Bosnien und Herzegowina: Politische Paralyse und Wahlen

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Appell an die EU

Wohin bewegt sich Bosnien nach den letzten Wahlen? Noch droht die Wiederholung des bekannten Szenarios: die Unterzeichnung eines Reformpapiers, das die Parteiführer in nichts bindet. Der EU scheint das egal zu sein. Ein Kommentar von Bodo Weber, Democratization Policy Council Berlin.

(Andere Stimmen zu den jüngsten Ereignissen im Dossier.)

In die politische Situation in und um Bosnien-Herzegowina ist in den letzten Wochen Bewegung gekommen. Gut ein Dreiviertel Jahrzehnt, also in etwa seitdem die EU die Führungsrolle in der internationalen Bosnienpolitik von den USA übernommen hat, prägten Stillstand und Regression der demokratischem Reformprozesse und EU-Integration die Politik des Landes. Nun jedoch haben einerseits am 12. Oktober allgemeine Wahlen stattgefunden und Veränderungen im parteipolitischen Gefüge hervorgebracht. Deren Reichweite ist aktuell noch schwer vorhersehbar. Andererseits haben Außenminister Steinmeier und sein Londoner Kollege Philip Hammond am 5. November auf einer Westbalkan-Außenministerkonferenz in Berlin eine gemeinsame deutsch-britische Bosnieninitiative für die EU der Öffentlichkeit präsentiert. Organisiert hatte die Veranstaltung das Aspen Institut Deutschland.

Bei so viel Bewegung drängt sich eine grundlegende Frage auf: Handelt es sich bei der aktuellen Entwicklung um den Beginn des lange ersehnten Fortschritts, um ein Treten auf der Stelle oder um weitere Regression?

Die Vorgeschichte: Vier Jahre politische Paralyse und soziale Explosion

Die Oktoberwahlen haben eine vierjährige Mandatszeit von Regierungen und Parlamenten auf gesamtstaatlicher, Entitäts- und Kantonsebene beendet – eine Mandatszeit, die wie kein anderer Abschnitt der Nachkriegsepoche Bosniens von politischer Krise, sozio-ökonomischem Niedergang und sozialer Explosion geprägt war. Verschlimmernd kam noch hinzu, dass die internationale Gemeinschaft und besonders die EU rat- und hilflos reagierten.

Sie stellte allerdings nur den Höhepunkt einer Entwicklung dar, welche ihren Ausgangspunkt am Beginn der davorliegenden Amtsperiode 2006 bis 2010 genommen hatte. Ende 2005 und Anfang 2006, quasi zu Beginn des damaligen Wahlkampfes in Bosnien und Herzegowina, hatte die internationale Gemeinschaft einen grundlegenden Politikwechsel vorgenommen. Im Rahmen des EU-Integrationsprozesses rückte sie ab von einer durch ein internationales Halbprotektorat vorangetriebenen Reformpolitik und hin zur vollständigen Übergabe der Verantwortung an die einheimischen politischen Eliten. Dies geschah nach dem Vorbild der Integration der mittelosteuropäischen Staaten – wenngleich diese für die Nachkriegsverhältnisse Bosniens kein Modell sein konnten. Infolgedessen kehrte die Reformfeindlichkeit der Eliten zurück, die nationalistische Rhetorik nahm wieder zu, ebenso die Angriffe auf den Staat Bosnien und Herzegowina.

