Sorgen um einen friedlichen Machtwechsel

Analyse

Seit Beginn des Wahlkampfs sät Trump systematisch Misstrauen in der Bevölkerung gegenüber dem Wahlergebnis. Was wäre, wenn er eine Wahlniederlage nicht anerkennt? Eine Analyse von Christin Schweisgut.

Briefwahlzettel USA
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Briefwahlzettel für die US-Präsidentschaftswahlen 2020.

55 Prozent der erwachsenen US-Amerikaner*innen sind jüngsten Umfragen zufolge nicht überzeugt, dass die US-Präsidentschaftswahlen im November fair und gerecht ablaufen werden. Unter den Republikaner-nahen sind es sogar 65 Prozent. Maßgeblich beeinflusst hat sie dabei US-Präsident Donald Trump, der seit Wahlkampfbeginn systematisch Misstrauen gegenüber dem Wahlergebnis in der Bevölkerung sät. In der ersten TV-Debatte zwischen den Präsidentschaftsbewerbern bezeichnete Trump vor geschätzten 80 Millionen Zuschauer*innen die Wahl als einen „Betrug, wie Ihr ihn noch nie gesehen habt“. Trumps Angriffe richten sich insbesondere gegen die Briefwahl, die er wiederholt als besonders fälschungsanfällig bezeichnet hat. Durch Fakten belegbar ist diese Behauptung nicht.

Doch ist sie geeignet, den Boden zu bereiten für ein Szenario, das immer wahrscheinlicher scheint: Trump könnte sich weigern, eine Wahlniederlage anzuerkennen. Seit Monaten wird Trump nicht müde zu betonen, dass er das Wahlergebnis nicht einfach akzeptieren wird. Auf dem Parteitag der Republikaner, wo er offiziell als Kandidat nominiert wurde, rief er: „Die einzige Möglichkeit, uns die Wiederwahl zu stehlen, ist durch Wahlmanipulation“.

Kommt es nicht zu einem Erdrutschsieg für Joe Biden, dem Präsidentschaftskandidaten der Demokraten, befürchten Beobachter wie der Atlantic-Journalist Barton Gellman, dass Trump das Interregnum, also die Zeitspanne zwischen Wahltag und der Amtseinführung eines neuen Präsidenten nutzen könnte, um mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln das Wahlergebnis in Zweifel zu ziehen. Rosa Brooks, Juraprofessorin an der Georgetown-Universität in Washington, die unter Obama im Verteidigungsministerium gedient hat, fasst dies so zusammen: „Joe Biden kann eine Pressekonferenz einberufen, Trump die 82. Luftlandedivision“.

Bereits 2016 behauptete Trump, Stimmen wären falsch gezählt worden

Bereits nach seiner Wahl zum Präsidenten im Jahr 2016 hat Trump gezeigt, dass er nicht bereit ist, ein Wahlergebnis schlicht anzuerkennen. Er behauptete, Hillary Clinton habe die sog. Popular Vote, also die Gesamtstimmenzahl, mit fast 3 Millionen Stimmen Vorsprung nur deshalb gewonnen, weil Millionen illegaler Stimmen fälschlicherweise gezählt worden seien. In den USA bestimmen nämlich nicht die wählenden Bürger*innen direkt den Präsidenten, sondern von den Bundesstaaten entsandte Wahlmänner und -frauen – aufgrund des Ergebnisses im Bundesstaat. Das wiederum kann dazu führen, dass ein Kandidat zwar die Mehrheit der Wählerstimmen auf sich vereint, aber trotzdem die Wahl verliert. Belege für den von Trump behaupteten Wahlbetrug konnten auch von der eigens zu diesem Zweck eingesetzten Kommission nicht gefunden werden.

Trotz aller Gedankenspiele sind die Vereinigten Staaten denkbar schlecht darauf vorbereitet, dass Trump eine Wahlniederlage nicht anerkennt. Nach dem 20. Zusatz zur US-Verfassung endet die Amtszeit des Präsidenten am 20. Januar und die seines Nachfolgers beginnt. Worüber sich der Verfassungszusatz ausschweigt, ist die Frage, wie mit einem Streit über den Ausgang der Präsidentschaftswahl umzugehen ist. Auch Rechtswissenschaftler Lawrence Douglas, der am renommierten Amherst College in Massachusetts lehrt, stellt in seinem Buch mit dem Titel „Will he go?“ fest, dass die US-Verfassung den friedlichen Übergang der Macht nicht sichere, sondern vielmehr voraussetze. Nach einer Studie des Democracy Fund, einer vom eBay-Gründer Pierre Omidyar gegründeten Nonprofit-Organisation, würden 29 Prozent der US-Wähler*innen Gewalt für gerechtfertigt halten, falls Trump die Wahl verliert, aber seine Niederlage nicht eingesteht. Aus dieser Einstellung könnte im Zusammenspiel mit den zahlreichen Waffen im Privatbesitz und der beispiellosen ökonomischen Zerreißprobe durch die Covid-19-Pandemie ein gefährlicher Cocktail werden.

Bei einem Streit um das Wahlergebnis müsste der Supreme Court entscheiden

Beim umstrittenen Wahlausgang vor fast 20 Jahren, als sich Al Gore und George Bush gegenüberstanden, hat der Supreme Court, der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten, wesentlich zu einem friedlichen Machtübergang beigetragen. Er stoppte die Nachauszählung der Stimmen im Bundesstaat Florida und machte so Bush zum Wahlsieger. Gore, der durchaus über verfassungsrechtliche Mittel verfügt hätte, die Entscheidung anzugreifen, gestand – getragen vom Geiste der Demokratie – am Tag nach der Gerichtsentscheidung seine Niederlage ein. Nach dem Tode der liberalen Supreme Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg bemühen sich die Republikaner nach Kräften, ihre derzeitige Mehrheit im Senat mit der Nominierung von Amy Coney Barrett als Nachfolgerin zu nutzen. Damit wäre eine konservative Mehrheit im Supreme Court wohl auf Jahrzehnte zementiert. Welche Folgen dies in einem Streit über das Wahlergebnis hätte, darüber kann nur gemutmaßt werden.

Ein Leuchtfeuer der Demokratie zu sein, diesen Anspruch haben die US-Amerikaner*innen an ihre Nation. Dies erfordert den Einsatz einer/s jede/n für freie und gerechte Wahlen und für die Anerkennung des Willens der Bevölkerung, der im Wahlergebnis seinen Ausdruck findet. Sonst besteht die Gefahr, dass die Demokratie in den USA dauerhaft Schaden nimmt.

 

Die Verfasserin gibt ihre persönliche Meinung wieder.