Klimakonferenz: Keine Vereinbarung über Artikel 6 ist das bestmögliche Ergebnis

Analyse

Ende November haben wir hier einen Artikel veröffentlicht, in dem wir die Kohlenstoffmärkte unter dem Regelwerk von Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens beschrieben und analysierten, was auf der COP28 auf dem Spiel stehen würde. Über die Umsetzungsphase der Kohlenstoffmärkte nach Artikel 6.2 und Artikel 6.4 wurde auf der Konferenz kein Konsens erzielt und die Verhandlungen wurden wieder an das Aufsichtsgremium zurückverwiesen. Die Einzelheiten der Umsetzung des umstrittenen Arbeitsprogramms unter Artikel 6.8 wurden jedoch beschlossen und von der COP-Präsidentschaft abgesegnet.

Der Leiter der COP28, Sultan Al Jaber, steht allein vor einer grün-trürkisfarbenen Wand. Er ist von der Seite zu sehen und wirkt müde.

Bis Sonntag, den 10. Dezember, also nur zwei Tage vor dem geplanten Ende der COP28, waren die Verhandlungen über Artikel 6 festgefahren und wurden auf intransparente Art und Weise hinter verschlossenen Türen geführt. Diese Sitzungen, die informal Informals oder „inf infs“ genannt werden, sind nicht ungewöhnlich, aber hier dauerten sie den ganzen Tag. Zudem wurden bis zum Abend keine weiteren Texte vorgelegt und es gab keinerlei Informationen für die Konferenzbeobachter*innen. Bei diesen Sitzungen bleiben die Verhandlungsführenden der Vertragsstaaten unter sich, denn Beobachter*innen (von NGO, Wissenschaftler*innen und andere Interessensgruppen) sind in dem Raum nicht zugelassen. Es ist davon auszugehen, dass dort auch Vereinbarungen zwischen den Vertragsstaaten getroffen werden, bei denen es um ganz andere Texte geht, wie beispielsweise die Globale Bestandsaufnahme oder gar um Themen, die gar nichts mit dem Klima zu tun haben. Die Texte aus der ersten Konferenzwoche waren inakzeptabel und es war unklar, wie es in nur zwei Tagen gelingen sollte, aus einer derartigen Sackgasse herauszukommen.

Am Tag zuvor hatte sich Bolivien im Plenum mit massiven Einwänden zu Wort gemeldet: Das Land habe sich zwar aus den Verhandlungen über die Kohlenstoffmärkte unter Artikel 6.2 und 6.4 herausgehalten, aber der Druck der Weltbank und anderer internationaler Finanzinstitutionen, den nicht-marktbasierten Ansatz nach Artikel 6.8 zu finanzialisieren, gebe Anlass zur Sorge. Deshalb forderte Bolivien, alle Texte von Artikel 6.2 und 6.4 in Klammern zu setzen. Diese noch nie dagewesene Forderung bedeutete, dass die Texte möglicherweise gestrichen werden könnten. Auf den Korridoren wurden schon Rufe nach „Regel 16“ laut.1 Dass zu diesem Zeitpunkt, an dem die Verhandlungen in die heiße Phase gingen, kein Konsens in Sicht war, war genau das, worauf wir gehofft hatten.

Artikel 6.2 Kooperative Ansätze

Zu Beginn der Verhandlungen auf der COP28 hatten sich die Verhandlungsführenden noch nicht darauf geeinigt, wie „Kooperative Ansätze“, der Titel und die Beschreibung von Artikel 6.2, genau zu definieren sind. Der erste Teil des über 40 Seiten langen Textes versucht, den Begriff „Kooperative Ansätze“ zu definieren, wobei einige Länder der Meinung sind, dass es sich dabei nicht um einen Kohlenstoffmarkt handle. Zum einen gab es die Forderung nach einheitlichen Definitionen des Begriffs durch die anwesenden Rechtssachverständigen, die dafür bezahlt werden, für die Vertragsparteien zu verhandeln. Darüber hinaus ging es bei den wichtigsten Meinungsverschiedenheiten um Transparenz sowie nationale oder internationale Datenbankkonten.