Angeführt wurde diese Politik von Milorad Dodik, dem einstigen Premier und heutigen Präsidenten der Republika Srpska (RS), der mehrheitlich serbischen Teilrepublik (Entität), und Vorsitzenden der Partei SNSD (Partei der unabhängigen Sozialdemokraten). Dodik stieg auf zum neuen starken Mann Bosniens: Der ehemalige Reform-Sozialdemokrat und Partner der internationalen Gemeinschaft begann seinen politischen Aufstieg mit Sezessionsdrohungen und forderte den Rückbau des noch immer dysfunktionalen bosnischen Staates zum lebensunfähigen Proto-Staat aus der Zeit unmittelbar nach dem Daytoner Friedensschluss – unter der Parole „originäres Dayton“. Zugleich beharrte er darauf, ein Befürworter der EU-Integration Bosnien und Herzegowinas zu sein. Dodik fand auf bosniakischer Seite Gegenspieler zum nationalistischen Hochschaukeln des innenpolitischen Klimas und im Präsidenten der größten kroatisch-ethnischen Partei HDZ (Kroatische Demokratische Gemeinschaft), Dragan Čović, einen Partner in der anderen Entität, der Föderation Bosnien und Herzegowina.

In der Föderation gelangte bei den Wahlen 2006 mit  Željko Komšić von der Sozialdemokratischen Partei BuH (SDP) erstmals in der Nachkriegsgeschichte ein Vertreter einer multiethnischen Partei in das Amt des kroatischen Mitglieds des dreiköpfigen Staatspräsidiums von BuH. Die Ämter des bosniakischen, serbischen und kroatischen Präsidiumsmitglieds, des höchsten Exekutiven Staatsorgans BuHs waren traditionell den Vertretern der großen monoethnischen Parteien zugefallen, die kroatischen Position der HDZ als größter kroatischer Partei. Die SDP nutzte 2006 eine Lücke im ansonsten weitgehend hermetisch ethnisierten Wahlsystem BuHs, sodass Komšić den HDZ-Kandidaten auch mit der Unterstützung bosniakischer Wähler aus der Föderation besiegen konnte.  Čović müntzte diese Wahlniederlage um in eine nationalistische Kampagne gegen die angebliche systematische Diskriminierung der Kroaten in Bosnien. Zugleich hob auch er eine Forderung aus der nationalistischen Vergangenheit neu aufs Schild – die nach einer dritten, monoethnisch kroatischen Entität.

So war die Amtsperiode bis 2010 geprägt von wachsenden Spannungen der Regierungskoalitionen auf gesamtstaatlicher und auch auf Föderationsebene. Die Auseinandersetzungen umfassten dabei wegen des weitgehend ethnisierten institutionellen Gefüges weite Teile der wichtigsten parlamentarischen Parteien und vor allem die wichtigsten ethnischen Parteien. Mit dem schrittweisen Schwinden der unter internationaler Beteiligung im ersten Nachkriegsjahrzehnt mühsam etablierten Politik des Dialogs und Kompromisses wurde die Politik in Bosnien-Herzegowina zurückgeworfen auf die beiden Elemente, welche die Quintessenz des dysfunktionalen Staates ausmacht: Furcht und Patronage, also das politische Schüren von interethnischen Spannungen und Hass von oben und die dahinter verborgene Aneignung beziehungsweise Kontrolle über administrative, staatliche Ressourcen durch Klanstrukturen.

Nach den Wahlen von 2010 führte diese innenpolitische Verschärfung zu vier Jahren fast vollständiger Blockade des Regierungshandelns. Ausgenommen war davon lediglich die Republika Srpska, in der Milorad Dodik eine Art Einparteienherrschaft etabliert hatte.
Nachdem die multiethnische SDP und die größte bosniakisch-nationale Partei, die SDA (Partei der demokratischen Aktion) erstmals ein Bündnis, die sogenannte Plattform-Koalition basierend auf einem demokratischen Reformprogramm, eingegangen waren, bildeten die beiden größten serbischen und kroatischen Parteien, die SNSD und die SDS (Serbisch-demokratische Partei) bzw. die HDZ und die HDZ 1990  jeweils ethnische Parteienblöcke. Die drei Bündnisse blockierten sich gegenseitig. Erst nach 15 Monaten erzwang die rechtlich drohende Totalblockade der Haushalte von Gesamtstaat und Entitäten eine Koalition der drei Blöcke auf gesamtstaatlicher Ebene. Diese zerbrach jedoch im Frühjahr 2012, nach nur 4 Monaten, an der unterschiedlichen Bereitschaft von SDA und SDP, Forderungen von Dodik nach der Schwächung des Staates zugunsten der Entitäten nachzugeben. Aus dem geplanten Rauswurf der SDA durch die SDP wurde ein Koalitionskrieg mit verfassungsrechtlichen Mitteln, welcher den Koalitionswechsel auf staatlicher Ebene zeitlich erheblich verzögerte. Es sollten noch weitere Wechsel in der Zusammensetzung der Koalition bis zum Ende der Mandatszeit folgen.

