G20 und Handel

G20 Die Themen - Handel

Die G20-Handelsagenda steht im Widerspruch zur Agenda der WTO und der der Vereinten Nationen. In vielen Ländern herrscht zudem eine krasse Ungleichheit zwischen den Arbeitskräften. Für Nichtregierungsorganisationen und Vertreter/innen der Zivilgesellschaft gibt es also viel zu tun.

1. Was bedeutet „Handel“ auf der G20-Agenda? Warum ist dieses Thema wichtig?

In der Frage, wie sich Globalisierung und – als deren Markenzeichen – die Freihandelspolitik auswirken, gibt es unterschiedliche Meinungen. Verfechter/innen des Freihandels behaupten, dass Länder zu Wohlstand gelangen, wenn Zölle, Kontingentbegrenzungen und „nicht-tarifäre Handelshemmnisse“ — also Gesetze, Verordnungen und Maßnahmen, die den Handel behindern — beseitigt oder abgebaut werden. Nach Aussage der Welthandelsorganisation (WTO) wuchs die Weltwirtschaft in den 25 Jahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs um durchschnittlich fünf Prozent pro Jahr; der Welthandel wuchs mit durchschnittlich acht Prozent pro Jahr sogar noch schneller.[1] Angesichts solcher Zahlen halten zwar die meisten Ökonom/innen den Freihandel für die sicherste Möglichkeit, wirtschaftliche Integration und Wohlstand zu erreichen, doch sollte dabei nicht vergessen werden, dass auf Jahre des Kriegs und der Zerstörung auch dann ein Wiederaufbau- und Handelsboom folgt, wenn Handelsschranken in gewissem Umfang bestehen.

Insofern wird nach verbreiteter Ansicht der Nutzen des Freihandels allzu lautstark angepriesen. Wie sich offener Handel auswirkt, hängt von vielen Faktoren ab – unter anderem vom Entwicklungsstand des betreffenden Landes. Wenn Entwicklungsländer, die nicht über wettbewerbsfähige und diversifizierte heimische Industrien verfügen, Handelsabkommen mit Industriestaaten abschließen, dürfen sie ihre aufstrebende Industrie nicht durch Handelsschranken schützen, wie die Industriestaaten es seinerzeit getan haben, um zu Wohlstand zu gelangen. Deshalb laufen die Entwicklungsländer Gefahr, dass ihre Märkte von ausländischen Unternehmen erschlossen und überschwemmt werden, ihre nicht wettbewerbsfähigen Industrien zugrunde gehen und Arbeitsplätze vernichtet werden. Manche Entwicklungsländer, in denen die Industrialisierung auf diese Weise behindert wird und die mit der Konkurrenz durch ausländische Unternehmen zu kämpfen haben, sind auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen, einen oder mehrere Rohstoffe wie etwa Öl, Gas, Mineralien und Nahrungsmittel zu exportieren. Darum machen Kritiker/innen eine offene Handelspolitik für De-industrialisierung, Arbeitsplatzabbau und wirtschaftliche Katastrophen verantwortlich.

Ab 2001 lud die WTO die Länder zu Handelsgesprächen an einen Tisch, um in der sogenannten Doha-Entwicklungsrunde Handelsschranken abzubauen, gegen Agrarsubventionen anzugehen und arme Länder in ihrer Entwicklung zu unterstützen. Trotz dieser hochfliegenden Ziele ist die Doha-Entwicklungsrunde unlängst ergebnislos gescheitert. Frustrierte Länder schließen unterdessen ohne die Schirmherrschaft der WTO bi- und multilaterale Handels- und Investitionsabkommen ab. So haben zum Beispiel die USA vor Kurzem das Transpazifische Partnerschaftsabkommen (TPP)[2] mit Japan, Vietnam und neun weiteren Ländern unterzeichnet. Die USA und die Europäische Union waren bis zum Wahlsieg des neuen US-Präsidenten Donald Trump dabei, mit der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) ein ähnliches Abkommen auszuhandeln.

