Mexiko: Erstmals könnte eine Frau die Präsidentschaftwahlen gewinnen

Analyse

In neun Monaten finden in Mexiko Präsidentschaftwahlen statt. Trotz stabiler Wirtschaft ist der Wahlkampf polarisiert und die Drogengewalt weiterhin unkontrolliert. Ziemlich sicher ist allerdings schon jetzt: Das Land wird wohl ab Oktober 2024 zum ersten Mal von einer Präsidentin regiert.

Wahlplakat der Regierungspartei MORENA auf einer grau-gelben Wand
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Wahlplakat der Regierungspartei MORENA, 2022.

Seit dieser Woche stehen die Präsidentschaftskandidatinnen der Regierungs- und Oppositionsbündnisse für die Präsidentschaftswahlen 2024 fest. Claudia Sheinbaum Pardo von der Regierungspartei MORENA mit den Parteien Partido Trabajador (PT) und Partido Verde Ecologista de México (PVEM) wird am 2. Juni 2024 als Nachfolgerin von Präsident Andrés Manuel López Obrador, besser bekannt als AMLO, ins Rennen um dessen Nachfolge gehen. Ihre Herausforderin Xóchitl Gálvez Ruíz ist auch die erste weibliche Kandidatin, die von der rechtskonservativen Oppositionspartei PAN und dem Parteienbündnis Frente Amplio por México (FAM) mit den Parteien PRI, PAN und PRD aufgestellt wird. Das Auswahlverfahren der beiden politischen Bündnisse auf Regierungs- und Oppositionsseite führt dazu, dass der Wahlkampf - statt sechs Monate - schon ein Jahr von den Wahlen begann und nun bereits auf Hochtouren läuft.

Sheinbaum setzte sich beim internen Auswahlverfahren von MORENA gegen ihre fünf männlichen Mitstreiter durch. Erstmals beruhte dieses Auswahlverfahren auf der Auswertung von mehreren Wahlumfragen zu den Kandidat*innen und nicht auf einer unilateralen Entscheidung des amtierenden Präsidenten (dem sog. dedazo, d.h. „Fingerzeig“). Alle Kandidat*innen hatten zu Beginn des internen Auswahlprozesses im Juni ihre Ämter und Mandate niedergelegt, um Vorwürfe der Ausnutzug der Ämter für wahlpolitische Zwecke zu vermeiden. Bei den Wahlumfragen, bei denen landesweit 12.500 Bürger*innen zu ihren Präferenzen bei den Kandidat*innen befragt wurden, kam Sheinbaum auf durchschnittlich 39,4 Prozent, gefolgt von Ebrard mit 25,8 Prozent und López mit 11,2 Prozent. Erstmals entschied das Ergebnis der Wahlumfragen über die Kandidatin. Während der unterlegene Kandidat Marcelo Luis Ebrard Casaubón den Abstimmungsprozess kritisierte, übergab AMLO zwei Tage nach dem Ergebnis Sheinbaum symbolisch den Führungsstab zur Fortsetzung seiner Regierung. Es wird erwartet, dass sie als Präsidentin weitgehend AMLOs politischen Ansätze fortführen wird.

Ihre Herausforderin Galvez ist eine Unternehmerin, die sich wirtschaftlich und politisch nach oben gekämpft hat. Sie gilt als extrovertiert, unkonventionell. So kettete sich die Senatorin z.B. am 29. April, dem letzten Sitzungstag des vorletzten Legislaturjahres im Plenarsaal an ihrem Stuhl fest, um die Regierungskoalition dazu zu bringen, noch über die Neubesetzung des Nationalen Instituts für Informationszugang abzustimmen. Das Regierungsbündnis verzögert die Neubesetzung seit Monaten. Galvez greift den amtierenden Präsidenten AMLO offen an: als AMLO sie wiederholt in seiner täglichen mehrstündigen Pressekonferenz – der sog. mañanera – kritisierte, erreichte sie durch Verfügung des Obersten Gerichtshofes, das Recht auf Erwiderung in den mañaneras. Mit der Verfügung in der Hand zog sie medienwirksam vor den Präsidentschaftspalast, um Zugang zur Pressekonferenz einzufordern – allerdings ohne Erfolg, da AMLO ihr den Zutritt verweigerte. Sie selbst bezeichnet sich als „mitte-links“ und tritt meist fröhlich gelaunt vor ihren Anhänger*innen und Journalist*innen auf. Im Gegensatz zur ihr gilt die studierte Physikerin und promovierte Energieingenieurin Sheinbaum, die aus einer Familie jüdischer Einwanderer*innen aus Litauen und Bulgarien stammt, als eher distanziert und technokratisch – im Unterschied zu ihrem volksnahen Förderer AMLO, der auf populistische Rhetorik setzt.  

