Der drohende Umwelt-Notstand in Gaza

Überflutetes Stadtvirtel in Gaza
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Überflutetes Stadtviertel in Gaza nach dem Unwetter Alexa im Dezember 2013

Gaza-Stadt hat ein jährliches Bevölkerungswachstum von 2,9 Prozent (Schätzung für 2014), das ist der dreizehnhöchste Wert weltweit. Wegen der sehr schweren Schäden, zu denen es unlängst während des 50-tägigen Krieges kam, sind die Möglichkeiten, neuen Wohnraum zu schaffen und dieses Wachstum zu bewältigen, sehr begrenzt. Der Gazastreifen ist 41 Kilometer lang und zwischen sechs und zwölf Kilometer breit. Die Gesamtfläche des Gebiets beträgt 365 km2. Man schätzt, dass die Bevölkerung des Gazastreifens im Jahr 2014 die Marke von 1,8 Millionen Menschen überschritten hat – davon sind 1,2 Millionen Flüchtlinge (UNRWA 2014). Durch die hohe Zahl an palästinensischen Flüchtlingen ist Gaza mit 4.583 Einwohnern pro Quadratkilometer eines der am dichtest besiedelten Gebiete der Welt.

Gaza verfügt über wenige jener natürlichen Ressourcen, die für den Wiederaufbau und Betrieb von Infrastruktur und anderen Einrichtungen wichtig sind. Entsprechend kann Gaza die Bedürfnisse der dort lebenden Menschen immer weniger befriedigen. Für die Wasserversorgung wird im Gazastreifen eine Grundwasserschicht genutzt, aus der jahrzehntelang zu viel abgepumpt wurde. Spätestens im Jahr 2020 wird Gaza das Trinkwasser ausgehen (UNRWA 2012). Bereits heute haben die meisten Haushalte in Gaza kaum oder kein Wasser. Die geringen verfügbaren Mengen sind schwer mit Schadstoffen belastet und als Trinkwasser nicht geeignet.

Seit 2007 ist der Zugang zum Gazastreifen über Land, Wasser und aus der Luft durch Israel gesperrt. Gaza steht, da es an Kraftstoffen fehlt, vor einer Energiekrise – 12 bis 16 Stunden, manchmal sogar 20 Stunden täglich fällt die Stromversorgung aus. Die Energiekrise ist so akut, dass Pumpstationen stillstehen und Fabriken die Produktion einstellen müssen, was zu Entlassungen führt. Auch Krankenhäuser müssen häufig auf Notstromaggregate zurückgreifen (UNOCHA 2014).

Wieder einmal wird Gaza in rasantem Tempo unbewohnbar“, sagte Filippo Grandi, der Generalkommissar des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA). Und er fügte hinzu: „Wenn man für Sicherheit in der Region sorgen will, wäre es vielleicht sinnvoller, die Lage der Menschen in Gaza zu verbessern, anstatt Grenzen zu schließen, sie politisch zu isolieren und militärisch gegen sie vorzugehen.“

Politische Krise verschärft Umweltprobleme

Seit Jahrzehnten wird der Gazastreifen von militärischen Auseinandersetzungen erschüttert. Im Laufe der Zeit hat dies in der Region zu erheblichen Umweltproblemen geführt. Während der Auseinandersetzungen, zu denen es zwischen dem 8. Juli und 26. August 2014 kam, beschoss Israel Gaza von Land, See und aus der Luft, und wiederholt drang die israelische Armee nach Gaza vor. Bereits zuvor waren die ökologischen Zustände in der Region alles andere als gut, da es nur wenig Geld für Rückgewinnungs- und Klärsysteme gab und Umweltprojekte nur eine nachgeordnete Bedeutung hatten.

Der letzte Krieg hat zu großflächigen Schäden geführt und die bereits zuvor überlasteten Umweltsysteme und -einrichtungen zusätzlich strapaziert. Die augenfälligsten Beispiele sind die großen Mengen an Schutt und die schweren Schäden an Abwasser- und Klärsystemen. Auch die Wasserversorgung ist erheblich eingeschränkt, da Brunnen und Trinkwasserleitungen zerstört wurden. Weitere negative Folgen für die Umwelt hatte die weitreichende Verwüstung landwirtschaftlicher Flächen, die Zerstörung von Fabriken sowie der Besorgnis erregende Anstieg von Schadstoffen im Grundwasser und im Mittelmeer. Baha al-Agha, ein Vertreter von Gazas Umweltbehörde, stellte erst kürzlich fest, dass täglich bis zu 100.000 Kubikmeter unbehandelte Abwässer ins Mittelmeer gepumpt würden (Reuters 2014).

