Märkte gesellschaftlich einbetten

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Die Finanzmarktlogik bestimmt derzeit den Kurs unserer Gesellschaften

Wir dürfen unsere Umwelt nicht alleine der Marktlogik und die Märkte nicht der Finanzmarktlogik ausliefern. Stattdessen sollten wir uns fragen, wie die Gesellschaft wieder ein Stück weit von der Ökonomie befreit werden kann.

Grüne Politik setzt zu Recht auf die richtige Organisation von Märkten, vor allem dort, wo Mono- und Oligopole oder sozial und ökologisch schädliche Subventionen den Wettbewerb verzerren und falsche Marktanreize schaffen. Grüne Politik sucht nach marktbasierten Instrumenten und Ansätzen für Klima- und Ressourcenschutz. Grüne Politik muss sich aber auch mit der Frage auseinandersetzen, wo Verbote und politisch klare Grenzen für Ressourcenverbräuche und Emissionen aller Art notwendig sind.

Die sozialen und ökologischen Folgen jeder technologischen Innovation müssen sorgfältig abgewogen werden. Die Lehren aus der Biomassenproduktion – Vermaisung der Landschaft, Verluste der biologischen Vielfalt, weitere Zerstörung ländlicher Räume und bäuerlicher Strukturen sollten hier gezogen werden und Warnung sein. Wenn die Grünen die Wohlstandsfrage wirklich neu stellen, dann muss es auch darum gehen, wie die Gesellschaft ein Stück weit von der Ökonomie wieder befreit werden kann bzw. wie die Wiedereinbettung des Marktes in die Gesellschaft gelingen kann.

Grüner Politik muss es darum gehen, die Grenzen der Marktlogik zu diskutieren und sie in einem gesellschaftspolitischen Prozess festzulegen. Die ausschließliche Orientierung am Ökonomischen in allen Sphären der Gesellschaft zerstört diese letztlich. Der Markt ist ein Teil der Gesellschaft und sollte sie nie in ihrer Gesamtheit prägen. Organe und Blut kann man bei uns zwar spenden, nicht aber kaufen und verkaufen. Fürsorge, Vorsorge, Versorgung von Kindern, Jugendlichen, Kranken und alten Menschen braucht zwar auch öffentliche Fürsorge und Infrastruktur, sie ist jedoch zugleich emotionale Beziehungsarbeit. Das ist Reproduktionsarbeit, die jede Wirtschaft braucht. Sie sollte sich damit jedoch noch lange nicht den Effizienz- und Verwertungslogiken des kapitalistischen Marktes unterwerfen, wenn sie menschlich bleiben will.

Es ist offensichtlich, dass die Verständigung darüber, welche Güter wie bereitgestellt werden sollen, das Ergebnis von gesellschaftlichen Wertentscheidungen ist. Unsere gesellschaftliche Wertentscheidung sagt, dass die Logik der marktlichen Verwertung am menschlichen Körper endet. Niemand soll wegen ökonomischer Zwänge getrieben werden, Teile seines Körpers zu verkaufen, wie beim Organhandel. Moderne Demokratie definiert sich über die Gleichheit der Stimme (one man – one vote) und will vermeiden, dass die unterschiedliche ökonomische Leistungsfähigkeit zu unterschiedlicher Möglichkeit der Mitgestaltung führt. Aufgabe guter Politik ist es daher nicht nur, dafür zu sorgen, dass Märkte funktionieren, sondern sie auch zu begrenzen. Die Rolle des Marktes in der Gesellschaft zu definieren, ist nicht nur eine wirtschaftspolitische Optimierungs-, sondern eine gesellschaftliche Gestaltungsaufgabe.

Die Logik der Finanzmärkte durchbrechen

Es gibt eine zweite wichtige Art der Begrenzung von Märkten, nämlich die Entscheidung darüber, ob bestimmte Märkte verbunden sind oder getrennt. In den letzten Jahrzehnten sind immer mehr ursprünglich getrennte Märkte verbunden worden. Waren zum Beispiel früher Hauskredite eine nicht handelbare Vereinbarung zwischen Bank und Häuslebauer, wurden durch moderne Finanzmarktinstrumente Hauskredite handelbar. Das hat die Immobilienmärkte und die Märkte für Anleihen und Aktien näher gebracht. Ähnliches gilt für die Märkte für Aktien in verschiedenen Ländern, die durch Indexfonds zusammengewachsen sind.

So entstand aus vielen einzelnen Teilmärkten, auf denen das jeweilige Angebot und die Nachfrage für dieses spezifische Produkt die Preise bestimmt haben, ein großer globaler Finanzmarkt, bei dem häufig die Weltfinanzmärkte stärker die Preisbildung prägen als die Verfügbarkeit des jeweiligen Produkts.

Das lässt sich sehr gut an den Preisen für Wohnungen in deutschen Großstädten oder denen für fruchtbares Agrarland sehen, die in jüngerer Zeit nicht aufgrund spezifischer Veränderungen der jeweiligen Immobilienmärkte, sondern aufgrund der Renditesuche internationaler Finanzinvestoren stark gestiegen sind. Wenn Märkte derart zusammenwachsen, besteht die Gefahr, dass der einzelne Markt seiner Aufgabe, Angebot und Nachfrage sinnvoll auszugleichen, gar nicht mehr nachkommen kann, weil marktexterne Faktoren den Preis als Steuerungsmechanismus aushebeln. Dieses Phänomen, dass die Finanzmarktlogik sich alles andere unterwirft, bezeichnet man als „Finanzialisierung“.

