Obamas Kohleausstieg – und was die Deutschen davon lernen können

Aktivist/innen bei einer Demo gegen Kohle in Washington (19.4.2011)
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Seit Obamas Clean Power Plan steht fest: es ist aus mit der Kohle in den USA

Die amerikanische Umweltbehörde EPA (Environmental Protection Agency) hat am 1. Juni verkündet, wie sie in den USA die CO2-Emissionen aus bestehenden Kraftwerken ab 2020 regulieren will. Betroffen sind 1.600 Kraftwerke, darunter sind auch etwa 600 Kohlekraftwerke, die für 40 Prozent der gesamten CO2-Emissionen in den USA verantwortlich sind. Da der US-Kongress sich weiter im Nichtstun übte, machte Obama erneut von seinem Recht aus dem Clean Air Act Gebrauch und nahm die Regulierung des CO2-Ausstoßes selbst in die Hand. Mit diesem Plan wird der Kohleverstromung in den USA – anders als in Deutschland – klar der Kampf angesagt. In Deutschland hat man für das Kohleproblem und die damit verbundenen CO2-Emissionen noch keine nachhaltige Lösung gefunden. Aber das amerikanische Beispiel könnte uns anspornen.

Der nun verkündete Clean Power Plan bringt neuen Schwung in Obamas Energie- und Klimapolitik, die bis dato durch eine eher konturlose "All of the Above"-Strategie beeinflusst war und keine klaren Prioritäten in seiner Energiepolitik setzte. Nun sagt Obama der Kohle den Kampf an: Bis 2030 sollen die CO2-Emissionen um 30 Prozent gegenüber 2005 verringert werden. Dabei geht es um CO2-Intensitätsziele (Anm. die Intensitätsziele koppeln die Emissionsobergrenze an die Wirtschaftsleistung BSP): Jedem Bundesstaat wird von der EPA ein spezifisches Ziel verordnet, dass sich an dem Energiemix sowie den bisherigen Klimabemühungen und dem Potential zur Transformation in eine "low-carbon"-Economy des jeweiligen Bundessstaats orientiert.

Dabei ist 2005 als Basisjahr ein Zugeständnis an die Energieversorger, die damals den historisch höchsten Ausstoß von CO2-Emissionen erreichten und danach wegen Rezession und Schiefergasboom auf inzwischen rund 13 Prozent gefallen sind. Das Zugeständnis ist aber auch ein Signal der EPA an die Energieversorger, dass die Behörde lieber mit ihnen, als gegen sie arbeitet. In den ersten Tagen nach Obamas Klimaankündigung haben auch mehrere Energieversorger positiv und verhandlungsoffen auf den Plan reagiert.

Auch innenpolitisch ist das Vorhaben durchaus geschickt: Anstatt den Bundesstaaten zu befehlen, was sie zu tun haben, lädt der Präsident sie ein, bis 2016 selbst Vorschläge zu machen, wie sie das gesetzte Ziel erreichen wollen. Dabei stehen ihnen mehrere Instrumente zur Verfügung. Sie können die CO2-Intensitätsziele in absolute CO2-Ziele umwandeln und sich an regionalen Emissionshandelssystemen (z.B. dem Regional Greenhouse Gas Initiative – RGGI, oder dem Western Climate Initiative – WCI) beteiligen. Sie können aber auch die Kraftwerkseffizienz erhöhen, den Wechsel von Kohle zu Gas beschleunigen oder verstärkt in erneuerbare Energien und Energieeffizienz investieren.

Das Weiße Haus und die EPA erkennen damit die bisherige Vorreiterrolle der Bundesstaaten bei der Energieinnovation an und bieten ihnen maximale Flexibilität bei der Erreichung ihrer CO2-Ziele. Diese Flexibilität erlaubt den Bundesstaaten, die Vorgaben der EPA individuell zu erreichen, ohne dass dadurch die Strompreise zu sehr ansteigen und das Wirtschaftswachstum stark gehemmt würde. Auch im Hinblick auf die in Klimafragen störrischer Republikaner, die traditionell allen Regulierungsbemühungen Washingtons kritisch gegenüberstehen und den Bundesstaaten sehr viel mehr Macht einräumen wollen, könnte dieser Ansatz für den politischen Prozess auf Bundesebene und die nationale Debatte von Vorteil sein. Umweltschützer hätten sich für den Ausbau der Erneuerbaren Energien ab 2020 weitaus ehrgeizigere Ziele erhofft, besonders angesichts sinkender Technologiekosten von Wind und Solar. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien wird sich jedoch auch über die EPA-Ziele hinaus entwickeln, weil diese Technologien stetig billiger werden und erfolgreich mit herkömmlichen Energieträgern konkurrieren.