Die unmittelbaren Schäden der Angriffe und des Beschusses kann man an den zerstörten Gebäuden und der zerstörten Infrastruktur ablesen. Es gibt jedoch auch wesentlich schlimmere und nicht so offensichtliche Folgen, die sich erst langfristig und schleichend bemerkbar machen. Ein Beispiel sind die Brände, zu denen es durch das Bombardement kam, sowie Überreste von Sprengstoffen und Gasen, die die Luft verschmutzen und eine Gefahr für Menschenleben und Umwelt darstellen. Zudem tragen diese Substanzen auch zur Verschmutzung von Wasser und Boden bei.

Die gefährlichsten Luftschadstoffe sind Aerosole in Form bestimmter Dünste, von Staub, Schwebeteilchen und Rauch. Derartige Formen der Luftverschmutzung führen zu gesundheitlichen Schäden wie Asthma und der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD). Kinder, Ältere und Menschen mit Herz- oder Lungenkrankheiten leiden hierunter am meisten und können daran sterben.

Im Winter trägt der Regen diese Schadstoffe in den Boden ein, wodurch es zu weiteren Schäden kommt und Felder sowie die angebauten Pflanzen geschädigt werden. Vom Boden sickern Schadstoffe auch ins Grundwasser und ins Meer, wo sie die Fischbestände schädigen, die für Gaza eine sehr wichtige Nahrungsquelle sind. Der kontaminierte Fisch ist dabei nicht nur ein Gesundheitsrisiko für die Menschen in Gaza, denn die Meeresströmungen tragen die Schadstoffe in andere Teile des Mittelmeers, wo es dann gleichfalls zu Umwelt- und Gesundheitsproblemen kommen kann.

Weltklimarat warnt vor deutlichem Temperaturanstieg in der Region

Im April 2014 erklärte der Weltklimarat (IPCC) in seinem Fünften Sachstandsbericht, der Klimawandel werde im östlichen Mittelmeerraum die Jahreszeiten und die Regenmengen verändern. Von zwei Folgeeffekten ist auszugehen: Zum einen wird mehr Regen in kürzerer Zeit fallen – und diese Niederschlagsmengen werden zu einem großen Teil auf der Oberfläche abfließen, wodurch es zu mehr Erosion kommt und das Erdreich weniger Wasser aufnimmt. Weniger Wasser im Boden bedeutet, dass dieser weniger Gras produziert und Hirten Tierfutter zukaufen müssen. Geringere Niederschlagsmengen zu anderen Jahreszeiten werden zudem dazu führen, dass die Wasservorräte in den Zisternen sinken und Hirten Wasser zukaufen müssen.

Der Weltklimarat schätzt, dass im südlichen und östlichen Mittelmeerraum der Temperaturanstieg höher ausfallen wird als im Weltdurchschnitt und zwischen 2,2 und 5,1 C° betragen wird (Szenario A1B). Die jährliche Niederschlagmenge wird dabei vermutlich bis 2020 um zehn Prozent sinken – und um 20 Prozent bis 2050, was Dürreperioden im Sommer wesentlich wahrscheinlicher macht.

Der Anstieg der Lufttemperatur, zu dem es durch die Emission von Treibhausgasen kommt, wird für die Gesundheit und den Alltag der Menschen ernste Konsequenzen haben. Besonders betroffen sind Landwirtschaft, Fischerei, Tourismus, Infrastruktur, dicht besiedelte Küstengebiete, Wasservorräte und Naturgebiete. Um die wirtschaftlichen Verluste so gering wie möglich zu halten, müssen eine Reihe von Anpassungsmaßnahmen entwickelt und umgesetzt werden.

Das Ganze ist kein Spiel. Alle sind gefordert und müssen gemeinsam handeln, damit Gaza vor dem Untergang gerettet werden kann – die UNO, Spitzenpolitiker aus aller Welt, internationale Einrichtungen, Aktivisten, Fachleute und junge Menschen. Was die Einwohner von Gaza brauchen, sind wirksame Techniken und weltweite Unterstützung, denn anders wird es nicht möglich sein, die zerstörte Infrastruktur von Gaza wiederaufzubauen und das Gebiet für die immer größer werdenden Herausforderungen, die die weltweite Umweltkrise bedeutet, fit zu machen.

Gemeinsam sollten wir an einer Zukunft für Gaza arbeiten, in welcher die Menschen in Eintracht mit der Natur leben. Wir wollen in Gaza nicht nur die Umwelt schützen, wir wollen einen Ort schaffen, an dem die Umwelt erst gar nicht geschützt werden muss.