Neben De-industrialisierung, Arbeitsplatzabbau und wirtschaftlichen Katastrophen, zumal in weniger stark diversifizierten Volkswirtschaften, lautet ein weiterer Kritikpunkt, den Gegner/innen dieser Abkommen ins Feld führen, dass sie den freien Handel behindern, Investor/innen zulasten der Bürger/innen begünstigen und Regierungen unter Druck setzen, damit sie Dienstleistungen der Daseinsvorsorge privatisieren (siehe Abschnitt 3).

Ähnliche Verwerfungen im Industriesektor haben auch die entwickelten Länder erlebt, als Chinas rascher Aufstieg zum globalen Fertigungsstandort den Bedarf an gering qualifizierten oder ungelernten Arbeitskräften in den entwickelten Ländern schwinden ließ.[3]Daraufhin formierte sich in der westlichen Welt eine starke Gegenbewegung gegen die neoliberale Globalisierung und gegen eine offene Handelspolitik. Sie sorgte unter Politiker/innen für große Verunsicherung in der Frage, wie sie sich handelspolitisch positionieren und zu Investitions- und Handelsabkommen verhalten sollen. Der vom künftigen amerikanischen Präsidenten Donald Trump nachdrücklich geäußerte Widerstand gegen bestehende Freihandelsabkommen ist bei den Wähler/innen auf Resonanz gestoßen, vor allem in den deindustrialisierten „Rostgürteln“, wo viele Fabriken geschlossen wurden und neue Jobs erst noch entstehen müssen.

Während es bei Investitions- und Handelsabkommen in erster Linie um den Handel zwischen verschiedenen Ländern geht, werden rund 60 % des Welthandels innerhalb oder zwischen multinationalen Konzernen abgewickelt. Diese Konzerne nutzen ihre weltumspannenden Lieferketten, um die von ihnen produzierten oder erworbenen Rohstoffe zu Waren zu verarbeiten, die sie anschließend an andere Unternehmen oder an Verbraucher/innen verkaufen. Diese Lieferketten bringen für die Unternehmen durch eine Transaktionsabfolge, die als „globale Wertschöpfungskette“ bezeichnet wird, Wettbewerbsvorteile mit sich. Da Zwischenerzeugnisse nach Auskunft des Internationalen Weltwährungsfonds (IWF) zwei Drittel des Welthandels ausmachen[4], müssen in Debatten über Handelsfragen immer auch die globalen Wertschöpfungsketten bedacht werden.

2. Welche Ziele und Zusagen formuliert die G20 in Handelsfragen?

Sinn und Zweck der G20 ist die Förderung des weltweiten Wachstums und Wiederaufschwungs – eine Aufgabe, für die der Handel eine zentrale Rolle spielt. Dennoch haben die Bemühungen der G20 in diesem Bereich bislang keine Früchte getragen. Im Gegenteil: 2016 wird der Welthandel zum ersten Mal seit 15 Jahren voraussichtlich langsamer wachsen als die Weltwirtschaftsleistung.[5] Die Erklärung der G20-Handelsminister/innen kam nicht um die Feststellung herum, dass der Welthandel sich „von einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von sieben Prozent zwischen 1990 und 2008 auf weniger als drei Prozent zwischen 2009 und 2015“[6] verlangsamt hat.

Dieses schlechte Ergebnis ist auf viele Faktoren zurückzuführen – unter anderem auf die weltweite Finanzkrise und das Abflauen der dynamischen Wirtschaftsentwicklung in China. Auch die G20 trifft eine Mitschuld, denn sie praktiziert nicht das, was sie nach außen hin verkündet. Die G20-Staaten verlegen sich zunehmend auf protektionistische Maßnahmen und blenden dabei aus, dass sie 2008, 2013 und 2015 ausdrücklich zugesagt hatten, auf solche Maßnahmen zu verzichten.

Während der chinesischen G20-Präsidentschaft wurden im Handelsbereich drei bemerkenswerte Ergebnisse erzielt:

Erstens kamen die Handelsminister/innen der G20 im Juli 2016 unter dem Eindruck düsterer Handelszahlen zusammen und schlugen ein hastig geschnürtes Paket zur Wiederankurbelung des Handelswachstums vor. Diese Maßnahmen werden im strategischen Teil der Erklärung der G20-Handelsminister/innen beschrieben und sollen unter anderem dazu beitragen, Handelskosten zu senken, die Handelsfinanzierung zu verbessern, die Entwicklung des elektronischen Handelsverkehrs zu fördern und den Dienstleistungssektor auszuweiten. Zum wiederholten Mal haben die G20-Staaten zugesagt, protektionistische Maßnahmen bis Ende 2018 einzufrieren oder zurückzunehmen.

