Proteste im Iran: Politikum Umweltkrise

Hintergrund

Seit der Rebellion zur Jahreswende scheint es im Iran ruhig geworden zu sein. In den westlichen Medien brach das rege Interesse nach gut einer Woche ab. Doch waren die regimekritischen Proteste kein kurzes Aufflammen, das nun erloschen ist.

Eine Frau im Sandsturm in der Nähe der iranischen Stadt Meybod.

Die Proteste reißen nicht ab. Auf verschiedenen Ebenen gehen die Aktionen in veränderter und innovativer Gestalt weiter. Laut dem persischsprachigen Dienst der BBC fanden zwischen dem 1. Mai 2017 und dem 1. Mai 2018 landesweit tagtäglich durchschnittlich 17 Proteste und Streiks statt. Aktionen des zivilen Ungehorsams von Frauen gegen den Schleierzwang, Umweltproteste, vor allem in der Provinz Isfahan, Proteste in Ahvaz und Kazeroun, und Arbeiterproteste und -streiks, zuletzt von LKW-Fahrern, um nur einige Beispiele zu nennen.

Die jüngsten Formen des politischen Aktivismus gegen das Regime waren von besonderer Kreativität gekennzeichnet. So wandten Bauern in der Provinz Isfahan den Imamen während den Freitagspredigten den Rücken zu und in der kurdischen Stadt Marivan rollten Ladenbesitzer ein langes, leeres Tischtuch aus, um gegen Armut zu protestieren. Neben den sozioökonomischen Protesten, gewinnen Aktionen gegen die Umweltverschmutzung zunehmend an politischer Brisanz. Bei diesen Aufständen offenbart sich eine explosive Kombination aus Arbeitslosigkeit, Umweltkrisen und Politikversagen.

Ein aktuelles Beispiel sind die heftigen Proteste gegen schlechte Wasserqualität, Wassermangel und Korruption in der südwestlichen iranischen Provinz Khuzestan, die seit der zweiten Juni-Hälfte andauern. Bei den Protesten wurden Slogans gegen das Regime skandiert. Zwischen den Demonstranten und der Polizei kam es dabei zu gewaltsamen Auseinandersetzungen.

Tödliches Politikum Umwelt

Irans existentielle Umweltkrise ist in erster Linie menschengemacht. Aus diesem Grund ist das Thema Umwelt, das die Lebensgrundlage von Millionen bedroht, ein hochsensibles Politikum. Wer darauf aufmerksam macht oder gar Verantwortlichkeiten benennt, riskiert sein Leben. Im Zuge des Aufstands zur Jahreswende fand eine Verhaftungswelle gegen Umweltschützer statt. Einer ihrer prominentesten Vertreter, der Soziologieprofessor Kavous Seyed Emami, ist in Haft auf rätselhafte Weise verstorben. Nachdem Mitte Februar eine Reihe von Umweltschutzaktivisten vom Parlament angehört wurden, stürzte ihr Flugzeug bei der Rückreise unter mysteriösen Umständen ab, wobei alle Insassen ums Leben kamen.

Ein anderer Fall ist jener von Kaveh Madani, ein am renommierten Imperial College London lehrender Umweltwissenschaftler, der im September 2017 einen Posten als stellvertretender Leiter des iranischen Umweltministeriums antrat. Dieser hatte sich kritisch zu der Verhaftungswelle geäußert und wurde daraufhin einige Tage lang von den Revolutionsgarden nahstehenden Geheimdienstlern festgehalten. In dieser Zeit äußerte sich der Vorsitzende des Obersten National Sicherheitsrats Irans: „Sicherheitsbehörden untersuchen verdächtige Aktivitäten mancher NGOs, die in den Bereichen Gesundheit, Umwelt, Wasser und Frauen arbeiten.“ Nach seiner Freilassung teilte Madani mit, dass er keinen Zugang mehr zu seinen sozialen Online-Netzwerken habe. Daraufhin stand er weiterhin unter Beobachtung, bevor er Mitte April aus dem Iran floh.

