Konzerne: Die Aktivitäten der Plastik-Lobby

Plastikatlas

Mit gut organisiertem Lobbydruck sorgt die Plastikindustrie dafür, dass die wachsende Produktion von Kunststoffen als Problem aus dem Blick gerät. Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf das Abfallmanagement und Recycling und drückt sich so vor der Verantwortung.

Plastikatlas - Infografik: Der durch das Fracking ausgelöste Schiefergasboom in den USA befeuert die globale Erwärmung.

Die Kunststoffproduktion ist ein nachgelagerter Zweig der gigantischen petrochemischen Industrie. Nur ein paar Dutzend Unternehmen stellen den Großteil der Produkte her, die später als Abfall zurückbleiben. Und nur eine Handvoll multinationaler Konzerne dominiert den Markt der Plastik-Pellets, der Rohform von Kunststoffen.

Diese Konzerne nutzen ihre Marktmacht, um sich Vorteile zu sichern, die ihnen weiterhin hohe Profite einbringen, aber nur geringe oder gar keine Verbindlichkeiten abverlangen. Sie versuchen vor allem, ihre Kosten zu minimieren und die Vermüllung mit Plastik als ein Entsorgungsproblem darzustellen. Dies schränkt ihre Verantwortung ein und hat zu einem Abfallhandel geführt, der das Müllproblem von den Wohlstandsregionen in die ärmeren Länder verlagert und strukturell an die Ausbeutung der Kolonialzeit erinnert. Die führenden Kunststoffkonzerne haben ihren Hauptsitz in einigen wenigen Ländern (USA, Großbritannien, Saudi-Arabien, Schweiz, Deutschland, Italien und Südkorea), produzieren aber in mehr als 200 Ländern. Jeder dieser Konzerne beschäftigt für seine Lobbyarbeit eigene Teams, um Einfluss auf Politik und Regierungen zu nehmen. Insgesamt finanziert die Branche hunderte von globalen, nationalen und regionalen Handelsverbänden, die auf der politischen Bühne selbst als Lobbyisten auftreten.

Die 2018 verabschiedete Kunststoffstrategie der EU wurde vielfach als zu unkonkret kritisiert. Womöglich ist das dem Lobbydruck der Industrie geschuldet.

Die Industrie übt damit auch großen Einfluss auf Gremien und Foren aus, die Entscheidungen in Bezug auf Plastik treffen. Bereits in den 1950er-Jahren führten Chemieunternehmen wie Dow und Mineralölkonzerne wie Esso (heute ExxonMobil) zwar intensive Diskussionen über die wachsende Krise der Plastikvermüllung; manchmal auf Konferenzen und in Anwesenheit von Regierungsvertreterinnen und -vertretern. Allerdings nutzen dieselben Unternehmen bis heute ihren finanziellen Spielraum und ihren Einfluss, um Bemühungen zu unterwandern, weniger Plastik zu produzieren. Sie verfolgen oft eine Doppelstrategie aus Lobbying und breit angelegter Werbung mit der eindeutigen Botschaft: Das Müllproblem lässt sich durch Recycling in den Griff bekommen.

In den USA war in den vergangenen 20 Jahren das Fracking eine entscheidende zusätzliche Antriebskraft, die Kunststoffproduktion zu steigern. Im Jahr 2005 erarbeitete ein Ausschuss aus Aufsichtsbehörden und Lobby-Gruppen eine Gesetzgebung, die das Fracking vom US-amerikanischen Wasserschutzrecht (Safe Drinking Water Act) ausnimmt – ohne dass die Öffentlichkeit an dieser Entscheidung nennenswert beteiligt wurde. In Louisiana, Texas und anderen Bundesstaaten, in denen Fracking einen Plastikboom befeuert, werden Bohrungen von Steuern befreit – in Höhe von Hunderten von Millionen Dollar.

Mit ihrer Lobbyarbeit erreichten der britische Chemiekonzern Ineos und andere energieintensive Unternehmen im Jahr 2017, dass die britische Regierung sie von Abgaben befreite. Mit diesen sollte eigentlich die Abkehr von fossilen Brennstoffen finanziert werden. Statt also in saubere Energie zu investieren, umgehen Ineos und seine Partner Steuerverbindlichkeiten von umgerechnet mehr als 116 Millionen Euro. Diese von Lobbyistinnen und Lobbyisten ausgearbeiteten Sonderkonditionen ermöglichen Gewinne auf Kosten der Allgemeinheit, die sonst nicht zu erwirtschaften wären. Die Kunststoffproduktion wird so weiter angekurbelt.

Die wenigen in der Plastikproduktion führenden Konzerne sind über die ganze Welt verteilt. Darunter ist auch BASF mit Hauptsitz in Ludwigshafen.

Bei diesen Vorzugsregelungen kommt eine wichtige Dynamik zum Tragen: Das von der Industrie finanzierte Lobby-Personal übertrifft die gewählten Mandatsträger und -trägerinnen oder Vertreter und Vertreterinnen von Nichtregierungsorganisationen zahlenmäßig um ein Vielfaches. Lobbyistinnen und Lobbyisten wechseln dagegen häufig zwischen Regierungs- und Firmenjobs und können auf riesige Finanz-Töpfe der Industrie zugreifen. Der American Chemistry Council, der mehr als 150 Chemieunternehmen einschließlich aller US-amerikanischen Kunststoff produzierenden Unternehmen vertritt, gab im vergangenen Jahrzehnt umgerechnet fast 89 Millionen Euro für Lobbyarbeit aus – weit mehr als Nichtregierungsorganisationen.

Dieses Machtgefälle führt zu Regelungen, die die Industrie begünstigen und die Rechte von Menschen und Umwelt torpedieren. Aufgrund des massiven Lobbyings konzentrieren sich die politischen Entscheidungen und Richtlinien auf das Ende des Plastik-Lebenszyklus wie Recycling und das Verhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher. So zielen die Lösungsansätze in erster Linie weiter darauf, Plastik zu entsorgen statt die Produktion zu reduzieren.

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Sogar die Grenzen zwischen NGOs und Vertretungen der Industrie können verschwimmen. Unternehmen gründen und finanzieren Institutionen, die als Nichtregierungsorganisationen auftreten, aber in ihrem Sinne arbeiten – so zum Beispiel bei der 2018 verabschiedeten Kunststoffstrategie der Europäischen Union: Als sie erarbeitet wurde, haben diese Organisationen sichergestellt, dass die Interessen der Industrie berücksichtigt wurden.

Ein Beitrag aus dem Plastikatlas.