Der Weg über die Kommunen: Empfehlungen für die Flüchtlings- und Asylpolitik der EU

Einführung

Die Flüchtlings- und Asylpolitik der Europäischen Union steckt in einer Sackgasse. Die Lasten der Aufnahme von Schutzsuchenden aus den Krisenregionen in Europas Umfeld sind ungerecht verteilt. Eine Zusammenfassung des Policy Papers "Der Weg über die Kommunen: Empfehlungen für die Flüchtlings- und Asylpolitik der EU".

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Die Migrations- und Asylpolitik der Europäischen Union ist in einer tiefen Krise. Alleingänge von Nationalstaaten sind an der Tagesordnung. Ein gemeinsamer «Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts» scheint in weite Ferne gerückt. Auf der Suche nach Ideen, um diesen Trend aufzuhalten, wird in jüngster Zeit vermehrt vorgeschlagen, Städte und Gemeinden in ihren Kompetenzen bei der Aufnahme von Geflüchteten zu stärken.

Besonders prominent vertrat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, aber vor allem auch Gesine Schwan diese Forderungen. Gleichzeitig treibt die EU-Kommission mit diversen Aktivitäten, wie der «Urban Agenda for the EU» den Einbezug der kommunalen Ebene in diversen Politikfeldern voran.

Nicht zuletzt sind es die Kommunen selbst, die sich trotz mangelnder rechtlicher Kompetenzen immer deutlicher in migrationspolitischen Fragen zu Wort melden. Sie haben in den letzten Jahren die Unterbringung und Versorgung Geflüchteter trotz mancher Herausforderung bewältigt. Nun wollen sie auch mitsprechen, wenn es um die Öffnung oder Schließung von Grenzen und die Aufnahme von Schutzsuchenden geht.

Städtenetzwerke wie Solidarity Cities zeugen von diesem Selbstbewusstsein ebenso wie die Angebote der Bürgermeister/innen von Neapel, Barcelona, Bonn und zahlreicher anderer Kommunen, die Passagiere von Rettungsschiffen aufzunehmen. Dieser Vorstoß scheiterte jedoch größtenteils an den jeweiligen nationalen Regierungen. Noch scheinen die Kommunen institutionell zu schwach aufgestellt zu sein, um EU-Asylpolitik wirkungsvoll mitzugestalten. Noch fehlt es an Konzepten, die sowohl innovativ als auch umsetzbar sind.

Hier setzt das vorliegende Papier an. Es zeigt die finanziellen und strukturellen Defizite der Kommunen in der Flüchtlings- und Asylpolitik auf und entwickelt konkrete Ideen, wie Kommunen nachhaltig gestärkt und ihr Potenzial für die Weiterentwicklung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems genutzt werden kann. Kommunen sollen beispielsweise einen verbesserten Zugang zu EU-Fonds und Mitspracherechte bei der Aufnahme von Schutzsuchenden erhalten. Gleichzeitig nehmen die Vorschläge aber auch das Selbstbestimmungsrecht von Schutzsuchenden ernst: Nur wenn Geflüchtete ihren Wohnort selbst mit aussuchen können, wird Sekundärmigration nennenswert reduziert.

Die Empfehlungen können im Einklang mit nationalstaatlicher Politik an die jeweiligen Strukturen und Verfahren im Mitgliedstaat angepasst und umgesetzt werden. Sie wurden mit Expert/innen aus Wissenschaft und Praxis sowie Politiker/innen verschiedener politischer Lager diskutiert. Die Vorschläge lassen sich in drei Gruppen einteilen: die Ausgestaltung europäischer Fonds, die Stärkung von Mehrebenen-Governance sowie die Entwicklung eines kommunalen Relocation-Mechanismus.

Die meisten dieser Vorschläge sind vergleichsweise leicht umsetzbar und versprechen doch eine große Wirkung. Am weitesten geht sicherlich der kommunale Relocation-Mechanismus. Wer Kommunen wirklich in ihrer flüchtlingspolitischen Kompetenz ernst nehmen und nachhaltig stärken will, muss über die Reform bestehender Instrumente hinausgehen. Kommunen mit ihren oft hochengagierten Zivilgesellschaften müssen in die Aufnahme und Umverteilung von Geflüchteten direkt und aktiv einbezogen werden. Dabei müssen sie ermächtigt werden, ihre lokal äußerst unterschiedlichen Gegebenheiten in Aufnahmeentscheidungen einzubringen. Gleiches gilt für die Schutzsuchenden selbst.