In der Föderation, in der die Plattform-Parteien eine Regierung ohne Beteiligung der beiden größten kroatischen Parteien trotz verfassungsrechtlicher Bedenken durchgedrückt hatten, blieb der Bruch der Koalition bis 2014 ohne Epilog: Um die ehemaligen Partner SDP und SDA formierten sich zwei konkurrierende Koalitionen im Parlament und der Regierung, was die politische Arbeit über die gesamte verbliebene Amtszeit weitgehend blockierte. Der Rauswurf der SDA aus den Regierungskoalitionen führte in der Stadt Mostar, die zwischen Kroaten und Bosniaken ethnisch geteilt bleibt, zum verfassungsrechtlichen Ausnahmezustand. Dort war das Statut der Stadt, welches seinerzeit die internationale Gemeinschaft per Diktat eingeführt hatte, vom Verfassungsgericht der Föderation in Teilen für nichtig erklärt worden. Da sich die wichtigsten parlamentarischen Parteien in der Föderation, allen voran HDZ und SDA nicht über eine Neuregelung einigten, konnten in Mostar 2012 keine Kommunalwahlen stattfinden. Seitdem regiert der dortige Bürgermeister kommissarisch, während das Stadtparlament seine Amtszeit beendet hat.

Das politische Chaos und die korrupte Politik der regierenden Eliten führten zu einem dramatischen sozio-ökonomischen Verfall in Bosnien und Herzegowina. Rund ein Viertel der der arbeitsfähigen Bevölkerung ist offiziell arbeitslos. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt sogar um die 50 Prozent. Die ökonomische Perspektivlosigkeit führte Anfang Februar 2014 zur sozialen Explosion: Aus Arbeiterprotesten entwickelten sich Demonstrationen in allen größeren Städten in der Föderation, die am 7. Februar in gewaltsame Unruhen umschlugen. Sie waren Ausdruck der tiefen Wut und Verzweiflung der Bürger/innen und eine Absage an die politische Klasse in Bosnien und Herzegowina als Ganzes. In der Republika Srpska, in der die Stimmung der Bürgerinnen und Bürger vergleichbar und die sozio-ökonomische Situation noch schlechter ist, konnte das Regime ein Ausgreifen der Proteste durch massive Propaganda und systematische Einschüchterung verhindern.

Auch wenn die sozialen Proteste bald versandeten – weil es den Demonstranten nicht gelang, ihre Unzufriedenheit in politische Forderungen zu übersetzen, die auf die systemischen Ursachen abzielen – verschärfte sich die politische Lage weiter. Im April soll Präsident Dodik nach Aufforderung Moskaus, das Dodik seit Jahren unterstützt, bereit gewesen sein, im Windschatten der russischen Annexion der Krim die Abspaltung der RS zu forcieren. Erst nach der Verweigerung der Unterstützung durch den Premierminister Serbiens, Aleksandar Vučić, nahm er von diesem Unterfangen Abstand.

Die EU als Mitverursacher der Krise

 Mitte Februar 2014 zog die EU die Reißleine in Bosnien und Herzegowina. Unter dem Eindruck der Unruhen, im Lichte von Totalblockade des EU-Integrations- und Reformprozesses und angesichts des beginnenden Wahlkampfes erklärte der EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle seine langjährigen Bemühungen für gescheitert. Verantwortlich dafür, so der neue Konsens innerhalb der Union, seien allein die reformunwilligen politischen Eliten. Die EU selber trage keinerlei Schuld. Ein bezeichnendes Statement – denn tatsächlich war es die EU, deren Wechselverhältnis zu den einheimischen Eliten letztere an den Punkt geführt hatte, an dem Brüssel 2014 das Scheitern konstatierten musste.

