EU muss Ernst machen mit Erweiterung für Westbalkanstaaten

Interview

In der Auseinandersetzung mit Russland spielt die Energiepolitik eine zentrale Rolle. Vor dem EU-Westbalkangipfel an diesem Donnerstag haben wir mit dem stellvertretenden Direktor der Energiegemeinschaft, Dirk Buschle, über energie- und geopolitische Hintergründe einer beschleunigten EU-Erweiterung gesprochen.

Bildmontage: Flagge Serbiens, davor ein Gas- oder Ölpipelineventil

Simon Ilse: Was hat sich in der europäischen Energiepolitik seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verändert?

Dirk Buschle: Vieles, aber dann doch nichts in der generellen Ausrichtung. Ich glaube die EU ist relativ gut darin geworden Krisen als Chancen zu sehen. Der Ukraine Krieg ist die größte anzunehmende Krise und führt uns zurück auf die Grundfesten der Europäischen Union, nämlich den Frieden auf dem europäischen Kontinent zu sichern. Die Kommission hat diese Krise zurecht als boost für die Politik des Green Deals aufgefasst. Dieser war wiederum schon vor dem Krieg in ein schwieriges Fahrwasser geraten, da die hohen Energiepreise die Bürger der Mitgliedstaaten effektiv betreffen. Vor diesem Hintergrund war der Ukraine Krieg ein Impuls, der bestätigt, dass das Tempo und Ambitionslevel genau richtig war oder sogar noch angezogen werden sollte. Und so sehe ich die „Repower EU” Initiative, zu sagen; wir halten Kurs, wir müssen noch schneller und radikaler raus aus den Fossilen und hinein in die Erneuerbaren. Und für den Green Deal gibt es jetzt ein zusätzliches Narrativ. Das ist relativ neu für die EU, wo der Wechsel von fossilen Brennstoffen zu Erneuerbaren bisher überwiegend mit dem Klimawandel und Treibhausgaseffekt begründet wurde. Vorher war es ein klassisches grünes Thema, was es auch immer noch ist, aber jetzt ist es eben auch ein sicherheitspolitisches.

Also hat der Krieg die Kommission ein Stück geopolitischer gemacht?

Ja, und auch den Green Deal – pragmatischer in einem fast amerikanischen Sinne. In den USA ist die Losung schon länger: Erneuerbare sind lokal, wir reduzieren damit unsere Abhängigkeit.

Simon Ilse im Gespräch mit Dirk Buschle
Simon Ilse und Dirk Buschle.

Die Energiegemeinschaft hat einen Energy Support Fund für die Ukraine aufgesetzt; für welche Zwecke werden die Mittel bis jetzt hauptsächlich eingesetzt?

Nach den ersten Stunden des Horrors und der Sorge um unsere Mitarbeiter in der Ukraine haben wir uns schnell an praktische Hilfe gemacht. Unser Ansatz war es die große Welle an Hilfsbereitschaft von Unternehmen und Regierungen zu bündeln und sie mit dem richtigen Gegenüber auf der ukrainischen Seite zusammenzubringen. Darüber hinaus wurde klar, dass es für viele Regierungen einfacher ist, Geld zur Verfügung zu stellen und die ukrainischen Unternehmen zum Bedarf und der Dringlichkeit der Verwendung urteilen zu lassen. Dafür braucht es einen Treuhänder, der ein gewisses Maß an Sicherheit gibt, dass das Geld dorthin geht wo es wirklich gebraucht wird. Das ist der Ukraine Energy Support Fund. Der zu deckende Bedarf kann aus Ersatzteilen oder Kraftstoffen bestehen, aber auch Kredite für die sich verschärfenden Liquiditätsprobleme. Ohne die notwendigen Reparaturen an den Strom-, Gas- oder Fernwärmenetzen wird es massive Probleme im nächsten Winter geben.

