Transatlantische Klima-Allianz? Die Widersprüche zwischen europäischer und US-Klimapolitik

Analyse

Ein unterschiedlicher Policy-Mix des Klimaschutzes in USA und EU erzeugt Spannungen, die eine enge Verbindung sehr schwer machen. Die tiefe politische Spaltung der USA weckt zudem Zweifel an der Dauerhaftigkeit einer klimapolitischen Zusammenarbeit.

Stahlwerk in Pennsylvania

Die in diesem Artikel geäußerten Meinungen sind ausschließlich die des Autors und geben nicht notwendigerweise die Meinung der Heinrich-Böll-Stiftung oder anderer Teilnehmer/innen der 22. Außenpolitischen Jahrestagung wieder.

 

Nach den harten vier Jahren der Präsidentschaft Donald Trumps waren Anfang 2021 die Erwartungen in Europa und gerade auch in Deutschland groß, nicht zuletzt in der Klimapolitik. Präsident Joseph Biden hatte als einen seiner ersten Amtsakte den erneuten Beitritt zum Pariser Klimaabkommen unterzeichnet. Sein Kabinett besetzte er mit hervorragenden Fachleuten, und sein Klimabeauftragter John Kerry genießt weltweites Ansehen.

Daher ist es verständlich, dass viele große Hoffnungen auf die Biden-Administration setzten. Der reichste und mächtigste Staat der Erde als Verbündeter im Klimaschutz: Darauf hatten man lange gewartet.

Transatlantische Klimaagenda 

Ein von der grünen Bundestagsfraktion in Auftrag gegebenes Politikpapier definierte acht Punkte einer transatlantischen Klimaagenda. Robert Habeck und Annalena Baerbock verfassten darauf aufbauend einen Meinungsbeitrag, der eine transatlantische Allianz für Klimaneutralität fordert.

Der größte Teil der Vorschläge besteht dabei im verstärkten politischen, technologischen und gesellschaftlichen Austausch. Der Wert liegt im wechselseitigen Lernen, in der Ermutigung zu ambitioniertem Klima-Handeln, das jedoch im Grunde aber auch unilateral, unabhängig von der transatlantischen Verbindung, erfolgen könnte. Auch gemeinsame Initiativen der Klimafinanzierung wie z.B. die Unterstützung Südafrikas auf seinem schwierigen Ausstieg aus der Kohle sind wichtig.

Doch diese Aktivitäten können nicht über tiefgreifende wirtschafts- und klimapolitische Spannungen zwischen USA und EU hinwegtäuschen, die sich aus unterschiedlichen klimapolitischen Politikansätzen, ökologischen und technologischen Agenden ergeben, die wiederum in den jeweiligen politischen Ökonomien auf beiden Seiten des Atlantiks wurzeln.

Wirtschafts- und klimapolitische Spannungen zwischen USA und EU

Aufbauend auf einer Analyse von Adam Tooze will ich aktuelle Entwicklungen analysieren, um Schlussfolgerungen für die Aussichten einer transformativen transatlantischen Klima-Kooperation zu ziehen, die jenseits von politisch-diplomatischen Signalen realwirtschaftlich für die sozialökologische Transformation der Wirtschaft relevant wird. Abschließend möchte ich einen Blick nach vorne richten und die Frage stellen: Kann sich Europa auf seinem Weg in die Klimaneutralität auf ein Bündnis mit den USA verlassen?

Tooze arbeitet heraus, wie sehr die EU und die USA in klimapolitischer Hinsicht divergieren: Die EU blickt auf ein Vierteljahrhundert gemeinsamer Klimapolitik zurück, zurück gehend auf die Unterzeichnung und Ratifikation des Kyoto-Protokolls. Herzstück der EU-Klimapolitik ist das Emissionshandelssystem (ETS), das bisher 40 Prozent der EU-Emissionen mit den Sektoren Stromerzeugung und Industrie sowie den innereuropäischen Flugverkehr abdeckt. Die Sektoren Verkehr und Gebäude sollen nach den Plänen der Kommission in das ETS integriert werden. Im ETS werden Treibhausgas-Emissionen mit einem Preis belegt, und nach mehreren Reformen ist das System nun soweit funktionsfähig, dass die Preise im Dezember 2021 bei rund 90 Euro je Tonne lagen. All dies wurde möglich auf der Grundlage einer weitgehenden gesellschaftlichen Akzeptanz der wissenschaftlichen Fakten des Klimawandels und der Notwendigkeit zur Reduktion der Emissionen, quer durch das demokratische politische Spektrum.

Klimapolitik in den USA

In den USA ist die Klimapolitik hingegen zum Spielball der tiefgreifenden politischen Spaltung des Landes geworden. Unter dem Einfluss einer einflussreichen fossilen Lobby wurden die Republikaner zu einer Anti-Klimaschutz-Partei, und nutzten ihre Macht zur Blockade von Klimapolitik:  im Kongress, in den von ihnen gehaltenen Präsidentschaften, und den republikanisch regierten Bundesstaaten.

