Frauen in der Politik: Die Parlamentswahlen 2015 in Polen

Beata Szydło
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Beata Szydło ist die zweite polnische Ministerpräsidentin in Folge

Die politische Bühne in Polen erlebt revolutionäre Veränderungen. Im Wahlkampf zu den Parlamentswahlen[1] am 25. Oktober 2015 wurden die beiden größten miteinander konkurrierenden Parteien sowie das linke Parteienbündnis von Frauen angeführt. Das Wahlergebnis brachte einen Rekordanteil an Frauen in der Geschichte des polnischen Parlamentarismus. Weibliche Abgeordnete erhielten 27 Prozent der Mandate im Sejm. In der neuen Regierung werden fünf von insgesamt 25 Ministerien von Frauen geführt und an ihrer Spitze steht mit Beata Szydło zum zweiten Mal in Folge eine Ministerpräsidentin.

Die stärkere Anwesenheit von Frauen in der parlamentarischen Politik ist die Folge eines wichtigen Erfolgs der polnischen Frauenbewegung: der Einführung der Quote auf den Wahllisten im Jahr 2011. Seitdem erstarkt die Position der Frauen und nimmt ihre Sichtbarkeit auf der politischen Bühne in Polen beständig zu. Dies geschah, obwohl die Veränderungen zugunsten der Teilnahme von Frauen an der Politik keine kohärenten Wahlrechtsreformen waren. Einerseits kam es zum bahnbrechenden Beschluss der Quotenregelung, die mindestens 35 Prozent der Listenplätze Frauen und Männern gleichermaßen garantiert. Andererseits wurde ein Schritt rückwärts gemacht, indem das System der Ein-Mandats-Wahlkreise für die Senatswahlen eingeführt wurde. Dieses System dient nicht dazu, die Beteiligung von Minderheiten in der Politik zu fördern, weil die Wählerschaft überwiegend für Parteien und nicht für unabhängig kandidierende Personen stimmt.

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Die Parteiprogramme und die Gleichberechtigung der Geschlechter

Die Parteiprogramme wurden mit Blick auf die Inhalte analysiert, die sich unmittelbar auf Frauen beziehen oder die gewöhnlich in der polnischen Politik mit Frauen in Verbindung gebracht werden. In den polnischen politischen Programmen sind dies vor allem Fragen der Kinderbetreuung, der Frauengesundheit und bei manchen Parteien die Forderung nach gleicher Bezahlung für gleiche Arbeit und Fragen der Gleichberechtigung. Natürlich haben auf die Lebensqualität von Frauen auch die Wirtschaft und der Wirtschaftskurs der Regierungspartei Einfluss. Die neoliberale Politik der Kürzungen im öffentlichen Haushalt und die Austeritätspolitik schlagen sich stärker auf das Leben der Frauen als auf das der Männer nieder. Frauen sind häufiger als Männer im öffentlichen Sektor beschäftigt und übernehmen häufiger die Betreuung der Kinder und älterer Menschen, wenn sich die staatlichen Institutionen aus dieser Rolle zurückziehen. Ein Bewusstsein dieser Verflechtungen wird in den Programmen der drei größten Parteien allerdings nicht sichtbar.

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit

Allgemein lassen sich die Parteien in zwei Gruppen einteilen. Die eine befasst sich mit den Angelegenheiten von Frauen nur in Bezug auf Elternschaft und Fortpflanzung, die anderen gehen über diese Fragen hinaus. Zur ersten Gruppe gehören PiS, PO und KORWiN, während die Vereinigte Linke, die PSL, Gemeinsam und Die Moderne in ihren Parteiprogrammen auch Absichtserklärungen abgeben, die Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt und im öffentlichen Leben zu vergrößern und gegen Gewalt gegen Frauen vorzugehen. Unter den Forderungen der Vereinigten Linken findet sich die nach »gleichem Lohn für gleiche Arbeit«, eines der ältesten Postulate der globalen Frauenbewegung, nach Unterstützung von alleinerziehenden Müttern, Bekämpfung von Diskriminierung und Gender Mainstreaming. Die Forderung nach Aufhebung von Lohnunterschieden ist auch im Programm der liberalen Die Moderne zu finden, die generell nach vollständiger Gleichberechtigung und Chancengleichheit für Frauen und Männer auf dem Arbeitsmarkt strebt. Die Partei Gemeinsam wirbt, ebenfalls vor dem Hintergrund der Lohngleichheit, für die Transparenz von Gehältern und die 35-Stunden-Woche, die sich ihrer Überzeugung nach positiv auf die Situation von Eltern auf dem Arbeitsmarkt auswirken würde. Die PSL widmet sich in ihrem Programm ebenfalls den Frauen auf dem Arbeitsmarkt und fordert Unterstützung für die Beschäftigung von Müttern. Außerdem spricht sie sich für die Angleichung der Rentenberechtigung von Frauen und Männern nach 40 Jahren Berufstätigkeit aus.