Strategisch geht es darum, die Widerstandsfähigkeit des Energiesystems zu unterstützen und sicherzustellen, dass die ukrainischen Unternehmen und Anlagen, insbesondere auch die Erneuerbaren, nicht von der Landkarte verschwinden, sondern eines Tages am Wiederaufbau mitwirken können.

Die Energiegemeinschaft führt die Länder des Westbalkans an die Energieunion der EU heran. Was für Chancen bieten sich in dieser neuen Situation?

Eine fundamentalere Krise im Energiesektor auf dem Westbalkan schon vor dem Krieg, war die Preiskrise, die mancherorts ja auch zum Notstand geführt hat. Importabhängige Länder wie Nord Mazedonien , wo die Braunkohlevorräte zu Ende gehen, haben besonders gelitten. Die Krise hat in vielen Ländern aufgezeigt, dass in der Vergangenheit zu wenig Investitionen in das Energiesystem stattgefunden haben. Das Investitionsklima hat gefehlt, oft auch wegen der niedrigen Preise. Somit offenbart die Krise jetzt die Versäumnisse aus dem was ich die „erste Energiewende“ nenne, jene von einem postsozialistischen zu einem marktbasierten Energiesystem. Das Positive ist, dass sich jetzt die Frage, wie der Energiemix der Zukunft in diesen Ländern aussehen soll sehr konkret stellt und ernsthaft angegangen wird. Das Kopf-in-den-Sand-stecken hat ein Ende. Auch weil die Auswirkungen des Nichts-Tuns nicht mehr in weiter Ferne, sondern innerhalb eines Wahlzyklus zu spüren sein werden. Ich bin vorsichtig zuversichtlich, wenn ich an die Bemühungen vieler Regierungen in der Region denke, die ihre strategische Energiemix- und Investitionsplanung jetzt ernsthaft angehen.

Was hat die Preiskrise hervorgerufen?

Hauptsächlich getrieben war sie durch den steigenden, globalen Gaspreis, die erhöhte Nachfrage in Asien im Zuge der wirtschaftlichen Erholung nach der Pandemie. Aber sicherlich haben das missbräuchliche Verhalten Russlands und der Gazprom schon vor dem Krieg dazu beigetragen die Preise nach oben schießen zu lassen. Das zu unterschätzen, war naiv von uns allen. Es hat aber auch gezeigt, dass Europa in dieser internationalen Entwicklung ein „Preis-Nehmer“ ist und nicht unabhängig agieren kann. Das gleiche gilt für die Länder des Westbalkan.

Serbien, als wichtigstes Westbalkanland, fährt weiterhin eine „zwischen-den-Stühlen“ Politik, wie der kürzlich angekündigte Besuch Lavrovs und dann der realisierte Besuch von Bundeskanzler Scholz gezeigt haben. Wie könnte ein Angebot von europäischer Seite aussehen, um die serbische Gasabhängigkeit von Russland zu verringern?

Erstmal finde ich es sehr gut, dass Deutschland und Europa sich gerade jetzt stärker engagieren auf dem Balkan. Europa muss sich klar werden darüber, wohin es will mit dem Westbalkan. Oft sind bis ins kleinste technische Detail Gesetze und Verordnungen verhandelt worden, wobei die konkrete Relevanz für den Erweiterungsprozess nicht immer klar war. Das hat uns Glaubwürdigkeit gekostet. Unter diesen Umständen wird das Hinauszögern großer Verhandlungsthemen – einschließlich der Energiewende – eine Verhandlungstaktik. Das sollte es nicht sein. Wir müssen Klarheit darüber gewinnen, was wir bereit sind anzubieten. Ich denke, es ist jetzt die Zeit um uns diese Klarheit zu verschaffen.  Das gilt für die Ukraine wie für die Westbalkanregion. Partner stets auf Armlänge zu halten kann Frustration hervorbringen, die auch die Energiegemeinschaft nicht völlig absorbieren kann. Natürlich wird das auch die EU selbst betreffen, aber das sind Hausaufgaben die jetzt zu machen sind. Wie konzeptionieren und bauen wir eine neue, erweiterte EU, die für uns und die Partner funktioniert, und mit der wir unsere Werte und unsere strategischen Ziele weiterhin erreichen? Darüber mehr Klarheit zu gewinnen wäre eine angemessene Reaktion auf diesen fürchterlichen Krieg.

