Grüne Ökonomie – die neue Zauberformel?

Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

22. Februar 2012
Barbara Unmüßig
„Die UNCED soll den Übergang von einem fast ausschließlich auf die Förderung wirtschaftlichen Wachstums ausgerichteten Wirtschaftsmodell zu einem Modell herbeiführen, das von den Prinzipien einer nachhaltigen Entwicklung ausgeht, bei dem der Schutz der Umwelt und der rationellen Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen entscheidende Bedeutung zukommt“.Dies ist ein Zitat aus Resolution 44/228 der UN-Generalversammlung vom 22. Dezember 1989, die den Auftrag für den ersten Rio-Gipfel im Jahr 1992 (UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung – UNCED) formuliert hatte. 20 Jahre später soll es bei der Konferenz der Vereinten Nationen über nachhaltige Entwicklung (UNCSD) vom 20. bis 22. Juni 2012 und wieder in Rio de Janeiro, Brasilien, um Wege zu einer „grünen Wirtschaft im Kontext nachhaltiger Entwicklung und Armutsbekämpfung“ gehen. Ein neuer Anlauf für eine Reform des institutionellen Rahmens für nachhaltige Entwicklung in den UN wird genommen.

Wenn sich Regierungsdelegationen aus aller Welt unter dem Dach der UN zu einer Konferenz zusammenfinden und sich erneut mit dem ökologischen und sozialen Zustand des Planeten befassen, „nachhaltiger Entwicklung“ einen neuen Schub geben und wenigstens das institutionelle Gefüge der fragmentierten UN-Umweltarchitektur stärken wollen, ist das prinzipiell begrüßenswert. Nur, und das lässt sich jetzt schon vorhersagen, eine Ausstrahlung und Dynamik, wie sie der Erdgipfel in Rio 1992 hatte, wird Rio+20 nicht haben. Der Vorbereitungsprozess lahmt und verläuft ohne größere Mobilisierung der Öffentlichkeit und der Zivilgesellschaft. Sie begleitet den Prozess zwar, sieht aber (zu Recht), dass im Kontext einer UN-Konferenz und im Lichte größter politischer und wirtschaftlicher Macht und Interessensunterschiede eine Auseinandersetzung über ein grundsätzlich neues ökonomisches und gesellschaftliches Paradigma als Antwort und Ausweg aus den Mehrfachkrisen (Finanz- und Wirtschaftskrise, Klimawandel, Ernährungssicherheit und Armut) nicht geführt werden kann.

Wachstumskritik und der Ruf nach einem anderen ökonomischen Paradigma, der Wunsch nach neuen Wohlstandsmodellen und anderen Lebensstilen sind Themen nicht nur in gesellschaftlichen Nischen oder akademischen Kreisen. Anknüpfend an die Analysen und Konzepte der siebziger und achtziger Jahre zu den Grenzen des Wachstums und der Suche nach Wegen aus der Wachstumsfalle ist ein neuer Suchprozess zu wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Alternativen zum real existierenden (Finanz)-Marktkapitalismus in Gang gekommen. Neue und alte Vorschläge wie Wohlstand ohne Wachstum oder wie eine Postwachstumsökonomie aussehen könnte – all das wird wieder intensiv diskutiert. Und der Diskurs wird nicht mehr ausschließlich im industrialisierten Norden geführt. Breite gesellschaftliche Debatten um das Konzept wie Buen Vivir, vor allem in Lateinamerika, soziale Bewegungen und kritische Publikationen zur Wirtschaftspolitik, die auch in einigen Schwellenländern öffentlich diskutiert werden, zeigen, dass die Fundamentalkritik am Produktions- und Konsummodell zunimmt und die Suche nach Alternativen wieder Konjunktur hat.

Mitten in diesen Grundsatzdiskurs hinein entfaltet sich seit einiger Zeit die Debatte um die grüne Ökonomie. Sie wird auch von regionalen und internationalen Zusammenschlüssen wie der Europäischen Union, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und einzelnen UN-Organisationen aufgegriffen – als Antwort auf den Klimawandel, auf die Verknappung einiger Ressourcen und (zu Teilen) auf die Ernährungskrise. Die Vorschläge von UNEP und OECD verstehen sich als Beiträge für Rio+20. Sie werden im Folgenden analysiert.

Die Rio+20-Konferenz im Juni 2012 ist nun der prominenteste ‘Auftritt’ für diese Wortschöpfung, von der viele befürchten, sie könnte ‘Nachhaltige Entwicklung’ – das Schlüsselwort von Rio 1992 – verdrängen. Eine ‘Green Economy Roadmap’, verabschiedet auf der Rio+20-Konferenz, soll zum Handeln antreiben – so der Plan und vor allem der Wunsch der EU.

