Was Pegida verändert hat? Alles.

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Pegida-Versammlung am 6. Februar 2016 in Dresden

„Wir gegen die Anderen“, "Lügenpresse", „Volksverräter“: Mit ein paar Begriffen hat Pegida die Widersprüche in der Gesellschaft aufgelöst wie Trinkschokolade. Gegen die rechten Narrative müssen wir klar machen, wie gesellschaftlicher Zusammenhalt konkret organisiert wird.


Vortrag von David Begrich (Miteinander e.V.) anlässlich der Tagung „Schön deutsch? Zivilgesellschaftliche Ansätze in der Auseinandersetzung mit Ideologien der Ungleichwertigkeit“ vom 15. April 2016 in Dresden.


Die Frage, was Pegida in der extremen Rechten und im gesellschaftlichen Diskurs verändert hat, ist einfach zu beantworten: alles!


Pegida ist seit Beginn der 1990er Jahre die erste rechte Bewegung, die in Deutschland außerhalb des neonazistischen Ghettos nicht nur auf Resonanz stößt, sondern den politischen Diskurs bis in die Parlamente hinein nach rechts verschiebt. Denn vergleicht man den rechten Aufbruch zu Beginn der 1990er Jahre mit dem heutigen, fällt auf, wo und wann dieser zwischen 1991 und 1994 zum Erliegen kam. Es gab eine Sollbruchstelle rechter Diskursstrategie, die nicht an die Frage des Umgangs mit Flüchtlingen gebunden war.


Um dies zu verstehen, kann man sich vor Augen führen, wie weit sich der Raum diskutierbarer Positionen nach rechts erweitert hat. Anders als vor Jahren, muss sich harter Rassismus seine Beglaubigungsformen nicht mehr mühsam und auf argumentativen Umwegen aneignen. Gerade heraus. Je deutlicher, desto reichweitestärker, so scheint es.


Pegida hat alle Tore für die verfasste Etablierung rechter Politik- und Deutungsangebote in der Mitte der Gesellschaft so weit geöffnet, dass Formen diskursiver Aufwertung ultranationalistischer und rassistischer Positionen auch dort Platz greifen, wo dies bislang nicht denkbar war: im akademischen Betrieb und im intellektuellen Diskurs der Feuilletons des Landes. Führende Intellektuelle machen sich Teile der Ideologie von Pegida mit dem Argument zu eigen, die Debattenkultur in Deutschland sei linksliberal verengt und bedürfe einer Frischluftzufuhr von rechts. Das Gegenteil ist der Fall! Das erste Buch von Thilo Sarrazin eröffnete eine Debatte, die in allen Talkshows und führenden Zeitungen des Landes unterbrachte, was das rechtsintellektuelle Milieu und Teile der organisierten extremen Rechten seit Jahrzehnten predigen: Überfremdung und Identitätsverlust.


Die angebliche Wahrheit


Es trifft zu, dass die extreme Rechte an der ersten Sarrazin-Debatte keinen Aktienanteil hatte. Doch sie bildete so etwas wie die Overtüre für alle nachfolgenden Verläufe von Debatten um Themen wie Einwanderung, Flucht, Asyl, Demografie usw. Pegida hatte also auf die rassistischen und rechten Diskurse in der Gesellschaft einen beschleunigenden, katalytischen Effekt. Denn mit Pegida wurden nicht nur rassistische Themen in die gesellschaftliche Atmosphäre geschleudert, sondern auch andere Essentials rechter Weltdeutungen. Nur einige Stichworte:


Lügenpresse: Ist mehr als nur ein Schlagwort der Unzufriedenheit mit der Berichterstattung des einen oder anderen Mediums. Es ist vielmehr Ausdruck eines grundsätzlichen Vertrauensverlusts gegenüber jeder Berichterstattung von Rundfunk, Fernsehen und Zeitungen. Mehr noch: im Begriff der Lügenpresse kumuliert die seit Jahrzehnten in der extremen Rechten anzutreffende Vorstellung, die Medien trügen grundsätzlich manipulativen Charakter und dienten dazu, das Volk zu betäuben und von den eigentlichen Wahrheiten abzulenken.


Rassismus: Im Gewand des vielzitierten „gesunden Menschenverstandes“ finden sich rassistische Stereotype aktualisiert, die zu den Wünschen nach Homogenität passen, die quer zu allen politischen Lagern in Ostdeutschland auf Zustimmung stoßen.


Wir und die Anderen: Pegida und ihre Anhängerschaft argumentieren, den Deutschen sei ihr „Wir“ also die Identität verloren gegangen. Selbstvergewisserung sucht man in der bloßen Anrufung von Wertetraditionen, deren Komplexität gar nicht ausbuchstabiert wird. In einem Landstrich, in dem so wenige Menschen einer christlichen Kirche angehören nach einer Aufwertung des Christentums zu rufen mag schlüssig klingen. Nur wird es ohne Folgen bleiben.


