Pragmatischer Panafrikanismus: Die Afrikanische Union unter senegalesischem Vorsitz

Analyse

In schwierigen Zeiten verlieh Macky Sall als Vorsitzender der Afrikanischen Union (AU) den Anliegen afrikanischer Staaten eine starke Stimme und setze sich für einen größeren politischen Einfluss Afrikas in der internationalen Staatengemeinschaft ein. Welche Akzente konnte er während seiner Amtszeit setzen und wie blicken die Menschen im Senegal auf seine internationalen Auftritte?

Präsident von Senegal: Macky Sall im Gespräch beim IMF

Als der senegalesische Präsident Macky Sall Anfang 2022 die Rolle des Vorsitzenden der Afrikanischen Union (AU) übernahm, steckte die panafrikanische Institution bereits in der Klemme. Die Welle an Militärputschen, die Westafrika fest im Griff hatte und ein Erstarken islamistischer Milizen begünstigte, ließ viele Menschen an der Fähigkeit der AU zweifeln, dauerhaften Frieden in der Region zu sichern und rechtsstaatliche Prinzipien zu bewahren. An die Wahl von Sall zum Vorsitzenden der AU knüpften jedoch viele die Hoffnung, dass er durch ein konsequentes Vorgehen gegen Verfassungsbrüche und ein Eintreten für demokratische Willensbildung institutionelles Vertrauen in die Union zurückgewinnen könne.

In puncto Demokratie wird Senegal als afrikanischer Vorreiter gesehen

Vor allem durch seine Rolle als Präsident des Senegals maßen viele Beobachter*innen Macky Salls AU-Vorsitz eine besondere Verantwortung zu. Senegal gilt in der Region Westafrika als Vorbild für demokratischen Wandel, gesellschaftlichen Pluralismus und interreligiösen Dialog. Das Land verfügt über eine dynamische Zivilgesellschaft und es herrschen vergleichsweise stabile politische Verhältnisse. Der Küstenstaat ist außerdem eines der Länder in Afrika, das noch nie einen Militärputsch erlebt hat und in der Vergangenheit immer wieder eine konstruktive Rolle bei der Wiederherstellung der Demokratie in anderen westafrikanischen Staaten spielte. Macky Sall selbst trat dabei vielfach als politischer Vermittler bei Konflikten in der Region auf. Beim Machtwechsel im benachbarten Gambia im Jahre 2007 unterstützte Senegal die Demokratiebewegung. Zudem gilt Sall als einer der Hauptvermittler im Mali-Konflikt. Er selber charakterisiert die Außenpolitik seines Landes als „diplomatie de bon voisinage(Diplomatie der guten Nachbarschaft) mit dem Ziel, ein Freund aller Länder zu sein. Gute Voraussetzungen also dafür, dass einige der demokratischen Errungenschaften Senegals im Zuge der AU-Präsidentschaft auf die afrikanische Staatengemeinschaft ausstrahlen und politische Spannungen in Westafrika durch Worte statt Waffen beigelegt würden. Vor diesem Hintergrund erwarteten viele Menschen klare Fortschritte in Fragen von Frieden und Stabilität. Den Frieden erklärte Sall in seiner Antrittsrede dann auch zu seinem Hauptanliegen:

Der gesunde Menschenverstand befiehlt uns, eine Kultur des Dialogs und der Vermittlung durch afrikanische Konfliktlösung zu etablieren.

Auch wenn sich diese Worte wohl eher auf die Spannungen in Westafrika bezogen, sind sie rückblickend auch im Kontext der weltpolitischen Umbrüche zu verstehen. Denn unmittelbar nach Salls Amtseinführung rückte eine militärische Auseinandersetzung in den Fokus, die sich zwar außerhalb des eigenen Kontinents abspielte, aber dennoch drastische Auswirkungen für viele Länder Afrikas entfaltete.

Die hohe wirtschaftliche Abhängigkeit macht Afrika besonders verwundbar

Aufgrund der hohen Abhängigkeit von Getreide- und Treibstoffeinfuhren hat der russische Angriffskrieg in der Ukraine bis heute schwerwiegende Folgen für viele afrikanische Staaten und trifft die Bevölkerung wirtschaftlich deutlich härter als in Europa. Allein der Senegal bezieht knapp die Hälfte seines Getreides aus Russland und die Preissteigerungen machen das Leben vieler Familien vor allem in urbanen Zentren wie Dakar schlicht unbezahlbar. Kurz nach dem Kriegsausbruch befürchteten zudem viele Senegales*innen, dass das Benzin an den Tankstellen nicht nur teurer, sondern gar nicht mehr zu erwerben sei. Als Russland schließlich mehrere ukrainische Häfen blockierte und kein Getreide mehr exportiert werden konnte, reiste der senegalesische Präsident kurzfristig zu einem Treffen mit Wladimir Putin nach Russland um sich für die Freigabe der Getreidevorräte einzusetzen. Von europäischer Seite wurde dieser Besuch stark kritisiert, weil Sall einen Zusammenhang zwischen den westlichen Sanktionen und der Blockade von Getreide- und Düngemittelexporten andeutete. Im Senegal wurde der Besuch hingegen als eine pragmatische Haltung zu einem weit entfernten Konflikt angesehen. Viele Menschen begrüßten Salls Ansatz einer panafrikanischen Diplomatie in diesem Konflikt. Der Vorsitzende der AU nutzte somit die globalen Verwerfungen, um den afrikanischen Anspruch auf politische Eigenständigkeit in einer multipolaren Welt hervorzuheben. Auf internationalen Treffen betonte er, dass der Kontinent nicht länger Opfer exogener Schocks sein wolle und es die afrikanischer Länder verdienen würden, auch wenn sie arm seien, mit gleicher Würde und Respekt behandelt zu werden. Auf der anderen Seite zeigt das Buhlen westlicher Politiker*innen um die Gunst afrikanischer Länder, dass man den Kontinent auf seiner Seite wissen will. Dies wurde auch auf dem G7-Gipfel in Elmau deutlich. Die sieben Industriestaaten luden auch die AU sowie andere Länder aus dem globalen Süden ein, um mit ihnen gemeinsame Positionen zu globalen politischen Aufgaben abzustimmen. Sie legten außerdem ein riesiges Investitionsprogramm von 600 Milliarden Dollar auf, um den Ausbau von Infrastruktur in ärmeren Ländern zu finanzieren. Trotz dieser Charmeoffensive blieben eine klare Verurteilung des russischen Angriffskrieges von Macky Sall und dem ebenfalls anwesenden südafrikanischen Staatschef Cyril Ramaphosa aus. Stattdessen sagte Macky Sall in einem Interview mit der französischen Tageszeitung „Le Monde“, „das(s) es in der Debatte nicht darum geht, wer falsch liegt oder Recht hat. Wir wollen einfach nur Zugang zu Getreide und Düngemittel haben.“