Was grüne Ökonomie ist und sein soll, mit welchen Maßnahmen und Instrumenten sie umgesetzt werden soll, ist undefiniert und politisch hoch umstritten, so wie es auch das Leitbild und Konzept der Nachhaltigkeit in seinen drei Dimensionen seit dem Erdgipfel 1992 war und ist. Das UN-Umweltprogramm (UNEP) nimmt bei der Formulierung des Konzepts der grünen Ökonomie eine Schlüsselrolle ein. Mit dem ‘Global Green New Deal’ forderte UNEP bereits im Jahr 2008 dazu auf, staatliche Investitionsprogramme zur Ankurbelung der Weltwirtschaft von vornherein auf grüne Investitionen auszurichten und so den Übergang in eine kohlenstoffärmere Welt einzuleiten. Das UNEP ist außerdem seit Jahren federführend in der Debatte um die Einführung marktbasierter Instrumente beim Ökosystemschutz. Ob beim Waldschutz oder der Artenvielfalt insgesamt: Das UNEP will Ökosysteme schützen, nicht nur indem es seine Dienstleistungen für die Menschheit und die direkt von ihnen lebenden Menschen wertschätzt (und beispielsweise in die Berechnungen des Bruttosozialprodukts einbeziehen will). Das UNEP will den Ökosystemdienstleistungen einen Marktwert geben und nachhaltig in sie investieren: „A green economy regognizes the value of, and invests in, natural capital“.

Die OECD, der Zusammenschluss der Industrieländer, diskutiert seit 2009 über eine grüner ausgerichtete Wachstumsstrategie. Insgesamt sind dies also keine schlechten Ausgangsbedingungen, sich unter den UN-Mitgliedstaaten über die strategische Ausrichtung und Prioritäten einer grünen Ökonomie auszutauschen. Und es ist höchste Zeit, sich politisch und öffentlich mit den diversen Konzepten auseinanderzusetzen.

Grüne Ökonomie à la UNEP

Die wichtigste Initiative für den Aufbruch in eine grüne Ökonomie geht seit dem Jahr 2008 vom UNEP und seiner ‘Green Economy Initiative’ aus. Neben der großen TEEB-Studie, unter Federführung von Pavan Sukhdev, ist der umfangreiche im Februar 2011 vorgelegte Bericht ‘Towards a Green Economy – Pathways to Sustainable Development and Poverty Eradication’ Kernstück dieser Initiative. Er ist explizit als wichtigster Input für Rio+20 gedacht und findet auch seinen Niederschlag im Bericht des Generalsekretärs an den Vorbereitungsausschuss der Rio+20-Konferenz. Er bündelt Analysen und Empfehlungen für eine nachhaltigere Entwicklung und eine grünere Ökonomie. Der Bericht rechnet hoch, was grüne Investitionen im Gegensatz zu Investitionen in ‘business as usual’ an positiven Effekten bezogen auf Beschäftigung, Ressourcenintensität, Emissionen und Umweltwirkungen insgesamt bringen könnten.

Das UNEP schlägt zielgerichtete Investitionen in zehn Schlüsselsektoren vor (unter anderem Energie, Landwirtschaft, Stadtentwicklung, Wasser, Forstwirtschaft, Fischerei, Ökosystemschutz), die schnell und effektiv den Einstieg in eine grünere und armutsorientierte Entwicklung bringen sollen und belegt das eindrucksvoll mit Fakten und Modell-Berechnungen. Mit jährlich zwei Prozent der derzeitigen globalen Wirtschaftsleistung (etwa 1,3 Billionen US-Dollar) sollen diese Investitionen finanziert werden. Das reiche für einen wirkungsvollen Antrieb für eine kohlenstoffärmere und ressourceneffizientere Weltwirtschaft aus. Der Schwerpunkt der Investitionen liegt mit 360 Milliarden US-Dollar auf dem Energiesektor, mit erneuerbaren Energien sowie ökologischer und armutsorientierter Energieversorgung im Mittelpunkt. Gefolgt vom ökologischen Transport und Bauwesen (190 beziehungsweise 134 Milliarden US-Dollar), ökologischer Fischerei und Landwirtschaft (110 beziehungsweise 108 Milliarden US-Dollar). Diese Investitionen sollen vor allem Arbeitsplätze schaffen, mehr als dies ‘Business as usual’-Investitionen vermögen – so die UNEP-Prognose.

Diese Investitionen sollen durch ein Bündel von Maßnahmen, Instrumenten und politischen Rahmenbedingungen befördert und begleitet werden. Und hier findet sich – allgemein und abstrakt, keineswegs länderbezogen – alles, was aus 40 Jahren Umweltpolitik an Instrumenten unter dem Stichwort ökologischer Modernisierung und Marktwirtschaft firmiert. Der ganze ‘Policy Mix’ aus Verboten, öko-sozialen Standards und ökonomischen Instrumenten wie Steuern, Abgaben, handelbare Zertifikate tauchen hier für die verschiedenen Sektoren auf. Für die Rahmenbedingungen (enabling conditions) sind Regierungen verantwortlich, die darüber hinaus auch als staatliche Beschaffer eine wichtige Vorbild- und Nachfragefunktion beim Einkauf nachhaltiger Produkte einnehmen sollten.

Das UNEP unterstreicht vor allem das Potenzial, das die Streichung ökologischer und auch sozial schädlicher Subventionen für die effizientere Ressourcennutzung und für das Freisetzen von finanziellen Mitteln für die öko-soziale Entwicklung hat. Allein die Subventionen für fossile Brennstoffe werden weltweit auf bis zu 600 Milliarden US-Dollar geschätzt. In der Fischerei sind es 27 Milliarden US-Dollar Subventionen – ein großer Teil davon ist mitverantwortlich für die Überfischung. Von den Subventionen bei Wasser, Energie oder Fischfang, so UNEP, profitieren in der Regel eben nicht die Armen und Ärmsten. Falls es doch zu sozialen Disparitäten durch die Streichung von Subventionen kommt, plädiert das UNEP für sozial-angepasste Ausgleichszahlungen an betroffene Bevölkerungsgruppen (was allerdings funktionierende staatliche Institutionen voraussetzt, die das organisieren können).

Das UNEP definiert grüne Ökonomie als eine Wirtschaft, die zu einem größeren Wohlstand der Menschheit und zu mehr sozialer Gerechtigkeit führt und gleichzeitig ökologische Risiken und Ressourcenknappheiten verringern beziehungsweise nachhaltig zu bewirtschaften hilft. Die Entkoppelung des Rohstoff- und Energieverbrauchs vom Wirtschaftswachstum ist explizit als Ziel genannt (ungeachtet der Frage, ob dies überhaupt möglich ist). „In einer ökologischen Marktwirtschaft geht es nicht darum, Wachstum und Wohlstand zu bremsen, sondern vielmehr um eine Neubesinnung darauf, was wahrer Wohlstand bedeutet“ – so Pavan Sukhdev, Leiter der ‘Green Economy Initiative’ des UNEP und für diese Aufgabe abgeordnet von der Deutschen Bank. Eingereiht in die ökologische Marktwirtschaft à la UNEP sind auch die Forderungen und Empfehlungen, mehr in die sogenannten Ökosystemdienstleistungen zu investieren. Diese sind aus UNEP-Sicht ein ökonomisch völlig unterbewerteter Wirtschaftsfaktor: „Diese sogenannten Ökosystemdienstleistungen sind zumeist öffentliche Güter und Dienstleistungen, deren wirtschaftliche Unsichtbarkeit bislang der Hauptgrund für ihre Unterbewertung, ihr Missmanagement und letztlich ihren Verlust war“. Dieses ‘Naturkapital’ gelte es für die grüne Ökonomie zu heben. REDD (Reducing Emissions from Deforestation and Degradation) – seit den Klimaverhandlungen in Bali (2007) ein vieldiskutiertes Instrument im globalen Waldschutz – ist für das UNEP eine einzigartige Gelegenheit, nicht nachhaltige Waldnutzung (Abholzungen für Holzhandel und Viehzucht) in grüne Nutzung umzuwandeln, indem endlich die Wald- und Landnutzer/innen für ihre Ökodienstleistungen bezahlt werden.

Der Bericht betont immer wieder die positiven Wachstums- und Beschäftigungseffekte, die grüne Investitionen in einigen Schlüsselsektoren und Ökosystemdienstleistungen auslösen und gleichzeitig die Umwelt schonen. Das UNEP will vor allem bei Regierungen im globalen Süden mit dem Vorurteil beziehungsweise Mythos aufräumen, dass Umweltinvestitionen auf Kosten des Wirtschaftswachstums gingen und Ökologie und Ökonomie im Widerspruch zueinander stünden. Grüne Ökonomie sei eben kein Luxus, den sich nur reiche Industrieländer erlauben können, sondern ein Wachstumsmotor und erfolgreicher bei der Armutsbeseitigung als es ‘braune’ und ‘Business as usual’-Investitionen sind.

