Privatwirtschaftliche Daten für öffentliche Aufgaben – was ist möglich?

Daten

Im Frühjahr 2020 erhielt das Robert-Koch-Institut (RKI) eine interessante Spende: Die Mobilfunkunternehmen Telekom und Telefónica stellten ihm ihre aggregierten Mobilfunkdaten zur Verfügung. Damit konnte das RKI Bewegungsströme analysieren und so die Effektivität der Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Covid-19-Pandemie überprüfen. Diese Unterstützung war willkommen – doch zugleich wirft die Datenspende grundsätzliche Fragen auf. 

Sollen sich öffentliche Stellen in vergleichbaren Fällen tatsächlich auf Ad-hoc-Wohltätigkeiten von Konzernen verlassen? Oder sollte es für die – möglicherweise verpflichtende – Bereitstellung und Verwendung solcher Daten für öffentliche Aufgaben einen konkreten Rechtsrahmen geben?

Der öffentliche Sektor erhebt und nutzt bereits seit Langem Daten. Vor allem für die Planung – etwa im öffentlichen Nahverkehr, in der Stadtplanung oder bei großen Infrastrukturprojekten – braucht es eine umfassende Datengrundlage. Die wird mit erheblichem Kostenaufwand durch staatliche Stellen geschaffen. Allerdings werden Big Data – also Daten, die sich durch ihre Aktualität, Vielfalt und ihren Umfang hervorheben – überwiegend vom Privatsektor gesammelt: beispielsweise durch das Verhalten der Nutzer*innen, vernetzte Geräte (Internet of Things) oder andere Datenerhebungen. 

Können Daten des Privatsektors auch hilfreich sein bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben? Solche Daten werden in der internationalen Debatte als „public interest data“ bezeichnet, ausgehend vom französischen Konzept der „données de l'intérêt général“. Auf EU-Ebene werden sie oftmals unter „Business-to-Government (B2G)“ gefasst, weil sie von Unternehmen an staatliche Stellen übermittelt werden. Sie könnten beispielsweise genutzt werden für eine evidenzbasierte Politik, für umfassende und aktuelle amtliche Statistiken oder für innovative öffentliche Leistungen.

Viele Städte planen ihren öffentlichen Nahverkehr auf Basis manueller Fahrgastzählungen, die etwa alle vier Jahre durchgeführt werden. Dabei verfügen private Mobilitäts- oder Mobilfunkanbieter bereits über eine Vielzahl an aktuellen Daten, die man dafür hinzuziehen könnte. Die Verwaltung könnte diese Daten zum Beispiel nutzen, um multimodale Verkehrsangebote zu entwickeln oder den Nahverkehr mehr dem tatsächlichen Bedarf anzupassen. Dieses Beispiel zeigt, welches Potenzial in einer sinnvollen Nutzung von Daten für das Gemeinwohl steckt. 

Europäische Kommission treibt B2G-Datennutzung voran

Die Europäische Kommission hat sich zum Ziel gesetzt, die Verfügbarkeit von Daten von öffentlichem Interesse zu fördern. Die dafür eingesetzte High-Level Expert Group on Business-to-Government Data Sharing hat dazu 2020 ihren Bericht vorgelegt. Sie empfiehlt, nationale Strukturen aufzubauen, die für eine solche Nutzung erforderlich sind. Außerdem sei eine gewisse Harmonisierung auf EU-Ebene zu prüfen, um einer Zergliederung vorzubeugen. 

Die Kommission hat diese Empfehlungen in ihrer Datenstrategie aufgegriffen. Sie denkt darüber nach, in dem für 2021 angekündigten Data Act möglicherweise auch die B2G-Datennutzung zu behandeln. Die Datenethikkommission der Bundesregierung wirft ebenfalls die Frage auf, ob private Unternehmen verpflichtet werden können und sollten, dem öffentlichen Sektor Zugang zu Daten zu gewähren, wenn diese gemeinwohlorientierten Zwecken dienen.

Andere Länder und Städte sind voraus

Barcelona hat mit Francesca Bria als Chief Digital Technology and Innovation Officer (2015-19) zwei Ansätze entwickelt, um Daten von öffentlichem Interesse zu nutzen. Die „low hanging fruits“ waren dabei die Verträge der Stadt mit privaten Anbietern. So hat etwa Vodafone ein öffentliches Wi-Fi bereitgestellt. In diesen Verträgen wurde eine Klausel eingeführt, wonach Daten, die bei der Erfüllung des Vertrages entstehen, auch der Stadt zur Verfügung stehen müssen. 

In Frankreich sind solche Klauseln bereits Gesetz. Gemäß dem Loi pour une République numérique von 2016 müssen Daten, die bei der Durchführung öffentlicher Aufträge generiert werden, der aufraggebenden Verwaltung maschinenlesbar zur Verfügung gestellt werden. Ebenso können Daten von öffentlichem Interesse für amtliche Statistiken genutzt werden. Auch der britische Digital Economy Act von 2017 ermöglicht den Zugang zu Daten des privaten Sektors, um amtliche Statistiken zu verbessern.

Der zweite, ambitioniertere Weg Barcelonas sowie auch Amsterdams war das von der Europäischen Kommission von 2017 bis 2019 pilotierte DECODE-Projekt. Bürger*innen konnten entscheiden, mit welchen privaten und öffentlichen Akteuren sie ihre Daten teilen wollten. So konnten sie etwa bestimmen, ihre Verkehrsdaten zwar mit der Stadtverwaltung, nicht aber mit Werbetreibenden zu teilen. Eine Blockchain-basierte Technologie – das Decode Wallet – sollte für Datensicherheit sorgen. 