Zweitens sprachen sich die Minister/innen dafür aus, die Doha-Entwicklungsrunde der WTO wieder aufzunehmen. Vor dem Hintergrund, dass das Scheitern dieser Runde mittlerweile offen diskutiert wird, muss die G20 jedoch womöglich über eine Alternative nachdenken. Auch wenn die Doha-Entwicklungsrunde gescheitert ist, erfährt das WTO-Abkommen über Handelserleichterungen (TFA) breite Unterstützung.

Drittens kam die G20 bei ihren jüngsten Gipfeltreffen nicht zu einer substanziellen fiskal- und geldpolitischen Einigung und griff stattdessen den Gedanken auf, mit Strukturreformen den wirtschaftlichen Aufschwung zu fördern. Im G20-Aktionsplan von Hangzhou[7] von 2016 wird aufgelistet, welche Maßnahmen jeder G20-Mitgliedsstaat ergreifen muss, um die verstärkte Strukturreformagenda[8]umzusetzen. Das ist ein Indiz dafür, dass die G20 die Agenda sehr ernst nimmt. Im Gegensatz dazu blieben die Selbstverpflichtungen der G20 in Bezug auf den Beitrag des Handels zum Erreichen der neuen 17 Nachhaltigkeitsziele, die 2015 beim UN-Sondergipfel für nachhaltige Entwicklung verabschiedet wurden, hinter den Erwartungen zurück – siehe unten.

Kurz nachdem die WTO die enttäuschenden Handelszahlen veröffentlicht hatte, sagte die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) für 2016 einen weltweiten Rückgang der ausländischen Direktinvestitionen um zehn bis 15 % voraus[9] – ein weiterer Schlag für die G20. Das bedeutet, dass keine der beiden Säulen „Handel“ und „Investitionen“ der G20-Wachstumsstrategie zu positiven Ergebnissen führt.

3. Vor welchen Herausforderungen steht die G20 in Handelsfragen?

Protektionismus auf dem Vormarsch. Nachdem der Handel über einen langen Zeitraum immer weiter liberalisiert wurde, ist inzwischen der Protektionismus auf dem Vormarsch. Aus dem Bericht der WTO über die Handelsmaßnahmen der G20 vom November 2016[10] geht hervor, dass die G20-Staaten in dem siebenmonatigen Untersuchungszeitraum des Berichts 85 neue handelsbeschränkende Maßnahmen (zum Beispiel Zölle) verhängt haben. Dies entspricht einem Monatsdurchschnitt von knapp 17 solcher Maßnahmen. Im Bericht wird vermerkt, dass einige G20-Staaten Handelsbeschränkungen beseitigt haben – wenn auch nur in geringem Umfang. Entgegen früherer Zusagen und während sie sich gegenseitig in Lobeshymnen auf den Freihandel übertreffen, scheinen die G20-Länder in vielen Fällen einer ausgeprägten isolationistischen Stimmung verfallen zu sein und zu einer Politik entschlossen, die man im englischen Sprachraum „Beggar-thy-Neighbor“-Politik nennt: eine Politik, durch die man seinen Nachbarn benachteiligt, z.B. durch wettbewerbsverzerrende Lohn- und Währungsabsenkung oder Einfuhrbegrenzungen durch Kontingentierung etc. Nach Überzeugung vieler G20-Vertreter/innen schwände der Widerstand gegen den Freihandel, wenn man der Öffentlichkeit dessen Vorteile nur offensiver vermitteln würde. Doch ohne eine Auseinandersetzung mit den grundsätzlichen Fragen des Zustandekommens, der Substanz und den Folgen von Handelsabkommen für die jeweiligen Vertragspartner/innen lassen sich Handelsvorteile nur begrenzt „rein kommunikativ“ vermitteln. Wenngleich die vehementen Aussagen des künftigen Präsidenten Donald Trump zu bestehenden und noch zu verhandelnden Freihandelsabkommen im Wahlkampf darauf hinweisen, dass die USA künftig eine protektionistische Handelspolitik betreiben werden, ist derzeit noch offen, wie sich das konkret gestalten wird.

