Der lange Weg zu "Made in Myanmar"

Näherin in Myanmar
Teaser Bild Untertitel
Näherin in Myanmar

Myanmar boomt: Allein in der Textilbranche werden jede Woche zwei bis drei neue Fabriken eröffnet. Wie können sie es in Zukunft schaffen, auch ethisch ganz vorn dabei zu sein? Ein Beitrag von Renate Künast.

In Myanmar sind alle voller Erwartung. Wie werden Regierungsämter besetzt? Wie wird Aung San Suu Kyi die vielen Aufgaben angehen? Wird sie die Hoffnungen, die man in sie setzt, erfüllen?

Nach einer beachtenswert freien und erfolgreichen Wahl sind 25 Prozent der Sitze im Parlament - und damit eine Blockademinderheit gegen Verfassungsänderungen - für Militärs reserviert. In deren Hand befinden sich zudem lukrative Unternehmen aus den Branchen Gas, Öl, Jade und Transport. Das Land hat noch alte wirtschaftliche Kontakte, die auch die Zeit der Militärdiktatur überdauerten. Dazu gehören nicht nur China mit den weiterhin großen Interessen an Energie (Öl, Gas und Wasserkraft). Geblieben sind auch gute wirtschaftliche Beziehungen zu Japan und Südkorea. Jetzt kommt der rasch wachsende Handel mit der EU hinzu.

Nun aber wollen die Gesellschaft und Nichtregierungsorganisationen auch an Entscheidungen beteiligt werden und etwas von der wirtschaftlichen Entwicklung abbekommen. Die neue Regierung hat noch nicht begonnen, schon wird sie eingehegt mit Investitionsabkommen, über die schon die alte Regierung verhandelte, so auch das Investitionsschutzabkommen zwischen der EU und Myanmar.

Einige formulieren als Ziel schnelles Wachstum. Allein in der Textilbranche werden zur Zeit laut Verband der Textilindustrie jede Woche zwei bis drei neue Fabriken eröffnet. In den nächsten zehn Jahren will der Industrieverband aus heute 400.000 Arbeitsplätzen der Textilbranche 1,2 Millionen machen. Da Myanmar wie Bangladesch, Pakistan und andere unter die Initiative "Everything but Arms" fällt, müssen für die exportorientierte Fertigung von Kleidung hier keine Einfuhrzölle gezahlt werden. Im Land sollen Anreize für Neuansiedlungen geschaffen werden, die in den ersten fünf Jahren steuerfrei sind. So etabliert sich ein Business, in dem Stoffe, Knöpfe und Reißverschlüsse aus China importiert werden, wo die Maschinen für die wenig personalintensive Herstellung schon stehen, während in Myanmar "nur" der Stoff geschnitten und die Kleidungsstücke genäht werden. Der interessantere Teil der Wertschöpfung bleibt somit in China.

Einhaltung von Menschenrechten ist freiwillig

Die Textilindustrie hat nun eine Zehn-Jahres-Strategie verabschiedet, die bis 2024 ehrgeizige Ziele formuliert. "Made in Myanmar" soll danach bald für eine ethische und nachhaltige Produktion stehen, die zehn Milliarden amerikanische Dollar umsetzt.

Der Code of Conduct, den die Wirtschaftsvereinigung vorlegt, formuliert wohlklingende Ziele, ist allerdings für seine Mitglieder freiwillig. Alles Notwendige ist Thema: die Übereinstimmung mit internationalen Arbeitsnormen und Menschenrechten, der Abbau von Kinderarbeit (erlaubtes Einstiegsalter 15 Jahre), eine Absage an Diskriminierung aufgrund von Rasse oder Religion, die Akzeptanz kollektiver Interessenvertretung, die Einhaltung vereinbarter oder gesetzlicher Mindestlöhne, gute Umweltbedingungen einschließlich Abfallwassermanagement. Die Produktivität soll um 50 Prozent gesteigert werden, immer mehr Stoffe und Zubehör will man selbst produzieren. Damit müssten große Investitionen einhergehen - und bei vielen neuen Färbe- und Waschanlagen besteht die Gefahr, dass Umwelt und Gesundheit stark belastet werden.

Papier ist geduldig. Die Gewerkschaften in Myanmar sind ungeduldig. Der Organisationsgrad ist mit unter ein Prozent niedrig, der Versuch, sich zu professionalisieren, umso stärker. So lassen sie sich systematisch für Verhandlungen schulen.

Die Unternehmen können gleich beweisen, dass sie internationales Recht einhalten wollen. Denn die Gewerkschaften legen einen konkreten Plan zur Beseitigung der Kinderarbeit vor. Der Präsident der Confederation of Trade Unions, Maung Maung, schlägt vor, dass sich alle Unternehmen nun verpflichten, niemanden mehr einzustellen, der unter 15 Jahre alt ist. Die heute schon beschäftigten Kinder sollen, bis sie das 15. Lebensjahr vollendet haben, bei voller Lohnfortzahlung täglich vier Stunden zur Schule statt zur Arbeit gehen. Die Gewerkschaften wollen zudem tatsächlich zu Tarifpartnern werden und beginnen mit Verhandlungen jenseits des Musterarbeitsvertrages der alten Regierung.

Japan und Korea sind nicht an Standards interessiert

Die Textilindustrie wird in der nächsten Zeit bei den Gesprächen mit der Forderung konfrontiert, dass in Zukunft nach zwei Jahren Beschäftigung nicht ohne eine Entschädigung gekündigt werden kann und dass Kündigungen stets einer gerichtlich überprüfbaren Begründung bedürfen. Für all diese Aktivitäten formulieren Gesprächspartner im Land die Hoffnung, dass ein neues Arbeitsministerium endlich die Interessen der Arbeiter vertritt.

Die Richtung in Myanmar stimmt also. Aber der Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung ist lang. Die europäischen und deutschen Markenfirmen bringen den Druck ihrer Kunden mit, sogar merklich über das vom Textilverband anvisierte BSCI-Niveau hinauszugehen. Das ist zwar immerhin der Versuch, Standards zu etablieren, aber erreicht nicht das in Europa für die Zukunft erwartete Niveau.

Viele Unternehmen in Deutschland haben inzwischen sogar mit Greenpeace einen Detox-Kontrakt unterzeichnet, um bis 2020 zusätzlich elf Chemikalien aus dem Fertigungsprozess zu nehmen. Dieses Niveau in Myanmar in einer nicht umweltorientierten Umgebung zu verwirklichen ist eine Herausforderung. Die größeren Auftraggeber aus Korea und Japan werden dabei keine Hilfe sein, denn sie sind an derlei Standards nicht interessiert. Die Kunden in Europa aber haben die Chance, Arbeitsbedingungen und Umweltsituation weiter zum Thema zu machen.

In Myanmar hat man dafür immerhin ein offenes Ohr. Angesichts der ehrgeizigen Entwicklungsziele, der geplanten neuen Fabriken und der Färbeanlagen ist das eine echte Herausforderung. Aber es ist wegen des großen Umbruchs nicht unmöglich, dass tatsächlich am Ende ein stolzes "Made in Myanmar" dabei herauskommt.

Dieser Artikel ist erstmals am 10. März 2016 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen.