Die Entwicklung der ASEAN - eine Einführung

1967 wurde der Verband südostasiatischer Staaten (ASEAN) gegründet. Das Dossier beleuchtet den institutionellen Rahmen der Entwicklungen in ASEAN und analysiert mit Beiträgen aus der Zivilgesellschaft und der Forschung, auf welche Weise soziale und ökologische Gerechtigkeit ihren Platz in ASEAN finden könnte.

Grafik ASEAN-Dossier

Der Verband südostasiatischer Staaten (ASEAN) agiert heute in einer ganz anderen Welt als noch zu seiner Gründung im Jahr 1967. Mit den sich ständig wandelnden geopolitischen Herausforderungen veränderte sich auch der Staatenverbund. Ursprünglich war dieser konzipiert, um territoriale und politische Konflikte zwischen Malaysia, den Philippinen und Indonesien auszugleichen, die sich als Folge der Entkolonialisierung und Staatenbildung entwickelt hatten.

Im Laufe der nächsten Jahre zeigt sich ASEAN extrem besorgt über den wachsenden Einfluss des Kommunismus in der Region. Der erste ASEAN Gipfel im Jahre 1976 legte dann die formalen Grundlagen für die Bildung eines Regionalverbundes, der sich in erster Linie als antikommunistischer Block verstand.

Dieses Selbstverständnis änderte sich mit der Zeit, alte Feindbilder erodierten und in der zweiten Hälfte der 90er Jahre wurden Vietnam, Laos, Myanmar und Kambodscha Mitglieder von ASEAN. Politische Fragen bleiben jedoch bis heute heikel, vor allem wenn es um Beziehungen zu großen Nachbarstaaten geht.

Da jedes Land jedoch sein eigenes Tabu hütet, einigten sich die Regierungen 2007 in der ASEAN Charta schriftlich auf das Prinzip der Nichteinmischung in die Angelegenheiten anderer Mitglieder. Dieser Versuch der Neutralität dient vor allem dem Schutz der wirtschaftlichen Ziele.

2015 wurde die Gründung der Wirtschaftsgemeinschaft „ASEAN Economic Community“ (AEC) beschlossen. Auch wenn die Umsetzung der AEC nicht ohne Schwierigkeiten verläuft, zeigt deren Etablierung die hervorgehobene Stellung von wirtschaftlichen Interessen innerhalb des südostasiatischen Verbands. Ein neu geschaffener Binnenmarkt soll Grenzen im wirtschaftlichen Bereich verschwinden lassen.

Sozialpolitische und ökologische Herausforderungen

Aber welche Rolle spielt sozial-ökologische Gerechtigkeit im Rahmen der zunehmenden wirtschaftlichen Integration? Wie wird in der derzeitigen geopolitischen Situation, in der die Klimakatastrophe die größte globale Bedrohung darstellt, die nur gemeinsam gelöst werden kann, auf soziale und ökologische Belange in Südostasien reagiert?

Länder wie die Philippinen und Vietnam sind Länder, die vom Klimawandel massiv bedroht sind und schon jetzt Auswirkungen zu spüren bekommen. Ist der ASEAN-Staatenbund in der Lage, auf diese sozialpolitischen und ökologischen Herausforderungen im Interesse der Menschen angemessen und gerecht zu reagieren?

Die Beiträge dieses Webdossiers analysieren die Institution ASEAN, ihre Geschichte, Dynamik und Politiken aus Perspektiven von Autorinnen und Autoren, die ihre Erfahrung und Wissen aus einem breiten akademischen und zivilgesellschaftlicher Spektrum heraus beisteuern.

Truong-Minh Vu beschreibt den Kontext der globalen Machtpolitik, in dem sich ASEAN heute verorten muss. Zwischen den Interessen des direkten Nachbar China und mit der ehemaligen westlichen Schutzmacht USA orientieren sich Mitgliedsstaaten in verschiedene Richtungen. Die daraus resultierenden außenpolitischen Dilemmata sollten laut Vu die ASEAN-Staaten dazu bringen, das Konsensprinzip zu überdenken, welches die Handlungsfähigkeit der Institution nachhaltig lähmt und ihr politisch schadet.

In welchem Maße ASEAN als gemeinsame Lebenswelt von seinen Menschen wahrgenommen wird und in wie weit eine gemeinsame Identität organisch oder lediglich konstruiert ist, beschreibt Farish A. Noor in seinem Beitrag.

Er sieht trotz großer Diversität in ASEAN verbindende Elemente, die nicht nur auf die junge Generation in den gut vernetzten südostasiatischen Metropolen zurückzuführen ist, sondern Jahrhunderte zurückreicht und Impulse aus den Peripherien der Staaten erhalten hatte.