Konzept mit begrenzter Reichweite

Was hier empfohlen und vorgeschlagen wird, ist beileibe kein neues umfangreiches ökonomisches Paradigma, das die Frage danach stellt, wie eine Ökonomie aussehen soll, die in ein endliches Ökosystem hineinpasst und wohlstandsfördernd wie armutsmindernd sein soll. Es ist nichts, das den konventionellen Imperativ nach Wachstum grundsätzlich in Frage stellte. Im Gegenteil, der wachstumsfördernde Charakter grüner Investitionen wird explizit herausgestellt. „Mit Hilfe von Umwelttechnologien und einer ressourceneffizienten Wirtschaftsweise soll der Kapitalismus zukunftsfähig gestaltet werden“. Das Grüne-Ökonomie-Konzept à la UNEP enthält nichts, was die (Welt)-Wirtschaft revolutionieren könnte; kein umfassendes Konzept, das die wesentlichen makroökonomischen Parameter (Geld-, Währungs- und Handelspolitik) in eine öko-soziale Richtung transformiert. Überhaupt nicht mutig zeigt sich das UNEP, wenn es darum geht, neue Finanzquellen für die Investitionen einer grünen Ökonomie einzufordern. Hier hätte das UNEP wunderbar die von ihm zu Recht propagierte Synergie zwischen Ökonomie und Ökologie unter Beweis stellen können. Denn Luft- und Schifffahrtsabgaben können einerseits eine ökologische Lenkungswirkung haben und andererseits Finanzmittel erwirtschaften, die in den ökologischen Umbau zu Hause oder im Süden fließen können.

Die größten Defizite des vorgelegten Berichts sind:

  • Das UNEP legt seiner Definition keine völkerrechtlichen Prinzipien, Rechte und Normen zugrunde (allgemeine Menschenrechte, Recht auf Wasser, Recht auf Nahrung, Umweltvölkerrecht), an das eine grüne Ökonomie gebunden sein muss. Der schlichte Verweis auf die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit reicht hier längst nicht mehr aus. Seit dem Rio-Gipfel 1992 sind gerade im Bereich der weiteren Ausarbeitung und Kodifizierung von umwelt- und sozialbezogenen Menschenrechten große Fortschritte erzielt worden. Die soziale Dimension wird fast ausschließlich im Kontext des Arbeitsmarkts und der potenziellen Armutsminderung gesehen. Soziale und politische Rechte umfassen aber weit mehr. Ein geschlechterdifferenzierter Blick fehlt gänzlich.
  • Der UNEP-Bericht versäumt es überdies, sich in seiner Definition einer grünen Ökonomie von der nicht-nachhaltigen, schmutzigen und schädlichen Ökonomie durch entsprechende Prioritätensetzung abzugrenzen. Zum Beispiel: grüne Ökonomie verdient das Adjektiv ‘grün’ unter anderem nur ohne Atomkraft, ohne Teersande, ohne genetisch veränderte Organismen und ohne Monokulturen. Das UNEP bleibt dem Mythos der ‘Win-win’-Strategien verhaftet und umschifft klare Aussagen zum politischen Umgang mit den größten Umweltverschmutzern und Ressourcenausbeutern. Es setzt keine Prioritäten (außer beim Subventionsabbau), worin unbedingt nicht mehr investiert werden sollte. Grüne Ökonomie so verstanden ist dann eher eine zusätzliche Strategie und nicht das grundsätzliche ökonomische Verständnis.
  • Widersprüche zwischen dem Handelsregime und dem ökologischem Umbau werden nur ansatzweise betrachtet. Wie das gegenwärtige internationale Finanzsystem radikal reformiert werden müsste, um den Zielen einer grünen, nachhaltigen armutsorientierten Entwicklung zu entsprechen, wird nicht in den Blick genommen und mit Vorschlägen bedacht.
  • Das UNEP propagiert marktbasierte Instrumente wie den Emissionshandel oder REDD+ schon fast als Allheilmittel. Sie sind aber längst, was ihre ökologische und soziale Wirkung betrifft, in der Kritik – grundsätzlich und was deren konkrete Ausgestaltung angeht (etwa grundlegende Reform des Emissionshandels). Die schärfste Kritik ist, natürliche Ressourcen zu merkantilisieren, sie für die Privatwirtschaft attraktiv zu machen und sie so der kommerziellen Ausbeutung preiszugeben. Als neue Stufe der Privatisierung und Kommerzialisierung der Natur wird die Inwertsetzung der sogenannten Umweltdienstleistungen – wie das UNEP sie nennt – sogar von einigen Regierungen, wie der bolivianischen, und von zivilgesellschaftlichen Organisationen heftig angegriffen. Statt Ressourcen gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung gegen kommerzielle Interessen zu schützen, würde Natur in Ware umgewandelt und nicht selten die lokale Bevölkerung vertrieben. Zwischen indigenen Bevölkerungsgruppen, nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) und einzelnen Regierungen sind zu diesem Konzept längst kontroverse Auseinandersetzungen im Gange.
  • Das UNEP richtet sein Investitionsprogramm fast ausschließlich an den globalen Süden. Die Handlungsfelder sind entsprechend ausgerichtet. Dort für Akzeptanz zu werben, dass es sich auch wirtschaftlich lohnt, auf einen grüneren Entwicklungspfad einzuschwenken, ist durchaus eine richtige Strategie. Jedoch verstehen ganz offensichtlich die Industrieländer das UNEP-Konzept der grünen Ökonomie nicht auf sie selbst gerichtet, sondern eher als Umwelt- und Entwicklungsprogramm für den Süden (mit allen Investitionsopportunitäten). Damit zementiert das UNEP sein Image als Akteur für Umweltfragen ausschließlich für den globalen Süden, statt den Industrieländern klare Prioritäten (und Normen und Prinzipien) für das Handeln vor der eigenen Tür ins Stammbuch zu schreiben.

Das grüne Ökonomiekonzept des UNEP ist konzeptionell also eng begrenzt. Es ist aber ein Investitionsprogramm (inklusive nützlicher Vorschläge für politische Rahmenbedingungen), welches – würde es umgesetzt – das globale Bruttosozialprodukt tatsächlich etwas grüner, weniger kohlenstoff- und ressourcenintensiv machen würde. Das ist bei allen Defiziten durchaus zu begrüßen. Für das UNEP, das ein UN-Programm und nicht einmal eine UN-Sonderorganisation ist, ist das durchaus mutig und weitreichend. Das UNEP ist gleichzeitig in der UN-Familie die einzige Organisation, die ein durchdachtes und an wirtschaftlichen Prioritäten orientiertes Projekt vorgelegt hat. Es könnte – den politischen Willen der Mitgliedstaaten vorausgesetzt – eine angemessene Beratungsvorlage für die Rio+20-Verhandlungen sein (Näheres dazu weiter unten).

Grüne Ökonomie = umweltverträgliches Wachstum: die Debatte in der OECD

Auf einer Tagung des Rates der OECD auf Ministerebene im Juni 2009 erteilten 34 Minister das Mandat, eine Strategie für umweltverträgliches Wachstum zu entwickeln. Im Mai 2011 legte die Organisation das Konzept dafür vor. Auch dieses Konzept sieht sich als wesentlicher Beitrag zu den Rio+20- Verhandlungen. Ausgangspunkt der Überlegungen ist das Risiko des Klimawandels und die Sorge um die drastische Verringerung von manchen Rohstoffen und Ressourcen, wie dem ungebremsten Verlust der biologischen Vielfalt, der Überfischung, der Verknappung von Wasser und Boden. „Wir brauchen ein umweltverträgliches Wachstum, weil die Risiken für die Entwicklung stetig zunehmen, wenn das Wirtschaftswachstum weiter am Naturkapital zehrt“, heißt es in dem Bericht. Neue Wachstumsquellen sollen erschlossen werden durch die Steigerung der Produktivität (Effizienz beim Energieverbrauch und der Ressourcennutzung), durch Innovationen (neue Formen der Wertschöpfung zur Bewältigung von Umweltproblemen) und neue Märkte (Nachfrageankurbelung umweltfreundlicher Technologien, Produkte und Dienstleistungen). Die Strategie für umweltverträgliches Wachstum soll wie eine Linse wirken, „durch die das Wachstum betrachtet“ wird, und verhindern, „dass kritische Umweltgrenzwerte auf lokaler, regionaler und globaler Ebene überschritten werden“. Durch Innovationen könne diese Grenze immer weiter hinausgeschoben werden und so dazu beitragen, „Wirtschaftswachstum vom Verbrauch von Naturkapital zu entkoppeln“. Investitionen zur effizienteren Nutzung des Naturkapitals werden deshalb als essenziell betrachtet, um die Rohstoff- und Ressourceninputs für die Wirtschaft zu sichern. Die Internalisierung von Umweltkosten wird als Anreiz zur Innovation befürwortet (Preis für CO2 auf hohem Niveau), umweltschädlicher Subventionsabbau ebenso. Der Ausbau der erneuerbaren Energien und Umwelttechnologien wird viele Millionen neuer Arbeitsplätze schaffen – im Bereich der Erzeugung und Verteilung erneuerbarer Energie schätzt die OECD, dass „bis 2030 bis zu 20 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden“ könnten.

