Ohne Frauen ist kein Staat zu machen. Nirgends

Eine Rede über Umwege, Dauerbaustellen und überraschende Erfolge anlässlich „30 Jahre friedliche Revolution und Mauerfall“

Karte: Zeichnung: Prinzessin im Begriff, einen Frosch zu küssen, Mutter mit zwei Kindern und Einkaufstaschen, Hexe auf einem Besen

1989 und Anfang 1990 – das war erst die Revolutions -und dann die „Retten was zu retten ist“ – Phase. Getragen von Zuversicht, Neugier und dem Denken: „Alles ist möglich!“.
Einerseits war es ein Aufbruch zu einer neuen demokratischen, freien, gerechten, auch geschlechtergerechten Gesellschaft, ein Ausbruch aus Begrenztheit und Mief.

Andererseits ging es nach dem Fall der Mauer ziemlich schnell um die Befürchtung, auf das Emanzipationsniveau der alten Bundesrepublik zurückgeworfen zu werden: Durch den Abbau von Kinderbetreuung, das Wegbrechen von Frauen-Arbeitsplätzen und das Unter-Strafe-Stellen von Schwangerschaftsabbrüchen.

Wir kamen im Unabhängigen Frauenverband (UFV) aus ganz unterschiedlichen Bereichen: Aus den Kirchen, Forschung und Wissenschaft, Kunst, Kultur und Literatur, auch aus der SED. Und aus dem Privaten. Mit Erfahrungen im Bauch, die der von Staat und Partei verkündeten Gleichberechtigung diametral entgegenstanden. Mit den Büchern von Christa Wolf, Irmtraud Morgner, Maxie Wander und dem Film von Helke Misselwitz „Winter adé“ im Kopf und im Herzen.  Uns einte ein überwiegend linkes Selbstverständnis.

Aber auch mit einer Lebenserfahrung der Selbstverständlichkeit von Beruf und selbstverdientem Geld, von Kinderkrippen, Kindergärten, Horten und Schulessen. Dazu gehörte auch, sich selbstverständlich scheiden zu lassen, wenn es nicht mehr passte. „Partiell emanzipiert“ wird das von einigen heute genannt, ich finde, das trifft es ganz gut.

Was wir erreichen wollten? Nicht weniger als die volle Gleichstellung, überall. Ich zitiere aus Ina Merkel „Ohne Frauen ist kein Staat zu machen“, dem Gründungsmanifest des UFV:

„Wir müssen darauf bestehen, dass Frauenfragen keine gesellschaftlichen Randprobleme sind, sondern existenzielle Grundfragen.“

„Die Völker der Erde stehen heute vor existenziellen globalen Problemen. Umweltzerstörung, Kriegsgefahr und lebensbedrohliche Lage in der Dritten Welt sind die Folgen der hemmungslos expandierenden männlich dominierten Industriegesellschaften.“

Ganz schön aktuell. Genauso wie die Forderung nach der Abschaffung des Ehegattensplittings und einer Kampagne zur Arbeitszeit mit dem schönen Titel „30 Stunden sind genug“.

Und wie sollte das gelingen?

Im Dezember ´89 hielten wir und auch ich einen erneuerten Sozialismus für möglich.

Demokratie (inkl. der radikalen Quote), ein solidarisches Miteinander und eine ökologische Wirtschaft, u.a. mit einer Stärkung des öffentlichen Verkehrs und einer vernünftigen Ernährungsweise mit weniger Fleisch und mehr Gemüse.

Soweit das Manifest – und was haben wir bekommen?

Keinen dritten Weg, kein gemeinsames neues Deutschland, keine gemeinsame neue Verfassung, sondern einen Beitritt zur Bundesrepublik mit Treuhand und westdeutschem Recht. (Mit etlichen Ausnahmen, so galt u.a. die Amtsvormundschaft für alleinerziehende Frauen aus der DDR nicht.)

