Bildungslandschaften: Wie Kooperation gelingen kann

bunte Bleistifte

Für den Wirkungsraum einer an Kooperationsvorhaben vertretenen Organisation gilt als zentrale Gelingensbedingung, dass die Sache als bedeutsame Anreicherung, nach Möglichkeit für den organisationalen Kernzweck, gesehen wird. Ziele sollten geteilt werden, Rollen und Verantwortlichkeiten klar sein, damit die Zusammenarbeit erfolgreich sein kann.

 

1.    Querschnittsaufgabe Bildungslandschaften

Seit mehr als zehn Jahren gelten der Begriff und das Programm lokale, kommunale, regionale Bildungslandschaft als salonfähig. Gemeint sind Leitbilder, strukturelle Arrangements und pädagogische Praxen, die von Planung, Abstimmung, Vereinbarungen von Partnern, die sich nicht selbstverständlich und beiläufig treffen, gezeichnet sind. Überwiegend geht es in Diskurs und Praxis um zwei Hauptthemen: abgestimmte Gestaltung des Aufwachsens von Kindern und Beförderung von Bildungsgerechtigkeit, gekoppelt an das Ziel der Senkung der Zahl von „Bildungsverlierern“, der jungen Menschen ohne hinreichende Grundkompetenzen beziehungsweise Dropouts.

Mit dem Programm Bildungslandschaft können Kernfelder wie Weitung des Bildungsbegriffs, Ganztagskonzepte, frühe Förderung, Kinderschutz, Sozialraum, Kooperation zwischen Schule und Jugendhilfe und sogar die großen Themen Inklusion und Flüchtlinge absorbiert werden. Bildungslandschaft könnte als Dachkategorie taugen. Genannte, mit dem Programm verbundene allgemeine Ziele scheinen konsensfähig:

  • Leitziele wie Gerechtigkeit; Integration; Kompensation von Herkunftsbenachteiligung etc.;
  • Handlungsziele für professionelle strukturelle Gestaltung wie Schließung von Angebotslücken; Übergänge; Zugänglichkeit; abgestimmtes Handeln;
  • Wirkungsziel fachliche Effektivität;
  • Verfahrens- und Ergebnisziel: Effizienz im Kosten-Nutzen-Verhältnis.

Um eine Zielannäherung zu erreichen, wird eine vertikale und horizontale Vernetzung gefordert, der eine verbesserte Angebotsstruktur und eine durch Abstimmungen und gegenseitige Anreicherungen gesteigerte fachliche Leistungsqualität folgen soll. Eine horizontale Vernetzung realisiert sich auf der Fallebene durch Übergaben. Auf der Zielgruppenebene sind Übergänge zu gestalten, etwa an der Passage Kindertagesstätte – Grundschule und am Übergang von der Schule in den Beruf. Dabei geht es gegebenenfalls auch um eine Abstimmung von Leistungsinhalten beziehungsweise zumindest zu Beginn um Wissen darüber, was jeweilige Komplementärakteure tun. Die reflektierte Verhältnisgestaltung wird komplexer, wenn horizontal ein synergiegeprägtes Nebeneinander oder gar ein Miteinander angestrebt beziehungsweise sogar notwendig werden. Am Fall sind dann zum Beispiel Abstimmung und Handlungskoordination bei innerschulischen Hilfen sowie inner- und außerschulischen Hilfen zu installieren. Es soll nicht sein, dass Familienhilfe nach SGB VIII, sonderpädagogische und therapeutische Förderung für ein einzelnes Kind nichts voneinander wissen. Die Komplexität steigt, wenn Ressorts und Finanzierungsquellen aus ihrem Für-sich-Denken-und-Bleiben gelöst werden. Das Projekt der „Entsäulung“ mündet, radikal gedacht, darin, dass Politikfelder, Leistungsgesetze, Disziplinen und Berufsgruppen, Organisationen und Personen mit ihren spezifischen Interessen, Anerkennungswünschen und Gewohnheiten verknüpft werden. Über Formen systematischer Verzahnungen zwischen Schule, Jugendhilfe, Sozial- und Gesundheitsverwaltung etc. sowie zwischen Bund, Ländern, Kommunen, Stiftungen und Wohlfahrtsverbänden gibt es bisher keinen gesicherten Forschungsstand.