Manches an dieser umweltverträglichen Wachstumsstrategie ist bemerkenswert, insbesondere der Ruf nach konsequenterer Internalisierung der Umweltkosten oder die Anmerkung, dass marktbasierte Instrumente „nicht in allen Situationen die optimale Lösung“ sind, „[i]n manchen Fällen können gut konzipierte Vorschriften […] ein geeigneteres Instrument sein“. Das gute ordoliberale Prinzip der Rahmenbedingungen, die Vertrauen, Sicherheit und Planbarkeit schaffen, findet sich in der OECD-Strategie erwartungsgemäß wieder. Wenn, wie geplant, diese Strategie nun Eingang finden soll in die OECD-Länderberichte und weitere sektorbezogene Studien mehr Präzision bringen sollen, dann ist das ein kleiner Fortschritt gegenüber der blanken ‘Wachstum über alles’-Strategie. Die Sorge um die Verknappung wichtiger Produktionsfaktoren ist wirtschaftlich ja wahrlich eine Bedrohung. Sie zu überwinden, gilt als machbar.

Passend zur OECD-Strategie hat im November 2011 das ‘McKinsey Global Institute’ ein Papier zur Ressourcenrevolution vorgelegt. Auch hier steht die Warnung im Mittelpunkt, dass die Verknappung der Ressourcen zum einen zu massiv höheren und außerdem volatilen Preisen führt und zum anderen wichtige Produktionsfaktoren ganz ausfallen könnten. Auch hier ist die ausschließliche Antwort: Produktivität, Effizienz, Innovationen und Investitionen in Billionenhöhe vor allem in das „Ressourcensystem“, um zukünftige Ressourcennachfrage zu sichern. Den „Herausforderungen“ (hohe Kosten für Energie und Rohstoffe) werden die vielfältigen ökonomischen „Chancen“, die der Wirtschaft das Leuchten ins Gesicht treiben sollen, gegenübergestellt.

Wie bei der UNEP-Strategie gilt jedoch bei der OECD erst recht: Die Technologie- und Innovationsoptionen stehen im Vordergrund. Die Hoffnung liegt auf absoluter Entkoppelung; sie ist Teil des Glaubensbekenntnisses, obwohl die Mehrheit der Untersuchungen zeigen, dass es bislang eine absolute Entkoppelung des Bruttoinlandsprodukts vom Ressourcenverbrauch gar nicht gibt. Entkoppelung ist unbedingt notwendig, die „absolute Senkung des Ressourcenverbrauchs ist dringend erforderlich. Die Frage ist: Wie lässt sie sich erreichen? Wie viel Entkoppelung ist technologisch und wirtschaftlich machbar?“.

Die Effizienzrevolution als Geschäftsfeld zu beschreiten und zu befördern, ist deshalb richtig. Aber sie wird erstens als das Allheilmittel propagiert, obwohl klar ist, dass wir – so effizient wir sein mögen – ohne zu schrumpfen, anderes Wirtschaften und andere Lebensstile wohl kaum in den ökologischen Grenzen bleiben können. Zweitens wird die Effizienzrevolution als etwas beschrieben, das komplett ohne potenziell negative soziale Wirkungen auskommt und ökologisch nur ‘Win-win’-Effekte produziert. Spätestens mit dem massenhaften Anbau von Pflanzen für die Treibstoffproduktion statt für die Ernährung dürfte klar sein, dass auch sogenannte grüne Investitionen eine soziale und Technikfolgenabschätzung brauchen und vor allem demokratische Kontrolle und Teilhabe durch die Bevölkerungen. Grüne Ökonomie braucht zum einen einen klaren sozialen Kompass mit Verteilungsmaßnahmen zugunsten der breiten Bevölkerung und des unteren Fünftels der Armen in jeder Gesellschaft sowie zugunsten der Armen in Entwicklungs- und Schwellenländern und zum anderen die demokratische Kontrolle und gesellschaftliche Mitsprache. Keines der Konzepte – von UNEP bis OECD – leistet dies in angemessener Weise.

Grüne Ökonomie in den Rio+20-Verhandlungen

Das UNEP und die OECD verstehen ihre Konzepte zur grünen Ökonomie als Grundsatzbeiträge für die Rio+20-Verhandlungen. Finden deren Ansätze, Empfehlungen und Vorschläge dort überhaupt Widerhall? Wie werden sie aufgenommen und bewertet?