Wie funktioniert der Relocation-Mechanismus?

Basis des Relocation-Mechanismus sind kommunal organisierte Unterstützer/innengruppen, angelehnt an Erfahrungen aus privat geförderter Umsiedlung. Wichtigstes Instrument ist ein algorithmengestütztes Matching-Verfahren, bei dem Kommunen wie Geflüchtete Mitsprachrechte haben und zueinander finden, ohne dass wirtschaftliche Interessen dominieren. Kommunen stellen dazu Informationen über Strukturdaten und Integrationsangebote zur Verfügung (u.a. Arbeitsmarkt, Bildung, Wohnraum, Möglichkeiten zur Unterstützung besonders vulnerabler Personen).

Schutzsuchende geben ihre individuellen Integrationsvoraussetzungen (z.B. Bildung, berufliche Kompetenzen, frühere Aufenthalte oder Arbeitsbeziehungen, Sprachkenntnisse, familiäre Beziehungen, Anknüpfungspunkte an Diaspora-Gemeinschaften, besondere Bedarfe vulnerabler Gruppen) sowie ihre Erwartungen und Wünsche an (z.B. ländliches oder städtisches Wohnumfeld, ÖPNV, Freizeitaktivitäten).

Im Abgleich mit den kommunalen Integrationsprofilen wird den Schutzsuchenden eine Auswahl an passenden Kommunen vorgeschlagen, unter denen sie Präferenzen angeben können. Basierend auf diesen Präferenzen und der Verfügbarkeit von Plätzen wird in einer zweiten Stufe des Matching-Verfahrens eine Kommune ausgewählt. Besonders stark wiegt dabei die Vulnerabilität von Schutzsuchenden. Kommunale Unterstützer/innengruppen und Schutzsuchende prüfen in einem letzten Schritt die finale Auswahl. Nach der Zustimmung beider Seiten findet die Umsiedlung statt.

Warum brauchen wir einen Relocation-Mechanismus?

Kommunen erhalten durch das Verfahren die Möglichkeit, Flüchtlingsaufnahme mitzugestalten und sich individuell auf die Aufnahme und Teilhabe konkreter Menschen vorzubereiten. Die Zuwanderung in die Kommune läuft auf diese Weise geregelter und wird als eigene, kommunale Entscheidung wahrgenommen. Die Erfahrung kommunaler «Souveränität» kann das Vertrauen in das lokale, aber auch die darüber liegenden politischen und administrativen Systeme stärken. Auch eine positive Haltung der Bevölkerung gegenüber Schutzgewährung kann so gestärkt werden. 

Ein Matching-Verfahren, das die Bedarfe und Integrationsvoraussetzungen sowohl der Schutzsuchenden als auch der aufnehmenden Kommunen in den Blick nimmt, kann zudem langfristige Integrationsperspektiven und regionale Entwicklungsstrategien in Umsiedlungsprozesse einbringen. Schließlich vergrößert der Einbezug lokaler Unterstützergruppen das Sozialkapital der Geflüchteten und stärkt den sozialen Zusammenhalt vor Ort.

Der vorgeschlagene Mechanismus stärkt somit Handlungsspielräume kommunaler Akteure und Geflüchteter. Eine ausführliche Skizze des Mechanismus, Überlegungen zu Finanzierungsfragen und Anschlussmöglichkeiten an bestehende Programme sowie eine Diskussion möglicher Kritikpunkte finden sich in Kapitel 3.

Jenseits der konkreten Vorschläge will dieses Papier ein klares Signal für eine bessere Zusammenarbeit der politischen Ebenen senden. Die Empfehlungen können helfen, die EU migrationspolitisch neu zu denken. Es ist an der Zeit, Kommunen ernsthaft in die nationale und die EU-Asyl- und Flüchtlingspolitik einzubeziehen. Sie sind bereit dazu! Diese Chance darf die Europäische Union nicht verstreichen lassen.


Das vollständige Paper kann hier kostenlos heruntergeladen werden.