Häufig wird aus der Praxis über Unzufriedenheit mit Tempo und Qualität von Kooperationsentwicklungen berichtet. Möglich und begründet ist aber auch ein positiv getönter Entwicklungsblick. In den vergangenen 20 Jahren haben sich einige beeindruckende kulturelle Wandlungen vollzogen. In den Konzepten in den Feldern von Bildung, Erziehung, Betreuung stehen die Adressatinnen und Adressaten mehr denn je im Zentrum. Organisational werden gesellschaftliche Umwelten und professionelle Mitwelten stärker wahrgenommen, organisationale Teilperspektiven und zweckbasierte Partikularblicke auf Adressatinnen und Adressaten werden kaum noch für das Ganze gehalten. Welt- und Systemkomplexitätssteigerungen führen dazu, dass Zusammenarbeitsnotwendigkeiten anerkannt werden. Auf der Haltungs- und Handlungsebene wächst die Bereitschaft, Unterschiede und Ergänzungen positiv zu gewichten. Verschiebungen hin zu mehr Transparenz, Dialog, Beteiligung, Teamarbeit sind irreversibel; Planung und Steuerung werden etabliert, um Projektentwicklungen weniger beliebig und zufällig und weniger personenabhängig zu gestalten.

Für Akteure, Organisationen und Systeme geht der Trend zur äußeren Vernetzung und zu mehr oder minder gehaltvollen, gewollten und verbindlichen Formen der fachlichen, gleichwohl sozialkommunikativ geprägten Zusammenarbeit. Am Beispiel der Schule kann gezeigt werden, dass die Herausforderung der Heterogenität als strukturelles und pädagogisches Gestaltungsthema nicht erst auf der Tagesordnung steht, seitdem Inklusion ein Mastersujet ist und Flüchtlinge in Kindertagesstätten oder Schulen ankommen. In deutschen Metropolen ist die multiprofessionelle Schule Alltag. Es dürfte hier kaum einen Tag geben, an dem eine Lehrkraft in ihrer ganzen Klasse alleine Lehr-Lern-Prozesse arrangiert. Erzieherinnen und Erzieher, Sonderpädagoginnen und -pädagogen, Schulsozialarbeit, ambulante Erziehungshilfen, Schulhelferinnen und -helfer, außerschulische Partner, ehrenamtlich Tätige verschiedenster Couleur sind vielfältig daran beteiligt, am Bildungsort und im sozialen Raum Schule die Vermittlung von Weltwissen, mehrdimensionale Kompetenzentwicklung, aber auch mit dem Jugendamt und freien Jugendhilfeträgern die Bearbeitung von Entwicklungsproblemen und die Verbesserung von Sozialisationsbedingungen von Kindern und Jugendlichen zu betreiben.

In der Schule werden individuelle Förderung und Schuldistanz, erweitertes Bildungsverständnis und Übergänge, Gewaltprävention und Berufsorientierung, Elternaktivierung und Sozialraumentwicklung als strukturelle Verknüpfung, als abgestimmte Einzelhilfen und in Form interprofessioneller Projekte thematisiert. Hierbei ist die Kooperation mit Menschen, die keine Lehrkräfte sind, kein Stigma, sondern selbstverständlich. Galt bis vor wenigen Jahren etwa Schulsozialarbeit tendenziell als Makel, so ist es heute ein Gütemerkmal, die soziale Seite von Schule mit eigener professionsspezifischer Zuständigkeit zu versehen. Auch die Tandemarbeit von Erzieherinnen und Erziehern sowie Lehrerinnen und Lehrern im gebundenen Ganztag kann eine unverzichtbare Bereicherung sein und steht für eine neue systematische Vernetzung. Allerdings gibt es gerade in kleinstädtischen und ländlichen Regionen auch Schulen, an denen Erweiterungskonzepte und professionelle Ergänzungen zur Schulpädagogik bisher vorübergegangen sind – auch, weil die alte Unterrichtsschule noch nicht von fordernden Lebenslagen der Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern überrollt wird. (Thimm 2015)

Viele Akteure in Steuerungsbereichen sehen zu Recht den politischen, rechtlichen und fiskalischen Reformbedarf prioritär. So sind etwa gemeinsame Budgets und Mischfinanzierungen für verbindende Aufgaben nach wie vor selten. In der Folge soll allerdings eine bis dato vernachlässigte Variable bei der Entwicklung von Bildungslandschaften genauer unter-sucht werden, die in allen Veränderungsprozessen hohe Bedeutung hat: der Modus Kooperation.

2.    Kooperationstheoretische Überlegungen

Komplexitätssteigerungen in der Gesellschaft führen dazu, dass immer mehr Teilprozesse und Teilleistungen von zunehmend ausdifferenzierten Subsystemen erbracht werden. Spezialisierung bedeutet immer auch Ausblendung, Reduzierung auf bearbeitbare Ausschnitte. Damit entstehen Definitionslinien, an denen Systeme um Zuständigkeit und Nicht-Zuständigkeit kämpfen. Häufig ist die jeweilige Problemlösungskompetenz in den Subsystemen hoch. Aber der Blick auf das Gesamte und auch Gesamtverantwortungen drohen verloren zu gehen. Und für Adressatinnen und Adressaten entsteht Unübersichtlichkeit, es drohen Nicht-Befassung und Weiterreichungsketten und damit letztlich Verschiebebahnhöfe und Zugangsbarrieren. Koordinierungs- beziehungsweise Kooperationsbedarfe sind unübersehbar.