Produktivität und Nachhaltigkeit globaler Wertschöpfungsketten. Die G20 betrachten globale Wertschöpfungsketten zu Recht als eines der Instrumente zur Verwirklichung ihrer handelspolitischen Ziele, obgleich es auch hier enttäuschende Ergebnisse zu verzeichnen gibt. In ihrem Papier zum G20-Gipfeltreffen in China 2016[11] wies die OECD warnend darauf hin, dass die globalen Wertschöpfungsketten an Tempo verlieren. Die OECD bringt diese Abschwächung mit den handelsbeschränkenden Maßnahmen in Verbindung, die die G20 selbst verhängt. Außerdem können sich globale Wertschöpfungsketten – mitunter mit sehr kurzer Vorwarnzeit – derart wandeln oder verkürzen, dass Länder den abrupten Veränderungen, die sich dadurch ergeben, nicht gewachsen sind.

Trotz dieser beunruhigenden Daten ist die G20 offenbar der Meinung, ein expandierender Welthandel führe automatisch dazu, dass die Nutzeffekte gleichmäßig und gerecht zwischen den Ländern und innerhalb der Länder verteilt würden und dass „Handels- und Investitionserleichterungen eine größere Beteiligung und Wertsteigerung und nach oben gerichtete Mobilität von Entwicklungsländern sowie kleinen und mittleren Unternehmen in den globalen Wertschöpfungsketten fördern“.[12]

Es ist vielfach belegt, dass es einer Reihe politischer Maßnahmen bedarf, damit kleine und mittelständische Unternehmen von globalen Wertschöpfungsketten profitieren. Die G20 ist federführend dabei, die erforderlichen politischen Maßnahmen wie Zugang zum elektronischen Handel, Handelserleichterungen und Handelskredite zu treffen, ohne jedoch ins Detail zu gehen. Auch zu der Tatsache, dass den wohlhabenden Ländern rund 80 % des Welthandels zugutekommen und sie folglich ihren Teil der Verantwortung für die Förderung der Nachhaltigkeit schultern müssen, schweigen sich die Verlautbarungen der G20 aus.

Im Rahmen seiner G7-Präsidentschaft 2015 zeigte Deutschland beachtliche Führungsstärke und konnte die Gruppe dazu bewegen, die Verantwortung der Länder im Rahmen der globalen Wertschöpfungsketten anzuerkennen. In ihrer Abschlusserklärung sprach sich die G7 für „eine bessere Anwendung international anerkannter Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards, -grundsätze und -verpflichtungen (insbesondere von Übereinkünften der Vereinten Nationen, der OECD und der Internationalen Arbeitsorganisation sowie anwendbarer Umweltabkommen) in globalen Lieferketten“ aus und erkannte „die gemeinsame Verantwortung von Regierungen und Wirtschaft an, nachhaltige Lieferketten zu fördern und gute Beispiele zu unterstützen“. Es ist höchste Zeit, dass die G20 an die Ergebnisse der G7 anknüpft und eine Führungsrolle in der Sicherstellung funktionsfähiger, gerechter und nachhaltiger globaler Wertschöpfungsketten übernimmt.

Handelserleichterungen. Der Begriff „Handelserleichterung“ kann laut Welthandelsbericht 2015[13] vielerlei bedeuten. Handelserleichterungen können zum Beispiel verbesserte Zollverfahren an der Grenze, verbindliche technische Standards für Händler/innen, der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie im Handel und die eigentliche Infrastruktur wie Eisenbahnen und Häfen sein, die den Handel erleichtern.

Die G20 glaubt, dass der Bau von Infrastrukturen, die den Handel erleichtern, die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen steigert. Diese Hypothese gehört auf den Prüfstand, denn neue Großprojekte zur Erleichterung des Handels können auch in die Pleite schlittern, wenn sich zum Beispiel aufgrund geringer Nachfrage nicht genügend Käufer/innen für die gehandelten Güter finden oder wenn die Unternehmen und Länder, die die Waren verkaufen, mit den niedrigen Verkaufspreisen nicht genug Ertrag erwirtschaften.