Sheinbaum soll AMLOs Politik der „vierten Transformation“ Mexikos fortführen

Sheinbaum galt von Anfang an als Favoritin der Vorwahlen und war nach Ansicht vieler Beobachter*innen Wunschkandidatin von AMLO. Die 61-jährige promovierte Umweltingenieurin war seit Dezember 2018 Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt. Zu Beginn des Vorwahlkampfs gab sie ihr Amt auf. Sie gilt als treue Verteidigerin von AMLOs politischen Prestigeprojekt der sog. vierten Transformation („Cuarta Transformación“, kurz 4T).  Diese steht für AMLO in einer Reihe mit den großen gesellschaftlichen Transformationsprozessen des Landes im Zuge der mexikanischen Unabhängigkeit (1821), den liberalen Reformen des 19. Jahrhunderts und der mexikanischen Revolution (1910). Die 4T soll unter Sheinbaum fortgesetzt werden. Diese umfasst die wirtschaftliche Entwicklung unter staatlicher Kontrolle, insbesondere die staatliche Förderung von Infrastrukturprojekten, die Garantie der Energiesicherheit und –souveränitat unter staatlicher Leitung, und die Abkehr von der Privatisierung öffentlicher Unternehmen zur Sicherstellung der kritischen Infrastruktur.

Xóchitl Gálvez führt das Oppositionsbündnis an

Sheinbaums Widersacherin Xóchitl Gálvez vertritt das Oppositionsbündnis aus PAN, der einstmaligen Hegemonial- und Staatspartei PRI und der Mitte-Links-Partei PRD. Im internen Auswahlverfahren der Opposition, das von politischer Improvisation geprägt war, setzte sich die 60-jährige Ingenieurin, Unternehmerin und Senatorin letztlich gegen ihre Gegenkandidatin, Beatriz Paredes von der Partei PRI, durch. Weitere Kandidat*innen hatten sich nach und nach aus dem Rennen zurückgezogen. Die Entscheidung für die Kandidatur sollte an sich in zwei Phasen ablaufen: einer Umfrage unter Wählerinnen nach einer Reihe von öffentlichen Diskussionsveranstaltungen mit den Vorwahlkandidat*innen und einer Befragung von Mitgliedern des Wahlbündnisses. Auf diese Weise sollte deutlich werden, dass die Entscheidung nicht von oben aus den Parteigremien erfolgte, sondern basisdemokratisch und partizipativ  durch die Beteiligung von Mitgliedern des Parteibündnisses. Doch nachdem bekannt wurde, dass Gálvez bei den Umfragen vorne lag, verzichteten die Parteivorsitzenden kurzerhand auf die geplante Abstimmung und kürten Gálvez zur Präsidentschaftskandidatin. Die PRI schickt zum ersten Mal seit ihrer Gründung vor fast 100 Jahren keine*n eigene*n Präsidenschaftskandidat*in ins Rennen und hofft, in dem Bündnis mit der PAN - ihrer einstmals größter politischer Rivalin – nicht gänzlich an politischer Relevanz zu verlieren. Ein politischer Hoffnungsschimmer für sie waren Anfang des Jahres erstmalige Demonstrationen gegen AMLO seit seinem Amtsantritt und gegen seine Pläne einer Reform der Nationalen Wahlbehörde.

