Neue Kohle auf dem Balkan: Klimaschutz adé?

Europäischer Energiesalon

Wie lässt sich die Energiewirtschaft in den Westbalkan-Ländern reformieren? Ein Expertengespräch zwischen einer guten Portion Ratlosigkeit und Vertrauen auf globale Trends und regionale Integration.

 

Bahnhof Oskova an der Kohlenwäsche, 740-108 und ein beladener Kohlenzug.
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Ein beladener Kohlezug am Bahnhof Oskova

Die Energieversorgung basiert in weiten Teilen der Länder des Westlichen Balkan vorrangig auf Kohle. Während aber in vielen anderen Teilen der Welt mittlerweile über ein Auslaufen der Kohleverbrennung gesprochen und für neue Energieerzeugungskapazitäten massiv in erneuerbare Energieträger investiert wird, sind auf dem Westbalkan neun neue Kohlekraftwerke konkret in Planung, fünf davon in Bosnien-Herzegowina und je eines in Serbien, Kosovo, Montenegro und Mazedonien.

Kein Vertrauen in regionale Zusammenarbeit 

Die Braunkohlevorkommen in der Region sind groß und sie werden traditionell als einziger heimischer Energieträger angesehen, mit dem die Unabhängigkeit von Energieimporten und Energiesicherheit gewährleistet werden kann. Nach Kriegen und Feindseligkeiten zwischen den Ländern in den letzten Jahren und Jahrzehnten herrschen vor allem nationale Perspektiven vor und mangels Vertrauen in regionale Zusammenarbeit bleiben Synergien durch Kooperation vielfach ungenutzt.

​Eine langfristige Perspektive fehle der Energiepolitik in der Region weitgehend, beklagt die Energie-Expertin Pippa Gallop. Die Britin lebt in Zagreb und arbeitet für das internationale Umweltnetzwerk „Bankwatch“. Dabei sei für alle sechs Westbalkan-Länder aufgrund ihrer EU-Beitrittsperspektive und Mitgliedschaft in der Europäischen Energiegemeinschaft die Integration der Energiemärkte mit der EU vorgesehen. Und unter den dann geltenden Regelungen rechneten sich die Kohlekraftwerke auch wirtschaftlich überhaupt nicht mehr, denn Subventionen würden abgebaut und für CO2-Emissionen müsste bezahlt werden. Neue Kohlekraftwerke bänden die Region zudem über Jahrzehnte weiterhin an die Kohle und ein Erreichen der Pariser Klimaziele würde praktisch unmöglich.

Giftige Luftverschmutzung ohne Konsequenzen

Mit Denis Žiškos einführendem Beitrag wurde der „normale Wahnsinn“ des Betriebs der über 40 Jahre alten Kohlekraftwerksblöcke in Tuzla in Bosnien-Herzegowina sehr anschaulich. Der Aktivist vom dortigen Zentrum für Energie und Umwelt zeigte Bilder und präsentierte die Messwerte, die die vielfache Überschreitung der Grenzwerte u.a. für Schwefeldioxid, Stickoxide und Feinstaub in der Luft dokumentieren. Zudem verseucht die in der unmittelbaren Umgebung offen in der Landschaft deponierte Asche aus dem Kraftwerk Boden und Gewässer mit hochgiftigen Schwermetallen. All dies verursacht nicht nur enorme Kosten für das öffentliche Gesundheitssystem. Nachweislich sterben Menschen an den Folgeerkrankungen. Nach Jahren, in denen die Umweltaktivisten regelmäßig als Landesverräter verunglimpft wurden, gibt es mittlerweile allerdings eine breitere öffentliche Diskussion über die Ursachen der Verschmutzung und etwa die Notwendigkeit von Schwefelfiltern. Die Schadstoffmessung funktioniere jedoch noch immer nicht zuverlässig. Überschreitungen von Grenzwerten blieben vollkommen ohne Konsequenzen.

Neue Kohle auf dem Balkan: Klimaschutz adé? - Heinrich-Böll-Stiftung

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Trotz des ernüchternden Berichts aus Tuzla blickt Dirk Buschle, Stellvertretender Direktor des Wiener Sekretariats der Europäischen Energiegemeinschaft, auch mit Optimismus in die Zukunft. Erneuerbare Energien seien mittlerweile zu einem unaufhaltsamen globalen Trend geworden, der sich auch in den Westbalkanländern niederschlagen werde. Ein konkretes Instrument, die unerträgliche Verschmutzung in Tuzla zu beenden, sei die seit Jahresbeginn in Kraft getretene Richtlinie über die Emissionen aus den großen Verbrennungsanlagen, die die Mitgliedsländer der Gemeinschaft zum Abschalten der Dreckschleudern zwingen werde. Als vielleicht noch „schärferes Schwert“ bezeichnete er die Verbote staatlicher Subventionen im gemeinsamen Elektrizitätsmarkt. Ohne diese Unterstützung seien viele der maroden Anlagen schlicht nicht mehr wirtschaftlich.

Gas und Wasserkraft keine Option

Ein kurzfristiges Umschwenken auf Gas als Energiequelle würde erhebliche Investitionen in bisher nichtexistierende Gasleitungen erfordern und ebenso die weitere Nutzung eines zwar saubereren, aber auf Jahrzehnte zu importierenden fossilen Energieträgers bedeuten und sei deshalb keine gute Option. Gleichzeitig wehren sich Umweltschützer gegen den begonnenen Ausbau der Wasserkraft in der Region, der rücksichtslos wertvolle Natur und Flussökosysteme zerstöre. Pippa Gallop und Denis Žiško verwiesen auf die sehr hohe Energieintensität der betreffenden Länder und somit auf Potenziale wachsender Effizienz beim Einsatz von Energie als erster Energiequelle. Die Regierungen würden angebotene Unterstützung für Energieeffizienzmaßnahmen jedoch kaum annehmen, wie Dirk Buschle beklagte. Damit sich Investitionen in Effizienz lohnten, müssten v.a. Subventionen abgebaut werden und die Preise steigen, was eine enorme sozialpolitische Herausforderung darstelle. 

Als Hinderungsgründe für die stärkere Nutzung erneuerbarer Energien gelten trotz guter Potenziale für Solar- und teilweise auch Windkraft v.a. die schlechte Verfügbarkeit von Krediten mit akzeptablen Zinssätzen, das allgemein schlechte Geschäftsklima und die überbordende Bürokratie, teilweise verbunden mit Korruptionsfragen. Dagegen, wie Pippa Gallop erklärte, beruhten die aktuellen Planungen für neue Kohlekraftwerke auf trägen Strukturen, empfundenen Sachzwängen und Entwürfen, die ursprünglich schon vor Jahrzehnten unter ganz anderen Rahmenbedingungen entwickelt wurden. Die Realisierung wäre heute rausgeschmissenes Geld – aber die chinesischen Banken seien zur Finanzierung bereit, solange das Risiko durch die Staatshaushalte der Region abgesichert sei.

Auch Dirk Buschle verwies abschließend auf die Bedeutung der nationalen politischen und administrativen Institutionen. Ohne deren zweckmäßige Funktionsweise, ohne Rechtstaatlichkeit und Vertrauen für Investitionen im Allgemeinen sei die Energiewende schwer umsetzbar. Die Bereitstellung von Geld und Know-how von außen reiche nicht aus. Die regionale Integration könne aber wichtiger Treiber sowohl für die Reform von Institutionen und Regierungsführung als auch für eine kosteneffiziente, sichere und saubere Energieversorgung sein.