Anläufe für ein Klimaschutzgesetz mit einem Emissionshandel scheiterten krachend unter der Obama-Administration. Regionale Emissionshandelssysteme in Kalifornien und einigen Bundesstaaten des Nordostens bleiben weitgehend ineffektiv. Der US- Politikwissenschaftler David Victor und sein Koautor Danny Cullenward nennen diese in ihrem einflussreichen Buch Making Climate Policy Work (2021) “Potemkinschen” Emissionshandel, der Klimaschutz simuliert, während die realen Emissionsreduktionen durch andere Politikinstrumente getrieben werden.

Auch auf Seiten der klimapolitisch ambitionierten US-Demokraten ist CO2-Bepreisung (als Emissionshandel oder CO2-Steuer) inzwischen äußerst unpopulär und ohne jede Chance auf politische Realisierung. Der Entwurf eines Green New Deal, wie ihn die linke Abgeordnete der Demokraten Alexandria Ocasio-Cortez in das US-Repräsentantenhaus eingebracht hat, setzt stattdessen auf die Fähigkeit der USA, staatliche Kredite in großem Stil aufzunehmen, und damit klimafreundliche Infrastrukturen und Subventionen für Klimaschutzmaßnahmen aller Art zu finanzieren.

Diese Orientierung übernahm auch Joe Biden als Kandidat und später dann als US-Präsident. Mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung als Senator und Vizepräsident verpackte er die Klimaschutzmaßnahmen in zwei groß angelegte Ausgabenpakete.

Doch Bidens Rechnung ging nicht auf: Das erste Gesetzespaket, das auf Zustimmung der Republikaner angelegte Infrastructure Bill, wurde in den Verhandlungen im Kongress aller regulatorischen Elemente beraubt, darunter des Clean Electricity Standard (CES), der Stromversorger zwingen würde, einen bestimmten Anteil ihres Stroms aus klimafreundlichen Quellen zu beziehen.

Der CES sollte dann im zweiten Gesetzespaket, dem American Families Plan, verabschiedet werden, das nur mit den Stimmen aller Demokraten und der entscheidenden Stimme von US-Vizepräsidentin Kamala Harris den Senat passieren sollte. Doch Joe Manchin, Senator der Demokraten für West Virginia, erreichte zuerst dass diese Bestimmung gestrichen wurde, und verkündete dann kurz vor Weihnachten per Interview in Fox News, dass er dem ganzen Gesetzespaket nicht zustimmen könne.

Joe Biden steht damit vor einem Scherbenhaufen seiner Klimapolitik. Die US-Emissionen sind 2021 steil angestiegen. Selbst wenn er mit weiteren - “radioaktiven” - Zugeständnissen Manchin noch irgendwie eine Zustimmung für eine noch weiter abgespeckte Version des Families Plan abringen kann, so darf man mit Sicherheit davon ausgehen, dass es keine regulatorischen Auflagen wie den CES enthalten wird. Only carrots, no sticks - nur Anreize, keine Auflagen, so wird die US-Klimapolitik von Fachleuten gekennzeichnet. Klimaschutzmaßnahmen werden eventuell subventioniert, aber es kommt nichts in Frage, was auch nur entfernt eine Belastung für Industrien und Haushalte bedeuten könnte.

Ungleichgewicht führt zu Wettbewerbsnachteilen

Wenn auf der US-Seite des Atlantiks Unternehmen für Klimaschutz subventioniert werden, während auf der europäischen Seite Firmen der gleichen Sparte für Emissionen bezahlen müssen, dann entsteht selbst bei vergleichbarem Ambitionsniveau ein Ungleichgewicht, das zumindest bei handelbaren, emissionsintensiven Gütern wie Stahl, Zement, Keramik oder Metallen den Wettbewerb verzerrt. Dieses Ungleichgewicht ist Ergebnis unterschiedlicher Politikinstrumente für den Klimaschutz, die auf Unterschieden im politischen System und der politischen Ökonomie zwischen beiden Seiten des Atlantik basieren.

Wettbewerbsnachteile infolge von Klimaschutz zu vermeiden, ist Ziel der Carbon Border Adjustment Measures (CBAM), einer Art Klimazölle, die solche Unterschiede in der CO2-Bepreisung an den Außengrenzen Europas ausgleichen sollen. Doch selbst John Kerry machte bei seiner ersten Reise nach Europa klar, dass die Biden-Administration CBAM ablehnt. Stahlarbeiter/innen sind eine wichtige Wählergruppe für Biden, und angesichts der Ende 2022 bevorstehenden Midterm Elections kann der US-Präsident es sich nicht leisten, sie zu verprellen.

Unterschiedliche Instrumente in der Klimapolitik

Auch wenn sich EU und USA kurz vor dem G20-Gipfel auf einen Verhandlungsprozess über Stahl und Aluminium geeinigt haben, der sowohl die Eliminierung von Überkapazitäten als auch den Klimaschutz zum Ziel hat und eine gemeinsame Front gegenüber China impliziert, ist die Problematik der grundsätzlich unterschiedlichen Instrumentierung von Klimapolitik auf beiden Seiten des Atlantiks ungelöst. Zwar besteht auf EU-Seite die Bereitschaft, andere klimapolitische Instrumente (wie z.B. einen CES) in Äquivalente für CO2-Preise umzurechnen, doch kann dies angesichts der only carrots, no sticks Politik der USA nicht funktionieren. Klimapolitische Anstrengungen der US-Regierung in Form von Subventionen sind wichtig und richtig und mögen eventuell ähnliche klimapolitische Wirkungen haben, aber sie lösen das Problem der Wettbewerbsverzerrung zwischen Industrien auf beiden Seiten des Atlantik nicht.