In Bezug auf Transparenz plädierten die USA dafür, dass alle Länder können sollten, ohne die Daten weitergeben zu müssen, da interne Handelsgeschäfte eine Sicherheitsfrage seien. Die Europäische Union (EU) und die Unabhängige Vereinigung Lateinamerikas und der Karibik (AILAC) sprachen sich für mehr Transparenz aus, vor allem in Bezug auf den „ersten Transfer“ von international übertragenen Emissionsgutschriften (Internationally Transferred Mitigation Outcomes, ITMOs – zu Einzelheiten siehe unseren Artikel vom November). Der letzte, noch nicht angenommene Entwurfstext enthielt Formulierungen, die eine völlige Intransparenz zulassen und damit eine Nachverfolgung von Emissionshandelsgeschäften nahezu unmöglich machen würden. Während die USA einerseits auf Geheimhaltung beim Emissionshandel drängten, argumentierten sie andererseits, dass es in Artikel 6.2 gar nicht um Emissionshandel gehe, sondern um einen kooperativen Ansatz. Das brachte die Verhandlungen mit einiger Verwirrung zu der Notwendigkeit zurück, zunächst einmal zu definieren, was ein kooperativer Ansatz überhaupt genau ist.

Vor dem Hintergrund der globalen geopolitischen Ungerechtigkeit war es schwierig, die Aufgaben der internationalen Datenbank nach Artikel 6.2 und einer nationalen Datenbank zu definieren. Wie die Gruppe der afrikanischen Verhandlungsführenden (African Group of Negotiators, AGN) immer wieder vorbrachen, haben viele Länder in Afrika kein nationales Treibhausgasregister und können sich daher nicht mit dem internationalen Register nach Artikel 6.2 verbinden. Die AGN äußerten den Wunsch, stattdessen in der internationalen Datenbank unter Artikel 6.2 nationale Konten einrichten zu können, um diese als ihre nationalen Register für den Kauf, Verkauf und Handel mit ITMOs sowie für den bilateralen Handel zu nutzen. Oder zumindest sollte ihnen beim Kapazitätsaufbau geholfen werden, um nationale Register einzurichten.

Angesprochen wurde auch, ob das Register lediglich eine Datenbank für die Meldung von Treibhausgasemissionen sein soll, um die national festgelegten Klimaschutzbeiträge (NDCs) einzuhalten, oder ob es als internationale Handelsplattform fungieren wird. Viele Entwicklungsländer wollen es als gemeinsames Plattformregister nutzen, mit dem Länder Emissionen als ITMOs handeln und nachverfolgen können, da viele Länder keine Emissionshandelssysteme (ETS) haben.

Wird die Datenbank nur Emissionen registrieren, bestehende nationale Datenbanken einbeziehen und/oder als globaler Börsenplatz für Treibhausgasemissionen dienen? Derzeit ist noch völlig unklar, wie die Datenbank funktionieren wird. Die EU und Norwegen behaupteten, mehr Zuversicht und Vorstellungsvermögen in Bezug auf die Aufgaben der Datenbank zu haben, weil sie die ersten multinationalen ETS in der EU einrichteten und aufbauten. Die Arroganz dieser kolonialen Argumente ließ die eklatante globale Ungleichheit und das Scheitern dieser Märkte völlig außer Acht. Artikel 6.2 ist nach wie vor nichts weiter als eine Idee, die verschiedene Länder mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen und Zwecken verbinden – ein wahrhaft erstaunlicher Moment, um mitzuerleben, wie kapitalistische Märkte geschaffen werden, um bestimmte Interessen zu bedienen.

Zum jetzigen Zeitpunkt scheint es sich bei Artikel 6.2 um ein komplexes internationales Bankensystem zu handeln, das mit privaten Konten, Einheiten (wie Geld) mit wechselnden Werten, dem Handel mit diesen Einheiten und intransparenten Berichten einhergeht. Die Vertragsstaaten äußerten wiederholt, dass Artikel 6 für Klimafinanzierung sorgen würde, womit sie im Grunde zugeben, dass der Emissionshandel ein Weg ist, um Geld zu machen und Finanzmittel zu generieren, statt ein System zur Senkung von Emissionen. Auf Klimafinanzierung aus dem Emissionshandel zu setzen, bedeutet, sich von Umweltverschmutzung durch fossile Brennstoffe abhängig zu machen. Und schließlich ist die Verknüpfung von Artikel 6.2 und 6.4 (die Datenbank für Kompensationsgutschriften) nicht mehr – wie noch in Bonn im Juni 2023 – Gegenstand der Diskussion, sondern scheint nun ausgemachte Sache.

Artikel 6.4

Artikel 6.4 – die Datenbank, die den Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (CDM) ersetzen wird. Die Verhandlungen kamen über die Kohlendioxidentnahme aus der Atmosphäre (CDR), das Einspruchs- und Beschwerdeverfahren sowie einige Umsetzungsregeln ins Stocken. Für das Indigenous Environmental Network und viele unserer Verbündeten haben wir im letzten Jahr verschiedene Eingaben beim Aufsichtsgremium zu Artikel 6.4 gemacht, darunter Stellungnahmen zur CDR und zur Einbeziehung von indigenen Völkern und anderen lokalen Gemeinschaften.

