Wie Brasilien Wald finanzialisiert und Schutzgebiete privatisiert

Hintergrund

Die umweltpolitische Bilanz der aktuellen brasilianischen Regierung sieht düster aus: Sie trägt in keiner Weise zum Waldschutz in Amazonien und anderen Biomen bei.

Luftaufnahme im Bundesstaat Pará
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Die Entwaldung in Brasilien schreitet weiter voran.

Die Waldpolitik der brasilianischen Bundesregierung nutzt autoritäre Instrumente, mit denen weitere Mechanismen zur Privatisierung von Ökosystemleistungen in Brasilien entstehen. Sowohl mit den Verhandlungsvorschlägen auf der 26. Konferenz der Vertragsparteien der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (COP26) als auch mit der aktuellen Neuordnung und Schwächung umweltpolitischer Strukturen, gefährdet die derzeitige Regierung die brasilianischen Wälder und ihre Bewohnerinnen und Bewohner.

Einrichtung der Nationalen REDD+-Kommission

In 2016 wurde die Nationale REDD+-Kommission (CONAREDD+) eingerichtet. Das Gremium fördert die Umsetzung der Nationalen REDD+-Strategie (ENREDD+) und koordiniert und begleitet u.a. den Zugang Brasiliens zu Zahlungen für REDD+-Ergebnisse, die im Rahmen der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen(UNFCCC) anerkannt werden (siehe Kasten I). Die Kommission wurde im April 2019 - ähnlich wie andere bundesstaatliche soziale Governance-Bereiche - unmittelbar nach Amtsantritt von Präsident Bolsonaro aufgelöst und im November 2019, am Vorabend der COP25 in Madrid, neu einberufen. Diese neue Kommission (weiterhin CONAREDD+) änderte ihre bisherige Position zu ergebnisbasierten Zahlungen für Umweltdienstleistungen, indem sie nun Zahlungen aus verschiedenen Quellen und auf verschiedenen institutionellen Ebenen einbezog. [Die Zahlungen erfolgen in der Regel erst nach Vorlage von Belegen darüber, dass die Kohlenstoffemissionen durch Vermeiden von Entwaldung reduziert wurden. Daher wird die Vergütung häufig als „ergebnisbasierte Zahlung“ bezeichnet].

Sie begann auch weitere Finanz- und Marktmechanismen zur Förderung und Unterstützung von REDD+ zu gestalten, zu regulieren und zu strukturieren. Darüber hinaus kann die Kommission Zertifikate über/für ergebnisorientierte Zahlungen ausstellen und privaten REDD-Projekten die erfolgreiche Reduzierung von Emissionen bestätigen. Darüber hinaus begünstigte die neue Kommission Änderungen am Amazonienfonds, der zum Finanzierungs-Mechanismus für ergebnisbasierte REDD-Projekte wurde.

REDD+ und Pariser Klimaabkommen

[Die Grundidee des REDD-Ansatzes, einem Instrument der internationalen Klimapolitik, ist es, dem stehenden Wald einen höheren monetären Wert zuzuschreiben als seiner Abholzung. REDD steht dabei für Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation, der Reduzierung von Emissionen aus Entwaldung und Degradierung der Wälder. Der Mechanismus wurde stetig weiterentwickelt (aus RED wurde REDD, dann REDD+)].

Der Warschauer Rahmen für REDD+ (2013) legte die internationale Architektur des REDD+-Finanzierungsmechanismus der UNFCCC fest, der vom Grünen Klimafonds (GCF) verwaltet wird. Der Fonds vergibt Mittel an Entwicklungsländer, die nachweislich REDD+-Ergebnisse erzielen. Jedoch ohne CO2-Gutschriften zu generieren, die die Geberländer des Fonds mit eigenen Emissionsreduktionsverpflichtungen verrechnen können (das hieße offsetting).

[Auch im Pariser Klimaabkommen (2015) finden Wälder als Kohlenstoffsenken und Treibhausgasspeicher Erwähnung, auch wenn das Akronym REDD+ nicht auftaucht.]