Hatte die EU 2006 die Verantwortung für Bosnien im Moment der Transition vom Nachkriegsengagement des Westens hin zu Eigenverantwortung der einheimischen politischen Akteure übernommen, so deutete bereits der damalige Wahlkampf an, dass die Entwicklung in eine andere Richtung laufen würde als geplant. Für ein Nachsteuern fehlte jedoch lange der politische Wille. Die politische Aufmerksamkeit wanderte weg vom Balkan und hin zu Eurokrise, dem militärischen Rückzug aus Irak und Afghanistan und dem arabischen Frühling. Trotz der krisenhaften politischen Entwicklung vor Ort in Bosnien und Herzegowina nahm der Wille der EU zur Neubefassung mit dem kleinen Balkanland immer mehr ab.

Derweil versuchten sich EU-Bürokraten und Diplomaten auf mittlerer Ebene in den europäischen Hauptstädten an der Quadratur des Kreises: Anstatt rote Linien zu ziehen und strenger gegen Versuche vorzugehen, die erreichten demokratischen Standards und den schwachen Zentralstaats zu untergraben, versuchten sie es mit einer Art Appeasement-Politik. Dahinter stand die leere Hoffnung, diese maximal abgesenkten Bedingungen könnten die politischen Eliten zu Reformschritten bewegen und so eine irgendwie geartete EU-Integrations- und Reformdynamik in Gang setzen. Weiter galt das Gebot, offene Konflikte mit Dodik und anderen zu vermeiden – wohlwissend, dass es auf übergeordneter politischer Ebene in den Mitgliedsstaaten keine Bereitschaft gab, sich mit einer möglichen Eskalation des Konflikts mit den politischen Eliten in BuH ernsthaft zu befassen.

So war die Zeit zwischen 2007 und 2014 geprägt von einer langen Liste an Reformbedingungen, bei denen Brüssel entweder die Standards senkte, diese ganz fallen ließ oder deren Nichterfüllen ohne die Anwendung der vorgesehenen Sanktionen blieb. Darüber hinaus ging die EU in einer Reihe von Auseinandersetzungen mit der politischen Elite am Ende Kompromisse über zunächst nicht-verhandelbare Bedingungen und demokratische Standards ein. Damit machte sich die EU de facto zum Handlanger von Reformregression, Unterwanderung des Staates und einer Blockade des EU-Integrationsprozesses, weil ihr politisches Agieren dreierlei Wirkung entfaltete. Erstens lehrte es die politischen Eliten, dass die Konditionalitäts-Politik der EU nicht ernst zu nehmen ist beziehungsweise dass sich Reformwiderstand am Ende auszahlt. Zweitens lehrte Sie Milorad Dodik und andere, dass die EU (und auch die USA) schwach und nicht bereit sind, rote Linien durchzusetzen und den Erhalt des bosnischen Staates zu garantieren. Drittens zerstörte die EU mit der Aufforderung an die politischen Akteure, sich untereinander zu arrangieren, die Existenz der multiethnischen politischen Kräfte, allen voran der SDP. Denn diese hatten in einem derartigen Ambiente nur die Wahl, entweder ihre politischen Prinzipien zu verraten oder in die außerparlamentarische Opposition zu gehen.

So stand die EU vor den Oktoberwahlen 2014 wo sie 2007 begonnen hatte - an einem nicht in Kraft gesetzten Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA), das 2008 schon nur durch Konzessionen der EU unterzeichnet werden konnte. Denn nach all den gesenkten Bedingungen blieb eine unerfüllt: die Implementierung des sogenannten Sejdić-Finci Urteils des EUGH. In diesem urteilte der Gerichtshof 2009, dass das politische System Bosnien und Herzegowinas im Widerspruch zum Nicht-Diskriminierungsparagraphen der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Verfassung von Bosnien und Herzegowina steht: Bürger/innen, die sich nicht als Angehörige der drei großen ethnischen Gruppen (Bosniaken, Kroaten, Serben) identifizieren, ist es unmöglich, für die wichtigsten Staatsämter zu kandidieren.