Dennoch darf man Obamas politisches Langzeitklimaziel und den Kohleausstieg, auch in ihren Auswirkungen auf den internationalen Klimaprozess, nicht unterschätzen. Es ist das einzige Ziel, das derzeit in den USA politisch realisierbar ist (auch wenn es hinter die Vorhaben des 2008 gescheiterten republikanischen Präsidentschaftskandidaten McCain zurückfällt). Und mit dem Vorangehen der USA wächst auch der Druck auf Groß-Emittenten wie China und Indien, auf deren Engagement es in der internationalen Klimapolitik und dem globalen Klimaproblem vor allem ankommt.

Wie geht es in den USA mit dem Clean Power Plan weiter?

Zunächste gibt es eine 120-tägige Konsultationsphase, in der sich u.a. die Bundesstaaten, die Energieversorger, die Kohleindustrie und eine breite Öffentlichkeit zum Clean Power Plan äußern können. Danach wird die EPA die Kommentare in die Endfassung der Regulierung einarbeiten. Erst wenn diese im Juni 2015 vorliegt, wird es voraussichtlich zu einer Welle von Gerichtsverfahren gegen das Vorhaben kommen. Vorher geht es vor allem darum, die öffentliche Meinung für den Clean Power Plan positiv zu besetzen, insbesondere in Bundesstaaten mit großer Kohleabhängigkeit. Gegner sehen in dem Plan den wirtschaftlichen Niedergang der USA und werfen der EPA vor, ihre rechtlichen Befugnisse zu überschreiten. Das US-amerikanische Industrie- und Handelskammer warnte bereits in der Woche vor Obamas Bekanntmachung vor schlimmen wirtschaftlichen Verlusten – und sprach von jährlichen Verlusten in Höhe von $50 Milliarden. Der Tenor ist dabei immer derselbe: der Clean Power Plan werde die Energiepreise in die Höhe treiben und Arbeitsplätze gefährden.

Bis 2016 haben die Bundesstaaten Zeit, ihre individuelle Strategie als Teil des Clean Power Plans zu entwickeln. Falls sie dies nicht tun, wird ihnen eine von der EPA vorgegeben. Könnte Obamas Nachfolger 2017 das Vorhaben wieder in Frage stellen? Wahrscheinlich ist das nicht. Selbst wenn ein neuer Präsident dies wollte, Industrie und Energieversorger werden ihre bis dahin getätigten Investitionen sicher nicht verlieren. Nach Obamas Vorstoß heißt es nun: US climate policy is here to stay!

Welche Lehren kann Deutschland aus Obamas Kohleausstieg ziehen?

Anders als in den USA, wo die Verstromung von Kohle durch billiges Schiefergas und höhere CO2-Standards für Kraftwerke zunehmend unwirtschaftlich wird, hat Deutschland ein richtiges Kohleproblem, unter dem das nationale und internationale Image der Energiewende zunehmend leidet.

Lektion 1: Das Kohleproblem kann man nur mit effektiven Regulierungen in den Griff bekommen.

In Deutschland ist der niedrige Kohlepreis das eigentliche Problem. Im gegensatz zu den USA ist bei uns Gas viel teurer als Kohle; zudem gibt es hier gegenwärtig keine effizienten Mechanismen, mit denen man den Kohlepreis erhöhen und somit saubereres Gas wettbewerbsfähig machen könnte. Der europäische Emissionshandel war zwar ursprünglich als Dämpfer für Emissionen gedacht, doch ist der gegenwärtige CO2-Preis dank der Eurokrise und der Überallokation von CO2-Zertifikaten so niedrig, dass der Emissionshandel so gut wie keine Auswirkungen auf die Kostenkalkulation der europäischen Industrie und Kraftwerksbetreiber hat. Oft reden sich deutsche Politiker aus der Verantwortung, wenn sie zwar auf die Mängel des europäischen Emissionshandelssystems hinweisen, gleichzeitig sich jedoch nicht in der Lage sähen, daran etwas zu ändern. Das Problem sei schließlich ein europäisches, kein deutsches. Obamas Vorstoß für strengere CO2-Standards Kraftwerken könnte ein Vorbild für das deutsche Kohle- und das damit verbundene CO2-Problem sein.

