Investitionen in die grüne Transformation weltweit erhöhen auch unsere Sicherheit

böll.kolumne

Die Krisen und Kriege unserer Zeit lassen sich ohne internationale Zusammenarbeit nicht lösen. Deswegen ist es falsch, weniger Geld für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe auszugeben. Es schadet letztlich auch uns.

Imme Scholz

Die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) hat am vergangenen Wochenende deutlich gemacht, dass ohne einen starken multilateralen Rahmen weder akuten Krisen wie in der Ukraine oder in Gaza und Israel begegnet werden kann, noch größere Transformationsaufgaben wie die Klimakrise bewältigt werden können. Wachsende geopolitische Spannungen, ökonomische Unsicherheit und sozialer Strukturwandel lassen in vielen Ländern politische Kräfte erstarken, die sich auf nationalistische Diskurse zurückziehen und internationale Zusammenarbeit als elitäre Veranstaltung diskreditieren. Dies schwächt demokratische Institutionen und die multilaterale Ordnung und damit auch jede grüne Transformationsagenda.

Um die multilaterale Problemlösungsfähigkeit wieder zu stärken, müssen die Länder des Westens mit denen Lateinamerikas, Asiens, Afrikas und des Nahen Ostens zusammenarbeiten. Sie sind unverzichtbar für die Bekämpfung der Ursachen globaler Krisen, als Handelspartner und um Kriege und Konflikte zu bewältigen und zu lösen, für die der Westen alleine nicht  ausreichend Kraft und Legitimität hat. Dabei geht es sowohl um die sogenannten Mittelmächte  – wie Brasilien, Indien, Mexiko, Saudi-Arabien, die Türkei – als auch um Länder mit weniger internationalem politischem Gewicht. Viele von ihnen rechnen sich nicht „dem Westen“ zu, aber sie sind auch nicht anti-westlich eingestellt, wie der indische Außenminister Jaishankar es für sein Land in München beschrieb.

Finanziert werden derartige Kooperationen vor allem über die Entwicklungszusammenarbeit und genau hier hat der Bundestag im Haushalt 2024 massive Kürzungen vorgenommen.  Und nicht nur im Entwicklungsministerium - laut SPIEGEL schrumpft der Etat dieses Ministeriums im Vergleich zum Vorjahr mit 940 Millionen Euro am stärksten. Das Auswärtige Amt hat rund 770 Millionen weniger zur Verfügung, vor allem für humanitäre Hilfe. Der Etat des Bundeswirtschaftsministeriums sinkt um 200 Millionen Euro.

Das ist ein falsches Signal.

Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe sind nicht „nice to have“, sondern notwendige Investitionen in die Kooperation für menschliche Sicherheit, für Klima- und Umweltschutz, Menschenrechte, Demokratie und Frieden. Die neue nationale Sicherheitsstrategie von 2023 bezeichnet diese Handlungsfelder daher auch ganz richtig als wesentliche Elemente eines neuen Sicherheitsverständnisses und einer neuen Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert.

Das bedeutet: Auch wenn die deutsche und europäische Verteidigungsfähigkeit gestärkt und optimal aufgestellt ist, wird sie auf diese Formen der Kooperation nicht verzichten können, und sie kann sie auch jetzt nicht vernachlässigen. Notwendig gewordene Abschreckung und diese Investitionen in ein erweitertes Sicherheitsverständnis sollten vielmehr parallel und komplementär zueinander aufgebaut werden, nicht gegeneinander aufgerechnet.

So erklärt sich auch, warum der Aufruf namhafter Politiker*innen vergangener Regierungskoalitionen für die Aufstockung des Entwicklungsbudgets auch von Christoph Heusgen, dem Vorsitzenden der Münchner Sicherheitskonferenz, unterzeichnet worden ist.

