"Die deutsche Regierung muss mit Gewerkschaften in Kontakt treten"

Fabrik in Kambodscha
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Fabrik in Kambodscha

Im Interview spricht Yang Sophorn, Präsidentin der Cambodian Alliance of Trade Unions über die Hauptprobleme der Textilindustrie und vor welchen Herausforderungen vor allem Frauen stehen.

Heinrich-Böll-Stiftung: Die Negativschlagzeilen in der kambodschanischen Textilindustrie reißen nicht ab. Was sind die Hauptprobleme?

Yang Sophorn: In der kambodschanischen Textilindustrie arbeiten 90 Prozent Frauen, die darauf hoffen, mit ihrem Lohn ihre Familie unterstützen zu können. Doch der viel zu niedrige Mindestlohn von derzeit 140 Dollar pro Monat führt oftmals dazu, dass die Frauen trotz Überstunden und langen Arbeitstagen nicht genug Geld zum Überleben für sich und ihre Familien haben. Dann leihen sie sich vorübergehend Geld von dubiosen Kreditinstitution und müssen dafür manchmal bis zu 25 Prozent Zinsen bezahlen. Aus dieser Schuldenfalle kommen sie dann nicht mehr heraus, und viele Frauen sehen sich gezwungen, in mehreren Firmen im Schichtdienst zu arbeiten, um mehr Geld zu verdienen. Leider beschränken sich viele Gewerkschaften auf die Lohnfrage und klammern andere Probleme aus.

Was heißt das konkret?

Die meisten Gewerkschaften werden von Männern geführt, die nur unzureichend für die Probleme von Frauen sensibilisiert sind. In den Sommermonaten herrschen in den schlecht gelüfteten Fabrikhallen sehr hohe Temperaturen, die bei vielen Frauen zu Ohnmachtsanfällen führen. Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz oder die oftmals unzureichende Anzahl von Toiletten, aber auch Sicherheit auf dem Arbeitsweg und in den Wohnungen, die sich mehrere Frauen teilen müssen, kommen nur dann zur Sprache, wenn die Frauen dies selbst thematisieren.

 

Yorn Sophorn

Wie sieht es mit der Sicherheit der Arbeitsverträge aus?

Die meisten Angestellten in der Textilindustrie bekommen nur Kurzzeitverträge von drei oder sechs Monaten. Frauen, die schwanger werden, oder aktiven Gewerkschaftsmitgliedern wird keine Vertragsverlängerung gewährt. Das ist für die Unternehmen ein hervorragendes Mittel, um ihre Gewinne auf Kosten der Angestellten zu maximieren. 

Werden die Arbeiterinnen und Arbeiter nicht durch das Arbeitsrecht geschützt?

Auf dem Papier sieht das Arbeitsrecht gut aus. Aber es wird von vielen Unternehmen ignoriert. Und die Justiz steht zu oft einseitig auf der Seite der Unternehmen. Natürlich wissen auch viele Arbeiterinnen und Arbeiter nicht um ihre Rechte, oder nehmen von vorneherein keine Gerichtsverfahren in Kauf, weil sie keine Aussicht auf Erfolg sehen.

Was bedeutet das Gewerkschaftsengagement für Sie persönlich?

Seitdem ich vor 15 Jahren mit meiner Gewerkschaftsarbeit anfing, ist mein Name öffentlich bekannt. Unternehmen haben mich wiederholt angeklagt, zu Gewalt aufgerufen zu haben, was nicht stimmt. Das Arbeitsministerium hat mich aufgefordert, keine Proteste zu initiieren. Derzeit läuft noch ein Strafverfahren gegen mich.

Wie kann Europa zu einer Verbesserung der Lage beitragen?

Zunächst einmal haben die Verbraucherinnen und Verbraucher eine große Marktmacht. Sie sollten sich bewusst machen, wo ihre Kleider und Schuhe herkommen und unter welchen Bedingungen sie produziert wurden. Nötigenfalls sollten sie die Firmenleitungen zum Beispiel von deutschen Firmen anschreiben, und um Aufklärung bitten, wenn es zu Verletzungen der Arbeitnehmerrechte kommt.  Die EU sollte nur Handelspräferenzen gewähren, wenn sie nicht zu Menschenrechtsverletzungen beitragen. Dies muss auch regelmäßig überprüft werden. Europa kann hier mehr tun.

Was erwarten Sie konkret von Deutschland?

Die deutsche Regierung darf den Dialog nicht nur auf die Regierung und die Unternehmen beschränken, sondern muss auch mit Gewerkschaften in Kontakt treten. Gemeinsam mit der EU sollte sich Deutschland für bedrohte Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen einsetzen und klar machen, dass eine Einschränkung der legitimen Arbeitnehmerrechte nicht akzeptiert wird. Dazu gehört, eine umfassende Aufklärung der tödlichen Schüsse auf streikende Arbeiter im Jahre 2014 zu fordern. Dies ist bis heute nicht geschehen.

Das Interview führte Ali Al-Nasani.

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