Kinderrechte ins Grundgesetz!

Kommentar

Am 20. November ist es 30 Jahre her, dass die Vereinten Nationen eine Kinderrechtskonvention verabschiedet haben: Das ist ein Jubiläum zum Feiern, aber auch zum Innehalten. Nina Ohlmeier, Abteilungsleiterin Politische Kommunikation beim Deutschen Kinderhilfswerk e.V. zieht Bilanz und sagt, was zu tun ist.

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Die Situation von Kindern weltweit, und auch in Deutschland, hat sich verbessert. Aber der Weg zu einer kindgerechten Gesellschaft ist noch sehr lang. So ist eine wesentliche und wiederholte Forderung des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes an Deutschland – die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz – noch immer nicht erfüllt. Nach einem klaren Bekenntnis im Koalitionsvertrag und eingehenden Diskussionen in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll jedoch nach Angaben der Bundesregierung noch in diesem Jahr ein Referentenentwurf vorgelegt werden. Die Normierung von Kinderrechten im Grundgesetz wäre ein großer Schritt für die öffentliche Wahrnehmung und praktische Umsetzung der Kinderrechte.

Wo steht die Bundesrepublik in Sachen Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention?

In den letzten 30 Jahren sind eine ganze Reihe von Verbesserungen für Kinder und Jugendliche umgesetzt worden, die wesentlich auch aus der UN- Kinderrechtskonvention resultieren. Dazu gehören die gesetzliche Regelung zur gewaltfreien Erziehung, das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG), der Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung, das Bundeskinderschutzgesetz und die Ergänzung des Baugesetzbuches um mehr Kinder- und Jugendbeteiligung. Auch finden sich mittlerweile in nahezu allen Landesverfassungen explizite Kinderrechte oder es wird zumindest gesetzlich hervorgehoben, dass Kinder eines besonderen Schutzes bedürfen. Gleichzeitig findet eine gesetzlich normierte Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in Städten und Gemeinden immer öfter Einzug in die Gemeindeordnungen.

Doch bei all den Fortschritten bleibt festzuhalten, dass bei der Umsetzung der Rechte von Kindern in vielen Bereichen noch große Defizite bestehen.

Nach wie vor ist in Deutschland trotz guter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen jedes fünfte Kind von Armut betroffen – mit fatalen Auswirkungen auf seine Zukunftschancen. Es gelingt häufig nicht, Armutskreisläufe zu durchbrechen. Der berufliche Weg hängt immer noch stark von der (sozialen) Herkunft ab. Vielerorts kann zudem immer weniger von gleichwertigen Lebensverhältnissen die Rede sein, stattdessen ist vielmehr eine zunehmende Segregation zu beobachten. Gerade an Orten, an denen arme Kinder leben, fehlt es häufig an einer bedarfsgerechten Infrastruktur: an einem gut ausgestatteten, qualitativ hochwertigen Bildungssystem, am kostenlosen Zugang zu einem gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehrsnetz, an Spielorten, Treffpunkten, Freizeitangeboten, die den Bedürfnissen von Kindern entsprechen.  Nötig wäre hier eine Gesamtstrategie zur Bekämpfung von Kinderarmut, die unter anderem eine bessere Ausstattung von Kommunen durch den Bund in den Blick nimmt.

Auch wenn es um die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen geht, kann noch lange nicht von flächendeckenden institutionalisierten Zugängen gesprochen werden, um ihre Meinungen und Perspektiven in den politischen Prozess einzuspeisen. Gleiches gilt für die Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen in der Schule, in der Kita, in stationären Einrichtungen wie Krankenhäusern oder in Justizverfahren. Für die Beschwerden von Kindern und Jugendlichen, die in Heimen aufwachsen, existieren bis heute keine zufriedenstellenden Standards. Ein langer Weg liegt entsprechend vor uns, um dem Kindeswohlvorrang, als „Dach der Rechte“ der UN-KRK, in allen politischen wie Gerichts- und Verwaltungsentscheidungen zur Durchsetzung zu verhelfen.

Was würde sich an diesen Missständen ändern, wenn Kinderrechte im Grundgesetz verankert wären? Derzeit müssen die Rechte von Kindern erst durch eine komplizierte Herleitung ins Grundgesetz hineingelesen werden. Die Folge ist ein erhebliches Umsetzungsdefizit bei den Kinderrechten. Mit einer Verankerung der Grundprinzipien der UN-Kinderrechtskonvention im Grundgesetz würden Gerichts- und Verwaltungsentscheidungen stärker Bezug auf Kindesinteressen nehmen, aber auch die Verfahren müssten kindgerechter ausgestaltet werden. Dies würde auch bedeuten, dass kindgerechte Bauplanungsverfahren oder kindgerechte Anhörungen bei allen Gerichtsentscheidungen durch entsprechend qualifizierte Richterinnen und Richter verpflichtend würden.

Doch allein mit einer Verfassungsänderung ist es noch nicht getan: Die Umsetzung der UN-KRK erfordert einen kontinuierlichen politischen Willen auf allen Ebenen. Denn gerade die Politik hat entscheidenden Anteil und Verantwortung für die Gestaltung und finanzielle Absicherung einer kinderfreundlichen und damit zukunftsfähigen Gesellschaft. In der konkreten Stärkung aller Kinder liegt das Potenzial der Kinderrechte: Die Interessen und Ansichten von Kindern als wichtigen Parameter mit einzubeziehen, ihnen unabhängig von ihrer (sozialen) Herkunft beste Zukunftschancen zu eröffnen, sie durch Beteiligung stark zu machen und ihnen einen Platz im politischen Meinungsbildungsprozess zu geben – davon hängt die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft ab.