Auszüge aus der Grünen Chronik

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35 grüne Jahre (12): Bürgerrechtsbewegung in der DDR

Kerzen schlagen Knüppel

"Wir waren auf alles vorbereitet, nur nicht auf Kerzen und auf Gebete”, soll DDR-Spitzenfunktionär Horst Sindermann kurz vor seinem Tod gestanden haben. Dem gewaltlosen Protest der Straße hat der morsche SED-Staat im Herbst 1989 nichts mehr entgegenzusetzen. Den Keim der friedlichen Revolution in der DDR legen mutige Bürgerrechts-, Umwelt- und Friedensaktivisten, die sich zu oppositionellen Bündnissen zusammenschließen: zur „Initiative für Frieden und Menschenrechte“, zu „Demokratie Jetzt“, zum „Unabhängigen Frauenverband“ und zum „Neuen Forum“.

Zur ersten freien Volkskammerwahl im März 1990 schließen sich diese Bürgerrechtsbewegungen zusammen und treten im „Bündnis 90“ und als Grüne Partei an – und werden von der CDU dominierten „Allianz für Deutschland“ an den Rand gedrängt. Die Kontakte zu westdeutschen GRÜNEN, die seit den 80er Jahren bestehen, werden in dieser Zeit schnell enger, bis zu einer gemeinsamen Partei wird aber noch einige Zeit vergehen.

Demokratie jetzt

Am 13. August 1989 trafen sich Mitglieder der "Initiative Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" (IAPPA) in der Berliner Bekenntnis-Gemeinde. Sie forderten eine oppositionelle Sammlungsbewegung zur demokratischen Erneuerung der DDR. Die IAPPA-Mitglieder riefen zur Gründung der Bürgerbewegung "Demokratie jetzt"« auf. In dem Gründungsaufruf heißt es: "Der Sozialismus muss nun seine eigentliche, demokratische Gestalt finden, wenn er nicht geschichtlich verloren gehen soll." Gründungsmitglieder waren unter anderen Hans-Jürgen Fischbeck, Katrin Göring-Eckardt, Reinhard Lampe, Ludwig Mehlhorn, Ulrike Poppe, Wolfgang Ullmann und Konrad Weiß.
 

  • Initiative Frieden und Menschenrechte (IFM)
    Die IFM, gegründet 1986, ist die erste kontinuierlich arbeitende Bürgerrechtsgruppe in der DDR. Mit dem "grenzfall" gibt sie ihre eigene Zeitschrift heraus. Mitbegründer waren Martin Böttger, Bärbel Bohley, Gerd Poppe, Werner Fischer, Thomas Rudoph, Ralf Hirsch, Wolfgang Templin und Reinhard Weißhuhn.
     
  • Neues Forum (NF)
    In Grünheide bei Berlin versammelten sich am 9. September 1989 aus elf der 15 DDR Bezirke 30 Personen und gründeten das Neue Forum. Am 10. September 1989 wurde der Aufruf "Aufbruch 89 – Neues Forum" verbreitet. Unterschrieben wurde er unter anderen von Bärbel Bohley, Frank Eigenfeld, Katrin Eigenfeld, Rolf Heinrich, Katja Havemann, Sebastian Pflugbeil, Jens Reich, Reinhard Schult, Jutta Seidel und Hans-Jochen Tschiche. Das Neue Forum strebte im Gegensatz zu den anderen oppositionellen Organisationen von Anfang an einen legalen Status an.

Mehr Informationen zu dem Thema gibt es auch bei der Havemann Gesellschaft.

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35 grüne Jahre (13): GRÜNE im Einheitsjahr 1990

Alle reden von Deutschland...
 
Bis in die Wendezeit hinein sind DIE GRÜNEN geprägt von der Idee der deutschen Zweistaatlichkeit – und treffen sich dabei mit großen Teilen der DDR-Bürgerrechtsbewegung, die eher eine bessere DDR als ein Deutschland wollen.

Beide unterschätzen den Wunsch der Mehrheit nach Wiedervereinigung und müssen im Einheitsjahr 1990 mit den Folgen kämpfen: Die ostdeutschen Bürgerrechtler erleiden einen rapiden Bedeutungsverlust, die West-GRÜNEN die schlimmste Wahlniederlage ihrer Geschichte: „Alle reden von Deutschland, wir reden vom Wetter“, schreiben sie vor der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl auf ihre Plakate.

Die Wähler bestrafen so viel Ignoranz mit Abstinenz und schmeißen die erfolgsverwöhnten West-GRÜNEN aus dem Bundestag. Bündnis 90 und Ost-GRÜNE schaffen hingegen den Einzug.

 

35 grüne Jahre (14): Parteitag in Neumünster 1991

Aufbruch nach der Niederlage

 „Positiv betrachtet haben wir von unseren Nicht-mehr-WählerInnen den Auftrag erhalten einen inhaltlichen und strukturellen Neubeginn einzuleiten, der uns zu einer handlungsfähigen Partei mit einem klaren Profil macht“, schreiben DIE GRÜNEN in der Erklärung zum Parteitag von Neumünster. Das war Ende April 1991, knapp fünf Monate nach dem Wahldebakel der West-Grünen bei der Bundestagwahl. DIE GRÜNEN hatten mit dem Slogan „Alle reden von Deutschland. Wir reden vom Wetter“ den Wunsch einer breiten Bevölkerung nach Wiedervereinigung unterschätzt und kamen nicht in den Bundestag.