Handelsabkommen. Die G20-Staaten unterstützen Handelsabkommen als ein Instrument, das ungehinderte Handelsströme begünstigt, die Investitionstätigkeit anregt, die wirtschaftliche Integration fördert, den geistigen Eigentumsrechten, dem elektronischen Handelsverkehr und dem staatlichen Beschaffungswesen Rechnung trägt und die Handelsbeziehungen vertieft. Kritiker/innen halten mit vielfältigen Argumenten dagegen und machen geltend, dass Handels- und Investitionsabkommen

  • den „freien“ Handel behindern – so würden zum Beispiel durch Vorschriften zu geistigen Eigentumsrechten Handelsschranken errichtet, die dem Freihandelsdogma widersprechen. Solche Vorschriften können den Zugang zu bezahlbaren Arzneimitteln beschränken oder die Voraussetzungen für eine Monopolisierung von Saatgutpatenten schaffen.
  • Investor/innen zulasten der Bürger/innen begünstigen – zum Beispiel können ausländische Unternehmen die in diesen Abkommen vereinbarten Regelungen zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Investor/innen und dem Staat dazu nutzen, um Staaten auf Schadenersatz für Verluste zu verklagen, die den Unternehmen etwa durch Umweltschutz-, Klimaschutz- oder Arbeitsschutzvorschriften entstehen, die der Staat zum Schutz der Bürger/innen erlässt.
  • die Regelungsbefugnisse des Staates einschränken und das Gemeinwohl gefährden.
  • Staaten unter Druck setzen, damit sie zentrale staatliche Leistungen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Wasser- und Stromversorgung outsourcen oder im Rahmen von Öffentlich-privaten-Partnerschaften erbringen und damit der öffentlichen Kontrolle entziehen.

Handel und nachhaltige Entwicklung. Handel kann zur Bekämpfung des Hungers beitragen, gesunde Lebensbedingungen schaffen und die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen fördern. Einige Nachhaltigkeitsziele nehmen explizit auf den Handel Bezug (siehe die Aufstellung der handelsbezogenen Nachhaltigkeitsziele[14]).

Es ist unklar, ob die G20-Verantwortlichen sich in ausreichendem Maß mit den Vertreter/innen der WTO und der Vereinten Nationen zusammentun, um den Handel so auszurichten, dass er den Ländern hilft, ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Laut Aktionsplan der G20 zur Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung[15] trägt der Handel nur zu drei von insgesamt 17 Zielen bei, nämlich zu den Nachhaltigkeitszielen 8,10 und 17.

Die WTO nennt allerdings sechs Nachhaltigkeitsziele, bei denen dem Handel eine wichtige Rolle zukommt: Nachhaltigkeitsziel 2 zu Hunger, Ernährungssicherheit, Ernährung und nachhaltiger Landwirtschaft; Nachhaltigkeitsziel 3 zu gesundem Leben und Wohlergehen; Nachhaltigkeitsziel 8 zu Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und Arbeit; Nachhaltigkeitsziel 10 zur Ungleichheit innerhalb von und zwischen Staaten; Nachhaltigkeitsziel 14 zu Ozeanen, Meeren und Meeresressourcen sowie Nachhaltigkeitsziel 17 zur Stärkung der globalen Partnerschaft.[16] Die G20-Verantwortlichen müssen im Einvernehmen mit ihren wichtigsten Interessengruppen genau bestimmen, wie und in welcher Form der Handel zum Erreichen der Nachhaltigkeitsziele beitragen kann. (Siehe # 10 dieser Reihe zur "Agenda 2030").

4. Wie will sich die G20 künftig in Handelsfragen ausrichten?

Bei ihrem Hamburger Gipfeltreffen im Juli 2017 sollte die G20 durch eine „Rebalancierung“, also durch eine ausgleichende Korrektur, vor allem die Rechte von Bürger/innen und Staaten gegenüber den Interessen der Investor/innen stärken, denn daran hat es die G20 in Handelsfragen bisher fehlen lassen.