Vorneweg: Wenn sich die UN-Mitgliedstaaten tatsächlich auf eine ‘Green Economy Roadmap’ mit umfassenden Zielvorgaben und einem Zeitplan für eine klima- und umweltverträgliche Entwicklung verständigen könnten, wäre das zum Beispiel ein Schritt nach vorne bei der „Dekarbonisierung der Weltwirtschaft“. Für die UN, die viel an normsetzender Kraft im Bereich nachhaltige Entwicklung verloren haben, wäre dies ein Bedeutungsgewinn. Was die institutionellen Reformen angeht, ist offen, ob es wirklich zu einschneidenden Reformen und damit einer Stärkung der UN-Umwelt-Architektur kommt. Immerhin könnte es einen Konsens zur Aufwertung von UNEP geben. Der Rio+20-Vorbereitungsprozess macht indessen, was die grüne Ökonomie angeht, keine Hoffnungen auf konkrete Vereinbarungen oder Beschlüsse.

Durch alle Verhandlungen zieht sich eine große Skepsis gegenüber dem Konzept der grünen Ökonomie vor allem seitens der Entwicklungs- und Schwellenländer. Ist die grüne Ökonomie nicht doch ein Hindernis für Wachstum und Armutsbeseitigung? Ist grünes Wachstum nicht langsamer als ‘normales’?

Ist es nicht eine Erfindung der Industrieländer, um deren neue grüne Geschäftsfelder global zu vermarkten? Ist ein grüner Protektionismus zu befürchten? Wer sind die Gewinner und Verlierer der grünen Ökonomie? Alle diese Fragen werden auch im Bericht des UN-Generalsekretärs für das zweite Vorbereitungstreffen für Rio+20 im März 2011 und im ersten Entwurf für das Abschlussdokument vom Januar 2012 gestellt und durchziehen seit längerem die regionalen und globalen Vorbereitungen. Ob überhaupt so etwas wie eine ‘Green Economy Roadmap’, wie sie zum Beispiel die EU im Vorbereitungsprozess befürwortet, zustande kommt, steht in den Sternen. Einen Konsens, eine gemeinsame Definition, was grüne Ökonomie sein und leisten soll, scheint nicht in Sicht.

Auch Martin Khor, Leiter des von Entwicklungsländern finanzierten ‘South Centre’ in Genf, hat bereits Mitte 2011 seine Überlegungen zum Konzept der grünen Ökonomie vorgelegt. Seine Kritik ist auch in den Entwurf des Rio+20-Abschlussdokuments eingeflossen.

Khors Kritik enthält viele gute und wichtige Anregungen für eine nachhaltige Entwicklung, vor allem wenn er deren soziale Dimensionen betont, auf Menschenrechten basierende Entwicklungsansätze und die Armutsorientierung jeder ökonomischen Strategie einfordert. Eine ausführliche Beschäftigung mit dem UNEP-Bericht zur grünen Ökonomie hat das ‘South Centre’ leider bislang nicht geleistet. Zum Zeitpunkt des vielzitierten Beitrags lag der UNEP-Bericht bereits vor ebenso wie die ‘Green Growth’-Strategie der OECD, auf die er ebenfalls keinen Bezug nimmt.

Die Kritik, die Martin Khor übt, ist in vielen Punkten überholt, orientiert sich noch an den politischen und ökonomischen Machtverhältnissen, die um den Erdgipfel 1992 bestanden haben. Statt zu einer Definition einer grünen Ökonomie beizutragen und deren Potenzial für ökologische und gerechte Entwicklungspfade herauszudestillieren, werden alte Schemata des Nord-Süd-Konflikts gepflegt. So wird grüne Ökonomie als ein Deckmantel für protektionistische Interessen des Nordens kritisiert. Khor weist zu Recht darauf hin, dass grüne Ökonomie nicht zu neuen Handelsverzerrungen und neuen Barrieren für Importe aus den Entwicklungsländern führen darf. Es ist richtig, die bi- und multilateralen Handelsabkommen auch in dieser Hinsicht abzuklopfen. Doch längst sind es nicht nur die Industrieländer, die mit grünen Technologien weltweit handeln (oder in sie investieren). Die chinesischen Solarhersteller sind Weltmarktführer. Auch wenn es stimmt, dass der Norden für den Klimawandel, die Umweltverschmutzung und den Verlust der Artenvielfalt hauptverantwortlich ist, zuerst und sofort handeln muss und Kompensationen leisten sollte, so ist es angesichts der ökonomischen Dynamik im Süden unverantwortlich, die Regierungen zu schonen und so zu tun, als trügen sie keine eigene Verantwortung, sorgsam mit ihren Ressourcen für heutige und zukünftige Generationen umzugehen.