Das lateinische Wort „cooperatio“ bedeutet zusammenwirken, gemeinschaftliche Aufgabenerfüllung – in einem Kontinuum unterschiedlicher Intensitätsniveaus. Zur Definition wird häufig von Kardorff zitiert (Merten 2015): Kooperation ist eine problembezogene, zeitlich und sachlich abgegrenzte Form der gleichberechtigten, arbeitsteilig organisierten Zusammenarbeit in einem Aushandlungsprozess mit Zielen. Der Terminus Kooperation wird einerseits als normativ-präskriptive Kategorie oder aber als Sammelbegriff, als Summenformel verwendet, wobei in den Begriffscontainer dann alle Formen von koordiniertem Nach-, Neben- und Miteinander in (professionellen) arbeitsteiligen Tätigkeitsvollzügen passen (Merten 2015).

Kooperation variiert nach Umfang, Intensität, Stellenwert und Verbindlichkeitsgrad:

  • Umfang, Intensität: immer – oft – manchmal – selten (zwischen dauerhaft und punktuell); viele – einige – wenige Bereiche; tiefe – flache Verknüpfung;
  • Relevanz: zentrale – mittelwichtige – randständige Themen und Ziele;
  • Verbindlichkeitsgrad: verpflichtend für alle – viele – wenige, mit Teilnahme von Mehrheit – Hälfte – Minderheit.

Der Pol additiver, einfacher Kooperation wird besetzt vom Modus der Koordination. Hier werden Interessen, Ziel und Aufgaben abgestimmt, es herrscht das Prinzip Arbeitsteilung mit Informationsaustausch, sodass eine vergleichsweise geringe Abhängigkeit besteht. Durch Abstimmung können werthaltige Ergebnisse entstehen. Wenn A weiß, was B tut, kann klüger aufgeteilt werden und die Weiterreichung wird qualifiziert. Das gilt sowohl für vertikale als auch für horizontale Vernetzungen in der Fallarbeit oder in Übergangssituationen mit Angebotsanschlüssen etwa aufgrund von Statuspassagen.

Anspruchsvoller ist eine gemeinsame Ziel- und Strategieentwicklung oder sogar die Durchführung gemeinsamer Projekte, zum Beispiel zum Thema Gewaltprävention in einer schulischen Projektwoche oder in der Zusammenarbeit einer sozialpädagogischen Familienhelferin und eines Klassenlehrers an einem Fall. Hier muss deutlich mehr kommuniziert werden und unterschiedliche Zwecke, Denkschulen, Logiken, Fachsprachen etc. sind zu übersetzen, um zumindest ein Gegeneinander zu verhindern. Aber auch hier kommen die Beteiligten noch ganz überwiegend ohne einander aus.

Wenn eine Inklusionspädagogin und ein Fachlehrer täglich zusammenarbeiten, wenn Erzieherin und Lehrerin ein Tandem bilden, wenn ein multiprofessionelles Projektteam Schuldistanz am Standort Regelschule installiert wird, dann benötigen die Fachkräfte ein verzahntes Verständnis auf Grund der Interdependenz von Aufgaben, Zielen und Tätigkeitsvollzügen.
Für die zweite und dritte Variante sind kennzeichnende Kernbestände von Kooperation:

  • Gemeinsamer Gegenstand, Anliegen, Thema und Zielgruppe (der Grund);
  • Dialogischer Austausch mit Abstimmung, Aushandlung und Planung;
  • Gemeinsame Absichten und Ziele mit der Verabredung von Schritten;
  • Koordiniertes, Verschränkungen und Partnerinteressen berücksichtigendes Verhalten;
  • Ergebnisprofite durch gemeinsame beziehungsweise arbeitsteilige Aktivitäten.

Die Optimierung von Prozessen zur Erhöhung der Handlungsfähigkeit basiert auf diesen begünstigenden Input-Faktoren:

  • (Zeit-)Investition: Verbringen von Zeit und Planung von Zukunft in längerer Sicht;
  • Energieaufwand: Austausch zusätzlicher, komplexitätssteigernder Informationen; dichte Kommunikation, gegebenenfalls Bearbeitung von Störungen;
  • Abstriche von Unabhängigkeit: Autonomieeinbuße, überprüfbare Festlegungen und soziale Kontrolle, zum Beispiel durch abgestimmte Ziele und Miteinander-Arbeiten, sodass sich die Berufsgruppen-Akteure „live“ erleben;
  • Wohlwollen und Gegenseitigkeit: Akzeptanz und Wertschätzung; Vertrauen, Offenheit, Fairness und Unterstützung.

