Umsetzung feministischer Prinzipien in Friedens- und Sicherheitspolitik

Diskussion

Feministischer Frieden hängt unmittelbar mit einem Engagement für Demilitarisierung zusammen, die konkrete Umsetzung dieser erscheint jedoch häufig mangelhaft. Eine Diskussion mit Hilina Berhanu Degefa und Barbara Mittelhammer.

Flowers and fists reaching to the sky

Ein Bekenntnis zum feministischen Frieden bedeutet, sich zu einer Demilitarisierung zu bekennen (siehe WEDO, CFFP und WILPF). Trotzdem entscheiden sich Staaten mit einer feministischen Außenpolitik (FAP), wie Frankreich, Deutschland, die Niederlande und Spanien, immer wieder für eine militarisierte Antwort auf Konflikte oder Krisen. Beispielsweise setzten eben diese Staaten einen starken Fokus auf eine Militarisierung als Antwort auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.

Andere feministischen Perspektiven

Bezogen auf die Situation in der Ukraine verteidigen andere Feminist*innen die Notwendigkeit einer auch militärischen Antwort auf die russische Aggression.

Anstatt bereits bei der Annexion der Krim viele finanzielle Ressourcen in Friedensverhandlungen unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft zu investieren, reagierten die meisten europäischen Staaten deutlich später mit ad-hoc Investitionen in militärische Strukturen. Die Gelder flossen erst, nachdem bereits viele Menschen in diesem Konflikt ihr Leben lassen mussten. Dies steht im starken Gegensatz zu den theoretischen Grundlagen der feministischen Sicherheits- und Friedenspolitik. Hierbei geht es darum, die Fortführung von Krieg und Konflikt zu unterbinden und weitere Gewaltspiralen zu verhindern. Die Prävention dieser ist für Staaten, die eine FAP verfolgen, keine leichte Aufgabe. Insbesondere, da die meisten Konflikte historisch über Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte hinweg gewachsen sind. Wenn ein Staat sich jedoch zu feministischen Prinzipien verpflichtet, muss auch die Friedens- und Sicherheitspolitik diesen Prinzipien gerecht werden. Die Invasion Russlands in der Ukraine war nicht die einzige Herausforderung, der sich Staaten mit einer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik stellen mussten. In einer Zeit, in der feministischer Frieden in weite Ferne gerückt zu sein scheint, diskutierte ich mit Hilina Berhanu Degefa und Barbara Mittelhammer die Potenziale und Widersprüche von Staaten, die sich feministische Prinzipien für ihre Sicherheitspolitik auf die Fahne geschrieben haben.

Das deutsche Bedürfnis nach Pragmatismus

Direkt zu Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine stellte das Auswärtige Amt (AA) klar, dass seine feministische Außenpolitik nicht gleichbedeutend mit Pazifismus sei. Es erkenne die außenpolitischen Realitäten an und stelle sich den daraus erwachsenden Dilemmata (1 ). Für die deutsche Außenministerin seien diese jedoch kein Grund, von einer FAP abzusehen. Die Dilemmata verdeutlichen eher die Notwendigkeit einer FAP (siehe Rede der deutschen Außenministerin zu FAP am 13. November 2023 in Brüssel). Deutschlands Pragmatismus könnte als Stärke bezeichnet werden. Denn es zeige eine Realpolitik, die versuche die „drei R‘s“ (Rechte, Repräsentanz, Ressourcen) im außenpolitischen Handeln mitzudenken (2 ). Nichtdestotrotz stellt sich die Frage, wie sich solch ein Pragmatismus in der tatsächlichen Anwendung feministischer Prinzipien in Deutschlands Außenpolitik widerspiegelt.

Das AA ist federführend bei der Implementierung der Agenda zu Frauen, Frieden und Sicherheit (FFS) und somit auch bei allgemeinen geschlechterpolitischen Themen in der Friedens- und Sicherheitspolitik. Das deutsche Außenministerium verfolgt das Ziel, die FFS-Agenda bei der Europäischen Union (EU), der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSCE) sowie dem NATO-Verteidigungsbündnis voranzubringen. Hierbei stehen folgende Themen im Fokus: sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte, die Teilnahme an Friedensverhandlungen und gesellschaftlichem Wiederaufbau sowie die Bekämpfung geschlechtsbasierter Gewalt in Konflikten. Beispielsweise unterstützt das AA vulnerable Gruppen während des Konflikts im Südsudan.