Das UNEP hat mit seinem Bericht wichtige sektorbezogene Potenziale der grünen Ökonomie aufgezeigt. Nicht einmal dieses Investitionsprogramm des UNEP scheint konsensfähig unter Schwellen- und Entwicklungsländern zu sein. Es wäre wünschenswert, wenn das ‘South Centre’ die Defizite des UNEP konstruktiv kritisieren würde und damit gleichzeitig dazu beitragen würde, Akzeptanz für grüne, kohlenstoffärmere und ressourceneffizientere Entwicklungspfade zu schaffen.

Schlussbemerkung

Die Vorbereitungsdokumente für Rio+20 erinnern an die Definition von nachhaltiger Entwicklung aus der Agenda 21 und der Rio-Erklärung der Konferenz von 1992 und knüpfen daran an. Die Gerechtigkeit zwischen und innerhalb von Generationen sowie die soziale Dimension von Entwicklung immer wieder zu betonen, ist richtig. Der Rio+20-Diskurs und die Überlegungen und Vorschläge zu einer grünen Ökonomie vom UNEP bis zur OECD nehmen immer wieder Bezug auf die Klima-, Ernährungs- und Ressourcenkrise. Rio+20 wäre somit eine große Chance, Prioritäten zu deren Lösung festzulegen. Vorschläge hierzu liegen zu Hauf auf dem Tisch. Wer der Überfischung Einhalt gebieten will, muss die Fangquoten strengstens begrenzen. Wer dem Klimawandel begegnen will, muss die Treibhausgas-Emissionen schnell und drastisch verringern. Wer die gesamte Menschheit ernähren will, hat mit dem Weltagrarbericht des Weltagrarrats (IAASTD) ein Konzept, das sozial und ökologisch die (Welt)-Landwirtschaft umgestalten hilft. Wer die Entwaldung aufhalten will, muss entsprechende Gesetze erlassen und sie vor allem umsetzen, und den illegalen Holzhandel strafrechtlich verfolgen.

Gemessen an den Herausforderungen kommen die offiziellen politischen Antworten darauf sehr bescheiden daher. Manche nationalen politischen Entscheidungen für den Ausbau der erneuerbaren Energien, ob in der EU oder in China, gehen weiter als die kleinmütige Positionierung, wie sie sich im Vorbereitungstext von Rio+20 wiederfindet. Aber ökonomische Pioniere für mehr Nachhaltigkeit gibt es zum Glück überall auf der Welt. Rio+20 braucht keine Wiederholungen aus vorangegangen Weltkonferenzen, sondern einen echten Aufbruch in eine soziale, gerechte, kohlenstoffarme und ressourceneffiziente Welt.

Einen ernstgemeinten politischen Willen dazu scheint es weder im Norden noch im Süden dafür zu geben. ‘Business as usual’, der ‘braune’ und ressourcenintensive Entwicklungspfad dominiert. Rio+20 wird dem nicht viel entgegenzusetzen haben, wenn selbst so begrenzte ‘ergrünte’ Programme wie das des UNEP kaum eine Chance haben, sich als Aktionsprogramm (oder als ‘Green Economy Roadmap’) durchzusetzen.

Längst gibt es politische Akteure in allen Gesellschaften der Welt, die nicht nur diskutieren, sondern Handeln, anders leben, anders produzieren und sich gegen all die politischen, gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Fehlentwicklungen zur Wehr setzen. Das macht Hoffnung.

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Wir veröffentlichen diesen Beitrag mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift "Vereinte Nationen", in der dieser Text zuerst erschienen ist.

Bitte verwenden Sie folgende Quellenangabe: Unmüßig, Barbara 2012:  Grüne Ökonomie – die neue Zauberformel? Erwartungen an die Rio+20 Konferenz, in: Zeitschrift Vereinte Nationen, Ausgabe 1/2012, 60. Jahrgang, S. 3 – 9.


Dossier

20 Jahre nach dem ersten Erdgipfel wird sich die Weltgemeinschaft vom 4. bis 6. Juni 2012 erneut in Rio de Janeiro treffen. Für die Stiftung ist Rio 2012 Anlass und Gebot, sich aktiv in die politischen Debatten und die Suche nach Lösungen für die drängendsten Probleme unserer Zeit einzumischen.

Barbara Unmüßig

Barbara Unmüßig ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Sie hat zahlreiche Zeitschriften- und Buchbeiträge zu Fragen der internationalen Finanz- und Handelsbeziehungen, der internationalen Umweltpolitik und der Geschlechterpolitik veröffentlicht.