Ein Wahlsieg der Opposition scheint derzeit unwahrscheinlich

Die Opposition hatte in den vergangenen fünf Jahren AMLOs Politikstil wenig entgegenzusetzen. Seine Prestigeprojekte, die Militarisierung öffentlicher Sicherheit und der Daseinsvorsorge sowie die gesellschaftspolitische Polarisierung im Land blieben weitgehend unangefochten. Korruptionsskandale und zuletzt die Verurteilung des ehemaligen Sicherheitsministers unter Präsident Calderon (PAN, 2006-2012) in den USA haben die Oppositionsparteien PAN und PRI diskreditiert. Neben persönlichen Angriffen und politischen Scharmützeln mit AMLO, der diese auch dank seiner starken Medienpräsenz geschickt abzufangen weiß, konnte die Opposition bisher keine klaren politischen Alternativen aufzeigen. AMLOs Volksnähe, sein populistischer Duktus und der direkte Kontakt mit den Menschen kommt insbesondere bei einfachen Bevölkerungsschichten immer noch gut an. Die Erhöhung des Mindestlohns und breite Sozialprogramme für ältere Menschen, Menschen mit Behinderung, sozial schwache Gruppen und junge Menschen sichern ihm und seiner Partei in breiten Bevölkerungsschichten weiterhin politische Unterstützung. So konnte MORENA in den letzten Jahren bei Gouverneurswahlen in 20 der 32 Bundesstaaten gewinnen (das Oppositionsbündnis kommt lediglich auf 8 gewonnene Bundesstaaten) und besitzt dadurch breite Unterstützung auf Bundesstaatenebene. Während MORENA, Ende 2011 gegründet, bei den Wahlen 2012 noch in keinem einzigen Bundesstaat gewann, waren es sechs Jahre später bereits 35 Prozent und 2018 mit etwa 70 Prozent bereits doppelte so viele. Im Gegensatz dazu waren es vor zehn Jahren noch fast 60 Prozent der Gesamtbevölkerung, die von der PRI auf Bundesstaatenebene regiert wurden. Heute sind es weniger als 5 Prozent. Das zeigt die bleibende Enttäuschung der Bevölkerung über die jahrzehntelange ehemalige Staatspartei PRI.

Drei mexikanische Wahlurnen
Wahlurnen zur Stimmabgabe in Mexiko-Stadt, 2021.

Infrastrukturgroßprojekte zwischen stabiler Wirtschaft und unkontrollierter Drogengewalt

AMLOs Regierungshandeln war eine wirtschaftlich pragmatische und linksnationalistische, auf Armutsbekämpfung und der Stärkung von arbeits- und sozialpolitischen Maßnahmen und Programmen fokussierte Politik. Dafür diente in erster Linie, neben dem Zufluss ausländischer Investitionen, die Förderung fossiler Rohstoffe (Erdöl und -gas) als Schlüsselressourcen für ein auf fossiler Energiesicherheit und Energiesouveränität beruhendem Wirtschaftsmodell. Dabei entsprachen die staatlichen Subventionen für billige Energie dem 2,4-fachen des Gesundheitsbudgets. Zu AMLOs politischen Prioritäten zählten neben großen Infrastrukturprojekten, wie der Erdölraffinerie Dos Bocas in seinem Heimatbundesstaat Tabasco, das umstrittene Zugprojekt Tren Maya auf der strukturschwachen Yucatan-Halbinsel, der Bau neuer Flughäfen und ein neuer Transportkorridor für den Warentransport zwischen dem Atlantik und Pazifik in der Region des Istmo de Tehuantepec, der laut Regierung zu über 90 Prozent fertiggestellt ist. Mit diesen Projekten möchte AMLO sein sogenanntes „Sexenio“, seine sechsjährige Präsidentschaft, krönen, um sich im Oktober 2024 aus der aktiven Politik zu verabschieden.

