Israels Annexionspläne bringen Jordaniens Stabilität ins Wanken

Hintergrund

Jahrelang galt Jordanien als stabiler Anker in der Nahostregion. Israels Annexionspläne hätten jedoch nicht nur für Palästina verheerende Konsequenzen, sondern könnten auch die Stabilität Jordaniens und damit die der gesamten Region aufs Spiel setzen.

Blick über Jordaniens Hauptstadt Amman
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Blick über Jordaniens Hauptstadt Amman

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hat angekündigt, Anfang Juli Teile des Westjordanlands zu annektieren. Diese Ankündigung bringt nicht nur die palästinensische Autonomiebehörde (PA), sondern auch das Nachbarland Jordanien in eine schwierige Position.

Für den jordanischen König Abdullah II stellt sich die Frage, ob und welche Konsequenzen er gegenüber Israel ziehen soll. In seiner eigenen Regierung und der Bevölkerung wird die Forderung erhoben, den Friedensvertrag mit Israel aufzukündigen, der seit 1994 besteht. Damit jedoch könnte Jordanien die USA und die Europäische Union (EU) verprellen, von denen es jährlich Hilfsgelder in Milliardenhöhe erhält. Ein Verlust der Gelder kann sich das durch die Coronakrise zusätzlich wirtschaftlich geschwächte Königreich nicht leisten. Die Arbeitslosenquote in Jordanien liegt derzeit bei knapp 20 Prozent. Der Tourismus, eine der Haupteinnahmequellen Jordaniens, ist seit der Schließung der Landesgrenzen Mitte März vollständig zum Erliegen gekommen und eine Erholung ist derzeit nicht in Sicht. Außerdem haben viele im Ausland lebende Jordanierinnen und Jordanier durch die Pandemie ihre Arbeit verloren und sind in ihr Heimatland zurückgekehrt. Zuvor hatten sie einen großen Teil ihres Lohns an ihre Familien geschickt, ein bedeutender Faktor für die jordanische Wirtschaft.

Sicherheitspolitisch gilt Jordanien seit Jahren als Stabilitätsgarant: Für Israel ist Jordanien eine Pufferzone zu den jihadistischen Bewegungen in den Nachbarländern Irak und Syrien. Die USA schätzen die Stabilität und die verlässliche Sicherheitspolitik des Landes. Weder der Islamische Staat noch andere terroristische Gruppen konnten im Land Fuß fassen. Ein Teil der aus den USA fließenden Hilfsgelder finanziert die jordanischen Sicherheitskräfte. Und die EU unterstützt das Königreich in seiner Rolle als Gastland für Geflüchtete aus den Nachbarstaaten, die Jordanien auch weiterhin bereit ist, zu beherbergen.

König Abdullah II bewegt sich taktisch klug auf dem diplomatischen Parkett und manövriert das Land geschickt durch alle Krisen. Er ließ sich weder in den jüngsten Atomkonflikt mit Iran, noch in die Katar-Krise 2017 hineinziehen. Und auch die Coronakrise meisterte Jordanien im globalen Vergleich besser als viele andere Länder. Zwar verhängte die Regierung zusätzlich zur Schließung aller seiner Landesgrenzen strenge Maßnahmen, wie etwa inländische Reiseverbote oder strikte mehrtägige Ausgangssperren. Doch zeigten die Maßnahmen Erfolg, denn die Infizierten-Zahlen blieben bisher auf einem sehr geringen Niveau. Die Situation geriet nie außer Kontrolle und bis heute ist es Jordanien möglich, bei jeder neuen Coronainfektion die gesamte Infektionskette zurückzuverfolgen. Das Königshaus und die Regierung haben mit ihrem Krisenmanagement auch das zeitweise verlorengegangene Vertrauen der Bevölkerung zurückgewonnen und genießen ein so hohes Ansehen wie lange nicht mehr.

Jordanien ist Jordanien, Palästina ist Palästina

Jordaniens Bevölkerung zählt knapp zehn Millionen Menschen; davon sind über zwei Millionen als palästinensische Flüchtlinge registriert. Allerdings haben darüber hinaus über die Hälfte der Bürger/innen palästinensische Wurzeln. Rechtsnationale Politiker/innen in Israel bezeichnen Jordanien gern als den eigentlichen palästinensischen Staat und sehen daher keine Veranlassung, einen palästinensischen Staat in den besetzten Gebieten zuzulassen. Nicht zuletzt deshalb waren die Oslo-Abkommen von 1993, die einen eigenständigen palästinensischen Staat und eine Endstatusverhandlung über die palästinensischen Geflüchteten in Aussicht stellten, für Jordanien bedeutsam. Amman hält seither an der Zweistaatenlösung mit Ostjerusalem als Hauptstadt fest.

