„Es ist ein klares Signal, dass die Asiatische Entwicklungsbank endlich, endlich von der Kohle abrückt ...“

Interview

Im Mai 2021 machte die Asiatische Entwicklungsbank (ADB) weltweit Schlagzeilen mit der Ankündigung, aus der Kohle auszusteigen. Dies wurde als Sieg für die Zivilgesellschaft gewertet, insbesondere für das „NGO Forum on ADB“, ein Netzwerk von 250 zivilgesellschaftlichen Organisationen unter asiatischer Führung, das von Kohleprojekten betroffenen Gemeinden in ganz Asien die lang überfällige Gerechtigkeit bringen soll.

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NGO-Forum führt Protest am ADB-Hauptsitz in Ortigas, Metro Manila, an.

Rayyan Hassan, Exekutivdirektor des NGO-Forums, forderte die ADB auf, von ihrem Kohlemoratorium ausgehend nun den nächsten logischen Schritt zu machen und schnellstmöglich den vollständigen Übergang zur Finanzierung erneuerbarer Energien einzuleiten. In diesem Interview erzählt er, was darauffolgte und was noch zu tun ist.

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Rayyan Hassan at ADB's 52nd Annual Meeting in Fiji on May 2019.

Was bedeutet die Ankündigung der ADB, keine Investitionen in Kohlekraftwerke mehr zu finanzieren?

Rayyan Hassan (RH): Ich denke, dass es sich um einen echten Ausstieg handelt. Wenn man sich Absatz 86 im ersten Entwurf vom Mai 2021 ansieht, geht es nicht nur um neue Kohleprojekte, sondern auch um Wege, bestehende Finanzierungen von Kohle und kohlebezogener Infrastruktur abzubauen. Das wird wohl der kritischere Aspekt sein, der sorgfältiger verfolgt werden muss. Es gibt da für Kohleprojekte ein mögliches Schlupfloch, und zwar über die Darlehensmechanismen der Finanzintermediäre. Historisch gesehen war die Offenlegung von Informationen über Unterprojekte immer unzureichend. Aber in Bezug auf diejenigen Kredite, die sich nachverfolgen lassen, ist es meiner Ansicht nach ein klares Signal, dass die ADB endlich, endlich von der Kohle abrückt.

"Ich denke, es ist ein klares Signal, dass sich die ADB endlich, endlich von der Kohle wegbewegt.

Man könnte sagen, dass dies fünf Jahre zu spät kommt. Die Bank baute ihr Kohleportfolio allmählich ab. Als dann im Zuge des Pariser Abkommens eine weltweite Ablehnung von Kohlekraft aufkam, wurde der ADB klar, dass sie sich dem Kohlemarkt nicht aussetzen wollte - dennoch stellte sie die Kohlefinanzierung erst 2014 ein. Als die Ankündigung gemacht wurde, haben wir sie begrüßt, aber der Teufel steckt ja bekanntlich im Detail, nicht wahr?

Zum Beispiel in bestehenden Schlupflöchern, wie Bankenportfolios, bei denen man nicht weiß, wohin Unterprojekte vergeben werden. Ähnlich verhält es sich bei Katastrophenkrediten wie den COVID-19-Darlehen der ADB, die direkt in die Staatskasse der kreditnehmenden Regierungen fließen. Wenn also eine Regierung ein Kohlekraftwerk auf ihrer nationalen Agenda hat, das auf Finanzierung wartet, verfügt sie jetzt über die Mittel, um dort willkürlich Geld zu investieren. In dieser neuen Richtlinie geht es also explizit um die direkte Finanzierung von Kohle, doch wird nicht ausgeschlossen, dass indirekte Finanzierungen der ADB aufgrund der Struktur gewisser Darlehen in Kohlekraftwerke fließen.

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Civil Society Protest at ADB Headquarters in Ortigas, Metro Manila

Was sind weitere Details dieser Richtlinie, die Zivilgesellschaft, Medien und Öffentlichkeit von nun an bis zu ihrer endgültigen Fertigstellung verfolgen sollten? Was ist insbesondere mit der Wasserkraft?

RH: Wir versuchen, in unserer Kritik an der Finanzierungspolitik ganzheitlich zu sein. Wir wollen nicht allen Finanzierungsformen im Energiesektor unter dem Banner sauberer Energielösungen Tür und Tor öffnen. Bislang hat die ADB Gas, groß angelegte Wasserkraft und Finanzierung gasbezogener Infrastrukturen als kohlenstoffarme Lösungen geführt. Zu den sauberen Energielösungen gehören laut ADB auch umweltschädliche Müllverbrennungsanlagen sowie Flüssigerdgas-Projekte und die dazugehörige Infrastruktur.

"Die ADB hat großes Interesse an großen Wasserkraftwerken, weil es sich dabei um ein sehr teures Projekt handelt.

