Japan: Kaum Chancen für Frauen in Politik und Wirtschaft

Mizuho Fukushima
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Mizuho Fukushima

Das Gespräch mit einer der wenigen Frauen in Japans männerdominiertem Politikbetrieb ist wie eine Druckbetankung an Informationen. Nach einer herzlichen Begrüßung, obwohl es das erste Treffen ist, setzt sich Mizuho Fukushima in ihrem Büro mit dem Rücken zu einer Kommode mit Erinnerungsstücken. Die 57-Jährige mit ihren flotten kurzen Haaren und ihrem obligatorischen farbenfrohen Jackett spricht routiniert und schnell, denn eine Stunde später hat sie den nächsten Termin. Trotzdem darf auch ein wenig Small Talk nicht fehlen: Sie pflege enge Beziehungen zu den deutschen Grünen, erzählt sie, erhalte regelmäßig Besuch aus Deutschland und sei selbst mehrfach dort gewesen, sprudelt es aus ihr heraus. Nur wenn sie mit einer unerwarteten Frage konfrontiert wird, hält die Quirlige kurz inne. Dann stellt sie eine These in den Raum und fragt die Journalistin auffordernd: „Was halten Sie davon, wie wäre es mit dieser Theorie?“

Es ist eine Ironie des Schicksals, dass sie als langjährige Kämpferin gegen die Atomkraft so heißt wie das 2011 havarierte Atomkraftwerk. Darüber hinaus ist die ehemalige Ministerin für Konsumenten, Lebensmittelsicherheit, Soziales und Geschlechtergleichheit im Kabinett von Yukio Hatoyama (2009/2010) dafür bekannt, dass sie sich für Dinge engagiert, denen die meisten Japaner aus dem Weg gehen, etwa für die Abschaffung der Todesstrafe, mehr Rechte für Ausländer und sexuelle Minderheiten. Fast zehn Jahre lang war sie das Aushängeschild der Sozialdemokraten, bis sie Ende Juli nach verlustreicher Oberhauswahl von ihrem Posten als Parteivorsitzende zurücktrat. Nun wolle sie als normales Parteimitglied parteienübergreifend versuchen, die zersplitterte Opposition zu einen: „Von jetzt an werde ich Anstrengungen unternehmen, so dass Menschen, die den Liberalismus, die Schaffung einer atomkraftfreien Gesellschaft und den Schutz einer pazifistischen Verfassung unterstützen, sich die Hände reichen können“, sagte sie, als sie ihren Rücktritt bekannt gab. Dass Japans Mitte-Links-Parteien alle mit ähnlichen Programmen um Wählerstimmen buhlen – dabei häufig wenig konstruktiv, sondern per se in Opposition zu den regierenden Liberaldemokraten – hatte nicht nur ihrer Partei, sondern auch anderen bei den letzten Wahlen das politische Genick gebrochen.

„Gender Gap Report 2013“: Japan verliert an Boden

Jetzt hat Japan mit ihr eine der wenigen prominenten Politikerinnen, noch dazu in leitender Position, verloren. Zwar vergab Premierminister Shinzo Abe Ende 2012 zwei von 18 Ministerposten seinem Kabinett an Frauen, gab ihnen jedoch untergeordnete Ressorts. Im September 2013 erhöhte er immerhin die Zahl der Vize-Ministerinnen von einer auf vier. Im Parlament sank der Frauenanteil seit dem Amtsantritt Abes auf acht Prozent. Gerade 0,8 Prozent Bürgermeisterinnen gab es 2011 in Japan. Die prominenteste unter ihnen ist Fumiko Hayashi, die der Stadt Yokohama vorsteht. Die frühere Top-Managerin, die Firmen wie BMW Japan und die Supermarktkette Daiei leitete, wurde 2009 vom Forbes Magazine als 39. mächtigste Frau der Welt bezeichnet.

Insgesamt spielen Frauen, trotz widerlautender Statements der Regierung, keine nennenswerte Rolle in der japanischen Politik. Das bestätigt auch der soeben erschienene „Gender Gap Report“ des Weltwirtschaftsforums, der die Ausgewogenheit des Geschlechterverhältnisses bewertet. Demnach rutschte Japan 2012 in der Kategorie Politik von einem ohnehin schlechten Platz 110 auf 118 von 136 untersuchten Ländern ab, nach Ländern wie Syrien und Jordanien, und noch weit hinter dem Nachbarland Südkorea, das als ähnlich männerorientiert wie Japan gilt.