Es ist immer noch geplant, die Datenbank für den Artikel-6.4-Mechanismus bis 2025 zu starten, aber es gibt nach wie vor Fragen, was gehandelt werden wird, und auch viele wichtige Verfahrensfragen sind noch offen. Die EU, die Ukraine und andere sprachen sich für die Einrichtung eines konkreten Einspruchs- und Beschwerdeverfahren aus, bevor eine Handelsplattform dieser Art die Arbeit aufnimmt. Die Einzelheiten eines solchen Verfahrens sind hochgradig politisch (siehe unseren Artikel vom November). Ein zukünftiges Einspruchs- und Beschwerdeverfahren stellt eine Bedrohung für das Artikel-6.4-System dar, denn die institutionellen Abfindungszahlungen würden in astromische Höhen klettern, wenn Menschenrechtsverletzungen in einem rechtlichen Rahmen berücksichtig würden. Es stellt sich auch die Frage, wer dafür zahlt, wenn Projekte eingestellt und keine Gutschriften mehr verkauft werden: die indigenen Völker, die Gemeinschaft, der Staat, die regionalen Behörden? Angesichts der Geschichte von Kompensationsprojekten, die vielfach die inhärenten Rechte von indigenen Völkern und Menschenrechte lokaler Gemeinschaften verletzten, ist den Verhandlungsführern durchaus bewusst, dass hier ein enormes Risiko besteht, da viele CO2-Kompensationsprojekte in aller Welt mit einem bestimmten Maß an Nötigung, Rechtsverletzungen und falschen Angaben einhergehen. Auch wenn dies nur ein Aspekt der Umsetzungsphase von Artikel 6.4 ist, veranschaulicht er doch die umfassenderen Probleme des Systems: ein schlecht konzipiertes System, das nicht in der Lage ist, Rechtsverletzungen rechtzeitig zu erkennen und zu beheben.

Ein anderer interessanter Punkt war die Forderung nach mehr Transparenz vonseiten der Verhandlungsführenden der Vertragsstaaten, die gleichzeitig dem Aufsichtsgremium angehören. Es wurde auf Interessenskonflikte hingewiesen, aber nur die schüchterne Bitte geäußert, sich doch bitte als Mitglied des Aufsichtsgremiums zu erkennen zu geben.

Artikel 6.8 Nicht-marktbasierte Ansätze

Nach mehreren langen nächtlichen Sitzungen, in denen die Länder ihre Positionen erneut darlegten, ging die Konferenz mit einem weiteren langen Tag des Wartens auf Informationen in die Verlängerung. Am Mittwochabend wurden schließlich die Klammern von den Texten zu Artikel 6.2 und 6.4 entfernt und der Text zu Artikel 6.8 im Schnellverfahren in einer kurzen Sitzung angenommen.

Am Montag, den 4. Dezember, fand ein Workshop zu Artikel 6.8, dem angeblich nicht marktbasierten Ansatz, mit Präsentationen der Weltbank, des Grünen Klimafonds und anderer Institutionen statt. Es war eine aufschlussreiche Veranstaltung, bei der die Institutionen klarstellten, wie sie Teile von Artikel 6.8 in die Kohlenstoffmärkte einbeziehen würden. Dagegen hob Bolivien mit der Feststellung Einspruch, dass Artikel 6.8 seinem Sinn nach außerhalb der Kohlenstoffmärkte bleiben müsse. Letztlich war dies der Punkt, der den bolivianischen Verhandlungsführenden deutlich machte, worum es ging, und sie zu der Forderung veranlasste, die Texte von Artikel 6.2 und 6.4 in Klammern zu setzen. Letzten Endes wurden die Klammern wieder entfernt und auch wenn der Text zu Artikel 6.8 die Rechte indigener Völker und Formulierungen zum Planet Erde beinhaltet, Hinweise auf naturbasierte Lösungen dagegen gestrichen wurden, sind die grundlegenden Probleme von Artikel 6.8 nach wie vor nicht gelöst.

Das Problem ist das Argument, dass die nicht-marktbasierten Ansätze nicht auf den Kohlenstoffmärkten verwendet werden. Hier geht es um zwei wesentliche Punkte. Zum einen sind diese Ansätze problematisch, selbst wenn sie nicht auf den Kohlenstoffmärkten gehandelt werden, weil sie Kompensation für Schäden am Planet Erde darstellen wie beispielsweise bei Zahlungen für ökologische Dienstleistungen und/oder mögliche Landraubabkommen (siehe unseren Artikel vom November). Zum anderen ist schwer zu verstehen, wie diese Vereinbarungen nachverfolgt und aus den Kohlenstoffmärkten herausgehalten werden können, wenn die Datenbankplattform, deren Start jetzt für Juni 2024 anvisiert ist, kein Nachverfolgungssystem enthält und auf Gelgebern basiert, die weder transparenz- noch rechenschaftspflichtig sind. In Bezug auf Artikel 6.8 sind noch viele Grundsatzfragen zu klären.