Die Ziele des Pariser Klimaabkommen von 2015 basieren u.a. auf nationalen Verpflichtungen (NDCs), die von jeder Regierung freiwillig vorgeschlagen und festgelegt werden. Nur Emissionsreduzierungen im eigenen Land, die über diese nationalen Verpflichtungen hinaus erreicht werden, können laut dem Pariser Abkommen auf den globalen Kompensationsmärkten gehandelt werden. Die Ambitionen der Länder [mit großen Waldvorhaben] werden laut den Autor*innen durch den Ausblick auf zusätzliche Ausgleichszahlungen jedoch gezügelt: denn je niedriger die nationalen Verpflichtungen (NDCs), desto mehr Spielraum ergibt sich für den Verkauf zusätzlicher Kohlenstoffzertifikate. Weiterführender Link (auf Portugiesisch).

Mit dieser Umgestaltung der personellen Zusammensetzung, der Ziele und Arbeitsweisen der Kommission (CONAREDD+) begann die Regierung Bolsonaro marktbasierte Klimapolitik und insbesondere auch Waldschutzpolitik als Lösung für den Umweltschutz zu propagieren. Indem er zivilgesellschaftliche Beteiligung in der CONAREDD+ größtenteils unterband - analog zu anderen Politikfeldern - beschleunigte Bolsonaro die Privatisierung der Wälder.

Zahlungen für Umweltleistungen: „Floresta+”

Ein Beispiel für diese Beschleunigung ist das im Jahr 2020 vom Umweltministerium (MMA) initiierte Nationale Programm für Zahlungen für Umweltleistungen „Floresta+”. Es zielt in erster Linie darauf ab, einen privaten Kohlenstoffmarkt zu fördern und Maßnahmen zur Bekämpfung von Entwaldung und Waldbränden einzuleiten. Diese Pläne werden durch privat finanzierte Anreize sowie Partnerschaften mit öffentlichen oder privaten Instanzen auf nationaler sowie internationaler Ebene finanziert.

In dieses Programm wurde das Amazonien-Pilotprojekt „Floresta+ Amazônia” aufgenommen, das vom Umweltministerium (MMA) in Partnerschaft mit dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) durchgeführt wird und die folgenden vier Zahlungsmodalitäten für Umweltdienstleistungen (PSA) vorsieht:

  • Direktzahlungen an „Besitzer und Besetzer ländlicher Grundstücke” für die Erhaltung der noch verbliebenen einheimischen Vegetation (49,4 Millionen USD)
  • Bzw. für die Wiederherstellung von Dauerschutzgebieten (Áreas de Preservação Permanente) (12,605 Millionen USD);
  • Unterstützung von Projekten indigener Völker und traditioneller Völker und Gemeinschaften (7,5 Millionen USD);
  • Unterstützung innovativer Aktionen und Maßnahmen zur Förderung staatlicher Maßnahmen, mit folgenden Zielgruppen: Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen, Nichtregierungsorganisationen, Start-ups, Einzelunternehmen oder Kooperativen/Genossenschaften, Organisationen und Verbände für Extraktivismus in „Amazônia Legal” (5 Millionen USD).

Für dieses Projekt wurde 2018 beim Green Climate Fund (GCF) ein Förderantrag über die UNDP für Brasilien gestellt, der Zahlungen mit einem Gesamtwert von 96,4 Mrd. USD für die Reduzierung von Entwaldung - und somit für REDD+ bezogene Emissionsreduktionen - für die Jahre 2014 und 2015 beantragte.

Der Antrag wurde tatsächlich vom GCF bearbeitet und als erster Antrag im Pilotprogramm Zahlungen für REDD+-Ergebnisse überhaupt genehmigt. Dabei hielt der GCF weder die gebotene Transparenz und soziale Beteiligung ein, noch das Warschauer Rahmenwerk (siehe Kasten I).

Zu diesem Zeitpunkt wurden nationale Instanzen der Umwelt- und REDD+-Governance in Brasilien durch die neue Regierung, wie Eingangs beschrieben, teils umstrukturiert, teils aufgelöst (u.a. CONAREDD+, ENREDD+ und dessen Safeguards-System). Das Projekt wurde genehmigt, obwohl rechtliche und institutionelle Grundlagen nicht mehr existierten. Daher verstößt die derzeitige Ausgestaltung dieses Programms und des dazugehörigen Projekts gegen internationale Vereinbarungen zur Bekämpfung des Klimawandels, insbesondere über ergebnisbasierte Zahlungen für REDD+.

Wiederbelebung des Nationalen Rats für „Amazônia Legal“

Seit Amtsantritt der Regierung Bolsonaro werden sozial-ökologische Institutionen kontinuierlich geschwächt. Das wirkt sich unmittelbar auf Strategien und Programme gegen den Klimawandel, Entwaldungs- und Brandbekämpfung (einschließlich des „Aktionsplans zur Verhütung und Kontrolle der Entwaldung in „Amazônia Legal” – PPCDAm) und auf die Rechte der indigenen Völker und traditionellen Gemeinschaften aus.