Protektionismus beenden. Die G20-Staaten sollten protektionistische Beschränkungen des Warenverkehrs abbauen und den am wenigsten entwickelten Ländern eine „besondere und differenzierte Behandlung“[17] gewähren. Auch wenn die Entwicklungsländer zunehmend Handelshilfe („Aid for Trade“) zur Vernetzung ihrer Infrastruktur erhalten, muss es möglich sein, flexibel auf andere individuelle Bedürfnisse dieser Länder einzugehen. Die verstärkte Strukturreformagenda[18] muss sicherstellen, dass die Liberalisierung des Handels nicht zulasten der Arbeitnehmer/innen und der Umwelt geht.

Funktionsfähige, gerechte und nachhaltige globale Wertschöpfungsketten: Deutschland hat die Chance, die Zusagen der G7 in Bezug auf nachhaltige Lieferketten mit der Fokussierung der G20 auf die globalen Wertschöpfungsketten miteinander zu verknüpfen, um Letztere funktionsfähiger, gerechter und nachhaltiger zu gestalten. Hierfür kann die G20 vorhandene Nachhaltigkeitsinstrumente wie die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen nutzen. Zweitens hat die G20 erhebliche Anstrengungen unternommen, um das Potenzial von kleinen und mittleren Unternehmen, die bekanntlich die meisten Arbeitnehmer/innen beschäftigen, im Rahmen von globalen Wertschöpfungsketten zu steigern. Die G20 sollte detaillierte politische Maßnahmen nennen, die diesen Unternehmen den Zugang zu den globalen Wertschöpfungsketten erleichtern würden. Drittens wäre es für die G20 von Vorteil, wenn sie analysieren würde, wie ihre handelsbeschränkenden Maßnahmen die Produktionstätigkeit in globalen Wertschöpfungsketten untergraben und bremsen und welche Konsequenzen es hat, wenn solche Wertschöpfungsketten verlangsamt oder verkürzt werden.

Handelserleichterungen: Die G20 sollte Handelserleichterungen keinesfalls nutzen, um

  • legitime Sicherheitskontrollen (Terrorismus, Drogen- und Menschenhandel, Einhaltung von Sanktionen) sowie den Gesundheits- und Umweltschutz zu umgehen. Dies bedeutet unter anderem, dass sie denjenigen entgegentreten muss, die Handelserleichterungen zur Forderung einer Beseitigung einseitig auferlegter Umweltvorschriften nutzen, auch wenn dadurch der Handel beschränkt wird oder Handelsschranken errichtet werden.
  • die regionale Integration zu untergraben, indem sie allzu stark die Integration in die Weltgemeinschaft in den Vordergrund stellt. In Afrika zum Beispiel fehlt es an intraregionalen Verbindungen.
  • beim Bau von Verbindungstraßen zwischen Ländern und Kontinenten Megaprojekten und Öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP) einen zu hohen Stellenwert zu verschaffen. Die G20 entwickelt im Rahmen ihrer Infrastrukturinitiativen hochfliegende Pläne für Megaprojekte, bleibt aber die Antwort auf die Frage „Wer profitiert, und wer zahlt?“ schuldig. Wo es Megaprojekte gibt, gibt es auch Megarisiken – insbesondere bei Mega-ÖPP.

Neue Handelsabkommen: Der Widerstand gegen Handels- und Investitionsabkommen ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass – wie von der G20 eingeräumt – ihr Nutzen schlecht kommuniziert wird. Er ist auch eine Reaktion auf die Mängel in der Substanz und beim Zustandekommen dieser Abkommen, die das Gemeinwohl und eine verantwortungsbewusste Regierungsführung untergraben. Darum sollte die G20 erwägen:

  • Themen wie die geistigen Eigentumsrechte, das staatliche Beschaffungswesen und nationale Vorschriften auszuklammern, die nicht unmittelbar den Waren- und Dienstleistungsverkehr betreffen.
  • zu ermitteln, auf welche Weise Handelsbestimmungen, insbesondere in weniger diversifizierten Volkswirtschaften, zu De-industrialisierung, Arbeitsplatzabbau und wirtschaftlichen Katastrophen führen und wie dies verhindert werden kann.
  • die Regelungen zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Investor/innen und dem Staat zu verbessern und dafür zu sorgen, dass über Klagen in- und ausländischer Unternehmen das Gerichtswesen des Gastgeberlandes entscheidet.
  • sicherzustellen, dass Handelsbestimmungen nicht die Regelungsbefugnisse des Staates – zum Beispiel durch Umwelt- oder Klimaschutzmaßnahmen oder sozialpolitische Maßnahmen – einschränken und somit das Gemeinwohl gefährden.
  • zu gewährleisten, dass die Staaten nicht mit Vorschriften zur Liberalisierung von Dienstleistungen unter Druck gesetzt werden, damit sie staatliche Leistungen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Wasser- und Stromversorgung outsourcen oder im Rahmen von ÖPP erbringen.