Je nachdem, wie Teilnehmende in Kooperationszusammenhängen zur als gemeinsam deklarierten Sache stehen, können sich auch Spielarten wie strategische Kooperation und Scheinkooperation einstellen. Anders als bei misslingender Kooperation, die gegebenenfalls prozessual ungünstig verläuft, obwohl die Bereitschaft zur Zusammenarbeit vorliegt und Anstrengung investiert wird, ist in den folgenden Varianten Kooperation eine abgelehnte Zumutung, der gegebenenfalls aber durchaus noch Nutzen abgewonnen werden kann. Wenn Eigeninteressen dominieren, können sich Mitglieder eines Kooperationszusammenhangs offen oder heimlich „egoistisch“ inszenieren, wobei meist ein Organisationsauftrag dahinter steht, aber auch personale Akzente einfließen können. Eine delegierte Person könnte eine Beobachter- und Aufpasserrolle einnehmen, ausgestattet mit dem Auftrag, zu verhindern, dass die Kooperationssache vorankommt.

Etwas weniger destruktiv wirkt sich ein Besucherstatus aus, der damit einhergeht, mitzubekommen, was in diesem Sonderkontext läuft. Gefährlich wird es, wenn Teilnehmende den Eigennutzen durch Abziehen von Informationen und strategische Individualverwertung von neuen Kontakten oder durch Subsystem-Bündnisse mehren und für die eigene Person, Profession oder Organisation gegebenenfalls heimlich und „über Gebühr“ Wettbewerbsvorteile generieren. Oft werden Menschen in Gremien geschickt, um die eigene Organisation in möglichst gutem Licht erscheinen zu lassen. Vielfach bezeugt sind auch mehr oder weniger gelingende Versuche, unter dem Deckmantel von „gerechter Arbeitsteilung“ die Abgabe „schlechter Risiken“ als Kooperation zu deklarieren. Mindestens genauso problematisch kann es sein, unter dem Etikett Kooperation originäre Zuständigkeiten zu verschleiern und überfordernde Aufgaben zu kollektivieren (van Santen; Seckinger 2003).

Repräsentantinnen und Repräsentanten ist nicht immer der innere Impuls bewusst, aus eigener Partialperspektive zu missionieren und dabei von einer Ebenbilderwartung angetrieben zu sein. Jenseits strategischer Interessen zeigt sich Kooperation nicht selten als formale Pflichterfüllung. In diesem Als-ob-Handeln tut man so, als ob man gemeinsame Interessen beziehungsweise Ziele hätte. Man trifft sich, weil man sich treffen muss, und spricht, weil die Zeit zu füllen ist. Dabei kann es täuschend zugehen, es kann aber auch ein (vor)bewusstes gemeinsames Spiel gespielt werden, wobei für alle Seiten von vorneherein feststeht, dass für-sich-bleiben die bevorzugte Variante ist. Solche Zusammenkünfte sind fast immer durch Politik, Steuerung und Geldgeber von außen initiiert.

Lohnend, wenn auch empirisch noch nicht erforscht, ist auch ein differenzierender Blick auf eine Merkmalssortierung von Akteurskonstellationen. Zu unterscheiden sind folgende Ebenen (Merten 2015, S. 26): Intrapersonell sind Kooperierende mehr oder weniger geneigt, befähigt und geübt, zusammenzuarbeiten. Interpersonell kann der Kooperationszusammenhang sowohl intra- als auch interprofessionell zusammengesetzt sein, also Mitglieder einer oder mehrerer Berufsgruppen können kooperieren, gegebenenfalls kommen auch Ehrenamtliche dazu. Interkollektiv lässt sich die Akteursgemeinschaft nach den Dimensionen intra- und interorganisational auffächern, die Kooperierenden können also einer Organisation oder mehreren verschiedenen Organisationen entstammen. Schließlich können die Parteien in einem gemeinsamen oder in verschiedenen Teilsystemen (Schule, Gesundheit, Kultur, Jugendhilfe etc.) beheimatet sein. Was sind wohl die schwierigsten Konstellationen? Dazu kann nur eine Hypothese formuliert werden: Je höher die Ansprü-che an Gleichberechtigung, je mehr Fremddefinition und -initiierung, je ähnlicher sich die Parteien sind und je mehr Konkurrenz um Zielgruppen und um die gleichen Ressourcen herrschen, umso störungsanfälliger ist der Kooperationszusammenhang – es sei denn, man ist aneinander gekettet und Bleiben oder Untergehen kann nur gemeinsam erfolgen.