„Amazônia Legal”

Im brasilianischen Kontext ist „Amazônia Legal" eine Verwaltungseinheit. Diese besteht aus drei Biomen, also großen ökologischen Systemen: Amazônia (Regenwald), Teilen des Cerrado (Feuchtsavanne) und Teilen des Pantanal (Sumpfgebiet). Ist vom Biom „Amazônia” die Rede, dann ist damit nur das Regenwaldgebiet von Amazônia Legal gemeint. Diese Unterscheidung ist wichtig, wird aber nicht immer gemacht. So beziehen sich die Entwaldungszahlen meistens auf Amazônia Legal, das heißt, nicht ausschließlich auf den Regenwald, sondern auch auf Teile des Cerrados und des Pantanals. [Aus: Heinrich-Böll-Stiftung, Schriften zur Ökologie, Bd. 46, S. 14]

Als Antwort auf den zunehmenden internationalen Druck, im Zuge der unkontrollierten Zunahme der Entwaldung und der Brände in Amazonien sowie der Nichteinhaltung international vereinbarter Klimaschutzziele (Aichi-Ziele, Pariser Abkommen und die dafür zu erbringenden Nationalen festgelegte Beiträge, NDCs) rief Bolsonaro im Jahre 2020 den Nationalen Rat für „Amazônia Legal“ (CNAL) wieder ein. Vizepräsident Hamilton Mourão wurde mit der Leitung der Regionalpolitik zur Entwaldungs- und Brandbekämpfung  sowie mit der Eindämmung der Auswirkungen des Klimawandels beauftragt, nachdem zuvor die Zuständigkeit für den Rat per Präsidialdekret vom Umweltministerium ins Ressort des Vizepräsidenten wechselte. Der Rat hatte auch die Aufgabe „die Umsetzung der staatlichen Maßnahmen bezüglich ,Amazônia Legal’ zu koordinieren und zu begleiten”. Es wurden weitreichende und allgemeine Zuständigkeiten festgelegt, während Vertreter und Vertreterinnen indigener Völker, Quilombolas, Fischer, traditionelle Gemeinschaften der Region und andere kollektive Vertretungsorgane nicht beteiligt wurden.

Die Namen derjenigen, die den Themenkommissionen des CNAL angehören, wurden in vom Vizepräsidenten der Republik unterzeichneten Verordnungen aufgelistet und im Staatsanzeiger für den Monat April 2020 veröffentlicht. Dem Rat gehören fünfzehn Oberste an, zwölf Angehörige des Heeres und drei der Luftwaffe; weiter ein General, zwei Major-Brigadiere und ein Brigadier. Der Vorsitzende des Gremiums ist General a.D. und Vizepräsident Hamilton Mourão. Dieser strategische Rat für regionale Entwicklung, an dem die Zivilgesellschaft erneut nicht beteiligt ist, spiegelt die Militarisierung der Umweltpolitik des Landes wider.

Das Programm „Adoptiere einen Park”

Ein weiteres Beispiel für die Privatisierung von Land ist das 2021 gestartete Programm „Adoptiere einen Park”, das beim Umweltministerium angesiedelt ist. Es wurde vom damaligen Minister Ricardo Salles ins Leben gerufen und geleitet. Mit ihm wird die „Adoption” von Schutzgebieten (Unidades de Conservação) durch natürliche oder juristische Personen möglich. Der Schwerpunkt ist dabei die Entwicklung dieser Gebiete, [sowohl solcher, die sogenannten vollständigen Schutz genießen, ohne ansässige lokale Bevölkerung (proteção integral) als auch solcher, die durch lokale Gemeinschaften nachhaltig genutzt werden (uso sustentável)]. Unternehmen wie Coca-Cola, Heineken, MRV und Carrefour waren die ersten Unternehmen, die Absichtserklärungen für die „Adoption” einzelner Gebiete unterzeichneten, die in der ersten Runde des Programms ausgewiesen wurden.

Der Begriff „Adoption” beschreibt die Beziehung zwischen Unternehmen und den betroffenen lokalen Gemeinschaften nur unzureichend. Mittels der Verträge - die das für die Schutzgebiete verantwortliche Instituto Chico Mendes (ICMBio) aufsetzt - kann es zu Änderungen der räumlichen Zuschnitte der Gebiete kommen. Auch bestehende Lebensweisen und Verwaltungsinstrumente können beeinflusst werden.