Der wirtschaftliche Zusammenbruch und die Schließung der Großbetriebe kamen rasend schnell. Mitte 1991 war die Hälfte der 50-60-jährigen Frauen vom Arbeitsmarkt verschwunden. Von der anderen Hälfte waren 30% arbeitslos. Es wird geschätzt, dass im Zeitraum von 1991-1995 80% der erwerbstätigen Bevölkerung ihren Arbeitsplatz verloren haben.*

Und die Diskriminierung der Frauen und der Frauenbranchen war dabei besonders krass. Als die ganze Textilindustrie von Plauen bis Forst plattgemacht wurde, interessierte das kaum jemanden. Mit Arbeit und Einkommen war dann zwar die Doppelbelastung verschwunden und die Luft hatte sich mit dem Verschwinden der Industriebetriebe auch verbessert -  aber leider verschwand damit auch eine (nicht die einzige) zentrale Voraussetzung für Emanzipation: Die ökonomische Unabhängigkeit.

Und wie reagierten die Frauen im Osten darauf?

Mit Abwanderung und dem Rückgang der Geburtenrate. 2002 hieß es im Spiegel „Hilfe, die Frauen fliehen“. Allein zwischen 1991 und 1999 verlor der Osten im Saldo knapp 330.000 vor allem jüngere Frauen. Besonders mobil waren die 18-24-jährigen Frauen, die meist eine gute Schulbildung hatten. Es blieben bis zu 25% mehr junge Männer mit schlechten Karten auf dem Arbeits- und Heiratsmarkt. Und wie immer setzten sich meist die flexiblen, besser gebildeten, weltoffeneren Menschen in Bewegung. Das hat natürlich politische und soziale Auswirkungen auf die „ostdeutsche Bleibegesellschaft“. Zu vermuten ist auch ein Zusammenhang zur hohen Akzeptanz der AfD in den neuen Ländern. Der Gesamttrend der Abwanderung scheint gestoppt, die Verwerfungen der letzten Jahre macht das nicht rückgängig.

Wir bekamen das Ehegattensplitting und 1989 die Biedenkopf-Zukunftskommission, welche „die ungebrochen hohe Erwerbsneigung der ostdeutschen Frauen“ für die Probleme der Männer am Arbeitsmarkt verantwortlich machte, als sei das eine Krankheit, die man therapieren muss. (Das war übrigens in derselben Zeit, aus der das Zitat von Kurt Biedenkopf stammt „Die Sachsen sind immun gegen Rechtsradikalismus.“)

Erinnert sich noch jemand an den Kriminologen Christian Pfeiffer, der 1999 einen Zusammenhang zwischen Kinderkrippen und Ausländerfeindlichkeit ausmachte? Es gab schon einige Zumutungen!

Gleichzeitig bauten sich die ostdeutschen Frauen ihr neues Leben auf und etablierten sich in den neuen Verhältnissen - ohne sich von Erfahrungen und Haltungen aus DDR-Zeiten zu verbschieden.

Was sich da in den letzten 25 Jahren entwickelte, ist schon bemerkenswert. War Anfang der 90er noch berechtigter Weise von den Frauen als Verliererinnen der Wende die Rede, so lese ich in diesen Tagen, dass die Ostfrauen „Gewinnerinnen“ der Wende sind. Hier ein Zitat von Sabine Rennefanz aus der taz: „Denn die ostdeutschen Frauen sind ja womöglich das größte Erfolgsprodukt der deutschen Wiedervereinigung.“

Warum das so ist? Marianne Birthler hat mal gesagt, „Nach meinem Eindruck sind Frauen besser mit den Umstellungen zurechtgekommen.“ Ich würde ergänzen: Sie lassen sich nicht so schnell unterkriegen, entwickeln im Krisenmodus Kräfte und Fähigkeiten.

Ostdeutsche Frauenemanzipation hat den Westen geprägt

Mit Blick auf Gesamtdeutschland ist festzuhalten: In punkto Frauenemanzipation hat der Osten den Westen geprägt. Frauen (und Männer) aus dem Osten treiben nicht nur die „Erwerbsneigung“, sondern auch die Erwerbsbeteiligung nach vorn. Gleiches gilt für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Sie sind häufiger berufstätig (57,9 % / 50,9 %), verdienen relativ gesehen mehr, der Gender-Gap ist im Osten geringer (9 % / 22 %). Diejenigen, die geblieben sind, haben öfter Leitungspositionen (in der Privatwirtschaft 44 % / 27 %), sind besser mit Kinderkrippen (52 % / 27 %) und Kitas (72,6 % / 34,1%) versorgt. Die Unterschiede zwischen Vätern Ost und West zeigen sich bei der Inanspruchnahme von Elterngeld und Elternzeit. UND: 51% der Frauen im Westen kaufen ihren Männern die Kleidung, im Osten sind es nur 38%.