Ansätze in Deutschland systematisieren

Auch in Deutschland gibt es Ansätze, Daten von öffentlichem Interesse zu nutzen – jedoch ohne diese ausdrücklich so zu charakterisieren. Das führt dazu, dass die Initiativen nur eingeschränkt an die europäische Diskussion und Praxis anschlussfähig sind. Dadurch bleiben Best Practices sowie die Expertise der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten ungenutzt. Ein einheitliches Konzept in Deutschland könnte nicht nur die Binnensystematisierung fördern. Es könnte auch Strahlkraft in Bezug auf die europäische Debatte entwickeln und die gemeinwohlorientierte Nutzung von Daten vorantreiben.  

Besonders weitreichende Pflichten zur Datenübermittlung sieht zum Beispiel das neue Geologiedatengesetz vor. Zweck des Gesetzes ist unter anderem die Bereitstellung von geologischen Daten, um einen Endlagerstandort für radioaktive Abfälle zu finden. Diese Daten liegen überwiegend bei privaten Bergbauunternehmen. Das Gesetz zeigt, wie weit der Gestaltungsspielraum der Politik bei nicht-personenbezogenen Daten reicht. Demnach müssen private Unternehmen umfassende geologische Daten nicht nur mit den Behörden teilen. Die Daten sollen bei überwiegendem öffentlichem Interesse sogar öffentlich bereitgestellt werden, beispielsweise um in der Gesellschaft die Akzeptanz für einen Endlagerstandort zu stärken.  

Im Mobilitätsbereich wird besonders deutlich, dass ein gesamtgesellschaftliches Interesse an bestimmten Verkehrsdaten besteht. So sieht der neue Entwurf des Berliner Mobilitätsgesetzes eine öffentliche Plattform für verkehrsrelevante Daten vor. Auch private Mobilitätsanbieter müssen ihre entsprechenden Daten beitragen, wenn sie dazu im Rahmen eines Vertrages oder einer Genehmigung verpflichtet wurden. Für personenbezogene Daten sowie Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind abgestufte Zugänge vorgesehen. 

Effektive Anreize setzen für dauerhafte Kooperationen

Wenn Daten von öffentlichem Interesse wirkungsvoll genutzt werden sollen, braucht es eine systematische und verlässliche Struktur. Dabei sind insbesondere freiwillige Vereinbarungen zu prüfen und weiterzuentwickeln. Auch die High-Level Expert Group on Business-to-Government Data Sharing der Europäischen Kommission kommt zu dem Ergebnis, dass es an kontinuierlicher Kooperation und effektiven Anreizen fehlt. Es gebe viele Pilotprojekte, die nicht institutionalisiert würden. Das führe dazu, dass operationelle und rechtliche Fragen jedes Mal aufs Neue geklärt werden müssten, obwohl sie möglicherweise andernorts schon beantwortet worden seien. Die Expertengruppe empfiehlt daher, sich weg von Ad-hoc-Kooperationen hin zu einer systematischen Nutzung dieser neuen Datenquellen zu bewegen.

Für freiwillige Kooperationen müssen außerdem wirksame Anreize geschaffen werden. So haben Hamburg und andere Städte bereits freiwillige Verträge mit E-Scooter-Anbietern geschlossen, in denen sich die Unternehmen verpflichten, verkehrsrelevante Daten mit der Stadtverwaltung zu teilen. Es spricht allerdings einiges dafür, dass erst die drohende Genehmigungspflicht für E-Scooter die Anbieter dazu motiviert hat. 

Anforderungen bei der Nutzung personenbezogener Daten untersuchen

Ein systematischer Ansatz sollte auch untersuchen, inwiefern personenbezogene Daten für öffentliche Leistungen genutzt werden können. Zwar ist oftmals ein direkter Personenbezug der Daten nicht notwendig. Aber insbesondere bei nutzergenerierten Daten bleibt das Risiko, identifiziert werden zu können. Dem sollte rechtlich und technisch begegnet werden, etwa durch Anonymisierungstechniken.

Bei der Nutzung personenbezogener Daten wird die Einwilligung von vielen als Königsweg propagiert, so etwa von Aline Blankertz. Sie weist zugleich darauf hin, dass bei einer Einwilligungslösung nicht gesichert ist, dass die kritische Masse an Daten erreicht wird, die für eine effektive Nutzung notwendig ist. Auch die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) setzt höhere Prüfmaßstäbe an die Freiwilligkeit einer Einwilligung gegenüber einer Behörde (Erwägungsgrund Nr. 43).

Man könnte daraus folgern, dass bei der B2G-Übermittlung personenbezogener Daten ein Gesetz als Rechtfertigungsgrundlage vorzuziehen ist. Neben Datentreuhändermodellen sollte daher auch der Gestaltungsspielraum untersucht werden, den die DSGVO für Gesetze eröffnet, die eine solche Nutzung rechtfertigen könnten. 

Es braucht eine Strategie für Daten von öffentlichem Interesse

Obwohl es bereits mehrere Ansätze gibt, Daten von öffentlichem Interesse zu nutzen, fehlt eine grundlegende Strategie, die die Potenziale tatsächlich auszuschöpfen vermag. Auch wenn konkrete Anwendungen sektorspezifisch ausgestaltet sein sollten, werfen sie doch gemeinsame Fragen auf: etwa nach effektiven Anreizen oder den Anforderungen bei der Nutzung personenbezogener Daten. Es lohnt, diese zusammen zu untersuchen und gemeinsame Richtlinien zu entwickeln. Eine erste konkrete Maßnahme könnte darin bestehen, Vergabeverträge so zu gestalten, dass die Daten, die bei der Erfüllung der Aufgaben entstehen, auch von der Verwaltung genutzt werden können.