Die ADB hat starkes Interesse an großen Wasserkraft- Staudämmen, weil es sich dabei um sehr teure Projekte handelt. Um es für Laien verständlich zu machen: Die ADB will Großprojekte finanzieren, die Darlehensnehmer wollen aus wirtschaftlichen und profitorientierten Gründen große Projekte übernehmen. Im Allgemeinen handelt es sich bei Großprojekten um Vorhaben in der Größenordnung von 500 Millionen bis 850 Millionen oder sogar einer Milliarde US-Dollar – und die meisten davon sind Grundlastprojekte. Wenn Sie sich Argumente gegen Grundlast ansehen, werden Sie feststellen, dass viele Regierungen, die Kredite aufnehmen, ein Überangebot an Energie haben. Mein eigenes Land, Bangladesch, produziert etwa 9,000 Gigawatt überschüssiger Energie. Es braucht keine neue Grundlast – es braucht eine effiziente Verteilung dieser Energie. Die eigentliche Frage ist: Welcher Aufwand wird für das Netz betrieben, das man zur Erzeugung solcher Energiemengen braucht – und braucht man sie wirklich? Ich finde große Wasserkraftwerke zu teuer, aber für Regierungen, die Kredite aufnehmen, sind sie sehr attraktiv, weil sich damit Geld verdienen lässt. Auch für die Bank sind sie interessant, denn sie erhält dann eine gesicherte Rendite für das Darlehen und einen besseren Leverage-Effekt.

Was muss getan werden und was sind die positiven Elemente?

RH: Warum werden Projekte ausgewählt? Erfüllen Sie die Forderung des SDG 7 (Sustainable Development Goal 7): „Zugang zu nachhaltiger Energie für alle“? Ich denke, das sind die Fragen, die wir der Öffentlichkeit stellen wollen, damit bessere Projekte vorgeschlagen und finanziert werden. Was ist ein besseres Projekt? Was macht gute Energiepolitik aus? Wir gehen davon aus, dass der Schlüssel dazu ein dezentraler Energiezugang ist. Der Entwurf der Energierichtlinie enthält hier meiner Ansicht nach einige gute Formulierungen. Es ist ermutigend, dass die ADB ein verstärktes Interesse daran zeigt, kleine, netzunabhängige Energielösungen (insbesondere Solar- und Windenergie) zu unterstützen.

Können Sie erläutern, wie beim zweiten Entwurf der Energierichtlinie verfahren wird? Was geschah nach der Veröffentlichung des ersten Entwurfs im Mai? Und wie entsteht jetzt der zweite Entwurf? Wann werden die öffentlichen Konsultationen stattfinden?

RH: In diesem Prozess der Richtlinienüberarbeitung Transparenz zu erreichen, war ein harter Kampf. Wir mussten starken Druck ausüben, um zumindest ein Gefühl für den Zeitplan für die Überarbeitung der Richtlinie zu bekommen, wofür wir seit Oktober 2020 kämpfen. Es blieb nur sehr wenig Zeit für Konsultationen.

Nur ein Beispiel: Es kam kein Gespräch über den subregionalen Aspekt der Finanzierung zustande. Die Subregion Greater Mekong zum Beispiel ist ein Zielgebiet für Investitionen der ADB. Aber wenn man nur themenbezogen über Energiegewinnung aus Abwasser spricht, erfährt man z.B. nichts über Thailands nationalen Masterplan für den Energiesektor, wie er mit den Nationally Determined Contributions (NDCs) zusammenhängt, und wo dabei die ADB als Geldgeberin ins Spiel kommt. Und das ist das Gespräch, das wir im Mekong und in Südasien führen wollen, denn alle diese Länder haben ja ihre eigenen Verpflichtungen gegenüber dem Pariser Abkommen. Die ADB kann also nicht einfach willkürlich sagen: „Ich baue hier ein Gaswerk und dort einen LNG-Hafen“, ohne die langfristige Vision im Blick zu behalten, auf die diese Länder im Rahmen ihrer Pariser Verpflichtungen zusteuern.

Der Entwurf der Energierichtlinie ist außerdem in englischer Sprache verfasst, ohne dass Menschen in Asien auf übersetzte Versionen zugreifen können, insbesondere auf Bahasa, Hindi, Bengali und Russisch. Der Überarbeitungsprozess sah keine Konsultationen der Bevölkerung vor Ort vor und fand nur in Online-Form statt. Dies schließt Tausende Menschen ohne Internet in ganz Asien aus, die somit keine Möglichkeit haben, sich an diesem Überarbeitungsprozess zu beteiligen

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CSO representatives urging ADB to stop funding climate crisis at a public forum in Manila

Apropos Pariser Abkommen: Wie wichtig ist diese Energierichtlinie der ADB für dessen Umsetzung?