In den bisherigen Ausführungen wurde implizit ein Wirkungsraummodell zugrunde gelegt. Misslingen und Gelingen von Kooperation ereignet sich in einem sektoralen Kräftefeld, wobei Kooperation sowohl als Strukturmerkmal als auch als Handlungsmaxime gedacht wird. Hier ist eine Fülle von Wechselwirkungen denkbar, die in der folgenden sektoralen Ausbuchstabierung nicht abgebildet werden können. So sind zum Beispiel Kooperationsziele mit Zielen der Organisation nicht vereinbar, aber mit den individuellen Zielen von Personen und auch mit ihren fachlichen Zielen. So ist eine Person im Kooperationszusammenhang geschätzt, hat aber keine Chance auf „Ansteckung im Hinterland“, zumal Kooperation an diesem Punkt kein struktureller Bestandteil der Organisation ist.

3.    Gelingensbedingungen von Kooperation

Für den Wirkungsraum einer am Kooperationsvorhaben beziehungsweise im Kooperationsgremium vertretenen Organisation gilt als zentrale Gelingensbedingung, dass die Sache als bedeutsame Anreicherung, nach Möglichkeit für den organisationalen Kernzweck, rezipiert wird. Förderlich wirkt, wenn Ziele geteilt werden und aus der Organisation klare Aufträge an die eigenen Repräsentantinnen und Repräsentanten sowie die Zusammenarbeit mit anderen mitgebracht werden. Das setzt voraus, dass „gemeinsame Sachen“ erlaubt werden. Damit möglichst wenig Bedrohung beziehungsweise Misstrauen aufkommen, sollte die entsendende Organisation in geeigneter Weise erfahren, was jenseits ihres Hoheitsgebiets läuft. Die neuen Anforderungen, Angebote, Leistungserbringungen etc. müssen als relevant bewertet werden. Dann wird es wahrscheinlicher, dass der Solist Organisation das umsetzt, was für das Konzert als Emsembleprodukt erwartet wird beziehungsweise extern verabredet wurde.

Nicht vergessen werden sollte, dass ein Akteurs-Ich als Mensch mit individuellen Selbst-Zielen und als beruflich tätige Person mit fachlichen Professionszielen in Kooperationszu-sammenhängen handelt und zu verstehen ist. Personenfaktoren, die Gelingen befördern, sollten dabei nicht als „Tugendkatalog“ formuliert werden, sondern Bezugsmodalitäten zur Sache und Interaktionsqualitäten abbilden. Auch hier gilt als fundamentale Bedingung: Die Sache hat für die kooperierende Person Bedeutung. Nützlich ist, wenn der Informationsstand über die Komplementäre und ihre Kontexte hinreichend ist, also (System-)Wissen über Zuständigkeiten, Ziele, Arbeitsweisen und Ressourcen vorliegt. Denn sonst werden Erwartungen und Hoffnungen an andere adressiert, die diese aufgrund der Rahmenbedingungen nicht erfüllen können. Jedes Mitglied eines Kooperationszusammenhangs sollte über Bewusstsein für eigenes Können und auch für die Teilbeiträge zur gemeinsamen Sache verfügen. Dieses gilt es in einer Weise darzustellen, dass der Wert erkennbar wird, ohe dass andere Beiträge abgewertet werden beziehungsweise an den Rand geraten. Es gilt, eigene Organisations- und Professionsspezifika zu vertreten und diese nicht dominant werden zu lassen. Effektiv Kooperierende können selbstreflexiv Abstand nehmen und metaperspektivisch sowie mit Perspektivenwechsel Ergänzungsnotwendigkeiten registrieren. Gerade weil sie das Ganze sehen und nicht nur ihre angestammte Partikularperspektive geltend machen, akzeptieren sie Anders-Sein und sind offen für Mitwelten. (Thimm 2015)

In Kooperationen wird auch Differenz bearbeitet. Bereiche, die nicht miteinander verträglich sind, gilt es zu tolerieren, Zumutungen sind zu erkennen, zu würdigen und verkraftbar zu halten. Aushandlungsfähigkeiten mit „Kompromissgesinnung“ gehören zum Dissensmanagement. Vertrauen könnte in Personen, Kompetenzen und Organisationen entstehen. Vertrauen hat eine emotional-intuitive und eine rationale Seite, deren verbindende Elemente Verlässlichkeit und positive Gegenseitigkeit sind. Schließlich gelten unmittelbare Kommunikation, Besuche im Feld der Partner und auch informelle Begegnungen sowie die Kontaktpflege und das positive Reden über die Mitmachenden als Gelingensfaktoren im Wirkungsraum Person und Interaktion.