Im Kontrast zur „Lügenpresse“ ist ein ganzes Universum sogenannter Alternativmedien entstanden, die sich von der Interaktion mit anderen Öffentlichkeiten komplett verabschiedet haben. Ob „Compact“, „PI-News“ oder „Kopp Online“: wer die angebliche Wahrheit hinter der Wahrheit erfahren will, wird hier fündig.


Indikatoren des Faschismus


Im Sumpf aus personalisierten Verschwörungstheorien, antisemitischen Anspielungen und rassistischen Klischees blüht die Welterklärungsformel, in der alle Widersprüche der Gesellschaft aufgelöst sind, wie Trinkschokolade. Anders gesagt: Wäre Pegida im analogen Zeitalter ein auf Dresden begrenztes Protestphänomen geblieben, hätte es eine geringere Bedeutung gehabt. RT Deutsch und andere Formate sorgen dafür, dass jede Rede von Dresden aus ihren Weg zu den Rezipienten findet, die im Chor „Volksverräter“ rufen, wenn nur das richtige Stichwort ertönt.


Meine These ist, dass sich in Pegida bereits abbildete, was wir bei den nachfolgenden Wahlen sehen konnten: die Herausbildung eines stabilen rechten Blocks in Deutschland. Dessen heterogene, teils sozialstrukturell widersprüchliche Zusammensetzung ist kein Argument gegen seinen Erfolg. Im Gegenteil. In ihm radikalisieren sich Rassismus, Antiestablishment-Ressentiments, Wohlstandschauvinismus und Abstiegsängste zu einer politischen Bewegungsform für die es einen Namen zu suchen gilt. Umberto Eco, der eben verstorbene große Meister der langen Linien des 20 Jahrhunderts, benennt in seinem Essay über den Ur-Faschismus Indikatoren für diesen. Ultranationalismus, Antiuniversalismus, Mechanismen rassistischer Exklusion, Kampf gegen kulturelle Diversität.


Seit Monaten frage ich mich, ob diese Indikatoren auf die hier vorfindliche Situation anwendbar sind. Eine Antwort wage ich noch nicht. In seinem Buch „Anatomie des Faschismus“ beschreibt der amerikanische Historiker Robert Paxton Ausgangsbedingungen für die Transformation und Modernisierung faschistischer Ideologie. Diese treffenden Beobachtungen können uns in Deutschland jedoch nur Anhaltspunkte liefern, weil die Debatte um einen zeitgemäßen Faschismus Begriff und seine Anwendbarkeit hier aufgrund der völligen Entwertung des Begriffs durch die DDR und die politische Linke der alten Bundesrepublik nicht sinnvoll zu führen ist.


Wie rechte Diskursstrategie funktioniert


Doch die Ausgangsfrage lautete ja, welchen Resonanzraum Pegida aufschloss, und wer davon profitierte. Profitiert hat zweifelsohne die AfD. Diese Drei-Phasen-Tabs-Partei wird in ihren politischen Zielen meiner Ansicht nach unterschätzt. Nein, die AfD denkt nicht in den Kategorien von Legislaturperioden, Gesetzentwürfen und kleinen Anfragen. Dies mag in der ersten Phase, der Ordo liberalen, eurokritischen Phase noch der Fall gewesen sein.


Doch die Partei ist längst weiter. Sie hat zu großen Teilen die national-konservative Phase, also des Traums von einer Widergeburt der CDU Alfred Dreggers unter anderem Namen bereits hinter sich gelassen, und ist in eine neue Phase eingetreten, in die des völkischen Nationalismus. Niemand verkörpert diese inhaltliche Verschiebung so stark wie Björn Höcke, der bei seinen Reden auf den Markt- und Domplätzen zu Erfurt und Magdeburg nichts weniger formuliert als das Programm einer völkischen Erweckungsbewegung. Höckes Schlüsselwörter Volk, Identität, Dekadenz, aber auch Ordnung, Liebe, Nation stammen alle samt aus dem Wörterbuch der Diskursstrategie der Neuen Rechten.


Und es funktioniert. Wenn Höcke krasse rassistische Sätze sagt, sind alle empört. Also entschuldigt er sich, um bei nächster Gelegenheit in anderem Gewand erneut zu wiederholen, was er zuvor sagte. So meine Damen und Herren funktioniert rechte Diskursstrategie. So erweitert man Schritt für Schritt politische Debatten unter dem Signum der Normalität nach rechts. Die Frage, ob Björn Höcke ein Faschist im Sinne Umberto Ecos ist, würde ich mit Ja beantworten.


Die AfD erntet die Früchte der NPD


Doch zur Wahrheit gehört auch, wer in der extremen Rechten nicht von Pegida profitierte: die NPD. Es mutet nachgerade zu tragisch an, dass jene Partei, die zumindest in Sachsen wesentlichen Anteil an der Rechtsverschiebung in der politischen Kultur hatte von dieser nicht mehr direkt profitiert. Als Pegida als Bewegung Fahrt aufnahm, war die NPD gerade in hohem Bogen aus dem Landtag geflogen. Dumm gelaufen. Auf jenem Feld auf dem die älteste deutsche Rechtspartei in Sachsen über mehr als ein Jahrzehnt gesät hatte, erntete nun die AfD all jene Früchte, um welche sich die NPD betrogen sah.