Infolge der gezogenen Lehren aus der Schwäche der EU-Konditionalitätspolitik schafften es die Parteiführer seither nicht, sich auf diese, eher randständige Verfassungsänderung zur Umsetzung des Urteils zu einigen. Zugleich konnte es sich die EU aber nicht erlauben, auch diese letzte Bedingung fallen zu lassen, weil hinter ihr die Autorität des Europarats steht. So scheiterte nach den Februar-Unruhen der letzte Vermittlungsversuch von Kommissar Füle, der im verzweifelten Bemühen, ein wie auch immer geartetes Abkommen zu erreichen, sogar bereit war, der mit dem EuGH-Urteil vollkommen unverbundene Forderung des Kroaten Čović nach der Einführung einer kroatischen Entität durch die Hintertür der Änderung des Wahlgesetzes Bosnien und Herzegowinas  nachzugeben.

Die Wahlen 2014

So schleppte sich der Wahlkampf dahin, in dem weder die EU einen Politikwechsel ankündigen konnte, der den Wählern Mut auf Veränderung gemacht hätte, noch die sozialen Proteste zu einem sichtbaren Ergebnis geführt hatten. Nur widerwillig hoben die Parteien zentrale Themen der Bürgerproteste auf ihr Kampagnenschild. In der RS versuchte Dodiks SNSD das altbewährte Muster nationalistischer Bedrohungsszenarien neu zu beleben. Dort gelang es der Opposition erstmals, ein Bündnis unter Führung der SDS einzugehen. Im Jahr zuvor war diese von Dodik aus der zentralstaatlichen Regierungskoalition gedrängt worden. In der Föderation machte die Demokratska Fronta (Demokratische Front, DF) von sich reden – eine Neugründung des Staatspräsidiumsmitglieds Komšić, der wegen Zugeständnissen an SNSD und HDZ aus der SDP ausgetreten war.

Die Abstimmung am 12. Oktober brachte nur begrenzte Überraschungen. Die Wahlbeteiligung lag, trotz massiver Aufforderung der internationalen Gemeinschaft an die Bürger/innen, mit 54 Prozent sogar knapp unter der Quote von 2010. Die SDP wurde für ihre Kompromisspolitik gegenüber den nationalistischen Kräften erwartungsgemäß am stärksten abgestraft. Sie verlor fast zwei Drittel ihrer Stimmen im staatlichen und föderalen Parlament. Der DF gelang dagegen auf Anhieb der Einzug in beide Parlamente als zweit- beziehungsweise drittstärkste Kraft. Die SDA ging als stärkste Kraft in beiden Parlamenten als relativer Gewinner aus den Wahlen hervor, die HDZ blieb stärkste kroatische Kraft. In der Republika Srpska musste die regierende SNSD massive Stimmenverluste gegenüber dem Wahlbündnis der SDS hinnehmen und verlor auch im Verhältnis zu ihren zwei kleineren Koalitionspartnern an Einfluss. Allerdings blieb sie stärkste politische Partei im Entitätsparlament. Dodik blieb mit einem knappem Stimmenvorsprung Präsident der RS. Die SNSD-Kandidatin für das Amt des serbischen Mitglieds im Staatspräsidium von Bosnien und Herzegowina, RS-Ministerpräsidentin Željka Cvijanović, scheiterte jedoch gegen den Kandidaten des Oppositionsbündnisses, Mladen Ivanić. 