Die menschengemachte Karun-Tragödie

Der Karun im Südwesten Irans ist mit circa 900 Kilometern der längste und vor allem der einzig schiffbare Fluss des Landes. Von seiner einstigen Pracht ist heute jedoch wenig übrig. Das Flussbecken droht auszutrocknen, das umliegende Ökosystem ist weitgehend zerstört. Hinzu kommen giftige Industrieabfälle, die in den Karun fließen und ihn sowohl für die Trinkwasser- als auch landwirtschaftliche Nutzung untauglich machen. Der Karun ist ein Sinnbild für die Wasser- und Umweltkrise Irans. Neben dem Karun gehören der durch Isfahan fließende Zayandeh-Rud (wortwörtlich „lebensspendender Fluss“), der größte Fluss des iranischen Zentralplateaus, und der Urumieh-See im Nordwesten des Landes zu den prominentesten Beispielen der landesweiten Wasser-Krise.

Grund für die Tragödie rund um den Karun sind über ein Dutzend fehlgeplanter Talsperren, die nach dem Irak-Iran-Krieg (1980-88) zur Stromgewinnung und zur Abzweigung in wasserarme Binnenprovinzen wie Isfahan, Kerman und Yazd errichtet wurden. Trotz vorhandener Studien aus der vorrevolutionären Schahzeit, die vor massiven negativen Umweltfolgen warnten, wurden diese Projekte unter Präsident Akbar Hashemi-Rafsanjani (1989-97) und seinem Nachfolger Mohammad Khatami (1997-2005) vorangetrieben. Dies geschah ohne Rücksicht auf die immensen Umwelt- sowie sozialen Kosten; Zehntausende wurden umgesiedelt.

Eine weitere Ursache für den Wandel im Ökosystem ist die Zuckerrohr-Agrarindustrie und die damit verbundene Wasserverschmutzung sowie der exzessive Wasserverbrauch. Heute weisen viele der ehemaligen Agrarflächen einen zu hohen Salzgehalt auf. Für die landwirtschaftliche Nutzung sind sie damit unbrauchbar – die Dattelplantagen sind zerstört, Artenvielfalt und Fischbestand dezimiert.

Brennglas Khuzestan

Das Ökosystem in der Erdölprovinz Khuzestan wurde seit der Revolution nach und nach zerstört. Neben dem austrocknenden Karun machen Sandstürme und Luftverschmutzung das Leben dort unerträglich. Den massiven Anstieg der Sandstürme führen ansässige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf die postrevolutionäre Opferung von Moorland zugunsten der Ölförderung zurück. Hinzu kommt, dass auf der irakischen Seite der Grenze seit der Invasion des Landes (des Irak) 2003 ebenfalls Sumpfgebiete zerstört wurden. Die Islamische Republik nahm Letzteres lange Zeit zum Anlass, die Ursache der Sandstürme außerhalb des Landes zu verorten, doch selbst das eigene Umweltministerium widersprach. In Sachen Luftverschmutzung, inklusive Feinstaub, rangieren Städte in Khuzestan weltweit auf den vorderen Plätzen.

Der Verfallsprozess in den vier Jahrzehnten Islamische Republik ist nirgendwo dramatischer zu beobachten als in Khuzestan. War die erdölreiche Provinz vor der Revolution für ihren kosmopolitischen Charakter bekannt, so ist sie heute ein Brennglas für die zahlreichen Krisen der Islamischen Republik. Trotz ihres Erdölreichtums, 90% der Ölreserven des Landes befinden sich dort, ist sie verarmt. Während die offizielle Propaganda nach wie vor die Opfer, die aus Khuzestan im als „heilige Verteidigung“ verklärten Krieg mit dem Nachbarn fielen, als für das Überleben des Landes verantwortliche Märtyrer hochhält, fühlen sich ihre Bewohnerinnen und Bewohner vom Staat betrogen und von der Zentralregierung im Stich gelassen. Die Arbeitslosigkeit ist im Landesvergleich überdurchschnittlich hoch, vor allem bei den arabischsprachigen jungen Menschen und bei Frauen. Die ausufernde Umweltkatastrophe wird von den Behörden seit jeher ignoriert, mit massiven Folgen für den Alltag und die Gesundheit. Somit ist es kaum verwunderlich, dass sich unter den Hauptzentren der Revolte zur Jahreswende relativ viele kleinere (z.B. Izeh) sowie größere Städte (z.B. Ahvaz) entlang des Karun-Flusses befanden.