Ein weiteres Phänomen: Mit Erstaunen nimmt die Öffentlichkeit gerade zur Kenntnis, dass insgesamt weniger Ostdeutsche in Führungspositionen sind – unter ihnen sind aber überproportional viel Frauen vertreten.

In der Bundespolitik standen früher immer Niedersachsen in der ersten Reihe, heute sind es Frauen aus den ostdeutschen Bundesländern. Angela Merkel, Sarah Wagenknecht, Anna-Lena Baerbock, Kathrin Göring-Eckart, Manuela Schwesig, Franziska Giffey – um nur einige Namen zu nennen.

Also alles gut? Keine Gefahr, dass das Rad wieder zurückgedreht wird?

Die nationalistisch-konservativ bis rechte Bewegung, die Europa und die Bundesrepublik erfasst hat, ist eine von Männern dominierte und mehr Männer als Frauen anziehende Bewegung. Hätten nur Männer in Brandenburg und Sachsen gewählt, wäre die AfD in beiden Ländern stärkste Kraft geworden.

 Rechte und Wahlmöglichkeiten von Frauen sollen eingeschränkt, ihre Rolle wieder auf die Hausfrau und (deutsche) Kinder gebärende Mutter beschränkt werden. Abtreibung soll wieder strafbar und der Gender-Wahn gestoppt werden. Antifeminismus und Rassismus, ein traditionelles Frauenbild und der Anti-Asyl-Kurs sind die Allianz, die vor allem für Männer attraktiv sind, die sich als Modernisierungsverlierer fühlen. Besser als die Psychologin Beate Küpper kann man es nicht ausdrücken. Es gehe darum, Privilegien nicht teilen zu wollen, sei es mit Frauen oder mit Migranten: „Es sind Männer, die erleben, Papa kriegt nicht mehr automatisch das größte Schnitzel“, sagt sie. Dazu passt, dass Björn Höcke seine Anhänger ermutigt: „Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken.“

Eine Mehrzahl der Frauen und Männer wird das nicht überzeugen, schon gar nicht in den Städten. Aber so manches Frauenprojekt befürchtet zu recht, platt gemacht zu werden, wenn erst AfD-Amtsträger in den Städten und Kommunen oder schlimmer noch auf Landesebene das Sagen haben.

Was mir aber wirklich Hoffnung gibt, das ist die Generation der jungen Frauen (und Männer), die sich gerade auf den Weg machen, die „Welt zu retten“. Fridays for Future wird überwiegend von jungen Frauen getragen, und sie stehen auch in der ersten Reihe.

Weiblich, links, umweltbewusst, gut gebildet, entschlossen und ganz selbstverständlich emanzipiert…

Vielen Dank.


Die Rede wurde im Rahmen einer Festveranstaltung anlässlich 30 Jahre friedliche Revolution und Mauerfall am 14.10.2019 in der Heinrich-Böll-Stiftung gehalten.

* Wirtschaftssoziologe Paul Windolf, 2001

* Bertelsmann Stiftung, 2015


Dr. Sibyll Klotz hat Philosophie an der Humboldt-Universität studiert. Ab Januar 1991 war sie für die Berliner Grünen im Abgeordnetenhaus. Zunächst als Vertreterin des Unabhängigen Frauenverbandes (UFV), ab 1995 als Mitglied für Bündnis 90 / Die Grünen. Sie war Fraktionsvorsitzende, arbeitsmarkt- und frauenpolitische Sprecherin und 2004/2005 Vorsitzende der Enquetekommission "Eine Zukunft für Berlin". Von 2006 bis 2016 war sie Stadträtin für Gesundheit und Soziales in Tempelhof-Schöneberg.