Im „Gender Gap Report“ wird jedes Land in den Kategorien Ausbildung, Gesundheitswesen, Wirtschaft und Politik bewertet. Seit der Bericht seit 2006 zusammengestellt wird, zieht der Frauenmangel in der Politik Japans Gesamtwertung nach unten, noch stärker als in der Wirtschaft. Insgesamt kam Japan dieses Mal gerade auf Platz 105 von 136 Ländern, vier Plätze weniger als noch 2011. Das bedeutet nicht zwingend, dass es Japans Frauen insgesamt schlechter geht als in den letzten Jahren, in denen Japan schon mal zehn Plätze und mehr besser abschnitt. Nur hat sich seither in dem ostasiatischen Land, das Veränderungen scheut, weniger Positives für Frauen getan als anderswo.

Die Rückkehr in den Beruf wird Müttern schwer gemacht

Der größte Engpass auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung – neben dem in den Köpfen, die an althergebrachten Rollenbildern festhängen – ist in den Augen von Mizuho Fukushima der Arbeitsmarkt. Mit langen Arbeitszeiten und Kneipenbesuchen mit Kunden und Kollegen bis spät in die Nacht sei er stark auf Männer ausgerichtet. Kindererziehung parallel zu einem solchen Arbeitsumfeld sei unmöglich, sagt Fukushima.

Von Japanerinnen wird immer noch häufig erwartet, wenngleich weniger direkt gefordert als früher, ihre Stelle zu räumen, wenn sie ein Kind bekommen. Selbst wenn sie ihren Job behalten können, kehrt nur ein Drittel der Frauen ins Berufsleben zurück. Es fehlt an Kindergartenplätzen und finanzieller Unterstützung. Ein Gehalt für Frauen, von dem sie ein Kind ernähren können, sei immer noch nicht selbstverständlich, bemängelt die Politikerin. Aktuelle Zahlen im „Gender Gap Report“, die das Durchschnittsgehalt von japanischen Männern mit 40.000 und das der Frauen mit 22.727 US-Dollar beziffern, treffen eine erste Aussage. Anteil daran hat auch die Tatsache, dass 35 Prozent der arbeitenden Frauen zu niedrigen Stundenlöhnen bei Zeitarbeitsfirmen angestellt sind; bei den Männern sind es gerade 10 Prozent. Sie bekommen häufig weniger als umgerechnet 7,50 Euro (1000 Yen) die Stunde. Der Minimumlohn in Japan liegt bei 5,70 (764 Yen) pro Stunde.

Lieber „Berufshausfrau“ als schlecht bezahlte Zeitarbeitskraft

Unter solchen Bedingungen verwundert es nicht, wenn viele, selbst gut ausgebildete Japanerinnen den Karriereweg scheuen und lieber wie ihre Mütter „Berufshausfrau“ werden wollen. Diese Tendenz hat sich seit der Dreifachkatastrophe im März 2011 noch einmal verstärkt. Sie führte bei vielen Japanern zu einem Umdenken. Die Angst vor der Zukunft, in der jederzeit wieder ein solches Unglück plötzlich hereinbrechen könnte, ließ die Familie für viele als „sicheren Hafen“ erscheinen. Hinzu kam, dass Japans Wirtschaft zunächst starke Einbußen hinnehmen musste und Arbeitsplätze rarer zu werden schienen. Laut einer Umfrage des japanischen Kabinettsamts nach dem Schicksalstag am 11. März 2011 waren wieder über 50 Prozent für das klassische Modell mit dem Mann als Ernährer, zehn Prozent mehr als zuvor. Darauf angesprochen, sagt Mizuho Fukushima: „Ich akzeptiere das, aber ich bin so erzogen worden, dass ich selbstverständlich mein eigenes Geld verdiene, unabhängig davon, wen ich heirate. Selbst wenn ich Bill Gates heirate.“

Verheiratet ist sie bis heute nicht, auch wenn sie ihren Lebenspartner bereits seit der Universität kennt. Der Grund: Fukushima wollte ihren Namen nicht aufgeben. Denn in Japan muss ein Paar aus zivilrechtlichen Gründen den gleichen Nachnamen tragen, üblicherweise den des Mannes. „Ich dachte, ich will nicht mich ändern, ich will das System ändern!“, sagt sie kämpferisch. Für den Moment bleibt in Japan jedoch alles wie es ist: Erst vor kurzem wies ein Gericht einen entsprechenden Antrag zurück.