Ganz ähnlich wie Artikel 6.2 und 6.4 wie internationale Bankensysteme wirken, scheint die Artikel-6.8-Plattform eine intransparente Finanzplattform für privatwirtschaftliche Investoren zu sein, die sich mit Regierungen zusammentun, um hinter den Kulissen Geschäfte abzuschließen, oder aber eine Plattform, auf der die Natur versteigert wird. Im Verhandlungsraum kam man mit dem Zählen gar nicht hinterher, wie oft diese Plattform als Klimafinanzierung bezeichnet wurde. Unabhängig davon, ob es sich nun um ein markbasiertes System handelt oder nicht, bestehen doch nach wie vor ernsthafte Bedenken, weil der Privatsektor involviert ist, einige Projekte schon auf den Weg gebracht wurden und Umweltdienstleistungen in einigen Ländern als Kompensation zählen.

Der Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung

In mehreren Sitzungen wurde schließlich diskutierte, was mit dem CDM aus dem Kyoto-Protokoll passieren soll. Während sich die afrikanischen Verhandlungsführenden (AGN), die Ländergruppe Argentinien, Brasilien und Uruguay und andere dafür aussprachen, den Mechanismus weiterzuführen, bis Artikel 6.4 ihn ersetzen kann, drängten die EU und andere darauf, ihn schneller abzuwickeln. Der Zankapfel dabei war das im CDM-Treuhandfonds verbliebene Geld in Höhe von rund 60 Mio. USD. Die AGN wollten diese Mittel unbedingt in den Anpassungsfonds überwiesen haben, während die EU und andere es auf das Artikel-6.4-Konto übertragen wollten. Von der AILAC kam schließlich der Vorschlag, auf beide Konten jeweils einen Anteil des Geldes zu überweisen. Die AGN konnte sich nicht durchsetzen. Letztlich wurde beschlossen, den CDM weiterlaufen zu lassen, aber in den Sitzungen wurden ernsthafte Fragen zur Transparenz der Verwendung von CDM-Mitteln, Finanzberichten, früher bewilligten Geldern u.v.m. gestellt, was wiederum Fragen aufwarf, wie CDM-Maßnahmen derart hohe Mittel verschlingen konnten.

Der CDM und die Umsatzphase von Artikel 6.8 werden also fortgeführt. Aber es gibt noch einige weitere Erkenntnisse von der COP28:

Die UNFCCC findet nicht nur an jedem Jahresende statt. An Entscheidungen, Entwürfen, Konzepten und Vereinbarungen wird fortlaufend gearbeitet. Viele indigene Völker haben jedoch weder die Ressourcen noch den Zugang, um an diesen Entscheidungen mitzuwirken. Und doch ist es vor allem in den nächsten zwei Jahren der Umsetzung von Artikel 6 besonders wichtig, aufmerksam zu bleiben. Wir können nicht bis zur COP30 in Brasilien warten, um uns gegen die Kohlenstoffmärkte in Artikel 6 zur Wehr zu setzen.

Weil die letzten Weltklimakonferenzen an Orten stattfanden, an denen eine Mobilisierung außerhalb der Veranstaltungsortes verboten war, waren wir gezwungen, uns im Innern des Konferenzzentrums stärker zu präsentieren, und unser gemeinsamer Widerstand durch Aktionen, Kundgebungen, Pressekonferenzen und in den Verhandlungsräumen hat sich als wirklich wertvoll erwiesen.

Auch wenn der Widerstand gegen die Kohlenstoffmärkte unter Artikel 6.2 und 6.4 unglaublich wichtig ist, so müssen wir doch auch Artikel 6.8 als webbasierte Plattform, die im Juni 2024 startet, fest im Auge behalten. Verbindungen zwischen Artikel 6.8 und Zahlungen für ökologische Dienstleistungen, der Tausch von Schulden gegen Naturschutz, das 30-x-30-Ziel und andere biologische Entnahmen sind auch kritische Bereiche, gegen die wir Widerstand leisten müssen, da sie unsere Kosmovision und spirituelle Beziehung zu unserem Planeten und seiner Atmosphäre beeinträchtigen.

  • 1Regel 16 besagt, dass die Verhandlungen auf das Folgejahr verschoben werden müssen, wenn die Vertragsstaaten keinen Konsens erzielen.