Wir wissen, dass Frieden und Sicherheit nachhaltiger sind, wenn sicherheitspolitische Entscheidungsprozesse inklusiv gestaltet werden. Stärkere Teilhabe von Frauen bringt größere Sicherheit. (3 )

Ein nachhaltiges Verständnis von Sicherheit ist auch in den feministischen Leitlinien des Bundesministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) zu finden. Beispielsweise greift das BMZ die Notwendigkeit für Ernährungssicherheit und einen bezahlbaren Zugang zu Sozialversicherungen auf. Dazu gehören Programme der Ernährungssouveränität, der verbesserte Zugang zu Land und Landbesitz für Frauen sowie faire Bezahlung und sichere Arbeitsverhältnisse auf dem globalen Arbeitsmarkt. Die enge Zusammenarbeit der beiden Ministerien wird auch im Nationalen Aktionsplan (NAP) für Frauen, Frieden und Sicherheit deutlich, welcher bereits von der vorherigen Regierung unter Angela Merkel verabschiedet wurde. Deutschlands Interesse für FFS ist jedoch weitreichender als nur projektbezogene Unterstützung oder thematische Schwerpunkte. Deutschland ist einer der größten Geldgeber für den Peacebuilding Fund for Crisis Prevention and Peacebuilding (dt. Friedenskonsolidierungsfonds der Vereinten Nationen (VN) für Krisenbewältigung und Friedensbildung). Dadurch besitzt Deutschland die politische Macht, die FFS-Agenda gemeinsam mit anderen internationalen Organisationen zu beeinflussen. Deutschlands strategische Entscheidung, bestehende interministerielle Zusammenarbeit zu bündeln, wie sie im FFS-Aktionsplan dargelegt ist, könnte erneut als Pragmatismus verstanden werden.

Deutschlands (fehlender) feministischer Reflex

Bevor ein tieferer Blick auf die Widersprüchlichkeiten deutscher feministischer Politik geworfen wird, muss ein Aspekt klargestellt werden:

Porträt Barbara Mittelhammer
Barbara Mittelhammer, unabhängige politische Analytikerin, Deutschland

„Es gibt keine ganzheitliche feministische Agenda der Regierung. Nicht Deutschland verfolgt eine feministische Politik, sondern nur das AA und BMZ. So sind beispielsweise feministische Prinzipien nicht Teil der deutschen nationalen Sicherheitsstrategie. Das müssen wir im Hinterkopf haben, wenn wir nach Widersprüchen und Potenzialen suchen“, betont Barbara Mittelhammer. Die transformativen Ansätze des AAs stellen für solch eine Analyse einen ersten Ausgangspunkt dar. Diese legen einen Fokus auf die eigenen Strukturen innerhalb des Ministeriums. Das AA möchte hier einen “feministischen Reflex” verankern. Die internen Strukturen des AAs sprechen Bände. So ist Annalena Baerbock die erste Außenministerin Deutschlands. Auch die Statistiken zur Geschlechterrepräsentation in deutschen Parlamenten und Ministerien zeigen die dringende Notwendigkeit eines institutionellen Wandels durch einen feministischen Reflex, ergänzt Barbara Mittelhammer, die am #SheCurity-Index mitwirkte. Dieser wurde von Dr. Hanna Neumann, Mitglied des Europaparlaments, ins Leben gerufen.

Von der deutschen Außenpolitik kann nicht erwartet werden, dass solch ein feministischer Reflex innerhalb kürzester Zeit kultiviert wird. Jedoch sind viele feministische Ansätze der Sicherheits- und Friedensaspekte bereits von vorherigen Regierungen vereinbart worden, die auch noch unter der neuen Regierung von Relevanz sind. Beispiele finden sich u.a. im 3. NAP der deutschen Bundesregierung:

Frauen und andere gesellschaftliche Gruppen werden oft erst eingebunden, nachdem in einem ersten Schritt mit den (meist männlichen) Verhandlungsführenden der Konfliktparteien ein Waffenstillstand verhandelt wurde. (4 )

Das Zitat verdeutlicht, dass die deutsche Regierung anerkennt, wie wichtig die Partizipation von historisch marginalisierten Personen bei Friedensverhandlungen ist. Jeder Konflikt hat einen eigenen sehr spezifischen Kontext.

