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Gentechnik bleibt Gentechnik

Ein Heilmittel gegen den Welthunger? Und absolut ungefährlich, weil es sich gar nicht um Gentechnik handele? Höchste Zeit, die vielen Versprechen und die Risiken der neuen Technologien zu debattieren.

Eine gesunde Ernährung und eine ökologisch wie sozial nachhaltige Landwirtschaft werden den Menschen in Deutschland immer wichtiger. Der Konsum von Biolebensmitteln steigt rasant und knackte 2017 das erste Mal die Marke von 10 Milliarden Euro Umsatz. Die Naturbewusstseinsstudie des Umweltministeriums und des Umweltbundesamtes zeigt jedes Jahr, dass gleichbleibend seit langem fast achtzig Prozent der Deutschen die Gentechnik ablehnen. Ganz sicher wollen sie diese Technik nicht auf ihren Tellern haben.

Parallel zu dieser Entwicklung aber werden die Stimmen immer vehementer, die in den neuen gentechnischen Verfahren wie dem Genome Editing 1 vor allem Vorteile und großen Nutzen sehen. Sie glauben, dass die globalen Krisen wie Klimawandel und Welthunger nur mit ihrer Hilfe zu bewältigen sind.

Keine Frage: Die neuen Verfahren haben die alte Gentechnik bahnbrechend weiterentwickelt. Insbesondere die Genschere CRISPR war ein Quantensprung: So können im Zusammenspiel von Digitalisierung, Biologie und einer immer genaueren Mechanisierung in den Laboren inzwischen einzelne Gene oder Genfamilien sehr viel präziser an- und ausgeschaltet, vertauscht oder ausgetauscht werden. Mit diesem Anspruch auf Präzision geht das Versprechen einher, die neuen Techniken seien sicher und risikoarm.

 

Bereits seit 2016 in den USA auf dem Markt und in Costa Rica von dem Ananas-Riesen Del Monte kultiviert: eine neue Ananassorte mit pinkem Fruchtfleisch.

Die Befürworter/innen der neuen Gentechnik sagen, dass sich die Verfahren kaum von traditionellen Züchtungsmethoden unterscheiden. Mehr noch: Neue Techniken wie CRISPR würden Mutationen, die die Natur per Zufall ständig hervorbringt, lediglich beschleunigen. Anders als bei transgenen Veränderungen (wo Erbgut von einem Organismus in einen anderen eingebracht wird) können sie im Endprodukt (also der veränderten Tomate, dem Weizen, dem Champignon) gar nicht mehr nachgewiesen werden, es sei denn, die Hersteller ermöglichten dies explizit.

Die neuen Techniken sind die Grundlage für einen sehr weitreichenden Eingriff in lebende Organismen und Natur. Vor allem sind die nicht mehr nur für Landwirtschaft und Medizin relevant. Sie sind die Basis für ein neues Wirtschaften der Bioökonomie. 

Die neue Gentechnik soll also so harmlos sein wie natürliche Mutation? Der Europäische Gerichtshof urteilte im vergangenen Jahr, dass es sich bei den neuen Verfahren um Eingriffe ins Erbgut von Organismen handele und die neuen gentechnischen Verfahren daher unter die europäische Gesetzgebung zu gentechnisch veränderten Organismen fallen. Für viele Kritikerinnen und Kritiker eine wichtige Entscheidung, verbietet sie doch nicht die Forschung und Anwendung, sondern fordert nur klare Regeln, die Kennzeichnung und eine Einschätzung des Risikos nach dem Vorsorgeprinzip (siehe Kommentar S. 20). Das schafft Transparenz und Entscheidungsfreiheit für die Konsumentinnen und Konsumenten.

Die Unternehmen der Agrobiotechnologie sind von diesem Urteil nicht sonderlich begeistert. Mit den neuen Verfahren eröffnen sich schließlich neue Märkte, Geschäftsfelder und die Aussicht auf Patente. Da sind die Regulierungsvorschriften und die kostenintensiven, zeitaufwendigen Prüfungen vor einer Zulassung nicht nur lästig, sie verzögern auch Gewinnerwartungen.

Die Attacken auf das geltende EU-Gentechnikrecht haben längst begonnen. Kommunikationsstrategisch wird versucht, die Akzeptanz für die neue Gentechnik in der Bevölkerung zu erhöhen und so deren Sorgen zu zerstreuen.

All diejenigen, die den neuen Techniken kritisch gegenüberstehen, sehen sich mit massiven Vorwürfen konfrontiert. Wissenschaftler/innen, NGOs und Verbände, die eine strenge Kontrolle von gentechnisch veränderten Organismen fordern, werden auch als Ideologen, als wissenschafts- und technikfeindlich beschimpft.

Dabei ist es richtig, jetzt genau zu prüfen, in welche Richtung die neuen Techniken uns als Gesellschaft führen. Eines ist sicher: Sie sind nicht zu vergleichen mit der alten Gentechnik. Sie sind die Grundlage für einen sehr weitreichenden Eingriff in lebende Organismen und Natur. Vor allem sind sie nicht mehr nur für Landwirtschaft und Medizin relevant. Sie sind die Basis für ein neues Wirtschaften, die Bioökonomie.

