das Recht, zum Beispiel Razzien in Bars oder Kinos durchzuführen, Frauen mitzunehmen und direkt in die Anstalten zu bringen. Ab 1961 fielen diese Befugnisse weg. Die Polizei durfte nicht mehr von sich aus agieren, Menschen festnehmen und in die Anstalten bringen, sondern nur unterstützend Amtshilfe leisten, wenn das medizinische Personal angegriffen wurde oder Angriffe befürchtete. Zwei Personengruppen durften ab 1961 durch medizinisches Personal in GKA eingewiesen werden: Personen geschlossen stationär unterzubringen, war erstens rechtlich legitim, wenn diese sich sowohl einer ambulanten als auch einer regulären stationären Behandlung verweigert hatten. Menschen, die als „HwG-Personen“ etikettiert waren, also unter dem Verdacht standen „häufig wechselnde Geschlechtspartner“ zu haben, konnten hingegen umgehend in GKA eingewiesen werden, allerdings nur, wenn sie tatsächlich mit einer sexuell übertragbaren Krankheit infiziert waren.

Rechtliche Vorgaben wurden ignoriert

In der Praxis wurden diese rechtlichen Vorgaben allerdings weitgehend ignoriert. Recherchen in staatlichen Unterlagen aus Leipzig und Rostock sowie Interviews mit Zeitzeug/innen aus beiden Städten zeigen, dass die Volkspolizei und das medizinische Personal der Abteilungen für Haut- und Geschlechtskrankheiten eng zusammen arbeiteten und die GKA nutzten, um Frauen und weibliche Jugendliche für einen kurzen Zeitraum zu isolieren und zu disziplinieren. Dabei lassen sich drei wesentliche Betroffenengruppen ausmachen. In großer Zahl waren erstens weibliche Minderjährige betroffen, die oft in unteren sozialen Schichten aufwuchsen, häufig familiäre Probleme hatten und entweder vor oder nach dem Aufenthalt in den GKA innerhalb der Jugendhilfe weiter kontrolliert wurden. Viele Betroffene waren aus unterschiedlichen Gründen von zuhause weggelaufen, wurden von der Volkspolizei aufgegriffen und direkt in die Anstalten eingeliefert. Hatten sie die Anstalten einmal betreten, mussten sie zumeist 21 Tage dort verbleiben und wurden im Anschluss der Jugendhilfe übergeben. In den GKA wurden sie täglich auf Geschlechtskrankheiten kontrolliert, mussten also Untersuchungen und Abstriche erdulden, durften die Anstalt nicht verlassen und keinen Besuch empfangen. Viele von ihren kamen aus den Anstalten direkt in Heime. Bis heute leiden viele aus dieser Betroffenengruppe an psychischen Problemen, haben die Traumatisierungen nicht verwunden.

Frauen wie Marianne P. zählen zu einer weiteren Gruppe von Betroffenen. Sie waren als „HwG-Personen“ staatlich erfasst, lebten nicht in monogamen Beziehungen und widersprachen sexuellen Normen. In dieser Gruppe finden sich Frauen, die promisk lebten, sich prostituierten oder denen dies unterstellt wurde. Oft stand dieses norm-abweichende Verhalten in Verbindung mit weiteren Normbrüchen: Frauen arbeiteten nicht regelmäßig, konsumierten Alkohol, waren laut, reisten durch die Republik, ohne dass die Polizei und andere staatliche Institutionen die Gründe dafür als legitim anerkannten. Die Geschlossenen Krankenanstalten wurden dann meist dafür genutzt, die Frauen kurzzeitig aus der öffentlichen Wahrnehmung herauszunehmen, zum Beispiel während der Leipziger Messe.

Eine dritte Gruppe von Betroffenen passte ebenfalls nicht in das sozialistische Bild. Frauen, die über keinen festen Wohnsitz verfügten und zum Teil obdachlos waren, als alkoholabhängig beschrieben wurden oder psychische Erkrankungen aufwiesen, wurden ebenfalls in die GKA gebracht, wenn sie gleichzeitig unter dem Verdacht standen, sexuell freizügig zu sein. Die Einweisung in die Anstalten war schließlich in der Praxis einfach. Niemand kontrollierte, ob der Aufenthalt gerechtfertigt war. Betreuungen oder Behandlungen in anderen staatlichen Einrichtungen hätten der Zustimmung der Betroffenen oder langfristige Verfahren bedurft. Oft gab es für diese Betroffenengruppe zudem keinen Platz im staatlichen System.

In den Geschlossenen Krankenanstalten arbeiteten Ärzt/innen, Fürsorger/innen und Schwestern für Haut- und Geschlechtskrankheiten. Interviews mit Einzelnen zeigen, dass das Personal die rechtswidrige Praxis nicht hinterfragte. Dabei ist festzuhalten, dass die Angestellten die GKA bis heute als Teil positiver Fürsorge und Unterstützung deuten. Dass die Praxis rechtlich illegitim war, die Betroffenen unter Zwang ihrer Freiheit beraubt wurden und zu ca. 90 Prozent nicht geschlechtskrank waren, ist nicht Teil ihrer Wahrnehmung.

Viele Betroffene schweigen bis heute

Während die Anstalt in Rostock Ende der 1970er Jahre geschlossen wurde, bestand die Anstalt in Leipzig bis 1990. Bis heute ist unklar, wie viele Anstalten in der DDR in welchen Zeiträumen existierten. Ebenso ist unklar, wie viele Frauen und Jugendliche die Anstalten erleben mussten. Lediglich aus dem Jahr 1968 ist eine Zahl nachweisbar: In diesem Jahr erlebten 2.763 Betroffene die GKA. Die historische Forschung und juristische Aufarbeitung stehen zusammengefasst erst am Anfang, die Quellenlage ist teilweise dünn, da viele Unterlagen nicht mehr existieren. Bis heute schämen sich viele Betroffene und schweigen, auch, weil sie erneute Stigmatisierungen fürchten.

Durch eine bessere öffentliche Präsenz des Themas trauen sich inzwischen mehr Betroffene, über diese Erfahrungen zu sprechen. Mittlerweile haben sich einige Frauen, die jahrelang aus Verdrängung, Scham und Angst vor Stigmatisierungen geschwiegen haben, zu Wort gemeldet. Sie haben heute die Chance auf Rehabilitierung, denn viele solcher Aufenthalte in diesen geschlossenen Einrichtungen waren auch nach DDR-Recht rechtswidrig. Bislang wurden vier Frauen von bundesdeutschen Gerichten rehabilitiert. Das bedeutet, Gerichte erkannten erstmals an, dass die Aufenthalte in den Anstalten rechtswidrig waren und damit als Freiheitsentzug gelten.

Die juristische Aufarbeitung dieses Themas steht damit erst am Anfang.

 

Zum Weiterlesen:

https://pflegeabc.wikia.org/de/wiki/Venerologische_Station

www.svz.de/regionales/mecklenburg-vorpommern/mit-15-in-die-tripperburg-id15725706.html

www.ostsee-zeitung.de/Nachrichten/MV-aktuell/Die-Tripperburg-traumatisiert-bis-heute

www.zeit.de/2017/27/ddr-frauen-zwangseinweisung-venerologische-stationen

Die Dissertation der Autorin Steffi Brüning erscheint 2019.