Porträt Hilina Berhanu Degefa

Aus ihren Erfahrungen heraus betont Hilina Berhanu Degefa, dass „es oft eine Trennung zwischen offiziellen Leitlinien und der tatsächlichen Umsetzung von Staaten bei Krisen gibt.“ Je nach Konflikt gibt es einen Unterschied, welche benachteiligten Gruppen auf nationaler Ebene von Friedensverhandlungen ausgeschlossen werden, wie beispielsweise in Äthiopien und der Ukraine. Einen feministischen Reflex zu kultivieren, bedeutet also, sich mit dem Kontext der unterschiedlichen Ebenen von Unterdrückungen auseinanderzusetzen. Dies hilft zu verstehen, warum gesellschaftliche Gruppen ausgeschlossen werden. Dieses Wissen kann dann genutzt werden, um die Kontinuität einer weiteren Marginalisierung zu unterbinden.

Feministische Versprechen in die Praxis umsetzen

Diverse Repräsentation und wirkungsvolle Partizipation sind grundlegende Prinzipien feministischer Praxis. Dennoch haben sich diese Begriffe eher zu Schlüsselwörtern auf dem Papier entwickelt, welche letztendlich nicht umgesetzt werden. Damit feministische Werte und Prinzipien nicht Gefahr laufen, bedeutungslose Begriffe zu werden, ist es umso wichtiger, den dahinterstehenden Aufwand zu betonen, den es braucht, diese Werte zu praktizieren. Hilina Berhanu Degefa beschreibt, wie schwierig und gleichzeitig erfüllend es sein kann, feministisch zu handeln: „Ich bin eine feministische Lernende. Ich bin auf meinem feministischen Weg nicht perfekt, und das Lernen der vielen Werte, mit denen ich weiterhin arbeite, macht mich jeden Tag zu einer besseren Feministin“. Das war auch der Fall bei ihrer Rede im UN-Sicherheitsrat bei der jährlichen Debatte zu sexualisierter Gewalt in Konfliktzonen im April 2022. So hat beispielsweise Hilina Berhanu Degefas Austausch mit marginalisierten Gruppen dafür gesorgt, dass intersektionale Perspektiven, wie die der nomadischen Hirt*innen, in den Austausch des Rats eingebracht wurden. Es ist sehr wichtig für sie, dass unterschiedliche feministische Stimmen konsultiert werden, um einen intersektionalen Ansatz Realität werden zu lassen. Staaten mit feministischer Außenpolitik und auch die feministische Zivilgesellschaft selbst müssen kulturelle Unterschiede in Gesellschaften anerkennen, um eine tatsächliche Befreiung von allen Unterdrückungsformen erreichen zu können. Davon kann momentan noch keine Rede sein. Das Gespräch mit Barbara Mittelhammer und Hilina Berhanu Degefa verdeutlicht noch einmal, dass Deutschlands feministische Friedens- und Sicherheitspolitik viele Widersprüche und Lücken aufweist. Jedoch erklärt das AA selbst, seine feministischen Leitlinien seien als lernendes, sich veränderbares Dokument konzipiert worden (5 ). Somit hat Deutschlands Außenpolitik immer noch die Möglichkeit, feministische Prinzipien Realität werden zu lassen. Dazu gehört es zu reflektieren, wie sehr die feministischen Werte auf dem Papier und der jetzige Pragmatismus zusammenpassen. Letztendlich müssen sich AA und BMZ darüber klar werden, wie die jetzigen Leitlinien zu einem nachhaltigen feministischen Frieden beitragen können.

  • 1Auswärtiges Amt, 2023, Leitlinien für eine feministische Außenpolitik, S.13
  • 2Auswärtiges Amt, 2023, Leitlinien für eine feministische Außenpolitik, S.14
  • 3Auswärtiges Amt, 2023, Leitlinien für eine feministische Außenpolitik, S.9
  • 4Auswärtiges Amt, 3. Aktionsplan der Bundesregierung zur Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit, S. 25
  • 5Auswärtiges Amt, 2023, Leitlinien für eine feministische Außenpolitik, S. 14