Mit Hilfe von CRISPR und Co. sollen biologische Systeme hergestellt werden, die in der Natur so nicht vorkommen, die dem Menschen aber Nutzen bringen sollen. Es ist die (zweifelhafte) Vision, den Menschen zum Designer von Stoffwechselpfaden zu machen. So werden zum Beispiel aus «gentechnisch umprogrammierten Bakterien» Minifabriken, die alle möglichen Stoffe und Produkte herstellen können. Aber Verbraucher/innen können nicht erkennen, dass sie mit Hilfe der neuen Gentechnik beziehungsweise synthetischer Biologie hergestellt wurden. Sie werden als «natürliche Produkte» gelabelt.

Doch die synthetische Biologie geht noch einen Schritt weiter. Mit Hilfe von Gene Drives sollen sich gentechnisch veränderte, in der Natur lebende Arten dominant ausbreiten. Die Verlockung scheint groß: Mücken, die Malaria übertragen, können so einfach ausgerottet werden, genauso wie Tiere und Pflanzen, die als invasive Arten herkömmliche bedrohen. Gene Drives aber gefährden nicht nur die ohnehin gefährdete Biodiversität und die menschliche Gesundheit, sie verstärken auch die Konzentration von Konzernmacht. Vorstellbar ist, Gene Drives als biologische Waffe einzusetzen. Das amerikanische Militär zählt derzeit neben der Bill & Melinda Gates Foundation zu den Hauptfinanziers der Forschung zu Gene Drives. Vorsorgeprinzip und Verantwortung sehen anders aus.

Wie mangelhaft reguliert, einfach und kostengünstig die neuen gentechnischen Verfahren in der Welt bereits angewendet werden können, zeigte ein Forscher aus China. Er hat bekanntlich zwei Babys durch die CRISPR-Technologie genetisch so verändert, dass sie sich bei ihren HIV-positiven Vätern nicht anstecken können. Dieses Beispiel zeigt, dass wir Gefahr laufen, uns ausschließlich für technische Lösungen zu interessieren, für das, was alles möglich wäre. Anstatt darüber zu debattieren, was wir als Gesellschaft brauchen und wollen, was wir ethisch vertreten können und welche Risiken wir managen und in Kauf nehmen wollen. Und uns zu fragen: Was sind die wirklichen Antworten und Lösungen auf die drängenden Probleme unserer Zeit? Wer profitiert davon, dass wir uns zunehmend auf diese riskanten Technologien versteifen, die den Eingriff ins Erbgut als den einzig gangbaren Weg propagieren?

 

Wie hier auf dem Feld eines südafrikanischen Kleinbauern, wird gentechnisch veränderter Mais bereits seit vielen Jahren weltweit kultiviert. Dabei stand bisher vor allem die Herbizidresistenz der veränderten Arten im Vordergrund. Mit Hilfe der neuen Verfahren arbeiten Hersteller wie DuPont-Pioneer an Maissorten, die auch bei starker Trockenheit ihr Wachstum nicht so schnell einstellen.

Neue Züchtungen sind auch ohne riskante Gentechnik möglich. Und eine nachhaltige Landwirtschaft oder die Bekämpfung des Hungers brauchen vor allem soziale Innovation und politische und gesellschaftliche Veränderung – wie zum Beispiel einen geringeren Fleischkonsum, den Zugang zu Land, zu Saatgut und agrarökologischen Anbaumethoden. Der Schutz der Fruchtbarkeit des Bodens zum Beispiel ist eine viel wichtigere Strategie, um mit Wetterextremen umzugehen, als bestimmte Pflanzen gentechnisch zu verändern. Solche Gedanken aber haben in der Goldgräberstimmung der gen- und biotechnologisch fixierten Kreise keinen Platz.

Agrarökologische Forschung wird allerdings kaum finanziell unterstützt, die bio- und gentechnologische Forschung hingegen erhält Milliardenbeträge aus den öffentlichen Haushalten. Modern und innovativ und zukunftsfähig aber sind Technologien, die replizierbar für viele und rückholbar sind, wenn sie zu großen Schaden anrichten. Sie sollten demokratisch steuerbar und sozial inklusiv sein, also Menschen und soziale Gruppen nicht ausschließen. Eine moderne Landwirtschaft schafft Vielfalt – immer wieder aufs Neue.

Zur Gentechnik in der Landwirtschaft gibt es zahlose und erprobte Alternativen. Gemäß dem Motto «design follows function» sollten wir uns fragen, welche Innovationen zu einer gerechten, demokratischen und klimafreundlichen Welt führen.


Barbara Unmüßig ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung.

Christine Chemnitz ist Referentin für Internationale Agrarpolitik.

Lili Fuhr ist Referentin für Internationale Umweltpolitik.


1Genome Editing, das sind neue gentechnische Verfahren, bei denen Eigenschaften von Lebewesen, Pflanzen und Bakterien verändert werden, indem gezielt einzelne Gene ausgetauscht, ausgeschaltet oder modifiziert werden.

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