Flüchtlingspolitik in Skandinavien: Paradigmenwechsel im liberalen Schweden?

Geflüchtete an der mazedonischen Grenze
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Geflüchtete an der mazedonischen Grenze

Die nordischen Länder sind traditionell für Flüchtlinge attraktiv. Aufgrund der hohen Flüchtlingszahlen im letzten Jahr haben die Länder jedoch eine zunehmend restriktive Asylpolitik eingeführt.

Für viele Flüchtlinge sind die nordischen Länder – Dänemark, Finnland, Norwegen und vor allem Schweden – beliebte Ziele. Ein Hauptgrund dafür sind die trotz Einschnitten immer noch umfassenden und großzügigen nordischen Wohlfahrtsstaatssysteme. Außerdem bestehen dort Strukturen, die von bereits Eingewanderten (insbesondere aus Syrien und dem Irak) aufgebaut wurden. Einerseits weisen die nordischen Länder viele Gemeinsamkeiten insbesondere in sozio-ökonomischer und kultureller Hinsicht auf. Sie arbeiten in vielen Politikbereichen eng zusammen. In der Migrations- und Flüchtlingspolitik bestehen allerdings keine einheitlichen Muster, sondern teils gravierende Unterscheide. 2015 führten die hohe Flüchtlingszahlen und die unterschiedlichen Aufnahmepraktiken sogar zu Spannungen unter den nordischen Ländern und, erstmals seit 60 Jahren, zur Wiedereinführung von Passkontrollen an den gemeinsamen innernordischen Grenzen.

Dänemark, Finnland und Norwegen verfolgen bereits seit den 1990er Jahren eine restriktive Flüchtlingspolitik, inklusive sukzessiver Asylrechtsverschärfungen in den 2000er Jahren. Schweden dagegen stach lange Zeit hervor als das nordische Land mit der großzügigsten Flüchtlingspolitik. Es ist von allen EU-Mitgliedstaaten das Land mit der höchsten Zahl an Asylanträgen gemessen an der Einwohnerzahl. Seit 2011 erkannte Schweden allein 80.000 syrische Bürgerkriegsflüchtlinge an. Im Zuge der großen Fluchtbewegung nach Europa 2015 stieg die Zahl der eingereisten Flüchtlinge sowie der gestellten Asylanträge in allen nordischen Ländern stark an. Schweden verzeichnete 2015 mit 163.000 wiederum die höchste Zahl. In Finnland stellten 32.000 Menschen einen Asylantrag, so viele wie nie zuvor. In Dänemark, das eher zum Durchgangsland wurde und bereits im Sommer Anstrengungen unternahm, als wenig attraktiv für Flüchtlinge zu erscheinen, waren es dagegen nur 21.000. Norwegen, das anders als die drei erstgenannten Länder nicht zur EU gehört, zählte 31.000.

Restriktionen in dr Flüchtlingspolitik auf Druck rechtspopulistischer Parteien

Aufgrund des massiven Zuwachses führten alle vier Länder schnell neue Restriktionen ein: eingeschränkter Familiennachzug, kürzere Aufenthaltserlaubnisse und Leistungskürzungen. Der harte Kurs hängt auch zusammen mit der zunehmenden Stärke rechtspopulistischer Parteien, die in Norwegen und Finnland seit 2013 respektive 2015 an der Regierung beteiligt sind. In Dänemark agiert die Dänische Volkspartei seit Juli 2015 bereits zum zweiten Mal als parlamentarische Mehrheitsbeschafferin für die konservativ-liberale Minderheitsregierung. Seit vielen Jahren übt sie erheblichen Einfluss speziell auf die dänische Migrationspolitik aus.

Der bislang praktizierten großzügigen, auf humanitärer Tradition beruhenden offenen Flüchtlingspolitik und Aufnahmepraxis Schwedens lag ein weitgehender Konsens aller etablierten Parteien, linken wie konservativen, zugrunde. Noch der 2014 abgewählte konservative Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt hatte eine „Politik der offenen Herzen“ propagiert, die von der sozialdemokratisch-grünen Regierung unter Ministerpräsident Stefan Löfven zunächst fortgesetzt und auch von einer Mehrheit der Bevölkerung lange unterstützt wurde. Schweden galt damit als wichtiger Verbündeter Deutschlands in der Flüchtlingsfrage, der auch für europäische Lösungen und verbindliche Verteilungsquoten plädierte. Nur die rechtspopulistischen Schwedendemokraten widersetzten sich diesem Konsens. Zwar werden sie politisch noch weitgehend isoliert, genießen aber wachsende Zustimmung, zurzeit um die 20 Prozent, und zunehmenden politischen Einfluss. Die ausgeprägte schwedische Konsenskultur begann einer zunehmenden Polarisierung und Spaltung Platz zu machen. Angeheizt durch die steigende Zahl von Flüchtlingen nahm die Zahl fremdenfeindlicher Demonstrationen und rechtsextremer Angriffe auf Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünfte seit 2015 rapide zu.

Schwierigkeiten bei der Unterbringung

Mitte November 2015 hielt die schwedische Regierung dem Druck nicht mehr stand und gab öffentlich zu, dass das Land an die Grenzen seiner Aufnahmekapazitäten gekommen sei und eine „Atempause“ benötige. Je höher die Zahl der eingereisten Flüchtlinge, desto größer wurden die Schwierigkeiten der Behörden, diese adäquat unterzubringen. Aufgrund des ohnehin latenten Wohnraummangels in den Großstädten mussten viele in weit abgelegen Gegenden untergebracht werden, z.B. im hohen Norden des Landes. Zudem waren schon seit Längerem Schwierigkeiten bei der Integration von Neuankömmlingen offenkundig geworden. Die Asylverfahren ziehen sich oftmals sehr lange hin. Dies erschwert insbesondere die Integration der anerkannten Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt.

Die Regierung beschloss daher, Anfang 2016, vorübergehend Grenzkontrollen an der Öresundbrücke zwischen Dänemark und Schweden einzuführen, um so zu kontrollieren, wer und wie viele Personen ins Land einreisen. Kurz darauf beschloss die Regierung eine Verschärfung des Asylrechts, nämlich die Beschränkung von Aufenthaltsgenehmigungen auf drei Jahre, die Erschwerung von Familienzusammenführungen sowie die Möglichkeit, Abschiebungen schneller durchzuführen. Übergangsweise passte die Regierung das schwedische Asylrecht an die Mindeststandards der EU an, mit dem Ziel, dass mehr Menschen auch in anderen EU-Staaten ihren Asylantrag stellen. Im Juni 2016 wird das Gesetzespaket vom schwedischen Parlament verabschiedet werden. Bereits im Februar 2016 kündigte Innenminister Anders Ygeman die Abschiebung von 50 bis 60 Prozent aller 2015 eingereisten Asylbewerber, insgesamt bis zu 80.000 Personen, an. Dabei möchte er auch mit anderen Ländern wie Deutschland zusammenarbeiten.

Der linken Regierung fiel dieser harte Schwenk offenkundig nicht leicht. Dieser wurde weniger aus Überzeugung denn aufgrund von Überforderung vollzogen. Kritische Stimme wandten dagegen ein, dass Schweden bei einer effektiveren Verteilung von Flüchtlingen im Land durchaus noch Kapazitäten hätte. Schweden befindet sich in einem Dilemma zwischen humanitärer Tradition auf der einen, begrenzten Kapazitäten und einer ambivalenten Stimmung im Land auf der anderen Seite.

 

Dieser Beitrag ist Teil unseres Dossiers "Grenzerfahrung - Flüchtlingspolitik in Europa".