Lektion 2: Das Kohleproblem muss als Gesundheitsproblem formuliert werden.

Obama hat seinen Clean Power Plan vor allem als Beitrag zur Gesundheit der Bürger verkauft. Damit macht er den Klimawandel für die amerikanische Öffentlichkeit greifbarer und präsenter. Auf die schwerwiegenden Auswirkungen des Klimawandels auf Asthmatiker, insbesondere auf Kinder mit Asthma aus ärmeren Regionen, wies der Präsident in seiner wöchentlichen Ansprache am Wochenende hin, noch vor der Vorstellung seines Klimaplans. In Deutschland dagegen gibt es bislang keine Gesundheitsdebatte zum Kohlethema. Vereinzelte, lokale Gruppen mobilisieren gegen den Bau neuer Kohlekraftwerke - doch ohne bundesweite Resonanz. Wenn auch bei uns die Kohleverstromung als nationales Gesundheitsproblem erkannt und erklärt würde, wäre damit - ähnlich wie beim Atomausstieg - ein politisches Momentum für einen Kohlausstieg geschaffen.

Lektion 3: Mit strikteren CO2-Standards kann man politische Zustimmung gewinnen.

Fünf Monate vor den Midterm-Wahlen im November, bei denen es um die Chancen für die Demokraten nicht gut steht, verkündet der Präsident weitreichende CO2-Standards für bestehende Kraftwerke. Sicherlich haben ihn die Meinungsumfrage der Washington Post und ABC News ermutigt, nach der 70 Prozent aller Amerikaner, davon 63 Prozent Republikaner, eine nationale CO2-Obergrenze für existierende Kraftwerke befürworten. Eine weitere Umfrage besagt, dass der Durchschnittsamerikaner sogar $162 mehr fuer grünen Strom zahlen würde. Allerdings geht der Umwelt-Thinktank Natural Resource Defense Council (NRDC), der maßgeblich an der Gestaltung des Clean Power Plans mitgewirkt hat, von einer Strompreiseinsparung durch höhere Effizienzstandards von $103 pro Haushalt im Jahr aus. In Deutschland sind ca. 80 Prozent der Bürger für eine saubere Energieversorgung, bei der die Kohle keine tragende Säule mehr darstellt. Politiker in Deutschland sollten also – wie Barack Obama - den Mut haben, das Kohleproblem aktiv anzugehen und nicht an die kommende Wahl denken, auch wenn es damit kurzfristig zu Strompreissteigungen kommt. Die Rückendeckung in der Bevölkerung dafür hätten sie.

Lektion 4: Nationale CO2-Ziele bringen neuen Schwung in die internationalen Klimaverhandlungen.

Obamas Anstoß war nicht nur nach innen gerichtet, sondern auch nach außen an große Emittenten wie China und Indien. War es Zufall, dass einen Tag nach Obamas Klima-Bekanntmachung in China die Rede von einem nationalen CO2-Deckel aufkam (zwar noch nicht von der Regierung in Peking sondern von einem Professor, der der Regierung nah steht)? Der Klimawandel ist eben ein globales Problem, das gemeinsam, insbesondere aber von den großen Emittenten, bekämpft werden muss. Zu lange haben sich die USA und China hintereinander versteckt. Nun aber bringt Obamas Klimaplan neuen Schwung in die internationale Debatte und sichert gleichzeitig, dass das in Kopenhagen genannte Reduktionsziel von 17 Prozent CO2-Einsparung gegenüber 2005 bis 2020 erreicht wird.

Das deutsche Jahrhundertprojekt der Energiewende, das großes internationales Interesse auf sich zieht, leidet unter den steigenden Emissionen durch die Kohleverstromung. Deshalb ist es umso wichtiger, dass Deutschland sein das Kohleproblem auf nationaler Ebene in den Griff bekommt, damit die Energiewende auch für andere Länder attraktiv wird. Man kann eben manchmal auch von Amerika lernen!