Nochmal, wie könnte ein Angebot an Serbien zum Beispiel aussehen? Etwas, das Serbien als Gewinn verbuchen könnte?

Ich denke Placebos werden nicht funktionieren. Wir brauchen in Europa Klarheit über die Perspektive. Das wird es uns auch erlauben, unsere Erwartungen klarer zu formulieren und zu kommunizieren, gerade auch in sensiblen Bereichen wie dem Gassektor. Es ist beispielsweise schwierig zu akzeptieren, dass Gasunternehmen gegen europäisches Recht den Zugang zu ihren Pipelines verweigern, was den Wettbewerb und die Versorgungssicherheit in der Region beeinträchtigt.

Ist ein stufenweiser Beitritt, mit sukzessivem, vollem Zugang zu einzelnen Politikbereichen ein sinnvoller Weg?

Was die Angleichung in der Energiepolitik angeht, ist die Energiegemeinschaft in rechtlicher Hinsicht mit einer EU-Mitgliedschaft schon weitgehend vergleichbar. Die Westbalkanstaaten sind Teil des Energiebinnenmarktes. Das Modell ist gut, auch wenn es eine mittelfristige EU-Mitgliedschaft natürlich nicht ersetzen kann. Man darf auch nicht das Ausmaß der Unterstützung unterschätzen, die etwa die Energiewende auf dem Westbalkan braucht. In allen Balkanstaaten geht die Kohle Ära dem Ende zu. Neue Kohlekraftwerke sind sehr unwahrscheinlich geworden. Es geht jetzt darum, den Energiemix der Zukunft zu gestalten, ebenso wie den bestmöglichen Übergang in technischer, ökonomischer und sozialer Hinsicht. Dazu sind massive Investitionen, einschließlich der öffentlichen Hand ebenso notwendig wie unser uneingeschränktes politisches Engagement. In Serbien zum Beispiel, fördert die Energieministerin erneuerbare Energien, aber die internen Konflikte sind beträchtlich. Was ich für besonders wichtig erachte ist die Erkenntnis, das nicht jedes Land in der Region autark sein muss. Regional integrierte und offene Märkte tragen entscheidend zur Lösung vieler nationaler Probleme bei. Die Energiegemeinschaft arbeitet dieses Jahr mit voller Kraft darauf hin.

Die EU will wiederum jetzt einen CO2 Grenzausgleichsmechanismus (Engl. „CBAM“ - Carbon Border Adjustment Mechanism) einführen. Dabei stellten sich bis zuletzt Fragen nach dem Zeitplan und der Realisierbarkeit.

Es gibt momentan noch Hürden beim Fit-for-55 Paket im EU Parlament, auf eine Erweiterung des ETS konnte man sich noch nicht einigen. Es wird also noch dauern aber die Botschaft ist klar. Entweder erhebt die EU einen CO2 Preis über den Grenzausgleich oder die Westbalkanstaaten führen selbst CO2 Preise ein. Aus Sicht der Westbalkanstaaten wäre es allemal besser, dass das Einkommen im eigenen Land bleibt.

Abschließend, wer sind die Westbalkan Frontrunner im Energiebereich?

Da will ich unserem diesjährigen Umsetzungsbericht nicht vorgreifen!

Vielen Dank für das Gespräch.


Das Interview wurde am 13. Juni 2022 im Sekretariat der Energiegemeinschaft in Wien geführt. Das Gespräch führte Simon Ilse, ehemaliger Büroleiter der Stiftung in Belgrad.