 Mit Vertragsabschluss und den darin geschaffenen Bedingungen und Genehmigungen geraten die lokalen Gemeinschaften in Abhängigkeiten zum Privatsektor und verlieren an Autonomie: Angesichts der Versäumnisse des Staates - der die Verantwortung per Vertrag weitergibt - sind sie nun auf das sie adoptierende Unternehmen angewiesen, um ihre Lebensbedingungen vor Ort verbessern zu können

Diese Abhängigkeiten erzeugenden Maßnahmen werden zu einer Zeit auferlegt, in der Präsident Bolsonaro für 2021 eine Kürzung des Budgets des ICMBio um 42 % (im Vergleich zu 2018) angekündigt hat. Gleichzeitig wurde laut Daten des Deter-Systems des Instituts für Weltraumforschung (INPE) ein Anstieg der Entwaldungswarnungen um 34,5 % zwischen 2019 und 2020 beobachtet.

Abkürzungen

COP: Konferenz der Vertragsparteien
REDD+: 
Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation/Reduzierung von Emissionen aus Entwaldung und zerstörerischer Waldnutzung
MMA: Brasilianisches Ministerium für Umwelt
PSA: Zahlungen für Umweltdienstleistungen

PPCDAm: Aktionsplan zur Verhütung und Kontrolle der Entwaldung in Amazônia Legal”
CNAL: Nationaler Rat für Amazônia Legal”
ICMBio
: Chico-Mendes-Institut für Biodiversitätserhalt
Quilombola: Nachkommen afrikanischer Sklavengemeinschaften

Als zusätzlicher Anreiz der Adoption kann die unmittelbare Nutzung der Gebiete gesehen werden und die Befugnisse, sich in die Verwaltung der Gebiete einzubringen, [um zu verstehen, warum wir von der Privatisierung der Wälder sprechen]. Adoptierende Unternehmen können sich in [beispielsweise] die Waldbewirtschaftung, in die Zusammensetzung lokaler Beiräte oder in spezifische Nachhaltigkeitsprojekte einmischen. Grundsätzlich ist nichts gegen eine Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und lokalen Gemeinschaften einzuwenden. Problematisch ist jedoch, dass mit dem Programm die Verwaltung der Gebiete in der Praxis von den Unternehmen abhängt.

Außerdem hat die Regierung über die Nationale Bank für wirtschaftliche und soziale Entwicklung (BNDES) (in Bezug auf Schutzgebiete (UCs)) das Programm zur Strukturierung von Konzessionen für Naturparks geschaffen (Programa de Estruturação de Concessões de Parques Naturais). Dieses Programm, das im Prinzip auf die Entstaatlichung von Dienstleistungen für Besucherinnen und Besucher in Naturparks abzielt, ist eine nationale Politik zur Privatisierung von vollständig geschützten Gebieten (proteção integral). Bislang wurden etwa 45 Naturparks in das Programm aufgenommen, von denen viele mit Gebieten von traditionellen Völkern, Indigenen und Quilombola Gemeinden überlappen.

Zusammenfassend wurde in den drei Jahren der Regierung Bolsonaro eine Politik der Privatisierung von Wäldern umgesetzt sowie eine Politik falscher Klimalösungen forciert. Diese Politik kürzt einerseits die Budgets für den Umweltschutz und treibt die Entwaldungsraten in die Höhe  und kombiniert andererseits - als vermeintliche Lösungen – die Privatisierung von Schutzgebieten mit der Finanzialisierung der Wälder. Die diversen Umweltschutzmaßnahmen- und ansätze bedienen sich hierbei an wiederkehrenden Mustern: hohe Posten werden mit Militärs besetzt und die Zivilgesellschaft nur unzureichend eingebunden.

 

Übersetzung aus dem Portugiesischen: Christiane Rehse de Jesus
Redaktion: Julia Ziesche und Mareike Bödefeld

Dieser übersetzte und redigierte Text basiert auf dem Originalbeitrag, der zuerst auf der Webseite unseres Brasilienbüros im Rahmen eines umfassenden Webdossiers erschien.

Pedro Martins stellte das Programm „Adoptiere einen Park” auch im Rahmen der digitalen Veranstaltung „Landnahme im Regenwald“ im November 2021 vor, die Sie hier nachsehen können (ab Minute 31).