Strukturell günstig sind:

  • Gesamtkonzept „Bildungslandschaft in regionaler Kooperation“ und politische Schwer-punktsetzung („moralische“, demokratisch legitimierte beziehungsweise reflexionsgestützte Verpflichtung zur Zusammenarbeit auf allen Ebenen);
  • Sichere Rechtsgrundlagen;
  • Gemeinsam ausgehandelte Kontrakte, Vereinbarungen, Teil- beziehungsweise Projektkonzepte;
  • Ressourcenverknüpfung (Kommune, Land, Bund und Stiftungen; Jugend und Schule); für Schule zum Beispiel Budgets zum Einkauf am Markt;
  • Verbindlichkeit: berechenbare Zeiten, Orte, Beauftragungen, Übernahme in Leitbild, Schulprogramm, Jugendhilfeplanung, Entwicklung von Verfahrensstandards, Berichtspflicht;
  • Bereitstellung von Stundenkontingenten zur Entwicklung von Kooperation;
  • Gemeinsame Fortbildung; Fachtage; berufsgruppengemischte Tridems und Tandems; gegenseitige Hospitationen;
  • Feste Kooperationsbeauftragte;
  • Teilräumige Gremien;
  • Außenmoderation: als Animation, Wegmacher, treibende Kraft; Klärungshilfe, Puffer und Mittler; Service, Fachberatung.

Duveneck und Volkholz resümieren, dass zentrale und intermediäre Anlauf- und Koordinierungsstellen, interinstitutionell besetzte kommunale beziehungsweise regionale Steuergruppen auf Leitungsebene, ressortübergreifende Stabsstellen und Beiräte, Arbeitskreise und Projektgruppen, Qualitätszirkel, definierte Ansprechpartner Kernbausteine bzw. Netz-knoten von Bildungslandschaften sein können (Duveneck;Volkholz 2011, S. 26 f. und S. 69), die aber mit Blick auf Effizienz und Effektivität bewusst eingesetzt werden müssen. Wichtig ist, dass die Ebenen der normativen Mentalitätserzeugung, der strategischen Steuerung, der operativen Leitung und der unmittelbaren Praxisebene in Teams nicht gegeneinander stehen, sondern produktive Resonanzen erzeugt werden. Entscheidend ist, was auf der unmittelbaren Arbeitsebene konzeptionell, in der Haltung von Fachkräften, in zeitlichen und wertbezogenen Priorisierungen und in der Interaktionspraxis passiert. Steuerung hat dafür die Voraussetzungen zu sichern.

Professionell günstige Prozessgestaltung mit Blick auf die Durchführung kleinerer und größerer Vorhaben beruht auf einer Schrittfolge, die für alle Projekte gilt. Die Besonderheiten für Kooperationsaktivitäten, etwas das Zusammenführen von Teilsystemen, liegen vor allem in dem Aufwand, unterschiedliche Beteiligte zu gewinnen beziehungsweise zu vernetzen und dann zu substantiellen Gemeinschaftswerken zu kommen. Hier ist oft Moderation ein Weg, zunächst die einzelnen Partner in ihren Eigenheiten wahrzunehmen und Beiträge zu konturieren und erst dann zusammenzuführen. In der Prozessgestaltung geht es darum,

  • Themen zu formulieren, etwa Probleme zu definieren oder Vorhaben zu umreißen;
  • Schlüsselakteure zu identifizieren;
  • eine Ausgangslage datengestützt beziehungsweise datengenerierend zu analysieren und Handlungsbedarf zu bestimmen;
  • Steuerungs- und Beteiligungsstrukturen aufzubauen;
  • (gute) Gründe für die neue gemeinsame Sache zu klären;
  • aus einer Vision Arbeitsziele zu entwickeln;
  • einen Rahmen mit Ressourcengrundlagen zu schaffen;
  • gemeinsame und getrennte Handlungspläne mit Schrittfolgen zu entwickeln;
  • Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten zu definieren;
  • transparente, hinreichend überschaubare und eingehaltene Informations-, Kommunikations-, Entscheidungsstrukturen zu etablieren;
  • die Aufgaben, Projekte etc. durchzuführen;
  • Ergebnisse auszuwerten, Zwischenbilanzen zu erstellen und Feedback einzuholen.