RH: Im Moment geht es um Netto-Null gegen Real-Null. Netto-Null bedeutet, dass die gesamte Menge an Emissionen zusammengefasst und dann einer Kosten-Nutzen-Analyse unterzogen wird, die schließlich zu Netto-Null führt. Real-Null bedeutet, Emissionen jetzt sofort zu stoppen.

Als Zivilgesellschaft setzen wir uns dafür ein, dass der IPCC-Pfad (Intergovernmental Panel on Climate Change) 1°C bis höchstens 1,5 Grad Celsius erreicht. Dabei geht alles in Richtung erneuerbare Energien und Übergänge in diese Richtung. Die ADB ist nicht die erste multilaterale Entwicklungsbank, die einen Ausstieg aus der Kohle ankündigt, sondern die zweite. Die Europäische Investitionsbank hat letztes Jahr angekündigt, bis 2021 ihre Finanzierung aller Formen von fossilen Brennstoffen einzustellen. Das war der Auslöser, der bei den multilateralen Entwicklungsbanken (MDBs) einen deutlichen Wandel ihrer Energierichtlinien ausgelöst hat. Wenn nun also die 55 Jahre alte ADB signalisiert, dass das Ende der Kohle gekommen ist, glaube ich, dass das in Asien für MDBs, aber auch für Geschäftsbanken und bilaterale Banken ein sehr deutliches Zeichen ist.

Welche Erwartungen haben Sie an den Globalen Norden, insbesondere an Europa und Deutschland?

RH: Es ist nun ganz wichtig, wie dieser Übergang gestaltet wird. In einer COVID19-Realität darf man dabei nicht aus den Augen verlieren, dass Millionen von Menschen arbeitslos sind, Millionen von Menschen um drei Mahlzeiten am Tag und ein Dach über dem Kopf kämpfen. In kleinen Inselstaaten und in Kriegsgebieten wie Myanmar und Afghanistan sind Millionen von Menschen ohne Wasser und sanitäre Einrichtungen. Dies sind Tatsachen, die man nicht leugnen kann. Straßenverkäufer*innen können nicht arbeiten. Einen unmittelbaren Übergang, nun also quasi plötzlich den Stecker aus dem Energiesektor zu ziehen und von heute auf morgen auf erneuerbare Energien umzustellen, werden Regierungen nicht leisten können. Die Erwartung des Globalen Nordens an den Übergang im Süden muss also berücksichtigen, was das für Arbeitsmärkte und an sozialen Belastungen bedeutet.

"Die Erwartung des Nordens an die Energiewende im Süden muss die Arbeitskosten und die sozialen Kosten der Energiewende berücksichtigen.

Zunächst muss ein günstiges Umfeld geschaffen werden, mit einem klaren Übergangsplan, der zeitlich begrenzt und auf 1,5 Grad ausgerichtet ist. Zweitens: Während der Umstellung von fossilen Brennstoffen auf Solar- oder Windenergie müssen Beschäftigte im fossilen Brennstoffsektor umgeschult werden, damit sie angemessene Arbeitsplätze im Sektor der erneuerbaren Energien finden. Die Finanzierung fossiler Brennstoffe zu rasch auf erneuerbare Energien zu verlagern, führt nicht unbedingt zu positiven Ergebnissen. Um der Klimaverantwortung gerecht zu werden, müssen auch soziale Aspekte wie Lebensunterhalt, Arbeitslosigkeit und Grundbedürfnisse berücksichtigt werden.

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Protesters gather in front of the ADB Headquarters.  

Gibt es Druckpunkte und Verantwortlichkeiten auch für Europa oder Deutschland?

RH: Meiner Meinung nach besteht ein Druckpunkt und eine Verantwortung darin, zu prüfen, ob ein bestimmtes Projekt der Regierung oder dem Kreditnehmer hilft, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Die deutsche Regierung sollte mitverfolgen, wie viele Projekte die ADB im Bereich fossile Brennstoffe und wie viele sie im Bereich erneuerbare Energien vorschlägt. Das wäre meiner Ansicht nach eine aussagekräftige Zahl für die Entscheidung der Bank. Im Vorfeld eines Projekts ist eine strengere Due-Diligence-Prüfung erforderlich, die mit den Pariser Kriterien abgestimmt werden muss, bevor eine endgültige Entscheidung getroffen wird.

Meine Empfehlung wäre, als deutsche Regierung so viele Fragen wie möglich zu stellen, bevor man einem Projekt zustimmt. Die deutsche Wählerschaft steht in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass sich im Namen der Klimafinanzierung und der Klimaverantwortung keine falschen Lösungen durchsetzen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Übersetzt von Kerstin Trimble


Siehe auch: NGO Forum on ADB's Critique of the ADB's 2021 Energy Policy Working Paper


Sehen Sie sich unser früheres Video vom November 2019 an.
"Klimawandel und internationale Finanzinstitutionen - Rayyan Hassan"

Climate Change and International Financial Institutions - Rayyan Hassan - Heinrich-Böll-Stiftung Southeast Asia

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