Afrika als gleichberechtigter Partner auf der Weltbühne

Die Amtszeit von Macky Sall zeichnete sich weiterhin durch sein energisches Werben um eine stärkere afrikanische Vertretung in internationalen Gremien wie den G20 oder dem UN-Sicherheitsrat aus. Sall plädierte mehrmals dafür, dass die AU Mitglied der G20 werden sollte. Zudem bekräftigte er die seit 2019 bestehende Forderung, dass afrikanische Länder zwei Sitze im Sicherheitsrat der UN zugesprochen bekommen. Afrika solle sich nicht mehr mit den Entscheidungen großer Nationen abfinden, sondern die Möglichkeit erhalten, globale Fragen im eigenen Sinne mitzugestalten und eine Schlüsselrolle in der Lösung internationaler Konflikte einzunehmen. Der AU-Vorsitzende konnte während seiner Amtszeit für diese Forderung einflussreiche Unterstützer wie den französischen Präsidenten Emmanuel Macron und den US-amerikanischen Präsidenten Joe Biden gewinnen.

In der Energiepolitik will Sall seinen eigenen Entwicklungsweg gehen   

Auch auf der diesjährigen Weltklimakonferenz (COP)in Sharm-El-Sheikh trat Sall offensiv für afrikanische Interessen ein. Er nutzte den UN-Klimagipfel in Ägypten, um die internationale Gemeinschaft an ihre Klimaversprechen zu erinnern und auf finanzielle Unterstützung beim Kampf gegen die Klimakrise zu drängen. Vor allem die eigenen Entwicklungsziele afrikanischer Länder dürften bei allen Klimaschutzmaßnahmen nicht aus den Augen verloren werden, betonte Sall.

Wir Afrikaner können nicht akzeptieren, dass unsere lebenswichtigen Interessen ignoriert werden

sagte er zu Beginn des Klimagipfels und gab damit den Ton für diese afrikanische COP an. Knapp die Hälfte der Bevölkerung des afrikanischen Kontinents hat nach wie vor keinen Zugang zu Strom, was die wirtschaftliche Entwicklung vieler Länder hemmt. Zwar offenbarte der Klimagipfel, dass die afrikanischen Staaten in Energiefragen längst nicht so geeint sind, wie Macky Sall es sich wünschen würde, doch er ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass für ihn Wohlstand ohne die Nutzung fossiler Energie nicht erreichbar erscheint. Mehrere Länder Afrikas wollen ihr Gas daher als „Übergangskraftstoff“ verwenden und sehen in der europäischen Versorgungskrise die Chance, neue Investitionen zur Ausbeutung ihrer Gasfelder zu erhalten.

Egal ob bei Ernährungssouveränität, Entschuldung, Impfstoffgerechtigkeit, Freihandel oder Gleichstellungspolitik – der Vorsitzende der AU kämpfte an vielen Fronten. Auch wenn nicht immer konkrete Ergebnisse erzielt wurden, verschaffte er der Stimme Afrikas in diesen Bereichen Gehör. Er nutze dafür die gestiegene Aufmerksamkeit, die der AU seit dem Ukraine-Krieg zuteil wurde, um die Probleme des Kontinents ins Bewusstsein der internationalen Öffentlichkeit zu rufen.

Wie geht es weiter für den Präsidenten Senegals?

Dennoch verlieh ihm die Präsenz auf dem internationalen Parkett keinen politischen Rückenwind im Senegal. Obwohl Anfang 2024 die zweite Amtszeit von Macky Sall als Präsident des Senegals endet, lässt sich momentan nicht erkennen, dass er seine politische Tätigkeit ruhen lassen will. Bisher schloss er eine weitere Präsidentschaftskandidatur nicht aus, was auf große Kritik im Land stößt. Viele Senegales*innen halten ein drittes Mandat für rechtswidrig, da die Verfassung des Senegals eigentlich die Amtszeit eines Präsidenten auf zwei Mandate beschränkt. Sollte Macky Sall wirklich eine weitere Präsidentschaft anstreben, stehen dem Senegal unruhige politische Zeiten und Proteste bevor. Wichtige Anliegen wie mehr politische Stabilität in der Region oder die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien, für die sich Macky Sall als AU-Vorsitzender stark machte, könnten dann durch sein eigenes Agieren paradoxerweise wieder konterkariert werden.