Sexuelle und Reproduktive Rechte

Ein wichtiges Problem, das von den Parteien nicht wahrgenommen zu werden scheint, ist die Gewalt gegen Frauen. Allein die Vereinigte Linke fordert die wirksame Verfolgung der Täter und eine umfassende Schulung der Vertreter des Justizwesens zur Bekämpfung von Gewalt und Stereotypen.

Außer Fragen zu den Frauenrechten berücksichtigten die Parteien Probleme der Elternschaft und der Kinderbetreuung sowie der Gesundheitspolitik. Bei ersterem unterscheiden sich die Parteiprogramme deutlich bei den bevorzugten Modellen der Familienpolitik. PO, Vereinigte Linke, Gemeinsam und PSL befürworten den Ausbau des Systems der institutionalisierten Betreuung. Gemeinsam wiederum schlägt vor, das System der Nachmittags- und Wochenendbetreuung in bestimmten Einrichtungen auszubauen.

Im Programm von PiS liegt der Akzent eher auf der Stärkung der Position der Mütter gegenüber dem Arbeitgeber, das heißt der Verlängerung der Elternzeit, unabhängig von der Art der Beschäftigung. Dieser Lösungstyp forciert beim Arbeitgeber das Bild der Frau als einzigem Elternteil, der Erziehungsurlaub nimmt, es sei denn, dass in den Gesetzen genaue Vorschriften formuliert würden, die eine Aufteilung des Urlaubs zwischen Mutter und Vater vorsehen, was PiS allerdings nicht vorschlägt. Gemeinsam hat in ihr Programm aufgenommen, dass die Elternzeit 480 Tage betragen und zwischen den Eltern gleich aufgeteilt werden solle. Außerdem beabsichtigt sie, die Steuererleichterungen für Kinder aufzuheben und stattdessen ein allgemeines Erziehungsgeld zur Unterstützung einzuführen.

Eine andere Differenzierung der Parteien ist in gesundheitspolitischen Fragen festzustellen, die nur von PiS, der Vereinigten Linken und Gemeinsam umfassend aus der Geschlechterperspektive betrachtet werden. PiS konzentriert sich auf die Frau in der Schwangerschaft und die Mutter und benutzt Formulierungen wie »Fortpflanzungsgesundheit«, die linken Parteien dagegen sprechen von »Reproduktionsgesundheit« und meinen nicht nur Schwangerschaft und Geburt.

Die Präsenz der Frauen im medialen Wahlkampf

Aus der Perspektive der Geschlechtergleichheit war der Wahlkampf 2015 in Polen außergewöhnlich. Zum ersten Mal traten so viele auf dem Spitzenplatz auf, die sich größter Unterstützung in der Gesellschaft erfreuten. Auch in den Wahlspots der anderen Parteien ließ sich beobachten, dass die Marketingagenturen für die Präsentation der Geschlechter sensibilisiert waren, obwohl sie sich überwiegend auf die traditionelle Rollenverteilung bezogen.

Die Präsentation der Frauen in den Medien war während des Wahlkampfes überwiegend korrekt, doch gleich nach Beendigung der Wahlruhe zeigte sich, dass die Parteien zu den althergebrachten Schemata zurückkehrten. Am Wahlabend des 25. Oktober ließ sich beobachten, dass Frauen in der polnischen Politik 2015 eine Niederlage mit Würde annehmen, während der Erfolg viele Gesichter und vor allem das von Jarosław Kaczyński hat.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

Der Text entstand im Rahmen des Monitoring der Parlamentswahlen 2015, das dank der Unterstützung der Heinrich-Böll-Stiftung in Warschau durchgeführt wurde.

 


[1] Anm. d. Red.: „Eindeutiger Wahlsieger mit einer absoluten Mehrheit von 235 Sitzen ist die sich seit 2007 in der Opposition befindende nationalkonservative PiS (Recht und Gerechtigkeit - Prawo i Sprawiedliwość) von Jarosław Kaczyński mit 37,6% der Stimmen. Ihr folgt abgeschlagen auf Platz 2 die von vielen als „verbraucht“ wahrgenommene bisher regierende PO (Bürgerplattform - Platforma Obywatelska) mit 24,1%. Ebenfalls vertreten sein werden die Formationen Kukiz’15 mit 8,8%, Modernes Polen (NowoczesnaPL) mit 7,6% und die PSL (Bauernpartei - Polskie Stronnictwo Ludowe) mit 5,1% der Stimmen. In der außerparlamentarischen Opposition verbleiben die Vereinigte Linke (Zjednoczona Lewica) mit 7,5% (eine 8%-Hürde für Wahlbündnisse), KORWiN mit 4,7% und Gemeinsam (Razem) mit 3,6%. Damit wird erstmals seit 1918 ein Parlament komplett ohne die politische Linke gebildet.“ Mehr zum Thema in der Analyse „Sieg der Nationalkonservativen in Polen” von Irene Hahn-Fuhr, Direktorin der Heinrich-Böll-Stiftung in Warschau.