Der Kooperationszusammenhang (das Projektteam „Gesunde Schule“, die Lenkungsgruppe Bildungslandschaft, die Sozialraum-Arbeitsgemeinschaft Schule-Jugendhilfe, die Fachgruppe Übergang Kita-Grundschule etc.) verdient einen eigenen Platz als Wirkungszusammenhang. Was sind Gelingensbedingungen in diesem Kontext? Es ist geradezu unhintergehbar, dass sich die richtigen Akteure (genuin Betroffene, Sich-Auskennende und gewollt Mitarbeitende beziehungsweise zumindest Motivierbare) zusammensetzen. Die handwerkliche Seite von Gremienarbeit muss stimmen. Hierzu gehören eine realistische Arbeitsplanung, gute Vorbereitung, strukturierte und dennoch „atmende“ Sitzungsgestaltung sowie die Ergebnisorientierung und -sicherung. Der Kooperationszusammenhang bedarf personeller Kontinuität. Unverzichtbar ist auch, doppelte Zugehörigkeiten und Loyalitäten zu erlauben: zum entsendenden Kontext mit eigenen Kernzwecken und Partikularinteressen und dem Kooperationsensemble, das Nahtstellen und Schnittmengen gestalten will. Für das Vorhaben und die Effekte des Kooperationskontextes dürfte eine zentrale Aufgabe darin bestehen, den Transfer in die „Hinterländer“ zu planen und durch systematische Rückkoppelungen veränderte Praxen anzustoßen.

Schließlich sind noch einige quer liegende, wirkmächtige Katalysatoren zu sichern: gemeinsame Einzugs- und Planungsräume, systematische Aufbauarbeit kleiner Einheiten, kurze Wege und räumliche Nähe, die Menge und Qualität der miteinander verbrachten Zeit, passende Hierarchieebenen, Sich-Erleben in der unmittelbaren Arbeit, insbesondere im gemischten Tandem, hohe Bewertung von Kooperation durch Leitung, Zeitentlastung für Kooperation sowie öffnendes Zeigen des Neuen ohne Missionierungsdrang.

Bisher ist die Vielfalt der Kooperationsansätze in den kommunalen Bildungslandschaften unübersichtlich. Erfahrungen können nicht recht transportiert werden, gehen nicht in Strukturen über und sind dadurch nicht steuerbar, sondern entstehen und vergehen eher zufällig. Diese Schlüsselthematik kann durch die Steuerungsmedien Recht und Geld angegangen werden. Aber zur Wirksamkeitssteigerung bedarf es der Berücksichtigung der weichen Gelingensfaktoren von Kooperation. Diese sind noch nicht hinreichend erforscht. Forschungslücken beziehen sich auf Bewegkräfte, Motive und Deutungsmuster der Akteure sowie auf Hinderungsgründe nach „Währungen“, die zum Beispiel persönlicher Art sein können: Angst, Rivalität, Privilegien- und Autonomieverlust.  Zu Forschungsthemen der Zukunft könnten auch Zielkonflikte, Mehrfachbelastungen, die Verbreitung von Kooperationsmustern und -formen, Nachhaltigkeitsfaktoren, Steuerungsmodelle und greifende Anreizsysteme gehören. Van Santen und Seckinger (2003) haben einige interessante empirische Teilbefunde zusammengestellt:

  • Kooperation im wirtschaftlichen Profitbereich soll dem Unternehmen dienen und nur mittelbar den Kundinnen und Kunden.
  • Kooperation wird von der subjektiven Wahrnehmung der wechselseitigen Ziel- und Ergebnisverknüpfung mobilisiert.
  • Ich- und aufgabenbezogene Ziele der Kooperation werden gleichzeitig verfolgt, ichbe-zogene Ziele werden dabei häufig nicht benannt.
  • Personen neigen eher in kleineren als in größeren Gruppen zu kooperativem Verhalten.
  • Menschen bringen ihre Geschichten mit, die darüber entscheiden, ob kooperative oder nicht-kooperative Strategien gewählt werden.
  • Gesetzliche Vorgaben, fachliche Empfehlungen etc. sind förderlich, aber nicht hinreichend.
  • Fach- und Adressatenperspektiven sind auf der Handlungsebene der Fachkräfte und der institutionspolitischen Ebene oft nicht leitend.

Ein Blick auf Kooperationen im medizinischen Bereich ergibt, dass hier die Kooperation von medizinischen und medizinnahen Professionellen ganz selbstverständlich ist. Keine einzelne Berufsgruppe würde etwa einem Unfallopfer allein gerecht werden können. Was sind die Besonderheiten in diesem Kontext? Ein Fall ist die gemeinsame Bezugsgrundlage. Ein System mit geteilten Paradigmen wie Gesundheit, Behandlung, Heilung und Rehabilitation bietet einen zweck-, verständigungs- und sinnstiftenden Bezug. Kooperation ist notwendig und unverzichtbar für ein günstiges Ergebnis.