Da die G20-Staaten einen entscheidenden Einfluss auf bilaterale, regionale und multilaterale Handelsabkommen haben, sollte die Gruppe in Zusammenarbeit mit UNCTAD und der WTO neue Normen für transparente Verhandlungen und Abkommen entwickeln, in die nicht nur Großunternehmen, sondern auch Bürger/innengruppen sowie kleine und mittlere Unternehmen eingebunden werden müssen.

Die deutsche G20-Präsidentschaft hat bereits angekündigt, dass sie die Industrialisierung in Afrika zu einem Schwerpunkt machen will. Dabei kommt es darauf an, dass beim neuerlichen Bemühen der G20 um Afrika nicht dieselben handels- und industriepolitischen Fehler gemacht werden wie in der Vergangenheit. Hinzu kommt, dass in den Partnerländern die institutionelle Kapazität für eine professionelle Umsetzung großer Infrastrukturvorhaben nicht ausreicht und darüber hinaus Bürgerrechte eingeschränkt sind. Das führt oft zur Kriminalisierung von Protest gegen Verlust von Lebensgrundlagen oder des Einklagens von Informations- und Teilhaberechten.

Handel und nachhaltige Entwicklung: Die G20 sollte gewährleisten, dass ihre Handelsagenda nicht im Widerspruch zur Agenda der WTO und der der Vereinten Nationen steht. Zudem sollte der G20-Aktionsplan zur Agenda 2030 zur nachhaltigen Entwicklung so überarbeitet werden, dass deutlich wird, warum ihre wichtigste Priorität – Handel und Investitionen – nur zum Erreichen von drei Nachhaltigkeitszielen beiträgt. Mit Blick auf Ungleichheit (Ziel 10) sollte die G20 zur Kenntnis nehmen, dass in einer ganzen Reihe von Ländern krasse Ungleichheit zwischen den Arbeitskräften herrscht, die Waren oder Dienstleistungen für den Export produzieren, und denjenigen, die den heimischen Markt bedienen. Mit anderen Worten: Derzeit trägt Handel durch Prozesse, die zunächst identifiziert und dann korrigiert werden müssen, zur Ungleichheit bei.

Für Nichtregierungsorganisationen und Vertreter/innen der Zivilgesellschaft, die sich mit Handelsfragen befassen, gibt es unter der deutschen Präsidentschaft viel zu tun. Nur so lässt sich sicherstellen, dass die G20 jetzt die richtigen handelspolitischen Weichen für die Zukunft stellt.

 

Dieser Artikel ist ein Beitrag aus unserem Dossier "G20 im Fokus".

Quellen und Anmerkungen:

[1] Understanding the WTO: The case for open trade

[4] Dominik Boddin: The Role of Newly Industrialized Economies in Global Value Chains, IMF Working Paper, Oktober 2016, S. 4.

[5] Shawn Donnan und Lucy Hornby: Blocking Moves, Financial Times, 12. Oktober 2016

[6] G20 Trade Ministers Meeting Statement vom 9./10. Juli 2016 in Shanghai, Absatz 6.

[7] Der Text liegt auf Chinesisch und Englisch vor: Hangzhou Action Plan, September 2016.

[8] G20 Enhanced Structural Reform Agenda. Prepared by the G20 Framework Working Group, September 2016.

[9] Global Investment Trends Monitor, No. 24, UNCTAD (6. Oktober 2016).

[10] WTO, OECD, UNCTAD: Reports on G20 Trade and Investment, November 2016.

[17] Dabei handelt es sich um eine Meistbegünstigungsklausel im internationalen Handelsrecht der WTO, vor allem für am wenigsten entwickelte Länder.

[18] Siehe Fußnote 8.