Die hier herausgearbeiteten Differenzen in der Wahl klimapolitischer Instrumente sollten zudem grundsätzliche Unterschiede in der Einbindung von EU und USA in die globale fossile Energiewirtschaft nicht verdecken: Nicht zuletzt dank des unter Obama vorangetriebenen Fracking-Booms sind die USA eine fossile Supermacht, die bei einer globalen Dekarbonisierung erheblich mehr zu verlieren hat als Europa (siehe dazu ebenfalls Adam Tooze).

Es ist kein Zufall, dass die USA klimapolitisch “unzuverlässig” sind: Die Grundkonstante ist das Schwanken zwischen einerseits der Einsicht in die klimapolitische Notwendigkeit, verbunden mit dem Anspruch auf eine globale Führungsrolle, und andererseits den Interessen der fossilen Industrien, insbesondere der Öl- und Gaskonzerne, an der weiteren Extraktion des fossilen Stoffs der unser Klima zerstört. Klimaschutz bedeutet, dass ungeheure Vermögenswerte ungehoben im Boden bleiben müssen. Besonders gefährdet sind in dieser Hinsicht die US-Vorkommen an Schiefergas- und -öl, die vergleichsweise höhere Produktionskosten haben als z.B. die arabische Halbinsel oder Russland.

Aussichten für eine transatlantische Klima-Allianz

Was bedeutet all dies für die Aussichten einer transatlantischen Klima-Allianz?

  1. It’s politics, stupid: EU und USA werden mit unterschiedlichen Politikinstrumenten und in unterschiedlichen Geschwindigkeiten das Ziel der Dekarbonisierung anstreben. In den USA wird es weiterhin ein klimapolitisches Stop-and-Go bleiben, getrieben von den widerstrebenden Interessen. In Europa können wir auf die Macht der europäischen Institutionen setzen, die eine relativ kontinuierliche Dekarbonisierung “nach Plan” erwarten ließe.
  2. Eine gewisse handelspolitische Entkopplung in Form von CBAM ist voraussichtlich notwendig, um diese Klimapolitik der unterschiedlichen Geschwindigkeiten zu ermöglichen - zumindest in den Sektoren, in denen CO2-Bepreisung ein erheblicher Kostenfaktor ist. Ein transparenter Grenzausgleich, der nachweisbar nicht protektionistischen Zwecken dient, sollte zumindest den klimapolitisch Gutwilligen der Biden-Administration verständlich zu machen sein. Nur so kann Europa weiterhin die klimapolitische Führungsrolle spielen, zu der die USA einmal mehr nicht in der Lage ist.
  3. Ein Klimaclub unter Einschluss der USA kann in dieser Logik nicht - wie vom wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsministeriums vorgeschlagen - auf der Grundlage eines einheitlichen CO2-Preises und eines entsprechenden Außenschutzes funktionieren. Er kann aber ein Forum für den kontinuierlichen klimapolitischen Dialog sein, in dem sektorale Politiken und Maßnahmen diskutiert und ggf. technologische Standards abgestimmt werden. Er kann daher eher ein Instrument weicher Politikkoordination sein, als eine durch harte handelspolitische Maßnahmen unterfütterte Freihandelszone neuen Typs.

Die deutsche Außenpolitik, in deren Ressort nun auch die internationale Klimapolitik verortet ist, wird durch diese Analyse vor neue Herausforderungen gestellt. Die für sie sonst so grundlegende transatlantische Orientierung kann in der Klimapolitik nicht ihr Leitstern sein. Während die USA sicherheitspolitisch über Jahrzehnte für Deutschland und Europa ein verlässlicher Partner war, ist sie klimapolitisch ein unsicherer Kandidat.

Biden und Kerry werden sicherlich im Rahmen ihrer Möglichkeiten das klimapolitisch Richtige anstreben. Aber bisher hat ihnen ein Senator ihrer eigenen Partei buchstäblich den Teppich unter den Füßen weggezogen. Wenn die Demokraten die Midterm elections verlieren, wie aktuell zu befürchten ist, werden sie weiter zu lame ducks werden - auch klimapolitisch. Und 2024 ist eine Wiederkehr von Trump nicht auszuschließen, auf der Basis von fragwürdigen Praktiken, die jeder republikanischen Stimme ein weit höheres Gewicht geben als den für die Demokraten abgegebenen Voten.

So schwer es manchen Transatlantikern fallen mag: Europa wird klima-außenpolitisch eine eigenständige Politik fortführen müssen, im ständigen Dialog und im engen Austausch mit den Vereinigten Staaten. Doch wo nötig darf es um des Klimas willen den Konflikt nicht scheuen.