Aussicht über das palästinensische Jordantal mit Blick auf Jordanien
Aussicht über das palästinensische Jordantal mit Blick auf Jordanien

Sie gilt für Jordanien als einzige und unabdingbare Lösung, einen gerechten und anhaltenden Frieden in der Region zu schaffen. In einer Annexion sieht Jordanien indes das Ende der Zweistaatenlösung. Neben einem Stabilitätsverlust in der Region befürchtet das Königreich eine weitere Welle palästinensischer Geflüchteter, die das Königreich vor große wirtschaftliche und soziale Probleme stellen würde.

Mehr als tausend europäische Parlamentarier/innen aus insgesamt 25 Staaten haben mit einem gemeinsamen Schreiben ihre Regierungen aufgefordert, sich gegen die geplante Annexion auszusprechen. Die EU hat ihre Besorgnis zum Ausdruck gebracht, ohne dies jedoch mit der Androhung von Konsequenzen zu verknüpfen. Zusätzlich hat Jordaniens Außenminister Ayman Safadi versucht, seine regionalen und europäischen Amtskolleg/innen zu mobilisieren und davon zu überzeugen, dass die Annexion verheerende Folgen für Jordanien und die Region hätte. Länder aus der arabischen Welt haben zwar signalisiert, dass sie eine Annexion nicht akzeptieren würden, doch konkrete Drohungen blieben aus.  

Kürzlich reiste Safadi nach Ramallah, um mit Präsident Mahmoud Abbas und der palästinensischen Führung zu beraten. Er sagte, im Falle einer Annexion würde Israel den Weg von „Konflikt und Eskalation“ wählen. In die gleiche Kerbe schlug auch König Abdullah II in seinem Interview mit Der Spiegel, als er ankündigte, die Annexion würde „zu einem massiven Konflikt mit Jordanien führen“. Zwar fügte er hinzu, er wolle „keine Atmosphäre des Streits provozieren“, dennoch ziehe er „sämtliche Optionen in Betracht“.

Jordanisch-israelische Spannungen währen schon länger

Die jordanisch-israelischen Spannungen bestehen nicht erst seit Netanjahus Ankündigung, Teile des Westjordanlands zu annektieren. Als sich im Herbst 2019 die Schließung des Friedensvertrags zwischen Israel und Jordanien zum 25. Mal jährte, wurde dieses Ereignis in beiden Ländern nicht gefeiert. Zudem betonte König Abdullah II Ende vergangenen Jahres bei seinen Staatsbesuchen in der Region, dass die völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungen im Westjordanland die Aussichten auf eine Friedenslösung für die gesamte Region untergrüben. Die Beziehungen zu Israel waren auch durch die Festnahme zweier Jordanier/innen im Oktober vergangenen Jahres durch israelische Sicherheitskräfte belastet, die ihre Familien im Westjordanland besuchen wollten. Vor allem die Festnahme der jungen Hiba al-Labadi, die im Gefängnis in den Hungerstreik trat, hatte in Jordanien und Palästina Proteste ausgelöst. Sie führten dazu, dass Amman seinen Botschafter aus Tel Aviv zurückrief. Außenminister Safadi beschuldigte Israel zudem, das Leben der beiden Verhafteten zu gefährden. Erst nach längeren Verhandlungen zwischen Safadi und dem Vorsitzenden des israelischen Sicherheitsrates Meir Ben-Shabbat kam es zur Freilassung der Verhafteten und ihrer Rückführung nach Jordanien.

Nicht zuletzt deshalb sagte König Abdullah II im November 2019 öffentlich, die Beziehungen zu Israel seien auf einem historischen Tiefstand seit der Unterzeichnung der Oslo Friedensabkommen. Die Veröffentlichung des als Deal of the Century angekündigten Trump-Plans im vergangenen Februar hat die Gräben weiter vertieft, zumal Jordanien in Gespräche nicht miteinbezogen wurde. Jordaniens Politiker/innen regierten mit breiter Ablehnung auf den US-Plan.

Abbruch der Beziehungen?

In Jordanien selbst werden mittlerweile auch Stimmen in der Bevölkerung lauter, die von der Regierung scharfe Konsequenzen im Falle einer Annexion verlangen. So demonstrierten kürzlich mehrere hundert Jordanierinnen und Jordanier gegen die Annexion und forderten die Auflösung des Friedensvertrags mit Israel. Die israelische Regierung sandte indes den Chef des israelischen Auslandgeheimdienstes Mossad, Yossi Cohen, nach Amman und warnte König Abdullah II vor einseitigen Schritten. In der Tat könnte eine Aufkündigung des Friedensvertrags für Jordanien weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen, zum Beispiel für den Wirtschaftsaustausch, für den grenzüberschreitenden Tourismus und für die Gaslieferungen von Israel an Jordanien. Darüber hinaus sind außenpolitische Folgen vor allem im Verhältnis zu Washington zu befürchten. Dennoch ist klar: Sollte Netanjahu seine Ankündigung wahrmachen und palästinensisches Gebiet annektieren, wird Amman sich im Zugzwang sehen, darauf zu reagieren. Für die Stabilität in der Region sind das beunruhigende Aussichten.