Die Ost-Grünen und das BÜNDNIS 90 zogen dagegen ins Parlament ein. DIE ZEIT zitiert damals in einem Artikel Werner Schulz, Bundestagsabgeordneter des Bündnis 90: „Das Bündnis halte den Grünen im Parlament 'die Plätze warm', versicherte er, sie müssten nur wieder die Partei des fröhlichen Aufbruchs werden."

Auch wenn der Parteitag heute immer noch vor allem mit dem Einsatz einer Wasserpistole und Jutta Ditfurths öffentlichen Partei-Austritt verbunden wird, war es doch in erster Linie ein Arbeitsparteitag. So gab es wichtige Satzungsänderungen: Die Sprecher/innen wurden von drei auf zwei begrenzt und bekamen von nun an eine Bezahlung. Außerdem wurden die politische und organisatorische Geschäftsführung auf zwei Schultern verteilt, die Rotation abgeschafft und der Länderrat als "kleiner Parteitag" eingerichtet.

Jutta Ditfurth, in den 80ern führende Vertreterin des Fundi-Flügels, beendete ihre Parteitagsrede mit den Sätzen: „Fakt ist: Es ist vorbei. Die Grünen sind nicht mehr unsere Partei.“ Mit Ditfurth verließen noch rund 40 weitere Grüne den Parteitag. Im Protokoll zu der Rede ist von starkem Beifall die Rede. Aber es war hier wohl eher als Zustimmung für ihren Abgang gemeint, denn die Parteilinken wurden für die Wahlniederlage verantwortlich gemacht. Jutta Ditfurth gründete später die Ökologische Linke. Die Partei konnte sich jedoch bundesweit parlamentarisch nicht durchsetzen.

„Das war damals eine ganz gesunde Abspaltung“, sagt Dietmar Strehl, damals Teilnehmer beim Parteitag in Neumünster und heute Schatzmeister von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. „Die Strukturveränderung führte dazu, dass die Partei professioneller wurde.“  
 

35 grüne Jahre (15): Fusionsprozess von Bündnis 90 und Die Grünen

Vereinigung auf Augenhöhe

Für die gemeinsame Sitzung der parallel stattfindenden Parteitage von Bündnis 90 und DIE GRÜNEN am 17. Januar 1993 in Hannover werden Banner mit den Parteinamen aufgehängt.

Nach der Wahl 1990 schließen sich erst West- und Ost-GRÜNE zusammen, später GRÜNE und Bündnis 90. Gemeinsam bundespolitisch stark zu werden, statt einzeln unterzugehen, ist das Ziel. Der Weg bis zum Vereinigungsparteitag 1993 ist steinig, denn die kulturellen Unterschiede erweisen sich als ebenso groß wie die Sorge der zahlenmäßig weit unterlegenen Ostdeutschen, im gemeinsamen Projekt unterzugehen.

Doch es hat sich für alle gelohnt: Die Bürgerbewegten sichern so ihren dauerhaften bundespolitischen Einfluss. Die West-GRÜNEN entwickeln einen stärker an Dialog und Konsens orientierten Politikstil. Und das Land erlebt das seltene und kostbare Beispiel einer ost-westdeutschen Vereinigung auf Augenhöhe.

Werner Schulz, Gründungsmitglied von Bündnis 90, sagte in einer Feierstunde zum 15-jährigen Bestehen von Bündnis 90/DIE GRÜNEN: "Unsere Vereinigung vor 15 Jahren war alternativlos, beispielhaft, zukunftsweisend und erfolgreich. Sie war die Voraussetzung für den Fortbestand zweier noch junger Parteien, die Fortsetzung der parlamentarischen Arbeit und die Ausgangsbasis für die spätere Regierungsbeteiligung."

Die Vereinigung habe einen langen Vorlauf gehabt, so Werner Schulz. Mit Einzug der Grünen in den Bundestag 1983 habe ein Teil der Grünen die DDR-Opposition aktiv unterstützt. „Wir hatten plötzlich allein auf totalitärer Flur aktive Verbündete. Das ist unheimlich wichtig gewesen und das vergisst man im ganzen Leben nicht. Schon allein deswegen waren die Grünen unsere genuinen Verbündeten. Vorausgreifend nannte sich die Volkskammer-Fraktion deswegen auch Bündnis 90/Grüne.“

Heute habe sich, entgegen seiner Erwartung, Bündnis 90 im grünen Tee aufgelöst, so Werner Schulz. "Aber wenn die Chemie in Ordnung ist, dann geht auch die Substanz nicht verloren."
 

Mehr Informationen im Netz:

35 Grüne Jahre = 35 Grüne Geschichten
Die Geschichte von Bündnis 90/DIE GRÜNEN in 35 Teilen.