Die Zustimmungswerte für AMLO bleiben auch ein Jahr vor seinem Amtsende mit knapp 60 Prozent hoch. Der mexikanische Peso ist derzeit so stark wie seit fast einem Jahrzehnt nicht. Dies liegt vor allem an den hohen ausländischen Direktinvestitionen im Zuge des wirtschaftlichen Nearshoring und remesas (Geldüberweisungen von Mexikaner*innen im Ausland, insbsondere in den USA, an ihre Familien in Mexiko) von mehr als 35 Milliarden US-Dollar im ersten Halbjahr. Die Inflation bleibt aus regionaler Sicht auf relativ niedrigem Niveau von ca. 4,8 Prozent - bei einem aktuellen Leitzins von 11,25 Prozent der mexikanischen Zentralbank und einem für 2023 erwarteten Wirtschaftswachstum von 3,3 Prozent - und sorgt für die wirtschaftspolitische Stabilität des Landes. Außerdem exportierte Mexiko 2022 Waren im Rekordwert von mehr als 450 Milliarden US-Dollar in die USA, auch dank des erneuerten Freihandelsabkommens T-MEC zwischen Mexiko, den USA und Kanada. Insbesondere in den zahlreichen neu geschaffenen Gewerbe- und Industrieparks, v.a. im Norden an der Grenze zu den USA, ist es derzeit schwierig, noch Platz zu finden: 97 Prozent der Industrieparks waren 2022 belegt. Immer mehr Unternehmen aus den USA, China, Asien und Europa verlegen infolge der Pandemieerfahrungen mit anfälligen und unterbrochenen Lieferketten und den angespannten Handelsbeziehungen zwischen den USA und China ihre Produktionsstätten nach Mexiko. Dieses Nearshoring ermöglicht Waren in wenigen Tagen vom Nachbarland in die USA zu transportieren und vermeidet die Risiken wochenlanger Schiffstransporte oder Sorgen vor Handelsbeschränkungen. Vom Inflation Reduction Act und der Förderung von Maßnahmen zur Energiewende der Biden-Regierung profitiert dabei auch Mexikos Wirtschaft: viele Unternehmen aus den Bereichen Elektromobilität siedeln sich neu an. So haben z.B. nacheinander Tesla und BMW angekündigt, neue Fabriken für den Bau von Elektroautos im Land eröffnen zu wollen.

Das Bild einer stabilen Wirtschaft, von der auch traditionell benachteiligte breite Bevölkerungsgruppen profitieren, etwa durch die Erhöhungen des Mindestlohns, gesetzlichen Rentenerhöhungen und der Stärkung von Sozialleistungen für benachteiligte Menschen, steht dabei im scharfen Kontrast zu der andauernden Gewalt im Land. Mehr als 156.000 Morde hat Mexiko seit AMLOs Amtsantritt vor fünf Jahren zu beklagen. Ein Jahr vor AMLOs Amtsende wurden somit mehr Morde begangen, als während der Vorgängerregierungen unter Präsident Peña Nieto (2012-2018) und Präsident Calderón (2006-2012). Nach offiziellen Angaben gelten mehr als 100.000 Menschen im Land als verschwunden, ein Drittel davon während AMLOs Amtszeit. Mexiko zählt zu den weltweit gefährlichsten Ländern für Journalist*innen und Umweltverteidiger*innen. AMLO macht für die Drogengewalt weiterhin seine Vorgänger verantwortlich und betont - unter Bezugnahme auf die jährliche Kriminalstatistik des Nationalen Statistikamts (Instituto Nacional de Estadística y Geografía, INGEI) - den Rückgang der Morde um 10 Prozent im vergangenen Jahr gegenüber seinem ersten Regierungsjahr. Die Statistiken zu gewaltsam Verschwundenen zweifelt er an und möchte eine neue Zählung durchführen. Sein Versprechen, mit einer neuen Sozialpolitik und Prävention statt Repression („Abrazos, no balazos“ mit den Wortes AMLOs, d.h. „Umarmungen, nicht Schüsse“) die Gewalt unter Kontrolle zu bringen, gab AMLO bereits kurz nach seiner Wahl auf. Stattdessen setzte er auf den Aufbau und Einsatz der von ihm neu formierten Nationalgarde, die die bestehende Bundespolizei ablösen sollte und der Armee operativ unterstellt wurde. Der Verteidigungsminister ist ein aktiver General - in anderen Ländern Lateinamerikas wäre das politisch undenkbar. Und viele Fälle, wie der von den 43 verschwundenen Lehramtsstudent*innen aus Ayotzinapa, die Opfer von Mitgliedern eines Drogenkartells in Kollusion mit Polizei und Sicherheitskräften wurden, bleiben weiterhin unaufgeklärt. Vorwürfe von Menschenrechtsorganisationen gegen das Militär bezeichnete AMLO als Teil einer Verleumdungsstrategie gegen die Sicherheitskräfte. Außerdem kündigte er an, eine neue Zählung der verschwundenen Personen durchführen zu wollen. Sheinbaum hatte sich bisher im Vorwahlkampf bei diesen umstrittenen Themen zurückgehalten.

Die Armee gewinnt unter AMLO an politischer Bedeutung

Insbesondere der Armee ermöglichte AMLO eine neue, wachsende Bedeutung. So dient die Armee nunmehr nicht nur im Einsatz gegen Drogenkartelle, sondern baut und verwaltet unter AMLO auch neue Flughäfen, Häfen, den Maya-Zug, Zollbehörden, etc. und übernimmt damit nicht nur Aufgaben der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, sondern auch der öffentlichen Verwaltung. Zuletzt kaufte AMLO die insolvente staatliche Fluggesellschaft Mexicana, um sie unter der Verwaltung des Verteidigungsministeriums und dem Namen Aerolinea Maya wieder flott zu machen. Die Armee dient, so AMLO, neben sicherheitspolitischen Interessen v.a. auch als wichtiger Verbündeter für die Durchsetzung seines Prestigeprojekts der vierten Transformation. Ob und wie die Präsidentschaftskandidatinnen mit der neu gewonnenen Macht der Armee umgehen werden, wird sich zeigen müssen.

Nach 76 Jahren PRI-Präsidentschaft (1930-2000 und 2012-2018), die von 12 Jahren PAN-Regierung (2000-2012) unterbrochen wurde, stehen die politischen Zeichen derzeit auf eine zweite Amtszeit für MORENA. Nach fast 90 Jahren PRIAN-Regierung (wie in Mexiko das politische Duo PRI und PAN bezeichnet wird), ist ein Sieg gegen MORENA derzeit den Umfragen nach eher unwahrscheinlich. Und ob Ebrard noch einen Weg finden wird, um doch noch als Präsidentschaftskandidat antreten zu können – etwa mit seiner sogenannten politischen Bewegung, der Gründung einer neuen Partei oder als Kandidat für eine andere Partei, bleibt abzuwarten. Derzeit ist noch offen, ob und mit wem sich die sozialdemokratische Partei Movimiento Ciudadano an den Präsidentschaftswahlen beteiligen wird. Chancen werden ihr zwar keine eingeräumt. Aber sie könnte das politische Zünglein an der Waage sein, je nachdem ob und wie viele Stimmen sie im Falle einer eigenen Kandidatur als dritte Kraft den zwei aussichtsreichen Kandidat*innen abnehmen kann. Gleiches gilt für den ultrakonservativen Schauspieler Eduardo Verástegui, der sich am letzten Tag als unabhängiger Kandidat vor dem Nationalen Wahlinstitut einschrieb und nun in den kommenden drei Monaten ca. eine Million Unterschriften sammeln muss, um bei den Präsidentschaftswahlen als unabhängiger Kandidat antreten zu können.

Die verbleibenden neun Monate bis zu den Wahlen werden weiterhin von einer starken politischen Polarisierung geprägt sein. Das Regierungs- und das Oppositionsbündnis werden versuchen, ihre Anhängerschaft zu mobilisieren und Geschlossenheit zu zeigen. Der Wahlkampf wird eher von ideologischen als von sachpolitischen Diskussionen geprägt. Da sich die Parteien bereits im Wahlkampfmodus befinden, ist mit keinen großen Reformprojekten im Kongress zu rechnen, insbesondere nachdem MORENA bei den Zwischenwahlen 2021 die für Verfassungsänderungen erforderliche absolute Mehrheit im Kongress verloren hat. Besondere Bedeutung wird im Wahlkampf den Kontrollinstanzen und -institutionen (z.B. dem nationalen Wahlkomitee, dem Wahlgericht und dem Obersten Gerichtshof) zukommen, um die Einhaltung der demokratischen Spielregeln während des Wahlkampfes sicherzustellen. Außerdem ist zu befürchten, dass bei den zeitgleich in mehreren Bundesstaaten stattfindenden Bürgermeister*innen-, Stadtrats- und Gouverneurswahlen die politisch motivierte Gewalt gegen Kandidat*innen in den von Drogenkartellen kontrollierten Regionen weiter zunehmen wird.