Natürlich ist die NPD für den langem Atem der Proteste gegen Flüchtlinge in Sachsen und andernorts unersetzlich. Doch momentan profitiert sie nicht davon. Die zeitliche Einschränkung ist mit Bedacht gewählt. Die NPD ist vielfach politisch für tot erklärt worden, und hat bislang alle politischen Krisen letztlich überlebt. Sogar ein Verbot wird sie zwar nicht als Partei, sehr wohl aber als rassistische und neonationalsozialistische Weltanschauungsgemeinschaft überleben, für die es in der gegenwärtigen Lage durchaus noch Verwendungsgelegenheiten gibt.


Es sind ja nicht alle in der AfD, die im Modell Pegida so etwas wie einen außerparlamentarischen Arm einer breiten rechten Bewegung sehen. Die gegenwärtige Entwicklungsdynamik rechter Diskursansprüche und ihr Echo in der politischen Mitte lassen ein Wechselspiel zwischen außerparlamentarischer Intervention und parlamentarischer Ausweitung der Grenzziehungen für rechte Akteure verlockend aussehen. Die völkische Rechte kennt einen Ausweg aus der Krise neoliberaler Gesellschaften: soziale und ethnische Exklusion und autoritäre Formierung.


Das Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt zeigt, dass faktisch alle Milieus für die Politikangebote der AfD erreichbar sind. Mit Ausnahme des in Ostdeutschland kleinen postmaterialistischen Milieus. Doch dieses gerät in der Debatte um ethnisch überformte soziale Spaltungslinien unter Druck, sein Engagement für Flüchtlinge rechtfertigen zu müssen.


Wie können wir Zusammenhalt organisieren?


War Pegida also nur der Vorschein einer vielbeschworenen europäischen Normalisierung in Sachen Repräsentanz rechter Parteien und Inhalte? Vielleicht. Unverkennbar sortiert sich das Feld der Parteien und der politischen Loyalitäten neu. Die Integrationsfähigkeit des deutschen Parteiensystems wird sich nicht wieder herstellen lassen. Denkbar ist vielmehr eine Neustrukturierung entlang jener Prozesse die zu Beginn der 2000er Jahre in Italien abliefen, als Teile der Christdemokraten mit vormaligen Sozialdemokraten eine neue Strömung bildeten.


Die von Pegida beschleunigte Polarisierung der Gesellschaft folgt vielen Bruchlinien. Denen sozialer Entwertungserfahrung, denen rassistischer Ressentiments, denen postdemokratischer Ohnmacht und Nicht-Repräsentation. Aber auch jenen einer Bürgerlichkeit, der die Verteidigung der eigenen Privilegien in prekärer Zeit zum Hauptanliegen geworden zu sein scheint. Daher zu glauben, es reiche aus, das Thema Flüchtlinge wie zu Beginn der 90er Jahre abzuräumen, verkennt, was seitdem passiert ist: das Maß an gesellschaftlicher Entsolidarisierung lässt es zweifelhaft erscheinen, ob die skizzierten Bruchlinien darüber gekittet werden können, dass temporär weniger Flüchtlinge kommen.


Dies führt mich zu der Vermutung, dass Pegida nicht das letzte Format der Mobilisierung von Rassismus und Ultranationalismus war, sondern die erste in einer Kette kommender gesellschaftlicher Konfliktlagen in denen eine wachsende Zahl von Menschen Antworten dort sucht, wo sie sehr allfällig und wahrnehmbar angeboten werden: rechts. Die Lehre aus Pegida für die extreme Rechte dürfte sein, weniger auf die dauerhafte Verbalisierung von Feindbildern, als vielmehr auf die Betonung von Vorrechten jener zu setzen, die sich als Objekte aller politischen Verläufe ansehen.


Wie das erfolgreich funktioniert, kann man in Österreich, in Ungarn und in Frankreich sehen. Um den Prozess der relativen ideologischen Flexibilisierung der extremen Rechten zu verstehen, müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die historische Existenz des Nationalsozialismus kein Gegengift mehr darstellt. Wer die Reichweite rechter Narrative blockieren will, muss neue, andere Narrative entwickeln, diese konkret ausbuchstabieren, wie gesellschaftlicher Zusammenhalt organisiert werden kann.


David Begrich ist Mitarbeiter der Arbeitsstelle Rechtsextremismus bei Miteinander e.V. in Magdeburg. Er hat diesen Vortrag am 15. April 2016 auf der Tagung „Schön deutsch? Zivilgesellschaftliche Ansätze in der Auseinandersetzung mit Ideologien der Ungleichwertigkeit“ in Dresden gehalten.