4.    Fazit

Gelungene Kooperation entwickelt sich im Dreieck von

  • Management über Pläne, Verträge und Gremien;
  • Kultur- und Beziehungspflege (wie Gerechtigkeit, Einbezug und Beteiligung sowie posi-tive Rede);
  • Prozessgestaltung als Aushandlung, Ringen und der Suche nach Kompromissen in der Situation wie auch zwischen Personen und Organisationen.

Kooperation geht einher mit Veränderung. Welche Kosten-Nutzen-Rechnungen liegen Veränderungsprozessen in Organisationen und von Personen in professionellen Rollen zugrunde? Wie können Push-, also Druckfaktoren und Pull-, also Sogfaktoren in Verrechnungsverhältnisse gesetzt werden? Zu unterscheiden sind zunächst basale Voraussetzungen und Sekundärvariablen. Als Ausgangsbedingung ist eine Ist-Soll-Diskrepanz in der Sache notwendig. Eine Belastung quält, ein Ergebnis von Anstrengungen macht unzufrieden, wobei eine Vorstellung vorhanden ist, dass etwas anders, gar besser sein könnte. Diese Vorstellung ist unterfüttert mit den Ressourcen Personal, Zeit, Fähigkeiten und einem Mindestmaß an Lösungszuversicht. Wenn Alternativen für machbar gehalten werden, treffen sechs besonders relevante Kräfte aufeinander: vier sogfaktorielle Attraktoren und zwei druckfaktorielle Gegenspieler. Ein potenzieller Gewinn entsteht in den Bereichen Existenzsicherung, Entlastung, Bedeutungs- und Anerkennungserhöhung sowie Ergebniseffekte mit Sinnerlebenszuwachs. Als erhebliche Kostenfaktoren werden in diesem Modell Autonomieeinbuße und Routineverlust unterstellt. Wenn also eine Diskrepanzspannung durch suboptimale Leistungserbringung  durch Kontrast mit einem Gegenbild entsteht, wenn zudem persönliche, fachliche, finanzielle, organisationale Voraussetzungen für einen Wandel zur Verfügung stehen und die Gewinnerwartung die Investitionen und die Kosten übersteigt, sind Akteure bereit, ein Risiko mit offenem Ausgang, hier Kooperation, einzugehen.

Für die Steuerung sind folgende Handlungsempfehlungen besonders relevant:

  1. Mentalitätserzeugende Rahmungen vornehmen (normative Ebene, gestaltet durch Politik, Gesellschaft, Kommune, Medien etc.);
  2. Klare Ziele, Erwartungen und Aufgaben formulieren und dabei Gesamtinteressen und Partialinteressen von Organisationen und Professionen beachten (strategische und operative Ebene);
  3. Strukturelle Verbindlichkeit sichern (strategische Ebene);
  4. Aufgabenvielfalt von Steuerung und Leitung balancieren – Lenkungskräfte sind Modell, Motor, Partei, Moderation, Entscheider und Beteiligter (strategische und operative Ebene);
  5. Bewegkräfte für Mitarbeitende in der Organisation und im Gesamtprojekt erkennen (alle Ebenen): Partizipation, Anerkennung, Wahrhaftigkeit, Lastenverteilung, Spielräume, Anreize.

Nicht zuletzt ist authentische und ehrliche Kommunikation notwendig. Beteiligte fragen sich oft nach dem Profit für sich selbst und für die Kooperation an sich. Unabdingbar sind Offen-heit, die Erstellung von Bilanzen, die Auswertung von Gelingen und Nicht-Gelingen und die Fähigkeit, „reinen Wein“ einzuschenken. Äußere Netzwerke können dekretiert werden, Kooperation will entwickelt und errungen werden.

 

Literatur
Duveneck, Anika; Volkholz, Sybille: Kommunale Bildungslandschaften. Band 9. Schriftenreihe zu Bildung und Kultur. Berlin 2011 (abgerufen am 15.7.2016)
Merten, Ueli: Professionelle Kooperation. In: Merten, Ueli; Kaegi, Urs (Hrsg.): Kooperation kompakt. Kooperation als Strukturmerkmal und Handlungsprinzip der Sozialen Arbeit. Opladen, Berlin und Toronto 2015, S. 21-69
van Santen, Eric; Seckinger, Mike: Kooperation: Mythos und Realität einer Praxis. München 2003
Thimm, Karlheinz (2015): Soziale Arbeit im Kontext Schule. München 2015

Ein Beitrag von Professor Dr. Thimm auf Grundlage seines Vortrags beim Werkstattgespräch am 4. Dezember 2015 in der Heinrich-Böll-Stiftung. Die Erstveröffentlichung erfolgte in der Zeitschrift "Soziale Arbeit" des DZI (2016, Heft 10, S. 362-369).