Eine existentielle Krise

Wie auch einige der Nachbarländer hat Iran mit einer beispiellosen Wasservorratskrise zu kämpfen, die in den nächsten Jahrzehnten weite Teile des Landes unbewohnbar machen könnten. Iran ist zu einem Wasser-Importeur geworden. Die Grundwasservorkommen sind aufgrund von Bevölkerungswachstum und eines „durstigen“, ineffizienten Landwirtschaftssektors nahezu in Gänze ausgeschöpft. Die Landwirtschaft ist für 92% des gesamten Wasser- und 90% des Grundwasserverbrauchs verantwortlich, obwohl nur auf 15% der Landesfläche angebaut wird. Die Niederschlagsmenge verringert sich und die größten Seen und Flüsse verwandeln sich aufgrund jahrzehntelangem kurzsichtigen Wassermanagements und durch den Klimawandel in riesige, ausgestorbene Salzbecken. Dürren kommen häufiger vor und umfassen mittlerweile 96% des Landes. Die daraus resultierende Bodenerosion beschleunigt das landesweite Waldsterben und trägt wiederum zu einem rasanten Anstieg von Sandstürmen und Luftverschmutzung bei.

Falls die Grundursachen der Wasserkrise weiterhin unbehandelt bleiben, droht langfristig die Zerstörung ganzer Ökosysteme und damit von Lebensgrundlagen. Die Zahlen könnten kaum dramatischer sein: Laut dem Chef der iranischen Umweltbehörde könnten in 15 Jahren die Hälfte der iranischen Provinzen unbewohnbar sein. Innerhalb der nächsten 20 Jahre müssten dann 50 Millionen ihre Heimatorte verlassen. Schätzungen zufolge könnte das Land 2050, bei dann über 100 Mio. Einwohnerinnen und Einwohner, zu einer Wüste verkommen – mit unvorhersehbaren Folgen für Fluchtbewegungen.

Keine Lösung in Sicht

Ob Iran seine Umweltkrisen in den Griff bekommt, ist zu bezweifeln. Das Davonjagen von Kaveh Madani ist ein schlechtes Omen – immerhin war er jemand, der die für einen echten Politikwechsel im Umweltsektor unentbehrliche Mischung aus Sachverstand und politischer Unabhängigkeit mitbrachte. 2014 beklagte er den Mangel an genau dieser Kombination: „Irans Wasserprobleme beruhen nicht auf mangelndem Zugang zu Technologie oder technischer Expertise, wie einige Entscheidungsträger behaupten. Tatsächlich leidet Iran unter desintegrierter Entscheidungsfindung und Problemlösung seitens sachkundiger Experten, die unabhängig handeln.“

Offenbar haben die Machthaber Angst vor Protesten und Aussagen von Betroffenen und Aktivisten, die die hausgemachte Umweltkatastrophe und damit ihre Verantwortlichkeiten dafür ans Tageslicht bringen wollen. So bleibt unklar, welche zusätzlichen Skandale die systematische Repression gegen Umweltaktivisten zu vertuschen beabsichtigt. Zweifelsohne werden die Umweltkrisen die wirtschaftliche, soziale und politische Landschaft der Islamischen Republik nachhaltig verändern. Die Lage ist so kritisch, dass die Betroffenen – wie im Falle der Bauernproteste in Isfahan und jüngst der Wasserprotest in Khuzestan – trotz direkter Gewaltandrohung seitens der Sicherheitskräfte unerschrocken ihre Proteste fortsetzten.