Um durch Kooperation das Vertrauen in Deutschland, Europa und allgemein in die multilaterale Ordnung zu stärken, sind neue Ansätze nötig, die auf gemeinsamen Nutzen und Interessensausgleich abzielen. Beispiele sind mehrjährige Kooperationen für den Um- und Ausbau der Energieversorgung hin zu erneuerbaren Energien mit Indien oder Südafrika, oder Rohstoffpartnerschaften, die nicht nur den Zugang zu kritischen Ressourcen sichern, sondern Wertschöpfung vor Ort schaffen, mit guten Arbeitsbedingungen und ohne die Umwelt zu zerstören. Hier sind auch andere Ressorts gefordert: Handelspolitik, Forschungs- und Technologiekooperationen sowie Zusammenarbeit für Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung.

Aber auch Solidarität müssen wir ganz konkret zeigen und finanzieren können: Nach UN-Angaben werden dieses Jahr 300 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen sein – diese Zahl hat sich zwischen 2014 und 2023 vervierfacht. Angesichts der Kriege in Gaza, Sudan und der Ukraine sowie der sich ständig verschärfenden Klimakrise ist auch nicht von einer Trendwende auszugehen.

In dieser Situation braucht es mehr Anstrengungen, nicht weniger. Um die Qualität der Kooperation zu verbessern und um die Glaubwürdigkeit unserer Absichten zu untermauern. Und um mehr in die Pflege der Beziehungen zu investieren, in den Wissensaufbau und den kulturellen Austausch.

Im September 2024 findet in New York ein Zukunftsgipfel statt, mit dem die Vereinten Nationen (VN) reformiert und als Akteur in diesen Handlungsfeldern gestärkt und für neue Herausforderungen wie Cybersicherheit aufgestellt werden sollen. An Reform und Stärkung der VN haben auch wir ein großes Interesse, um die Institutionen wirksamer zu machen, die über die Einhaltung der Menschenrechte und das Völkerrecht wachen. 

Dass Teile der Politik diese Investitionen dennoch für verzichtbar halten, zeugt von Kurzsichtigkeit und spielt letztlich nationalistischen und rechtsextremen Kräften in die Hände.

In der Haushaltsdebatte Ende Januar sprach die AfD von „antideutscher Außenpolitik“ und Milliarden, die vom Entwicklungsministerium „in aller Herren Länder“ verschenkt würden. Auch die CDU warnte davor, dass „Menschen in Deutschland das Gefühl bekommen, man kümmere sich mehr um die Klimaresilienz indischer Großstädte als um die Frage, wann im Erzgebirge der Bus kommt“. Auf der Haushaltswelle reitend, stellt die AfD die internationale Zusammenarbeit zur Disposition und will aus ideologischen Gründen die Axt an die Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe legen. Das dürfen wir nicht zulassen.

Nationalistische Narrative sind Gift für Frieden und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Zurecht haben deswegen in den letzten Wochen Hunderttausende in Ost- und Westdeutschland gegen Rechtsextremismus protestiert. Es geht dabei nicht nur um das Miteinander in Deutschland und Europa, sondern auch um unser Verhältnis zum Globalen Süden und unsere Fähigkeit zur Solidarität mit Menschen in Not – sei es in Afrika, Lateinamerika, Asien oder im Nahen Osten. Auch in dieser Frage sind alle demokratischen Parteien und die Breite der Gesellschaft gefordert. Deutschland muss in der internationalen Zusammenarbeit ein verlässlicher Partner bleiben und innovativer werden – danach verlangen sowohl die vielen nur global zu bewältigenden Krisen als auch unsere Menschlichkeit.

Imme und Jan Philipp

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Einmischen! Als einzige Möglichkeit, realistisch zu bleiben. So hat es Heinrich Böll formuliert und diese Ermutigung inspiriert uns bis heute. Mit dieser Kolumne mischen wir uns als Vorstand der Stiftung in den aktuellen politisch-gesellschaftlichen Diskurs ein. Jeden Monat schreiben hier im Wechsel: Jan Philipp Albrecht und Imme Scholz.