Ob das Ergebnis diesmal zu einer komplikationslosen Regierungsbildung reicht, ist aktuell nicht absehbar. SDA und DF haben mittlerweile mit der SDS ein Regierungsbündnis auf staatlicher Ebene vereinbart, und SDA, DF und HDZ auf Föderationsebene. Eine Regierung auf staatlicher Ebene ohne die SNSD ist erstmals mathematisch möglich, allerdings nur wenn sich auch die HDZ beteiligt. Deren Vorsitzender Čović beharrt allerdings auf der Allianz mit Dodik, sollte es diesem gelingen, in der RS die Parlamentsmehrheit von 42 Abgeordneten für eine erneute Entitätsregierung zu sichern. Welcher der beiden Parteienblöcke über diese Stimmenmehrheit im Parlament verfügt, blieb über Wochen unklar und war begleitet von gegenteiligen Aussagen und Anschuldigungen über den angeblichen Kauf von Abgeordneten kleinerer Parteien durch die SNSD. Erst die konstituierende Sitzung des Abgeordnetenhauses am 24. November offenbarte, dass die SNSD-Koalition über eine hauchdünne Mehrheit von 42 der 83 Parlamentssitze verfügt. Am 30. November übertrug Präsident Dodik seiner Parteikollegin, der bei den Wahlen gescheiterten, bisherigen Ministerpräsidentin Željka Cvijanović erneut das Mandat zur Regierungsbildung.
Die EU drängt auf eine rasche Konstituierung der Parlamente und Regierungsbildung auf allen Ebenen – nicht zuletzt, weil das Voraussetzung ist für eine neue politische Initiative für Bosnien. Diese haben Deutschland und Großbritannien über Monate vorbereitet und am 5. November in Berlin erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt.

Die Deutsch-britische Initiative

Auf einer Westbalkankonferenz in Berlin haben die Außenminister Steinmeier und Hammond Anfang November die Eckpunkte einer gemeinsamen Initiative vorgestellt. Der Democratization Policy Council hat sich damit in einer auführlichen Analyse auseinander gesetzt. Es handelt sich um das erstmalige gemeinsame Agieren von Berlin und London in der Bosnienpolitik der EU. In den zurückliegenden 5 Jahren war diese geprägt worden vom offenen politischen Konflikt zwischen den beiden Staaten über die richtige Antwort der EU auf die verursachte Krise.

Während London die Realitäten vor Ort anerkannte und eine Neujustierung der Politik sowohl mit den soft power Instrumenten des EU-Integrationsprozesses als auch den hard power Instrumenten von Dayton propagierte, machte sich Deutschland zum eigentümlichen Fürsprecher des nicht-funktionierenden Status quo europäischer Bosnienpolitik und zur bedingungslosen Abschaffung der Daytoner Instrumente internationaler Politik. Darin bündelte sich der traditionelle Widerwille gegen eine außenpolitische Führungsrolle Deutschlands und gegen die hard power Instrumente von Außen- und Sicherheitspolitik. Ziel dieser „Politik“ war es letztendlich, sich nicht mit dem politischen Problem in BuH ernsthaft befassen zu müssen.  Da Großbritannien aber aufgrund seiner EU-kritischen Grundhaltung in den letzten Jahren verlernt hat, Mehrheiten für seine Politik innerhalb der Union zu organisieren, blieb es über Jahre auf das erfolglose Bemühen zurückgeworfen, Berlin zu einer gemeinsamen Politik zu bewegen.

Das in Form der Initiative präsentierte Ergebnis, das erst durch den Regierungswechsel in Berlin und die neue politische Aufmerksamkeit für Bosnien nach den Unruhen möglich wurde, sieht allerdings nicht wie ein Kompromiss, sondern eher wie ein Londoner Einknicken aus: Berlin und London schlagen vor, dass die Sejdić-Finci Bedingung für das Inkraftsetzen des SAA-Abkommens fallen gelassen wird beziehungsweise seine Implementierung erst im Laufe der späteren Beitrittsverhandlungen zu erfolgen hat. Im Gegenzug sollen die Vorsitzenden der wichtigsten Parteien eine schriftliche Absichtserklärung zur Implementierung sowie für eine mittelfristige umzusetzende, extrem vage formulierte Reformagenda unterzeichnen. Diese soll vor allem Wirtschaftsreformen und begrenzte institutionelle Reformen beinhalten. Ihre Implementierung soll den Weg zur Erlangung des Kandidatenstatus für Bosnien und Herzegowina ebnen.