Bisher keine ASEAN-weite Vernetzung auf zivilgesellschaftlicher Ebene

Eine Eigenschaft, die laut Khoo Ying Hooi allen ASEAN-Staaten gemeinsam ist, ist die staatliche Repression, wie sie am Beispiel der malaysischen Bersih Bewegung zeigt. Neben bedeutenden Bewegungen auf nationaler Ebene, die starke politische Reaktionen hervorrufen, gelingt den Menschen auf zivilgesellschaftlicher Ebene die ASEAN-weite Vernetzung noch nicht in einem ausreichenden Maße, um maßgeblichen Einfluss auf institutioneller Ebene nehmen zu können, so Autor Eduardo C. Tadem.

Der Fokus auf die Bildung rein nationaler zivilgesellschaftlicher Kooperationen sollte hinter sich gelassen werden, um regionale Integration voranzutreiben. Nur so könnte den abnehmenden Handlungsspielräumen für zivilgesellschaftliches Engagement sowie dem neoliberalen Leitsatz „Profit vor Menschen“ in allen Ländern der Region wirksam begegnet werden.

Denn es gibt zahlreiche Gruppen über Grenzen hinweg, die die Auswirkungen von Shrinking Spaces zu spüren bekommen. Hendri Yulius macht in diesem Zusammenhang auf die Situation der LGBTI-Gemeinschaft aufmerksam, indem er positive Entwicklungen wie in Vietnam Beispiele wachsender Unterdrückung und Repression wie in Indonesien gegenüberstellt.

Dabei geht es um mehr als die Moralisierung und Gängelung sexuellen Verhaltens von Individuen durch Staaten, es geht um nationale Antworten auf globale Prozesse, bei denen ASEAN als politische Debattenplattform deeskalierend zum Schutz seiner Bürger/innen wirken könnte, es aber nicht tut.

Eine weitere soziale Gruppe, für die der Slogan, dass sich ASEAN am Wohl seiner Menschen orientiert („people-centered“), fern von jeglicher Realität ist, sind Menschen, die gezwungen sind, zu migrieren. Sowohl innerhalb ASEAN als auch außerhalb sind zahllose Menschen gezwungen aufgrund politischer Verfolgung oder wirtschaftlicher Not zu flüchten oder ihre Heimat zu verlassen.

Andika Ab. Wahab beschreibt in seinem Artikel, wie Südostasien aus der eigenen Geschichte lernen kann, Zwangsmigrierte anzuerkennen und ihnen Möglichkeiten zu eröffnen, ihre Zukunft eigenverantwortlich und mit Würde zu gestalten.

Nach einer Phase der Industrialisierung in der Landwirtschaft in Südostasien wächst in weiten Kreisen der Bevölkerung der Region der Wunsch nach Nahrungsmittelsicherheit. Das bedeutet nicht nur genug Essen für alle, sondern auch sicheres und gesundes. Judith Bopp beleuchtet in ihrem Artikel, auf welchen Ebenen und in welchen Ländern Initiativen zu biologischer Nahrung Fuß fassen und an Einfluss gewinnen.

Erneuerbare Energien in Südostasien

Auch die Frage der Energieversorgung ist eine, die soziale Frage, Gesundheit und Klimapolitik mit menschenrechtlichen Aspekten regionaler Integration verknüpft. Khuong Minh Phuong analysiert die Entwicklung erneuerbarer Energien in Südostasien und zeigt auf, welches Potential Sonne, Wind und Biomasse als Alternative zu Kohle bieten. Der Ausbau Erneuerbare Energieträger könnte Luftqualität verbessern, dezentrale Energieversorgung ermöglichen, sowie CO2-Emmissionen reduzieren.

Es sind vor allem sozial benachteiligte Gruppen, die die ökologischen Konsequenzen von unreguliertem Wirtschaftswachstum und Profit-Orientierung zu tragen haben. In der zum Dossier gehörenden Podcastserie zeigen wir, wie großangelegte Landwirtschafts- und Industriebestrebungen die Umwelt zerstören und damit den Lebensraum der Menschen bedrohen.

Beispiele hierfür sind die lang-schwelenden Flächenbrände (Haze) in der Region, die zur Rodung von Flächen für die Errichtung großflächiger Palmölplantagen gezielt gelegt werden. Diese Flächenbrände entlassen riesige Mengen CO2 in die Atmosphäre und gefährden darüber hinaus die Gesundheit der betroffenen Bevölkerung.

Vorangetrieben werden solche Entwicklungen von einer Ideologie des Wachstums und Konsums, die auch durch die Nutzung von Worten wie „nachhaltig“ in den Institutionen der ASEAN nicht grüner wird.

Die Beiträge sind lediglich Schlaglichter auf Debatten, die weit umfangreicher geführt werden, als sie hier dargestellt werden können. Wir hoffen, sie regen beim Lesen, Hören und Sehen zu Interesse an einer diversen und politisch wichtigen Region an und geben Impulse, sich auch außerhalb von Jubiläen weiter mit ASEAN, Südostasien und Fragen der sozial-ökologischen Gerechtigkeit auseinanderzusetzen.