Politische Aufgabe ist es, für die Funktionsfähigkeit von Märkten zu sorgen. Das bedeutet manchmal, Märkte zu trennen, bestimmte Bereiche zwar „marktlich“ zu organisieren, aber der Logik des instabilen globalen Finanzmarktes zu entziehen. Die Diskussion um die Spekulation mit Lebensmitteln dreht sich genau um diese Frage. Denn die Märkte für Grundnahrungsmittel können nur dann richtig funktionieren, wenn die Finanzmarktlogik die Preisbildung nicht dominiert, sondern das größere Gewicht bei denjenigen ist, die auf Produzenten- oder Abnehmerseite tatsächlich im Lebensmittelmarkt aktiv sind, und nicht bei Banken und Fonds, die im Wesentlichen bestimmte Preisentwicklungen für sich nutzen wollen.

Einigermaßen stabile Preise für Grundnahrungsmittel geben den Produzenten und Kunden verlässliche Signale über Knappheitsverhältnisse und damit einen Anreiz, diese Knappheiten zu überwinden. Für ärmere Bevölkerungsgruppen sind diese Signale lebensnotwendig – die Gewinne aus Agrarspekulationen für die Banken sind es aber nicht. Es ist also nur richtig, hier regulierend, Märkte trennend, einzugreifen.

Die Grenzen der Marktlogik beim Umweltschutz

Marktbasierte Instrumente können, richtig eingesetzt, durchaus einen Beitrag zum Klima- und Umweltschutz leisten. Das so genannte TOP-Runner-Prinzip ist so ein Beispiel. Staubsauger, Kaffeemaschinen und andere Produkte mit dem geringsten Energieverbrauch sollen nach einer kurzen Frist den Standard für alle anderen Produkte vorgeben. So entsteht ein Wettbewerb um die effizientesten Produkte und um die beste Möglichkeit, das Klima zu schonen. Das Problem liegt an einer anderen Stelle: Die Debatte um marktbasierte Instrumente zum Schutz von Klima und Umwelt hat unter dem Stichwort „Green Economy“ in den vergangenen Jahren einen sehr problematischen Dreh bekommen.

Dabei wird die Marktlogik, die als „homo oeconomicus“ bereits übermächtig auf den Menschen angewandt wird, nun auch auf Umwelt und Klima ausgeweitet. Die Natur wird zur „natura oeconomica“. Die Idee, die Natur mit Hilfe der Marktlogik zu erhalten, beruht darauf, den Leistungen der Natur einen Preis zu geben. Wenn die tropischen Wälder CO 2 binden, dann ist dies eine Leistung für die Gesellschaft, die entsprechend finanziell gewürdigt werden sollte. In die Abholzung müsste somit auch diese Speicher-Leistung eingepreist werden, was die Abholzung im besten Fall unrentabel machen würde. Die gleiche Logik lässt sich auf die Reinheit der Luft, auf sauberes Trinkwasser oder Naturlandschaften anwenden. Natur und ihre „Dienstleistungen“ sollen nicht nur wertgeschätzt und volkswirtschaftlich sichtbar werden, sondern einen Geld-Wert bekommen, um sie zu schützen. Soll hier der Wert der Natur beziffert und damit sichtbar gemacht werden oder soll die Natur der Marktlogik unterworfen werden, inklusive der Konsequenz, dass sie sich im Zweifel im Wettbewerb nicht durchsetzen kann oder in Wirtschafts- und Finanzkrisen verzockt wird?

Wir müssen verhindern, dass die Marktlogik im Zuge dieser Debatte erneut zum Allheilmittel erklärt wird. Das Ergebnis wäre eine riesige Wette, die am Ende zur Zerstörung der Natur führen würde. Es ist an uns und an der Politik sowie der Gesellschaft, dem Markt seinen Platz zuzuweisen. Dazu müssen wir differenziert auf die Problematik schauen. Was passiert, wenn man Land, Umwelt und Natur der Marktlogik unterwirft, lässt sich in Äthiopien beobachten. Allein in der fruchtbaren Gambella-Region wurde Investoren über eine Million Hektar Land angeboten. Konzerne, Händler von Anlagefonds und Nationalstaaten sind bereit, hohe Preise für das Land zu zahlen, teils als reine Geldanlage. Diese Art, Land einen Preis zu geben, wird die Natur und den Lebensraum zerstören, weil das Land gleichzeitig der Marktlogik unterworfen wird. Es geht nicht mehr um den Erhalt der Natur, sondern darum, den Wert des Landes zu bepreisen, um ihn handelbar zu machen. Am Ende steht die Zerstörung der Lebensgrundlage vieler Menschen.

Es geht darum, der Marktlogik beim Schutz von Natur und Klima nicht unkritisch das Wort zu reden. Vielmehr muss in jedem Einzelfall geprüft werden, welcher Mechanismus einen effektiven Schutz der Umwelt sichert und soziale Strukturen schützt, die für das Überleben der Betroffenen nötig sind. Eine vollständige Ökonomisierung der Natur müssen Grüne ebenso verhindern wie die vollständige Unterwerfung aller Gesellschaftsbereiche unter die Marktlogik und die Finanzialisierung aller Märkte. Wir brauchen eine kritische Debatte über guten Wettbewerb, verheerende Marktlogik und eine feine, aber klare Trennlinie zwischen der Wertschätzung der Natur, die wir so dringend brauchen, und den sozialen und ökologischen Risiken, die entstehen, wenn Natur zum Handelsgut wie jedes andere wird.

Dieser Text erschien soeben in unserem Böll.Thema 1/2015 "Ökologie und Freiheit".