Ihren Lebensgefährten Yuichi Kaido, auch Anwalt und Anti-AKW-Aktivist, hatte sie im Jura-Studium an der Elite-Universität Tokio  kennengelernt. Mizuho Fukushima war damals eine von nur 14 Frauen unter den 630 Absolventen ihres Jahrgangs. Jobangebote hätten aber nur die Männer bekommen. „Chancengleichheit gab es damals nicht.“ Die meisten Frauen seien damals Krankenschwestern geworden, einige Beamtinnen, Professorinnen oder Anwältinnen. Sie ging in die Politik. Das engagierte Paar teilte sich die Erziehung und Hausarbeit. Außerdem half es, dass sie ihre Tochter in einen speziellen Kindergarten auf dem Parlamentsgelände geben konnten. Trotzdem sei die Balance nicht einfach gewesen, gerade wegen Treffen am späten Nachmittag oder Abend, räumt Fukushima ein. Ihr Trick: Meetings beim Mittagessen.

Es fehlt an Vorbildern: Japan diskutiert die Frauenquote

Eines der größten Probleme für junge Japanerinnen sei es, dass es an weiblichen Vorbildern in Führungspositionen fehle, glaubt Fukushima. Gerade einmal vier Prozent Frauen sitzen in Vorständen der an der Börse geführten Firmen in Japan, heißt es im aktuellen „Gender Gap Report“, immerhin ein Prozent mehr als in Deutschland. Dafür fehlen Angaben über die Beteiligung von Frauen am Firmeneigentum in Japan völlig; in Deutschland sind es 20 Prozent der Firmen. Fukushima selbst habe Inspiration für ihre Karriere nicht bei einer Frau, sondern in dem US-Konsumentenanwalt und Aktivisten Ralph Nader gefunden, dessen Engagement vor Gericht sie beeindruckte und den Wunsch in ihr weckte, Anwältin zu werden.

Würde eine Frauen-Quote etwas bringen? „Ja, in letzter Zeit denke ich, das ist nötig“, nickt Fukushima. „Norwegen und Frankreich haben ja eine Quote für Manager-Positionen und für die Gleichberechtigung brauchen wir das.“ In Japan sei es aber dafür noch zu früh, es würde nur zum Vorwurf umgekehrter Diskriminierung führen. „Ich bin nicht so eine wie Margaret Thatcher, die sagte, sie habe nie Diskriminierung erlebt, es gäbe kein Problem“, sagt sie und betont, sie sei Feministin. Damit meint sie die internationale Definition davon. Im Japanischen kann der Begriff Feminist nämlich auch einen Mann bezeichnen, der die Frauen liebt.

„Work Life Balance“ – seit einigen Jahren auch ein Thema in Japan

„Auf der einen Seite werden Frauen diskriminiert, aber auch für Männer ist es schwierig in Japan zu leben“, sagt Fukushima ein wenig nachdenklich. „Ich möchte aber auch die Botschaft weitergeben, dass die japanische Gesellschaft dabei ist, sich zu ändern“, schiebt sie nach, bemüht, auf einer positiven Note zu enden, wie man es in Japan gerne tut. In der Tat: Die vielen Überstunden, der Gruppendruck, regelmäßig abends mit den Kollegen Alkohol zu trinken, keine Zeit für Hobbys, Freunde oder Familie – gerade den jüngeren Japanern in ihren Zwanzigern, Dreißigern fällt es immer schwerer, sich mit so einem Leben, wie es ihre Väter führten, zu arrangieren. Der Begriff „Work Life Balance“ wird in den letzten zwei, drei Jahren auch in Japan diskutiert. Manche wählen absichtlich Karrierewege, die ihnen weniger Geld und Aufstiegschancen, aber mehr Freizeit bieten.

Wie in einem solchen Umfeld junge Frauen ihr Leben auf den richtigen Pfad setzen können, dazu hat Mizuho Fukushima ein Buch basierend auf ihren bisherigen Erfahrungen geschrieben, gerichtet an ihre Tochter. Auf die Frage, was sie jungen Frauen empfehle, sagt Fukushima im Interview: „Sie sollen erst einmal in sich hineinhören und sich fragen, was sie selbst wirklich tun wollen. Wenn eine Hausfrau werden will, dann ist das gut, wenn eine ganz viel arbeiten will, dann ist das auch OK – Hauptsache, sie machen, was sie möchten.“ Liegt es also an den Frauen selbst, oder muss sich die Gesellschaft ändern? „Beides, denke ich. Aber die Frauen müssen sich nicht verbiegen, sondern es muss einfacher werden, in dieser Gesellschaft zu leben.“