Dieser Plan beruht somit auf den bekannten Elementen der gescheiterten EU-Politik wie der Senkung von Bedingungen. Zugleich bleibt völlig vage, welche Bedingungen in der Reformagenda enthalten sein werden und ob diese von der EU oder den Parteien definiert werden. Ebenso bleibt unbestimmt, ob diesmal aus der Nicht-Erfüllung von Bedingungen Konsequenzen folgen werden, weil sich Berlin und London offensichtlich darüber nicht einigen konnten.

Letztendlich scheint es dem Wechsel im Amt des britischen Außenministers in 2014 und dem verzweifelten Werben in Berlin um gemeinsames Handeln geschuldet sein, dass die Initiative kaum etwas von der bisherigen britischen Bosnienpolitik enthält. Auf deutscher Seite scheint sich das Auswärtige Amt, das federführend war, gegenüber dem Kanzleramt mit seiner bisherigen Politik durchgesetzt zu haben. Der Plan beinhaltet nichts von der Politik, mit der Kanzlerin Merkel 2011 erfolgreich die Führungsrolle zur Lösung des Serbien-Kosovo-Konflikts übernommen hatte – also weder klar definierte, umfassende Bedingungen, strikte Konditionalisierung noch die deutliche, öffentliche Definition roter Linien (die Ansage gegenüber Belgrad, die Zeit der Grenzveränderungen auf dem Balkan sei vorüber).

Ausblick: Allseitige Selbsthypnose

Wohin bewegt sich Bosnien also politisch am Ende des Jahres 2014? Aktuell sieht es so aus, als würde es, anders als 2010, zu einer zügigen Regierungsbildung in Bosnien und Herzegowina kommen. Doch der Schein kann genauso gut trügen. Nachdem es Dodik gelungen ist, eine Regierungsmehrheit in der Republika Srpska zustande zu bringen spricht alles dafür, dass sein Bündnis mit Dragan Čović und der HDZ halten wird. Ohne dieses Bündnis ist keine Regierungsbildung auf gesamtstaatlicher Ebene möglich. Damit ist auch eine erneute langzeitige institutionelle Blockade nicht gänzlich ausgeschlossen. Eine Blockade würde im Umkehrschluss zugleich bedeuten, dass die deutsch-britische Initiative Makulatur wäre, bevor sie richtig in Gang gekommen ist. Doch selbst ohne ein derartiges Szenario gibt die deutsch-britische Initiative Anlass zu Sorge. Am 17. Oktober haben die Außenminister der EU die Initiative trotz ernsthafter Bedenken zahlreicher kleinerer EU-Staaten grundsätzlich angenommen.

Es gilt nun, deren vage Konturen mit konkretem Inhalt zu füllen. Sollte kein substantielles Upgrade des Plans erfolgen, droht die Wiederholung des bereits gesehenen Szenarios: Die Parteiführer in Bosnien werden ein Reformpapier unterzeichnen, das sie in nichts bindet. Die EU gewährt einen weiteren Schritt im EU-Integrationsprozess und die Mitgliedsstaaten verfallen in eine allseitige Selbsthypnose, dass ein gemeinsames deutsch-britische Agieren einfach erfolgreich sein muss. Dann, in ein, zwei Jahren beginnt das alte Spiel der Reformblockaden und Koalitionsstreitigkeiten. Und in London wird nach den Unterhauswahlen vom Mai 2015 längst ein neuer Außenminister im Amt sein, und die politische Aufmerksamkeit von Berlin, London und EU hat sich längst anderen, drängenderen Krisenherden zugewandt…